Symbolik war der Bundesregierung beim diesjährigen Digitalgipfel offenbar ein Anliegen. Das neue Kernstück der digitalen Wirtschaftspolitik, das in Dortmund präsentiert wurde, heißt „GAIA-X“, benannt nach der griechischen Urmutter. Es soll an die „europäische Erfolgsgeschichte Airbus“ anknüpfen, hieß es. Der Veranstaltungsort liegt im ehemaligen industriellen Herzen des Landes. Die Botschaft ist klar: Nach der Industrialisierung muss Deutschland jetzt endlich auch das mit der Digitalisierung auf die Reihe kriegen – und die Bundesregierung hat einen Plan.
Zumindest beim zentralen Baustein Gaia-X allerdings scheint es bisher nicht viel mehr als guten Willen und eine Idee zu geben. Die geht so: In einer Art digitalen Public-Private-Partnership soll mit Gaia-X eine europäische Cloud-Infrastruktur entstehen, die die Abhängigkeit von Angeboten aus den USA und China reduziert.
Beim Cloud-Computing geht es im Kern darum, dass Unternehmen und andere Anwender schnell und flexibel Rechenkapazitäten und Speicherplatz nutzen können, ohne selbst eigene Server betreiben zu müssen. Für Gaia-X sollen Server diverser europäischer Unternehmen zusammengeschlossen, gemeinsam vermarktet und über unterschiedliche Anwendungen nutzbar gemacht werden. Zu den Mitinitiatoren gehören laut einem Papier des Wirtschaftsministeriums [PDF] die Telekom, Bosch, Siemens, SAP und die Deutsche Bank. Andere europäische Partner, einen konkreten Zeitplan oder erste Verträge sucht man bisher vergebens.
Mit dieser Initiative will die Bundesregierung raus aus der digitalen Defensive und Handlungsfähigkeit demonstrieren. Sie will endlich ein erstzunehmender Player werden. „Die zweite Welle der Digitalisierung ist Europas Chance“, schrieb Bundeswirtschaftsminister Altmaier vor dem Gipfel im Handelsblatt. Zwar solle man den Konsumentenmarkt noch nicht aufgeben, den Durchbruch aber könne man bei der Digitalisierung von Industrie und Mittelstand schaffen. Gaia-X soll als europäische Dateninfrastruktur die Grundlage schaffen. Schließlich bremse es Unternehmen hierzulande aus, dass sie bestehenden Angeboten aus Übersee nicht vertrauen könnten.
Eine Infrastrukturbaustelle nach der anderen
Damit eine Cloudinfrastruktur funktionieren kann, muss die Bundesregierung allerdings erstmal für akzeptable Netzanbindung sorgen. Auch dies war – wie in jedem Jahr – Thema des Digitalgipfels. Nur ein paar Bürgerinitiativen, etwa solche, die Stimmung gegen Funkmasten machen, werden dem widersprechen: Deutschland braucht eine flächendeckend ausgebaute digitale Infrastruktur. Das Schließen weißer Flecken, sagte am Montag etwa Björn Niehaves von der Universität Siegen, bedeute nicht nur, dass derzeit unterversorgte Bürger:innen künftig auf Facebook unterwegs sein können.
Ähnlich einhellig fiel das Urteil über die Maßnahmen aus, mit denen ein schnellerer Netzausbau umgesetzt werden könnte: Etwa schlankere Bewilligungsverfahren beim Aufstellen neuer Funkmasten und neue Verlegetechniken wie „Microtrenching“ beim Verbuddeln neuer Glasfaserkabel, um die zwei am häufigsten genannten Punkte anzuführen.
Details finden sich in einem Papier der Fokusgruppe „Digitale Netze“ [PDF], welches gleich zu Beginn klarstellt: „Mit dem klassischen Tiefbau allein sind [die ambitionierte Ausbauziele der Politik] bis 2025 nicht erreichbar.“ Die Bundesregierung hat es nicht geschafft, bis Ende 2018 allen Bürgern 50 MBit/s zu liefern. Sie deutet indes bereits an, auch das Ziel „Gigabit-fähige Leitungen für alle bis 2025“ zu verfehlen. So schlimm sei die Lage jedoch nicht, signalisierte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer. Er sieht lediglich ein Kommunikationsproblem: „Die Wahrnehmung beim Bürger ist verbesserungswürdig“, so der CSU-Politiker.
Das alles nützt nichts ohne IT-Sicherheit
Obwohl die Vorstellung von Gaia-X den Gipfel eindeutig dominierte, gab es auch Ankündigungen zu IT-Sicherheit. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) stellte ein Rahmenwerk für „digitale Identitäten“ vor.
Das BSI hält es für ein Problem, dass die großen Plattformen Nutzern Möglichkeiten zur Identifikation im Netz bieten, deren Gegenwert aber gering sei: „Die Betreiber können diese persönlichen Nutzerdaten zwar für eigene Zwecke verwenden, bieten den Nutzerinnen und Nutzern im Gegenzug jedoch in der Regel keine hochwertige digitale Identität“, heißt es in einer Pressemitteilung des BSI. Es geht dem Bundesamt bei seinem Rahmenwerk vor allem um eID-Funktionen für den elektronischen Identitätsnachweis. Mittlerweile ist diese Funktion in jedem neuen Personalausweis aktiviert, laut einer Studie aus dem Jahr 2018 nutzten sie aber nur ein Viertel der Ausweisträger.
Ebenso startete auf dem Digitalgipfel der „Nationale Pakt Cybersicherheit“, bei dem staatliche Stellen, Firmen, Wissenschaft und Zivilgesellschaft zusammenarbeiten sollen. Zunächst geht es dabei vor allem um Wissensaustausch: Best Practices, ein Gesamtbild über IT-Sicherheitsaktivitäten in Deutschland und die Bereitstellung von Informationen.
Ob das mehr ist als eine „eher mutlose und durchschaubare PR-Kampagne“, bezweifelt Sven Herpig von der Stiftung Neue Verantwortung. In einem Beitrag bei Tagesspiegel Background schreibt er: „Nachdem das Innenministerium unter Horst Seehofer (CSU) zuletzt nicht durch seinen Fokus auf gesamtgesellschaftliche Teilhabe auffiel (es sei an dieser Stelle an Seehofers ‚witzelnde‘ Aussage erinnert, dass Sicherheitsgesetze absichtlich kompliziert gestaltet werden können, um Kritik an ihnen zu vermeiden), wirkt dieses Vorgehen wie der Versuch, zivilgesellschaftliche Beteiligung vorzugeben, ohne echte Einflussnahme zu ermöglichen.“
Der Digitalgipfel als Werbeplattform
Mit der Zivilgesellschaft tut sich die Bundesregierung ohnehin schwer. Der Digitalgipfel ist die zentrale netzpolitische Konferenz der Bundesregierung. Auch wenn in der Werbung für die Veranstaltung und in der Abschlusserklärung [PDF] betont wird, dass die Digitalisierung alle betreffe, demonstriert sie hier alljährlich, dass sie an einem Austausch mit der Zivilgesellschaft kein Interesse hat.
Stattdessen spricht sie hauptsächlich mit der Wirtschaft und jenen Spielarten der Wissenschaft, die industrienahe Ergebnisse produzieren. Vertreter der Zivilgesellschaft, etwa von Gewerkschaften und Verbraucherzentralen, lassen sich an einer Hand abzählen. Für das Programm heißt das: Auf der Bühne sind vorwiegend Männer in dunklen Anzügen zu sehen.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Bundesregierung den Plattformgedanken, das offizielle Hauptthema der zweitägigen Veranstaltung (Motto: „PlattFORM die Zukunft“), selbst durchaus ernst genommen hat. Der Digitalgipfel erschien für sie selbst konsequent als Plattform – und zwar für die Vermarktung ihrer Cloud-Initiative. Auf allen Ebenen gab es Werbung für Gaia-X. Als Vertreter der EU-Kommission fanden die designierte Vizepräsidentin Margrethe Vestager und der Generaldirektor für Kommunikationsnetze, Roberto Viola, lobende Worte. Auch die Forschungs- und Industrievertreter lobten die Initiative. Im Gegenzug ließen letztere wiederum keine Möglichkeit aus, ihre Bühnenpräsenz dafür zu nutzen, die Vorteile ihrer eigenen Unternehmen anzupreisen.
Wobei: Genaugenommen war der Gipfel eine Marketingplattform für die Unionsparteien. Der zentrale Treiber von Gaia-X ist Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU). Auch Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) ist mitverantwortlich und bezeichnet Gaia-X als „unser Baby“. Weil Altmaier nach seiner Eröffnungsrede von der Bühne stürzte und den Rest des Tages ausfiel, wurden die Cloud-Pläne von Thomas Jarzombek (CDU) vorgestellt, seines Zeichens Bundestagsabgeordneter und Ministeriumsbeauftragter für die digitale Wirtschaft. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), Infrastrukturminister Andreas Scheuer (CSU) und Digitalstaatsministerin Dorothee Bär (CSU) durften für Gaia-X werben. Der einzige prominente Sozialdemokrat im Programm war Sozialminister Hubertus Heil, der auf einer Nebenbühne über „gute Arbeit in der Plattformökonomie“ diskutieren durfte.
Dass die Gestaltung der digitalen Transformation mehr als Wirtschaftspolitik braucht, ist eine Erkenntnis, die sich bei den Unionsparteien offenbar immer noch nicht durchgesetzt hat. Dabei hätte ein Blick auf die Geschichte des Ruhrgebiets und der Industrialisierung durchaus lehrreich sein können.
Innovation sieht anders aus. Hier hat die Bundesregierung die größten Geldsäckel engagiert und hofft offenbar, dass andere auf deren proprietäre(?) Rad-Neuerfindungen aufspringen. Dabei gibts die Bausteine schon mit Openstack für Rechenzentren (PaaS) und Kubernetes für Container-Orchestrierung. Beides ist Open Source, gibt daher keinen Grund, dass die neu aufgebauschte Konkurrenz auch das Rad neu erfindet. Sie wollen aber bestimmt genau das (oder sie verstecken OpenStack hinter proprietären Interfaces), für Lock-In. Gerade bei diesen Geldsäcken kann ich es mir gut vorstellen.
Also lieber woanders umschauen und es klingt in eurem Artikel auch so, als wäre noch niemand in die aufgestellte Fliegenfalle geflogen. Hoffen wir, dass es so bleibt und Gaia-X als alter Pfurz von einem alten Pfurz in den Geschichtsbüchern verschwindet. Derweil geschieht die Innovation woanders, auch in Deutschland. Als Managed Kubernetes ist mir bisher 1&1 Enterprise Cloud bekannt.
> „Die Wahrnehmung beim Bürger ist verbesserungswürdig“, so der CSU-Politiker.
Ahso, ja, natürlich. Wir machen ganz tolle Arbeit – nur der Bürger erkennt das einfach nicht.
Schon komisch: die Regierung hat doch sicher etliche gut bezahlte Menschen, deren einziger Job Kommunikation ist. Die Regierung kann die Bürger völlig nach Belieben mit Informationen versorgen – Kosten spielen keine Rolle. Trotzdem ist die Wahrnehmung beim Bürger verbesserungswürdig?
Das muss wie bei der Maut sein. Die war ja auch supergut und nur die Wahrnehmung beim Bürger war verbesserungswürdig. Oder Stuttgart21, oder der Hauptstadtflughafen – alles Spitzenprojekte, bei denen nur die Wahrnehmung beim Bürger verbesserungswürdig ist.