PRISM: Überwachung, Freiheit und die Grenzen des Versteckens

Wer bisher noch Zweifel hatte, ob wir in einem Überwachungsstaat leben, darf sie seit den PRISM-Enthüllungen vom vergangenen Freitag getrost ad acta legen.

Wie nahe sind wir eigentlich schon an einer Situation wie der, die Ai Weiwei uns aus China beschreibt?

During my detention in China I was watched 24 hours a day. The light was always on. There were two guards on two-hour shifts standing next to me – even watching when I swallowed a pill; I had to open mouth so they could see my throat. You have to take a shower in front of them; they watch you while you brush your teeth, in the name of making sure you’re not hurting yourself. They had three surveillance cameras to make sure the guards would not communicate with me.

Das Internet funktioniert als Verstärker für Macht. Wer nur wenig Macht hat, dem gibt es eine lautere Stimme. Das hat Einzelpersonen und der Zivilgesellschaft einen zeitweiligen Vorteil verschafft.

Aber auch Institutionen, die viel Macht haben, gibt es noch mehr davon. Diese Institutionen haben einige Zeit gebraucht, um zu lernen, die Möglichkeiten des Internets für sich zu nutzen. Spätestens seit vergangener Woche wissen wir, daß dieser Vorsprung nun aufgebraucht ist.

Wir haben es der NSA und all den anderen Geheimdiensten zu einfach gemacht. Wir haben bereitwillig unsere Daten auf den zentralen Servern von Facebook, Google, Yahoo, Microsoft und all den anderen abgelegt.  Die Schlapphüte mußten sie dort nur noch abholen. Legal, illegal – wer Staatsmacht und Geheimhaltung hinter sich weiß, dem kann das scheißegal sein.

Ohne Not haben wir uns in die Rolle der Leibeigenen in einem quasi-feudalen System begeben. Nun ist klar, daß unsere Feudalherrscher uns verraten haben. Ob sie es freiwillig getan haben oder unter Zwang, ist letztendlich gleichgültig.

Zentrale Server sind Schwachpunkte in unserer Privatsphäre. Zum Glück gibt es Alternativen, die ohne diese Schwachstelle auskommen: Verteilte soziale Netzwerke, P2P-Suchmaschinen wie YaCy, und Verschlüsselungs-Software wie GnuPG. Weil es sich hier um Freie Software handelt, können wir sicher sein, daß diese Programme keine Hintertüren enthalten. Sie geben uns die Kontrolle darüber, welche Daten wir veröffentlichen.

Die Grenzen des Versteckens

Diese Werkzeuge können uns helfen, der Überwachung zu entgehen. Zumindest teilweise, zumindest für eine begrenzte Zeit. Doch das kann nicht unser Ziel sein. Wir leben online, und produzieren ständig Daten. Schon mit wenigen Datenpunkten läßt sich ein nahezu vollständiges Bild einer Person zeichnen. Verschlüsselung hilft nicht viel, wenn die Überwacher sich vor allem dafür interessieren, wer mit wem redet, wann, und wie lange. Das kann z.B. bedeuten, daß der Staat weiß, wer an einer bestimmten psychischen Krankheit leidet.

Was bedeutet es eigentlich für eine Gesellschaft, umfassend überwacht zu werden? Ai Weiwei sagt über China:

In our experience in China, basically there is no privacy at all – that is why China is far behind the world in important respects: even though it has become so rich, it trails behind in terms of passion, imagination and creativity.

Hier in Deutschland sind wir davon nur einen Schäuble oder Schily im Kanzleramt entfernt. Die Infrastruktur für die totale Überwachung steht, oder ist einfach aufzubauen. Mit ein paar Klicks kann sie sich auf jeden richten, der dem Staat nicht genehm ist.

Überwachung ist ein politisches Problem, kein technisches. Also braucht es eine politische Lösung. Wir haben die Politiker gewählt, die den Geheimdiensten den Zugriff auf Daten erlauben, die in den USA abgesaugt wurden; die die „Strategische Fernmeldeaufklärung“ genehmigt haben; und die am liebsten auf jedem Klo eine Überwachungskamera anbringen würden. Wir können sie auch wieder abwählen.

Die Frage ist, womit wir sie ersetzen. Für ambitionierte Politiker ist es oft einfacher, aus den Ängsten der Bürger Kapital zu schlagen, als auf ihre Hoffnungen zu bauen. Es ist einfacher, Sicherheit zu versprechen als Freiheit. Sicherheit läßt sich durch Überwachung simulieren. Freiheit macht Arbeit.

Diese Arbeit wird niemand für uns tun; wir werden sie selbst übernehmen müssen. Wir müssen politische Macht erlangen. Und wir müssen den Menschen um uns herum Mut machen, auf Freiheit statt Sicherheit zu setzen.

Was wir brauchen, sind nicht bessere Verstecke. Was wir brauchen, ist eine Gesellschaft, in der wir uns nicht verstecken müssen.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

8 Ergänzungen

  1. Das mit den Alternativen ist alles schön und gut, aber wer betreibt seinen eigenen Server, vornehmlich von zu Hause (eigener Server bringt wenig, wenn er als virtueller Server in irgendeiner Cloud steht)? Mal abgesehen von der nicht gerade trivialen Aufgabe, einen Linux-Server mit Internet-Anschluss zu betreiben, d.h. ohne etliche Lücken für potentielle Angreifer zu lassen, braucht man entweder eine statische IP Adresse oder DynDNS & Co. Des weiteren muss man seinen Router entsprechend konfigurieren (Firewall, port forwarding, …), falls der Zwangsrouter des ISPs das denn zulässt und dann freut man sich über seine langsame upload-Geschwindigkeit, wenn die Verwandten die letzten Urlaubsvideos vom eigenen Server runterladen. Und alle technischen Probleme darf man selber beheben.

    Den eigenen Server zu betreiben wird – selbst mit guten Ansätzen wie Freedombox oder Ark-OS – auf absehbare Zeit eine Nischenlösung für Geeks & Nerds bleiben.

  2. Richtig, viele von diesen Alternativen sind nicht einfach einzurichten und zu betreiben. Wenn mehr technisch versierte Menschen sich die Mühe machen, diese Programme und Dienste auf ihren Servern einzurichten und auch ihren Freunden und Verwandten anzubieten, sind wir schon ein Stück weiter. (Abrüstung war auch mal eine „Nischenlösung“.)
    Wie schon im Artikel gesagt: Die Lösung des Problems liegt in der Politik, nicht in der Technik.

  3. Bei der politischen Lösung sehe ich das Problem, dass sie schwer bis gar nicht zu überprüfen ist. Wie kann man sicherstellen, dass Geheimdienste, Polizei & Co nicht mehr Daten abgreifen als erlaubt? Oder Kooperationen mit anderen Ländern eingehen nach dem Motto „Du überwachst meine Bürger, ich Deine“? Ohne technische Mittel, welche solche Möglichkeiten einschränken oder behindern, wird eine rein politische Lösung auch wenig bringen – es sei denn, jemand (er)findet eine neue Spezies Politiker / Polizisten / Geheimdienstler, welche sich moralisch an das Einhalten nicht nur der Buchstaben, sondern auch des Geistes der Gesetze gebunden fühlt. Also keine kreative Gesetzesauslegung à la priority act, 2511 letter u.s.w.

  4. Ja das ist alles wahr. Aber warum beendet man das dann nicht? Wird man auch nicht von dieser Seite netzpolitik.org überwacht? Wie wäre es mit gutem Beispiel voranzugehen?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.