Nach den jüngsten Anschlägen in Brüssel hieß es vielerorts, die europäische Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terrorismus müsse verstärkt werden. Vor allem der Austausch von Informationen unter den Polizeibehörden sei ausbaufähig. Die Polizeiagentur Europol betreibe etwa eine Datei zu „ausländischen Kämpfern“, die aber zu 90% von den zuständigen Polizeien aus fünf Mitgliedstaaten gefüllt würde. Nicht erwähnt wird, dass auch US-Behörden bei Europol Daten anliefern. Auch kaum berichtet ist, dass Europol eher zu viele als zu wenig Daten erhält.
Vor drei Jahren hat Europol das System ihrer „Arbeitsdateien zu Analysezwecken“ (AWF) geändert. Während bis dahin zu spezifischen Kriminalitätsbereichen mehr als 20 einzelne AWF existierten, werden sie nun in die zwei Bereiche „Organisierte Kriminalität“ und „Terrorismus“ unterschieden. Die beiden AWF gliedern sich aber in sogenannte Auswerteschwerpunkte („Focal Points“), die in etwa den früheren AWF entsprechen. Dort werden teilweise umfangreiche Datensammlungen geführt, darunter auch mit Freitextfeldern für „sensiblere Zusatzinformationen“.
Mitgliedstaaten können einem Auswerteschwerpunkt nach Belieben beitreten. Zu jedem Auswerteschwerpunkt existiert eine Kontaktstelle mit KoordinatorIn und „Experten“ von Europol sowie aus den Mitgliedstaaten. Aber auch EU-Agenturen oder „Drittstaaten“ („Third Parties“) können mitmachen. Mindestens einmal im Jahr sollen sich alle „Auswerteschwerpunkte“ zum Austausch treffen.
Hier ein Überblick über Europol-Dateien zu „islamistischem Terrorismus“ und „ausländischen Kämpfern“. Die Angaben basieren im wesentlichen auf dem jüngsten Bericht des „Anti-Terrorismus-Koordinators“ der Europäischen Union sowie auf mehreren Kleinen Anfragen (1 | 2 | 3 | 4).
Auswerteschwerpunkt „Hydra“
Schon vor dem Umbau der Arbeitsdateien existierte die Datei „Hydra“ zu „islamistischem Terrorismus“. Derzeit lagern dort über 620.000 Datensätze vor, darunter 64.000 Personeneinträge und über 11.000 „netzwerk- und organisationsbezogene Datensätze“. Die hohe Anzahl erklärt sich dadurch, dass nicht nur beschuldigte oder verurteilte, sondern auch verdächtige und mit ihnen verbundene Personen gespeichert werden. Gegenüber dem Vorjahr stieg die Zahl der Personeneinträge in „Hydra“ um 3.500, außerdem wurden 300 neue Netzwerke und Organisationen gespeichert. Die Zahl der Anlieferungen aus den Mitgliedsstaaten hat sich von 2014 bis 2015 nahezu verdoppelt, die Zahl der dabei mitgeteilten Einzelpersonen sogar verdreifacht. Daraus lässt sich jedoch keine Aussage zur Nutzung treffen: Sämtliche Datensätze basieren auf mehr als 12.800 Mitteilungen seit Bestehen von „Hydra“, die aus den Mitgliedsstaaten, den USA oder anderen verpartnerten Stellen kommen.
Auswerteschwerpunkt „Travellers“
Mit Aufkommen des Phänomens „ausländischer terroristischer Kämpfer“ hat Europol im Jahr 2013 einen weiteren Auswerteschwerpunkt „Travellers“ eingerichtet. Er enthält derzeit 18.572 „personenbezogene Dateneinheiten“ (ein Jahr zuvor noch 3.600). Die Anzahl „reisender ausländischer terroristischer Kämpfer“ wird mit 4.714 angegeben. Im Unterschied zur Datei „Hydra“ sollen in „Travellers“ jedoch vor allem aus den EU-Mitgliedstaaten bestätigte „terroristische Kämpfer“ gesammelt werden, ihre offizielle Zahl beträgt derzeit 2.786 Personen (ein Zuwachs von 1.023 Personen seit November 2015). Allerdings ist diese „Bestätigung“ umstritten, denn es handelt sich nicht nur um verurteilte Personen, sondern auch potentielle „Gefährder“. Der Begriff des „Gefährders“ wird jedoch nicht in allen Mitgliedsstaaten gleichermaßen verwendet, es fehlt eine einheitliche Definition. Die Anzahl an tatsächlichen „europäischen ausländischen terroristischen Kämpfern“ wird auf mehr als 5.000 Personen geschätzt. Dieses Defizit von rund 2.500 Personen ist gemeint, wenn behauptet wird, viele Polizeibehörden würden keine Daten zu den „Gefährdern“ liefern. Derzeit gebe es aber im Vergleich zum Vorjahr „einen erheblichen Anstieg“ von Datenlieferungen.
„Europäisches Informationssystem“
Als eine Art übergeordnetes Register betreibt Europol ein „Europäisches Informationssystem“ (EIS, manchmal auch als „Europol-Informationssystem“ bezeichnet). Auch dort sind Informationen über mehr als 3.800 „ausländische Kämpfer und mit ihnen verbundene Personen“ gespeichert. Ende Januar 2016 sollen darunter 1.473 tatsächliche Kämpfer gewesen sein (2014: 18 Personen). Entsprechende Daten kommen auch von „Drittparteien“, darunter die Polizeiorganisation Interpol. Die „terroristisch relevanten Einträge“ (vermutlich also nicht nur Personen) werden mit 7.700 beziffert, diese Zahl habe sich seit Ende des dritten Quartals 2015 mehr als verdoppelt. Werden nicht nur „ausländische Kämpfer“ gezählt, wird es sogar noch etwas komplizierter: Derzeit sind über 4.300 „mit dem Terrorismus in Zusammenhang stehende Personen“ im EIS gespeichert. Parallel zur steigenden Zahl der Gespeicherten nimmt auch die Nutzung des EIS enorm zu, von 2014 bis 2015 wird über einen Anstieg von 63% berichtet. Behörden aus Deutschland gehören zu den Hauptnutzern des Systems. Für eine verbesserte Nutzung des EIS hat das deutsche Bundeskriminalamt eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe eingerichtet.
Expertengruppe „DUMAS“
Im Oktober 2014 hatte Europol eine Expertengruppe „DUMAS“ eingesetzt, die von Italien geleitet wird. Zu den Gründungsmitgliedern gehören die Regierungen Österreichs, Großbritanniens, Deutschlands, Spaniens und Frankreichs, die jeweils zusätzliches Personal in ihre Europol-Verbindungsbüros entsandt haben. Die Hauptaufgabe von „DUMAS“ lag zunächst im Erstellen von „Indikatoren zur Erkennung von Syrienreisenden“, um Staatsangehörige der EU-Mitgliedstaaten an den Außengrenzen der EU grenzpolizeilich erkennen zu können. Nach welcher Maßgabe diese Kriterien erarbeitet werden und inwiefern dabei auch ein rassistisches Profiling eingeführt würde, bleibt unklar. Die Leitung der Arbeitsgruppe oblag dem Bundeskriminalamt. Unter Vorsitz von Österreich wurden „Ausschreibungslisten von Reisenden“ erstellt, die dann vermutlich ins Schengener Informationssystem zur verdeckten Beobachtung eingestellt wurden. Weitere Arbeitsgruppen beschäftigten sich mit „Outreach-Maßnahmen“ (Ungarn und Spanien), „bewährten Vorgehensweisen“ (Frankreich, Großbritannien) und „Schleusern“ (Spanien, Großbritannien).
„Check the Web“
2007 hatte das Bundeskriminalamt bei Europol das Projekt „Check the Web“ begonnen. Es handelt sich um eine Datenbank mit grafischem Frontend, an das die beteiligten Behörden nicht nur aus der Europäischen Union angeschlossen sind. Als „assoziierte Drittstaaten“ dürfen unter anderem die Schweiz und Australien zugreifen. Gesammelt werden Informationen von „Webseiten und Verlautbarungen von Organisationen/Personen aus dem Phänomenbereich des Islamistischen Terrorismus“. Ende Oktober 2015 waren Datensätze über „647 Autoren (Propagandisten), 133 (terroristische) Organisationen, 256 Medienstellen, 3 834 Erklärungen, 4 148 Publikationen und 4 059 Audio-/Video-Dateien“ eingestellt. Im vergangenen Jahr hat Europol die „Meldestelle für Internetinhalte“ („EU Internet Referral Unit“) gestartet. „Check the Web“ ist mittlerweile zur Datenbank für die Meldestelle umgebaut worden. Europol nimmt Hinweise aus den Mitgliedstaaten entgegen und prüft, ob Webseiten oder Personen bereits in „Check the Web“ gespeichert sind. Nicht immer werden die Internetinhalte entfernt, mitunter verlangen die einstellenden Mitgliedstaaten auch, dass diese online bleiben, etwa um die Webseiten zur Informationsgewinnung zu beobachten. Seit Bestehen der „Meldestelle für Internetinhalte“ sind 144 Beiträge aus 26 Mitgliedstaaten eingegangen. Diese enthielten 3.351 Einträge mit „möglicherweise gewaltverherrlichendem/extremistischem Inhalt“. 2.037 dieser Funde wurden den Internetdienstleistern zur Entfernung gemeldet, 1.793 davon wurden schließlich entfernt.
„SWIFT-Abkommen“
Europol ist unter anderem die Zentralstelle für Finanzermittlungen und beaufsichtigt das EU-US-Abkommen zur Kontrolle verdächtiger Finanzströme (das sogenannte SWIFT-Abkommen). Es berechtigt ErmittlerInnen aus den USA, in der EU getätigte Finanztransaktionen abzufragen, darunter Stammdaten, Post- oder Mailadressen der Kontoinhaber oder Telefonnummern. Zwischen Januar 2015 und Ende Januar 2016 haben die US-Behörden 50 Dossiers geliefert, die bei Europol zu insgesamt 9.400 „Ermittlungshinweisen“ geführt haben. Diese hätten alle 28 EU-Mitgliedstaaten betroffen. So seien allein in mehr als 100 Fällen 2.900 „Ermittlungshinweise“ über „reisende Kämpfer (Syrien/Irak/IS)“ ausgetauscht worden. Bei den November-Anschlägen in Paris habe das SWIFT-Abkommen rund 800 „Ermittlungshinweise“ erbracht. Allerdings gerät das System an seine Grenzen, denn gemäß dem EU-US-Abkommen dürfen keine innereuropäischen Überweisungen innerhalb der „Single European Payments Area“ (SEPA) getauscht werden. Die Umstellung auf das SEPA-Verfahren ist jedoch endgültig erfolgt. Nun soll die Europäische Union ein eigenes „EU Terrorist Finance Tracking System“ (EU TFTS) erhalten. Laut dem „Anti-Terrorismus-Koordinator“ hätten sich Finanzermittlungen als „sehr nützlich erwiesen“. Dadurch ließe sich „leichter ein Überblick über die Terrornetze gewinnen, denn es liefert oft die fehlenden Glieder in einer Ermittlungskette“.
Wenn die diese Daten wenigstens nutzen würden, doch stattdessen berichtet die Tagesschau nach jedem Anschlag von polizeibekannten Tätern. Also können sie es gleich lassen …
Die bestehenden und künftigen Datenbaken sind sehr hilfreich für die Polizei.
Nur so können nach Selbstmord-Attentaten die Datensätze aktualisiert werden, um dann die „Karteileichen“ dauerhaft zu entfernen.
Nur so kann auch evaluiert werden, ob man die „richtigen“ Personen im Visier hatte.