Bericht über Lobbyismus: Wie die Datenindustrie die EU bearbeitet

Kommt die ePrivacy-Verordnung oder kommt sie nicht? Während die Mehrheit der EU-Bürger besseren Schutz ihrer digitalen Kommunikation will, wehrt sich die Industrie mit allen Mitteln gegen mehr Regulierung. Ein neuer Bericht des Corporate Europe Observatory dokumentiert den enormen Lobby-Einfluss auf die EU-Mitgliedstaaten.

Das Corporate Europe Observatory hat die Lobbystrukturen rund um den Ministerrat aufgearbeitet. CC-BY-NC-SA 4.0

Ein heute erschienener Bericht des Corporate Europe Observatory (CEO) kartographiert die Landschaft einer der heftigsten Lobbyschlachten, die die EU je erlebt hat. Wir haben uns den Report für Euch angeschaut und die wichtigsten Erkenntnisse zusammengefasst.

Das politische Ringen um die ePrivacy-Reform befindet sich in einer entscheidenden Phase. Um Nutzern die Wahl zu lassen, ob ihr Kommunikations- und Surfverhalten für Werbezwecke aufgezeichnet und analysiert wird oder nicht, hätte die ePrivacy-Verordnung eigentlich ergänzend zu ihrer großen Schwester, der Datenschutzgrundverordnung (DSGVO), ab dem 25. Mai gelten sollen. Doch nachdem die EU-Kommission im Januar 2017 einen Verordnungsvorschlag veröffentlicht hat und das Europäische Parlament (EP) sich im Oktober 2017 positioniert hat, ruht der Gesetzgebungsprozess momentan. Damit die finalen Trilog-Verhandlungen beginnen können, muss sich der Ministerrat der EU-Mitgliedstaaten (EU28) auf eine Position einigen.

Dass die Menschen in der EU besseren Schutz ihrer Kommunikationsdaten wollen, zeigen eine Konsultation und Umfragen der EU-Kommission. Doch es geht um ein Milliardengeschäft. Schon im vergangenen Jahr, kurz vor der Abstimmung im Parlament, hatte Corporate Europe über das intensive Lobbying berichtet. Der Druck ist seitdem sogar noch größer geworden. „99% der Lobby-Aktivitäten kommen von der Industrie“, zitiert CEO den Mitarbeiter einer Ständigen Vertretung eines Mitgliedstaates.

Auf Grundlage von Interviews mit Vertretern der EU28 analysiert Corporate Europe die Tätigkeit der Lobbygruppen von drei entscheidenden Industriezweigen: Werbeindustrie und Presseverleger, Datenkonzerne wie Google und Facebook und Telekommunikationsanbieter wie Telekom und Telefónica. Mit offenen Briefen am laufenden Band, einseitigen Auftragsstudien, Formulierungshilfen und Hinterzimmergesprächen. Ein Blick auf die letzten Texte der Ratspräsidentschaft zeigt, wie effektiv die aggressive Lobby-Schlacht der Industrie in den entscheidenden Punkten der ePrivacy-Reform tatsächlich ist. Aufgrund der enormen Verzögerung könnte das Vorhaben sogar gänzlich scheitern, denn in weniger als einem Jahr werden die Karten mit der Wahl des Parlaments neu gemischt.

Die Macht von Presseverlegern und Werbeindustrie

In der Lobby-Schlacht um die ePrivacy-Verordnung haben viele Mythen die Debatte vernebelt. Dazu haben Presseverleger und Werbeindustrie in gemeinsamer Sache maßgeblich beigetragen, laut CEO sind ihre Lobbygruppen mit Abstand am aktivsten. Auch geht aus dem Bericht hervor, dass gerade deutsche Lobbygruppen bei der Schwarzmalerei eine Schlüsselrolle spielen. So warnten der Verband der Zeitungsverleger (VDZ) und der Bundesverband Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) gemeinsam davor, die ePrivacy-Reform stelle einen „Angriff auf den freien Journalismus im Netz“ dar. In einer Studie rechneten sie vor, wie gravierend der Schaden wäre, wenn Nutzer selbst entscheiden können, ob sie online getrackt werden wollen oder nicht.

Kurz nach dem EP-Votum im Oktober wurde bekannt, dass man in Deutschland bereits über Möglichkeiten diskutierte, die ePrivacy-Reform zugunsten von „legitimen Geschäftsmodellen“ auszudünnen. Diese Wortwahl lehnt an eine schwammige Rechtsgrundlage aus der DSGVO an, die Datenverarbeitung auch ohne Einwilligung der Betroffenen erlaubt, wenn dabei ein „legitimes Interesse“ verfolgt wird – legitim kann dabei alles sein, auch ein wirtschaftliches Interesse. Ungeachtet der Tatsache, dass die ePrivacy-Verordnung eigentlich die DSGVO konkretisieren soll, fand sich die deutsche Forderung prompt im Zwischenbericht des Rats vom Dezember wieder, wie CEO herausstellt.

Die Bemühungen der Presseverleger und Werbeindustrie um Einflussnahme sind europaweit enorm – und effektiv. So haben im Dezember mehrere Lobbygruppen aus beiden Sektoren die Ratspräsidentschaft mit einem Offenen Brief direkt adressiert und konkrete Änderungsanträge an den Gesetzestext gestellt. Darin fand sich die Forderung, Zwangszustimmungen nicht zu verbieten. Im letzten Ratstext vom vergangenen Mai findet sich eben diese Forderung wieder: wer beispielsweise Tracking-Cookies nicht zustimmt, dem solle der Zugang zu einer Webseite verweigert werden können.

Facebook und Google: Wie es die Größten schaffen, nicht aufzufallen

Der Skandal um Facebook und Cambridge Analytica hat das bestehende Ungleichverhältnis zwischen uns und den Datenkonzernen exemplarisch vor Augen geführt. Die alten ePrivacy-Regeln stammen aus einer Zeit vor Facebook und Google und gelten bisher nur für klassische Telekommunikationsanbieter. Deshalb soll die Reform den Geltungsbereich der Regeln ausweiten. Auch sogenannte Over-The-Top-Dienste wie WhatsApp, Skype und GMail müssten Nutzer dann um Erlaubnis fragen, bevor sie ihr Kommunikationsverhalten analysieren.

Wie CEO berichtet, setzen sich Diensteanbieter wie Facebook (Messenger, Instagram, WhatsApp) und Google (YouTube, Gmail), massiv gegen eine starke ePrivacy-Verordnung ein. Die Lobby-Aktivitäten der Datenriesen seien zwar weniger öffentlichkeitswirksam, dafür wurde Facebook aber mindestens zu vier persönlichen Meetings in die Chefetage der Kommission eingeladen, zuletzt im Januar von Digital- und Vize-Kommissar Andrus Ansip. Auch mit den Vertretungen der EU28 ist Facebook dem Report zufolge im Gespräch.

Den öffentlichen Kampf gegen ePrivacy überlassen Facebook und Google aus taktischen Gründen jedoch lieber den vielen Industrieverbänden, denen sie angehören. Das ist laut Corporate Europe deshalb sinnvoll, weil die einflussreiche Stimmungsmache der Werber und Verleger auf dem Argument aufbaut, lediglich die amerikanischen Großkonzerne würden von einer starken ePrivacy-Verordnung mit Einwilligungs-Verpflichtung profitieren. Springer- und BDZV-Chef Matthias Döpfner etwa nennt den Entwurf ein „anti-europäisches Gesetz“. Wir haben dieses irreführende Szenario bereits für Euch aufgeklärt.

Telekom-Industrie: Guter Draht in die Ministerien

Die Telekommunikationsunternehmen seien schon mit der aktuellen ePrivacy-Richtlinie unzufrieden, womit CEO die wenig kompromissbereiten Ansprüche an die aktuelle Reform erklärt: Wie alle Lobby-Gruppen hatten Telekom, Telefónica und Co. sich dafür ausgesprochen, die ePrivacy-Reform komplett zu beerdigen. Wenn sie aber doch kommt, dann bitte nur eine schwache Verordnung, die für Over-The-Top-dienste neue Regeln bringt und ihnen selbst mehr Geschäfte mit den Daten ihrer Nutzer erlaubt.

Die oft ehemals staatlichen Unternehmen haben traditionell eine guten Draht zu den nationalen Ministerien und den Ständigen Vertretern in Brüssel. Der Bericht von CEO legt nahe, das deshalb viele der Lobby-Aktivitäten der Telkos auch ohne offizielle Meetings stattfinden. Dennoch suche man auch die Öffentlichkeit. Im vergangenen Dezember bezog beispielsweise das europäische Mutterschiff der Telko-Lobby (ETNO) Stellung: zu restriktive ePrivacy-Regeln würden den Nutzer gar schaden, da die Telkos gewisse Produkte nicht mehr anbieten könnten. Auch ist aus dem Telko-Sektor immer wieder die Forderung zu vernehmen, Kommunikationsdaten ohne Zustimmung ähnlich weitgehend für andere Zwecke verarbeiten zu dürfen, wie es die DSGVO ermöglicht, was der eigentlichen Idee der ePrivacy-Gesetzesinitiative widersprechen würde.

Das Hauptanliegen des Telekom-Sektors: Metadaten und insbesondere Standortdaten ohne Einwilligung der Betroffenen und lediglich auf pseudonymisiert verarbeiten zu dürfen. Diese Forderung habe laut CEO insbesondere in Deutschland große Unterstützung erfahren und schließlich Eingang in einen Ratstext vom vergangenen April (.zip) gefunden und wurde auch in den Text vom Mai übernommen.

Hoffnung auf Gegenstimmen

Doch Corporate Europe verweist auch auf Gegenstimmen. So sind nicht alle Vertreter der Industrie bereit, die Privatsphäre ihrer Kunden für noch mehr Profit zu opfern. Der Bericht nennt hier beispielsweise die Firma PageFair, ein Online-Werbeunternehmen, das laut eigenen Aussagen auf Verhaltensanalysen verzichtet und die ePrivacy-Reform als konstruktiven Impuls für den Online-Werbemarkt sieht. Auch die datenschutzfreundliche Suchmaschine Qwant machte sich für den fairen Umgang mit Nutzerdaten stark: Wirtschaftsinteressen dürften niemals Grundrechtsverletzungen rechtfertigen. Im März hatte sich auch die Europäische Zivilgesellschaft mit einem offenen Brief zu Wort gemeldet.

Von Seiten der Politik appellierte die Verhandlungsführerin des Parlaments, Brigit Sippel, dass Nutzerinteressen im Mittelpunkt der Gesetzgebung stehen sollten und kommerzielle Überwachung für Werbezwecke abgeschafft gehöre. Der Europäische Datenschutzbeauftragte übte scharfe Kritik an den EU28 hinsichtlich der Forderung, Metadaten lediglich auf Grundlage „legitimer Interessen“ von Unternehmen – ohne explizite Zustimmung – für andere Zwecke verarbeiten zu wollen. Und sogar der Vize-Kommissar Ansip äußerte seine Bedenken, die Mitgliedstaaten könnten nicht fortlaufend die Forderung der breiten EU-Öffentlichkeit nach einem stärkeren Schutz der Privatsphäre ignorieren.

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5 Ergänzungen

    1. Innovationsfeindlich sind das Leistungsschutzrecht und Uploadfilter, weil diese nur mit relativ viel Geld umsetzbar bzw. überwindbar sind. Ebenfalls innovationsfeindlich ist das Abmahnrecht und ein fehlendes Fair-Use-Recht, weil sie das Ausprobieren von Ideen im kleinen verhindern. Insgesamt ist das Urheberrecht, das aus der Predigitalisierung stammt, für Ideen im Netz und für kapitalschwache Wettbewerber allgemein ein Hemmnis.
      Datenschutz hindert ausschließlich vor der Ausbeutung der Bürger und Geschäftsmethoden um deren Ausbeutung, jedoch keine echten Innovationen, die konstruktiven Mehrwert bieten.

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