Im vergangenen Jahr ist die Zahl der Kontroll-Ausschreibungen im Schengener Informationssystem (SIS II) stark angestiegen, schreibt das Bundesministerium des Innern. Möglich ist dies nach Artikel 36 des SIS-II-Ratsbeschlusses, der Ausschreibungen zur „verdeckten Kontrolle“ oder „gezielten Kontrolle“ ermöglicht. Werden die Betroffenen innerhalb des Schengen-Raums angetroffen, erfolgt eine Meldung an die ausschreibende Behörde. Auch die nationalen Polizeigesetze erlauben derartige Maßnahmen, allerdings nicht über Grenzen hinweg.
Leichter Rückgang in Deutschland
Bei einer „gezielten Kontrolle“ werden Personen, ihr Gepäck und möglicherweise genutzte Fahrzeuge durchsucht, die ausschreibende Polizeidienststelle wird anschließend über die Ergebnisse informiert. Bei einer „verdeckten Kontrolle“ erfolgt keine Durchsuchung. Stattdessen wird die interessierte Behörde informiert, wo die Person angetroffen wurde, wohin und womit sie gereist ist und wer sich außerdem im Fahrzeug befand. Beide Maßnahmen können zudem durch die Polizei und die Geheimdienste durchgeführt werden. Der Artikel 36 unterscheidet diese Varianten nach Absatz 2 und 3.
Die Zahl der heimlichen Fahndung stieg bereits im Jahr davor deutlich an. Laut der Antwort des Ministeriums fahndeten europäische Behörden in 2018 nach 155.910 Personen mithilfe des Artikel 36. Im Jahr davor waren es noch 129.412 Personen, in 2016 waren 96.108 Personen entsprechend gelistet. Den Zahlen zufolge überwiegen die „verdeckten Kontrollen“ deutlich gegenüber den „gezielten Kontrollen“.
Großbritannien an zweiter Stelle
Die deutschen Ausschreibungen basieren auf den Landespolizeigesetzen und der Strafprozessordnung. Fahndungen der Geheimdienste erfolgen nach § 17 Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. Alle Ausschreibungen werden über das Bundeskriminalamt als Zentralstelle für das Schengener Informationssystem gesteuert. Auffällig ist, dass die deutschen Einträge nach Artikel 36 sogar leicht zurückgegangen sind.
Der starke Zuwachs der Fahndungen geht vor allem auf französische Behörden zurück. Ausweislich der Antwort sind derzeit mehr als 96.000 in Frankreich nach Artikel 36 ausgeschrieben. In 2016 waren es rund 31.000 Personen, ein Jahr später 79.000 Personen. An zweiter Stelle der internationalen Ausschreibungen steht Großbritannien, nach dem Brexit müssen die britischen Polizeien und Geheimdienste jedoch auf die grenzüberschreitenden Fahndungen mithilfe des SIS II verzichten.
Neue Kategorie „Ermittlungsanfrage“
Vor vier Jahren wurden die Artikel 36-Ausschreibungen mit einem Wert „unverzügliche Meldung“ ergänzt. Die Behörden können damit beantragen, dass sie sofort über ein Antreffen der Person informiert werden. Mit zwei Dritteln aller „unverzüglichen Meldungen“ liegen deutsche Polizeibehörden deutlich vorn (Artikel 36, Absatz 2). Deutsche Geheimdienste sind für rund ein Viertel aller eiligen Mitteilungen verantwortlich (Artikel 36, Absatz 3). Vermutlich werden diese „unverzüglichen Meldungen“ auch in das neue Zentrum europäischer Inlandsgeheimdienste in Den Haag eingespeist.
Mit der Neufassung der Verordnungen für das SIS II kommt nun eine dritte Fahndungskategorie nach Artikel 36 hinzu. Ab diesem Jahr können die Behörden eine „Ermittlungsanfrage“ stellen und dabei Informationen oder spezifische Fragen in die Ausschreibung aufnehmen. Die Befragung muss im Einklang mit dem Recht des vollziehenden Mitgliedstaats erfolgen. Die betroffene Person kann beispielsweise eine AnwältIn hinzuziehen.
In Deutschland sind diese Befragungen laut dem Bundesinnenministerium in den Polizeigesetzen der Länder und des Bundes geregelt. In der Antwort wird nicht ausgeschlossen, dass deutsche PolizistInnen auch Befragungen vornehmen, die von ausländischen Geheimdiensten stammen. In einigen EU-Mitgliedstaaten ist dies jedoch nicht erlaubt, aus einer „Ermittlungsanfrage“ wird dann automatisch eine „verdeckte Kontrolle“.
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