Hamburg: Mehr Überwachung, weniger Statistiken, Benachrichtigung: Fehlanzeige

Wie im Bundesdurchschnitt steigen bei Hamburger Behörden seit Jahren der Einsatz Stiller SMS und Anordnungen zur Telekommunikationsüberwachung. Zahlen zu Funkzellenabfragen fehlen, angeblich gibt es keine Statistiken. An der Benachrichtigung Betroffener mangelt es – für die Kontrolle der Maßnahmen ist das ein Problem.

Bei einer Funkzellenabfrage werden sämtliche Handy-Verbindungen innerhalb einer oder mehrerer dieser Funkzellen an die Polizei gegeben. CC-BY-SA 3.0 Erwin Krauß

Ähnlich wie Andrej Hunko auf Bundesebene wollte auch die Abgeordnete Christiane Schneider, die für die Linken in der Hamburger Bürgerschaft sitzt, über Ortungs- und Überwachungsmaßnahmen in Hamburg Bescheid wissen. Die Ergebnisse ergeben ein ähnliches Bild: Ortungs- und Überwachungsmaßnahmen nehmen zu, informiert werden die Betroffenen kaum.

Zusätzlich werden in Hamburg über viele Maßnahmen keine differenzierten Statistiken angefertigt und der Senat schickt seinen Antworten voraus, dass er auf vieles sowieso nicht antworten wird:

Bereits die öffentliche Nennung der Häufigkeit der Anwendung oder des Umstandes der Nichtanwendung dieser polizeilichen Maßnahmen kann potenziellen Störern oder einer Straftat Verdächtigen ermöglichen, sich auf Maßnahmen der Polizei einzustellen. Im Interesse der Wirksamkeit dieser Maßnahmen und der Sicherheit der eingesetzten Beamtinnen und Beamten sieht der Senat daher von detaillierten Ausführungen zu operativen Maßnahmen ab.

Anzahl der Stillen SMS steigt

Die Polizei Hamburg verschickte im letzten Jahr 163.584 Stille SMS, das ergibt eine Steigerung von etwa elf Prozent im Vergleich zur Vorjahreszahl von 147.888. Stille SMS werden als Ortungsimpuls an ein bestimmtes Mobiltelefon verschickt, im Anschluss wird der Standort der Person gespeichert. Dieser bemerkt das nicht, da die SMS nicht als eingehende Nachricht angezeigt wird. Werden Stille SMS regelmäßig verschickt, lassen sich Bewegungsprofile erstellen.

Für das Jahr 2013 macht der Hamburger Senat keine Angaben, da die Zahlen aufgrund von Löschfristen nicht mehr vorliegen. Eine ältere Antwort nennt zumindest für das erste Halbjahr des Jahres und für 2012 eine Anzahl, die auf einen kontinuierlichen Anstieg deuten lässt.

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Für das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz liegen die Zahlen niedriger. Während 2013 und 2014 noch 724 beziehungsweise 937 Stille SMS versandt wurden, sank die Zahl im vergangenen Jahr auf 261. Die zugehörigen Verfahren beliefen sich auf zwei im Jahr 2015 und jeweils sechs für 2013 und 2014. Aus einer älteren Anfrage gehen auch die Zahlen für das Jahr 2012 hervor: Damals sendete der Hamburger Verfassungsschutz lediglich 52 Stille SMS.

Welche Soft- und Hardware zum Versand genutzt wird, erfahren wir nicht. Derartige Angaben zu allen Systemen für Telekommunikationsüberwachung sind eingestuft. Ebenso gibt es keine Informationen, inwiefern die Ortung mittels Stiller SMS zu Ermittlungserfolgen beitragen konnte. Laut Senat existieren dazu keine Statistiken, eine Einzelfallauszählung sei nicht innerhalb der Antwortfrist zu bewältigen.

Keine Angaben zu Funkzellenabfragen

Bei einer Funkzellenabfrage werden Verbindungsdaten abgefragt, die in einem bestimmten Zeitraum in einer oder mehreren Funkzellen anfallen. Damit sollen Tatverdächtige ermittelt werden, es geraten jedoch jedes Mal jede Menge Unschuldige ins Raster, die sich in der selben Funkzelle aufhalten. Über die Häufigkeit von Funkzellenabfragen in Hamburg gibt es keinerlei Angaben. Auch hier lägen keine Statistiken vor, eine nachträgliche Auswertung bedeute zu viel Aufwand. Die Ausflucht erinnert an Mecklenburg-Vorpommern. Auch hier wollte man keine Auskunft über die Anzahl der Funkzellenabfragen geben. Durch Recherchen des NDR stellte sich heraus, dass die Häufigkeit der jährlichen Funkzellenabfragen von 2010 bis 2015 um das 17-Fache gestiegen war – von 32 auf 568.

Die Abgeordnete Christiane Schneider findet die Ausflüchte des Senats inakzeptabel:

Etliche Fragen beantwortet die zuständige Innenbehörde nur sehr zurückhaltend, weil sie, wie sie einleitend sagt, die Überwachungsmaßnahmen nicht gefährden will. Auf die Frage nach Funkzellenabfragen antwortet sie gar nicht, weil sie statistisch nicht erfasst würden. Die Öffentlichkeit hat jedoch das Recht, das Ausmaß staatlicher Überwachungsmaßnahmen, die immer ja in Grundrechte eingreifen, zu erfahren!

Stattdessen gibt es eine allgemeine Angabe zu den Verfahren, in denen es Anordnungen zur Erhebung von Verkehrsdaten und zur Telekommunikationsüberwachung gibt. Bei der Verkehrsdatenerhebung wurde nicht zwischen individualisierten Abfragen und Funkzellenabfragen unterschieden, bei denen es Tausende unschuldig Betroffene gibt. Dabei war die Zahl der Verfahren mit Anordnungen zur Verkehrdatenerhebung in den letzten drei Jahren relativ konstant, mit Schwankungen zwischen 902 und 971:

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Ähnlich sieht es bei den Verfahren aus, in denen Telekommunikation überwacht wurde. Hier schwankt es zwischen 193 und 206 Verfahren. Interessant ist aber die Verteilung auf Kommunikationsformen. Während sich 2013 und 2014 Überwachungsanordnungen nur 14 beziehungsweise elf Mal auf Internetnutzung bezogen, stieg die letztes Jahr auf 65:

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Auch für den Hamburger Verfassungsschutz hat das Internet als Kommunikationsmittel an Bedeutung gewonnen. Er hat in den Jahren 2013 bis 2015 je zwischen acht und 14 G-10-Maßnahmen zur Telekommunikationsüberwachung durchgeführt. Bei G-10-Maßnahmen wird das Grundrecht auf Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis eingeschränkt, sodass Telekommunikation überwacht und Briefe geöffnet werden können. Über Zulässigkeit und Notwendigkeit entscheidet hier die Hamburger G-10-Kommission. Digitale Kommunikation ist mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil der Überwachungsmaßnahmen geworden:

Aufgrund des heutzutage üblichen Nutzungsverhaltens wird regelmäßig neben der analogen Kommunikation auch digitale Kommunikation erfasst.

Von den Betroffenen dieser Maßnahmen wurde niemand informiert, obwohl nach § 12 des G-10-Gesetzes die Benachrichtigung nach Einstellung der Maßnahmen zu erfolgen hat. Nur, wenn eine „Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist“, darf eine Benachrichtigung unterbleiben. Das Problem ist, dass solche Ausschlussgründe oftmals von den Behörden herbei argumentiert werden, ohne sie wirksam auf ihre Plausibilität überprüfen zu können.

IMSI-Catcher bei Hamburger Verfassungsschutz selten im Einsatz

IMSI-Catcher wurden von der Polizei Hamburg 2015 in zwölf Verfahren eingesetzt, bei neun Vermisstenfällen und drei Geiselnahmen. Sie spielen einem Mobiltelefon vor, ein normaler Funkmast zu sein und ermöglichen so das Orten des Geräts. Manche Geräte sind auch in der Lage, Gespräche abzuhören. Die Anzahl der Verfahren ist nicht zwingend gleich der Anzahl von IMSI-Catcher-Einsätzen. Diese liegt in der Regel wesentlich höher. Beim Einsatz eines IMSI-Catchers werden von der Polizei Hamburg SIM-Kartendaten und Gerätedaten erhoben. Über IMSI-Catcher, mit denen auch Gespräche abgehört werden können, scheint man in Hamburg nicht zu verfügen.

Für den Verfassungsschutz werden konkrete Einsatzzahlen genannt, jeweils ein Mal in den Jahren 2013 und 2014, im letzten Jahr stieg die Zahl auf vier. Über einen eigenen IMSI-Catcher verfügt der Hamburger Verfassungsschutz nicht, laut Senat wird im Bedarfsfall Amtshilfe vom LKA Hamburg oder dem Bundesamt für Verfassungsschutz eingeholt.

Von den Betroffenen wurde, wie auch bei den G-10-Maßnahmen, niemand unterrichtet. Schneider kritisiert das:

Trotz unzureichender Beantwortung unserer Fragen wird das zunehmende Ausmaß der Überwachung deutlich, zum Beispiel im Bereich der „Stillen SMS“. Umso problematischer ist die sehr geringe Zahl nachträglicher Unterrichtungen. Die Sicherheitsbehörden nehmen den Betroffenen ihrer Überwachungsmaßnahmen damit die Möglichkeit, wenigstens nachträglich die Rechtmäßigkeit dieser gegen sie gerichteten Grundrechtseingriffe kontrollieren zu lassen.

„Angaben zu Positionsbestimmung beeinträchtigen Arbeit des Verfassungsschutzes“

Für den Verfassungsschutz werden zu GPS-GSM-Sendeempfängern für die Positionsbestimmung und deren Einsatzhäufigkeit keine Angaben gemacht. Sie dienen beispielsweise der Ortung von Fahrzeugen und werden heimlich angebracht.

Die Aufführung der Einsätze von technischen Mitteln zur Positionsbestimmung, die Aufschlüsselung nach den einzelnen Phänomenbereichen und die Dauer ließen zudem Rückschlüsse auf die Arbeitsweise und Einblickstiefe des Verfassungsschutzes zu, was auch hier eine künftige Beobachtung dadurch unverhältnismäßig erschweren würde.

Das ist verwunderlich, denn 2013 erteilte man auf die gleiche Frage noch eine Auskunft. Die Einsätze technischer Mittel zur Positionsbestimmung schwankten von 2005 bis 2013 zwischen null und drei und fanden sämtlich „im Phänomenbereich ‚Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten'“ statt.

Aus den Antworten des Senats wird deutlich: Überwachungsmaßnahmen nehmen zu. Dabei ist es neben der fehlenden Benachrichtigung Betroffener hochproblematisch, dass an vielen Stellen keine detaillierten Statistiken geführt werden, die für eine parlamentarische und öffentliche Kontrolle dringend notwendig wären. Christiane Schneider resümiert hierzu:

Für die Verteidigung der Grundrechte ist nicht nur die Auseinandersetzung mit den immer weiter ausufernden Überwachungsgesetzen wichtig; auch die Kontrolle der Polizei muss stärker in den Fokus gerückt werden.

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4 Ergänzungen

  1. Gerade gesehen, dass es auch Apps gibt, um stille SMS zu detektieren … taugen die was?
    Wäre mal interessant zu wissen, auch wenn das nicht euer Fachbereich ist, könnte es doch interessant werden, wenn man anfangen würde zu erkennen, in welchen Bereichen die SMS eingesetzt werden.

  2. das immer noch der begriff „stille sms“ herumgeistert – er klingt wohl zu gut. dabei ist eine solche meistens garnicht mehr in gebrauch. es geht darum, den turm festzustellen, an dem das handy eingebucht ist. damit das auch der aktuelle ist, muss man das handy dazu bringen, sich zu melden. das nennt man „paging“ und kann ganz ohne anruf oder sms erfolgen.

    1. Letztendlich laufen alle Verbindungsaufnahmen vom Netzwerk zum Telephon übers Paging. Der Grund warum hier die ’stille SMS‘ immer wieder als Name auftaucht ist, das reguläres Paging immer was mit Netzwerkinternen Protokollen zu tun hat, während die SMS über ein Interface beauftragt wird, das nicht nur dem Netzbetreiber offen steht.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.