Justizministerin: Taktisches Foul gegen Piratenpartei

Die FDP ist bei 3% in den Umfragen angekommen und hat sich eine neue Strategie ausgedacht: Der politische Gegner scheint jetzt die Piratenpartei zu sein, die im Gegensatz zur FDP immer höher in den Umfragen steigt und von den Medien und Wählern eher mit Freiheit und Netzpolitik assoziiert wird.

In einem Interview mit dem Handelsblatt versucht unsere Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger diesen Strategiewechsel rhetorisch zu beschreiben: „Die Piratenpartei ist technikverliebt“. Kurzzusammenfassung: Nur dank ihr wäre ACTA nicht unterschrieben, die Vorratsdatenspeicherung nicht wiedereingeführt und auch die Netzsperren beerdigt worden. Das kann man auch mal einem kleinen Fact-Checking unterziehen.

ACTA:

Bis zwei Tage vor den angekündigten europaweiten Protesten gegen ACTA, die alleine in Deutschland zu rund 100.000 Demonstranten in über 60 Städten führten, fand das von Leutheusser-Schnarrenberger geführte Justizministerium ACTA ungefährlich und gut. Kein Wunder: Schließlich saß Deutschland immer mit am Verhandlungstisch (wenn auch am „Katzentisch“, wie jetzt gerne betont wird). Erst als klar wurde, dass da eine große Protestwelle anrollt, setzte man die zuvor angekündigte Unterschrift aus und gab den schwarzen Peter an das EU-Parlament weiter. Eine Abkehr von ACTA sieht anders aus.

Netzsperren:

Selbstverständlich ist die Beerdigung der Netzsperren ein Mitverdienst der FDP. Aber man sollte nicht vergessen, dass auch progressive Teil der CDU/CSU immer stärkere Gegner dieser Idee wurden und man damit gemeinsam eine Mehrheit in der Koalition bekam. Zumal das durch den äußeren Druck von rund 2% für die Piratenpartei bei der Bundestagswahl 2009 geschah.

Vorratsdatenspeicherung:

Löblich ist natürlich auch der vehemente Widerstand von Leutheusser-Schnarrenberger gegen eine Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung, während bereits FDP-Landesjustizminister bereit sind, davon abzurücken. Aber auch hier ist die FDP nicht der einzige Gegner einer Wiedereinführung.

Soweit, so gut. Etwas irritiert war ich dann aber von der Aussage:

Die Piraten sagen, das Urheberrecht sei aus dem 20. Jahrhundert, und es brauche gar keines mehr. Die Politik steht aber erst am Anfang der Debatte, wie wir das Urheberrecht der digitalen Welt anpassen.

Hier frage ich mich, was Grund für diese falsche Äußerung ist, die selbstverständlich so autorisiert wurde. Denn wahlweise sollte Leutheusser-Schnarrenberger und ihrem Stab bekannt sein, dass die Piratenpartei das Urheberrecht nicht abschaffen, sondern reformieren will und dafür auch einen aktuellen Parteitagsbeschluß hat. Insofern verspielt sich Leutheusser-Schnarrenberger Sympathien für eine bewusste taktische Falschaussage, um den politischen Gegner zu diskreditieren.

Die Alternative wäre, dass diese Tatsache Leutheusser-Schnarrenberger nicht bekannt ist und sie das vielleicht so von der Musikindustrie gehört hat. Das macht die Aussage nicht besser und sympathischer.

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34 Ergänzungen

  1. Ich bin überrascht wie stark Markus hier Partei für die Piraten bezieht….
    Als parteipolitisch geprägter Mensch liegt es natürlich nahe, dass man den politischen Gegner schlechtredet wo es nur geht.
    Bei ACTA wird darüber genörgelt, dass ACTA ja „nur dank dem Druck der Straße“ verhindert wurde. Ja,das ist doch genau der Punkt und das Erfreuliche daran !! Eine Politikerin (und nicht nur sie alleine), die es sehr ernst nimmt, wenn viele Tausend Menschen gegen etwas protestieren, wovon man vorher gedacht hat, dass es harmlos sei. Liebe Demonstranten und Aktivisten freut Euch doch darüber, dass Euer Engagement von der zuständigen Ministerin erhört wurde! War es nicht genau das was Ihr erreichen wolltet ?
    Du meine Güte, das ist echt eine Kunst wie manche hier das erfolgreiche Etappenziel mit allen Mitteln madig machen wollen.

    Und soviel Ehrlichkeit sollte schon sein, lieber Markus: Die Netzsperren, sind nicht der „Mitverdienst“ der FDP, sondern ihr alleiniger Verdienst. Das wurde den CDU-Innenpolitikern abgerungen und nicht den progressiven CDU-Netzpolitikern, die genau 0% bei dieser Frage zu melden hatten (die waren ja bei den Koalitionsverhandlungen überhaupt nicht dabei).

    Lediglich bei der Vorratsdatenspeicherung kann ich deiner Analyse der FDP-Linie zustimmen. Sie ist nicht nur löblich, sie ist lobenswert.

    Und was das Urheberrecht angeht…. da sollten sich die Piraten lieber ganz still verhalten. Was da beim letzten BPT beschlossen wurde, hat mit den ursprünglichen Gründungszielen dieser Partei nichts mehr gemein. Dieser Urheberrechtsantrag ist Verrat an den Gründungsprinzipien. Ich konnte es selbst kaum glauben. Meine persönliche Vermutung ist, dass viele „Kreative“ in die Piratenpartei eingetreten sind und dort unter dem Deckmantel der „Klein-Kreativen“ diesen Beschluss maßgeblich beeinflusst haben. Das witzige daran ist, dass die Jungen Liberalen mittlerweile viel weitergehende Forderungen an die Reform des Urheberrechts stellen als die – in dieser Frage – konservativen Piraten.

    1. @Kai König: Dass die Positionen der Piraten zum Urheberrecht progressiver sein könnten, geschenkt. Das habe ich hinter dem Link schon kommentiert. Aber rechtfertigt das dann eine bewusste taktische Falschaussage dahingehen, dass die Piraten eine Abschaffung des Urheberrechts fordern?

      1. Im Saarland sind bald Wahlen, und dort wirbt man mit Pillenverpackung.
        Die FDP möchte gern wieder über diese Hürde um nicht unter einer Schuhsohle zu verschwinden. In der Steuerungszentrale hat man sich fein etwas ausgedacht, aber nicht bedacht, das immer mehr diesen dann exzentrischen Blödsinn nicht mehr wollen.
        Alle spiele dann zwar mit, aber hat zumindest ein Schuldigen ausgemacht.

      2. Man kann natürlich die Aussage von SLS kritisieren. Allerdings ist das alltägliches Politik-Geschäft. Da wird überspitzt, übertrieben und polemisiert ggü politischen Mitbewerbern. Das widerfährt der FDP auch ständig und täglich. Dünnhäutigkeit bringt hier wenig.

        Sicherlich haben viele Politiker – auch SLS – nicht den totalen Durchblick bei den ganzen Themen. Egal ob ACTA oder Piratenparteiprogramm. Zumindest beim Thema ACTA aber, besteht die ernsthafte (und nicht nur Schein-)Bereitschaft auf die Kritiker zu hören und auf sie zuzugehen. Das ist in der Politik nicht selbstverständlich. Und

        1. @Kai Koenig: Sagen wir es mal so: Ich bin noch nicht wirklich überzeugt, dass das Aussetzen der Unterschrift nichts mit einem taktischen Move zu tun hat, um die Proteste abzuwarten.

  2. Ich hatte einen Diskurs per email mit der guten Frau ( sie hat tatsächlich auf eines meiner Anti-ACTA-mails geantwortet), da war sie noch der Meinung, die Leute demonstrieren, weil sie das Anonymous-Video glauben läßt, dass „three-strike“-Modell werde in ACTA festgeschrieben. Also Frau L-H hatte nicht wirklich einen Plan, so schien mir. Da ist „…. Debatte, wie wir das Urheberrecht der digitalen Welt anpassen…..“ doch schon ein Schritt in die richtige Richtung! :-)

    1. Ganz so falsch ist der Eindruck von SLS sicherlicht nicht: Viele, auch eher unpolitische Menschen sind durchaus wegen des „Bedrohungsszearios“ im Video aufgewacht und auf die Straße gegangen. Weitergehende Forderungen (Reform des Urheberrechts u.s.w.) habe ich zumindest nicht groß wahrgenommen …

      1. Also ich habe das anders beobachtet, viele der doch teilweise recht jungen Leute waren erstaunlich und erfreulich gut informiert und es ging ihnen doch hauptsächlich um “ no censorship“ und „no surveillance“ – Modernisierung des Urheberrechts ist ja auch ne andere „Wies`“.
        Zu SLS´s Ehrenrettung sei aber doch noch gesagt: was von der CDU kam war noch viel haarsträubender…. ja schon irgendwie beängstigend!

  3. nicht nur frau schnarrenberger, sondern wohl eher 90% der fdp+cdu denken, dass die PP das urheberrecht abschaffen will….anders kann mir deren aussagen dazu bei maybrit illner etc. nicht denken.

    aber das zeigt ja ihre nicht vorhandene Kompetenz Texte zu lesen…bzw. nur das zu lesen, was direkt von der Contentmafia kommt.

    es braucht eine Urheberrechtsreform..für das internet funktioniert das bisherige einfach nicht.

  4. Das mit dem „Katzentisch“ las sich für mich heute noch etwas drastischer:
    Die Bundesregierung hat beim umstrittenen Anti-Piraterie-Abkommen ACTA nicht mitverhandelt, sondern „lediglich als Beobachter teilgenommen“. […] Es sei keinerlei Abstimmung mit öffentlichen oder privaten Institutionen erfolgt. Allerdings hätten Fachbehörden wie Bundeskriminal- und Zollkriminalamt Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt.
    Gibt es eigentlich Informationen darüber, welche der Fachbehörden von der Gelegenheit zur Stellungnahme Gebrauch gemacht haben und wenn ja in welcher Form?
    //pekue

    1. Was soll ein unsouveräner Staat wie die BRD auch verhandeln, Stellung beziehen, Vorschläge unterbreiten? Da wird hündisch – sorry, kätzisch – abgenickt. Fertig.

  5. Nachdem es für die FDP inzwischen wirklich schlecht aussieht, bezüglich eines erneuten Einzuges in den Bundestag und die Partei ums überleben kämpft, kann ich gut verstehen wenn sich ihre Mittglieder besonders profilieren möchten.
    Frau Leutheusser, eine der wenigen Personen der FDP welche noch meinen Respekt haben, hat vermutlich mit diesen Aussagen getan, was aus ihrer Sicht getan werden musste. Ich denke dieses sollte nicht überbewertet werden.
    Vieleicht hat die Dame ja noch eine Zukunft in der Piratenpartei, sobald (und nicht falls) die FDP endlich aufgelöst wurde.

  6. Bei mir schleicht sich immer mehr die Auffassung durch, daß die Politiker überhaupt keine Ahnung haben von dem über was sie gerade sprechen.
    Das wird alles in irgendwelchen Gremien, oder Ausschüßen beraten, in denen sogenannte Experten sitzen, die von den Lobbyisten bezahlt werden, um den Regierenden das ein oder andere schmackhaft zu machen.

  7. Zur Ehrenrettung unserer Frau Justizministerin muss man sagen, sie wird bestimmt auch das Leistungsschutzrecht für Verlage (das kurz zuvor vom Bundesverfassungsgericht ungespitzt in den Boden gerammt wurde) in allerletzter Sekunde verhindert haben. Unklar ist noch, ob sie auch das Internet erfunden hat.

  8. Schade.
    Schade dass die Piratenpartei nicht so progressiv und fortschrittlich ist.

    Das Urhebergesetz, Leistungsschutzrecht, Marken und Patenrecht sind eng miteinander verwoben und stützen unter anderem auch die GEMA.

    Die Urheberschaft sollte bestehen bleiben. Die derzeit daraus abgeleiteten „Unrechte“ jedoch, sollte man nicht reformieren, sondern in die Tonne treten. Den Scheiß zu recyclen bringt nur neuen Giftmüll in die Gesetzbücher.

    Aber man kennt es ja aus der Politik nicht anders. Wenn Menschen in die Politik gehen besteht eine Reform nachher darin aus 10 Euro Praxisgebühr 11 Euro Fünzig zu machen.

    Reformer gibt es IMHO nicht in der Realpolitik.

    Mit enttäuschten Grüßen,
    yt

    1. Ist Ihnen die Forderung der Piratenpartei sämtliche nichtkommerzielle Vervielfältigung im Netz zu erlauben nicht „progressiv“ genug?

      Soll das Urheberrecht auch noch im kommerziellen Bereich abgeschafft werden?

      1. Zumindest in der Vergangenheit hat sich das als deutlich wirkungsvoller für den Fortschritt erwiesen. Wobei es natürlich schwer ist, bei Vergleichen England/USA oder England/Deutschland die Faktoren abzugrenzen.

  9. Leutheusser-Schnarrenberger hat einfach keinen Plan.

    Wie will sie das Urheberrecht im Netz denn ohne Vorratsdatenspeicherung und Websperren durchsetzen??

    Ich muss da immer daran denken, wie sie bei der Podiumsdiskussion mit Andi Popp in Pfaffenhofen darauf hingewiesen hat, dass es zur Ermittlung in P2P-Tauschbörsen ja „diesen Auskunftsanspruch“ gäbe.

    Nur daran, dass „dieser Auskunftsanspruch“ ohne eine entsprechende Vorratsdatenspeicherung der IP-Adressen durch die Internetprovider völlig nutzlos ist, hat sie natürlich nicht gedacht!

    1. Ich denke, der ohne Plan bist vermutlich eher du, denn mit dieser „Argumentation“ (fehlende Durchsetzung magels VDS oder Zensur) könntest du auch für die Abschaffung des Strafrechts (für Delikte im Internet) plädieren.

  10. Kann man Dauergrinser Rösler, der die Kanzlerin zu einem gekochten Frosch macht und eine hysterisch schnatternde LH überhaupt noch ernst nehmen? Die FDP bekommt jetzt den Lohn ihrer schwachsinnigen Aktionen.

  11. Nicht nur ein taktisches Foul, sondern auch ein taktischer Fehler. Die Zielgruppe der Piraten lässt sich (hoffentlich) nicht durch derartig plumpe Lügen beeinflussen; wir sind es gewohnt, alles was ein Politiker sagt nachzuprüfen (wenn es hinreichend relevant aussieht).
    Vorher hatte ich großen Respekt vor SLS (neben Gerhart Baum die einzige Person, die in der FDP halbwegs brauchbare Politik macht). Jetzt muss ich dieses Urteil etwas relativieren. Eigentor.

  12. @Markus: Dein „Spiel“ mit diesem Beitrag ist übrigens ziemlich leicht zu durchschauen: „Wenn sich zwei streiten freut sich der Dritte!“. In diesem Fall sind dann wohl die Grünen…

    1. Ihr „Spiel“ ist übrigens auch sehr leicht zu durchschauen: Sie teilen Menschen und Ideen in Ideologien und Gruppen ein.

      Anders können Sie diese Welt anscheinend nicht verstehen, wer gegen das eine ist, ist für das andere. Man kann immer nur das eine oder das andere haben, das ist falsch.

      Diese Denkweise ist es die uns überhaupt in diese „Situation“ gebracht hat, wir schieben alles was schief geht auf irgendwelche Gruppen von Menschen die wir zuvor medienwirksam mit den passenden Vorurteilen behaftet haben.

      Wie zB all diese „unpolitischen Menschen“ die nun plötzlich „mitreden“ wollen obwohl sie ihre ganze „bildung“ ja nur von youtube haben…

  13. Endlich ist Netzpolitik ein ganz normales Propagandainstrument der politischen Parteien geworden!

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.