Ende Dezember hat das Transparenz-Projekt Wikileaks auf dem 26. Chaos Communication Congress eine Idee verkündet, die man gemeinsam mit Aktivisten und Politikern aus Island entwickelt hatte: Island zum Datenfreihafen machen. Die Idee nimmt nun konkrete Züge an.
Eine „Icelandic Modern Media Initiative“ wurde gegründet und 51 Abgeordnete wollen am 16. Februar einen Gesetzesentwurf ins Parlament einbringen. Ziel der Initiative ist es, die weltweit besten Gesetze für Presse-, Meinungs- und Informationsfreiheit zu vereinen. Der Zeitpunkt ist optimal, wie der britische Guardian von einem isländischen Abgeordneten erfahren hat:
„It is a good project for political change,“ said Róbert Marshall, a member of the ruling Social Democratic Alliance party. „We have been through a difficult period and this is an initiative that can unite the whole political scene.“
Die BBC zitiert Wikileaks-Gründer Julian Assange, der hoffnungsvoll ist, was die Chancen durch die isländische Gesetzgebung angeht:
„If it then has these additional media and publishing law protections then it is likely to encourage the international press and internet start-ups to locate their services here,“ Mr Assange said.
Das sind die einzelnen Punkte, die in dem Gesetzes-Framework vorkommen sollen:
The Icelandic Prize for Freedom of Expression
Iceland’s first internationally visible prize.
An ultra-modern Freedom of Information Act
Based on the 2009 CoE and OAS recommendations as well as modern elements in the FOI laws of Estonia, Scotland, the UK and Norway as well as the Aarhus treaty. (scope: Iceland)
Whistleblower protections
Protection for those who step forward to reveal important matters in the public interest, based on the U.S. False Claims Act and the U.S. Military Whistleblowers Act. (scope: Iceland)
Source protection
Protection for anonymous sources who attempt to communicate to the public after a promise of confidentiality by a journalist or media organization. Based on new EEA legislation.
Source-journalist communications protection
Protection for the communications between an anonymous source and a media organization and internally within a media organization prior to publication. Based on the Belgium source protection law of 2005.
Limiting prior restraint
Prior restraint is coercion of a publisher, by a government authority, or through the judicial system, to prevent publication of a specific matter. While the Icelandic Constitution provides the right to freedom of expression, small modifications are needed to reduce the possibility of prior restraint.
Protection of intermediaries (internet service providers)
Immunity for „mere conduits“, ISPs and telecommunications carriers.
Protection from „libel tourism“ and other extrajudicial abuses
Non-observance of foreign judgments that violate Icelandic freedom of expression protection, and the ability to file a counter-suit in Iceland against a party who engages in a calculated attempt to suppress the speech freedoms of an Icelandic entity. Inspired by legislation passed by the states of New York and Florida and proposed legislation elsewhere.
Statute of limitations on publishing liabilities
Recent rulings in Europe maintain that, for a internet publications, each page view is publication afresh, regardless of how long ago the material was first released. This has resulted in the silent removal of investigative newspaper stories, including those over five years old, from the on-line archives of the Guardian and and other major newspapers.
Process protections
The majority of legal suits related to publishing settle before final judgment. Hence, the court process itself must ensure that it is not used to suppress speech through unequal access to justice, subpoenas or other interlocutory motions. Process protections (called anti-SLAPP laws in the U.S.) permit a judge to declare the matter a free speech related case, at which point protections are activated to prevent such abuses.
Der Zeitplan der Icelandic Modern Media Initiative sieht vor, dass das Gesetz im Optimalfall eine Woche später beschlossen sein kann. Da kann man nur Glück wünschen und auf die Entscheidung warten.
Frank Rieger beschreibt in der FAZ nochmal die ganze Geschichte: Ein Hafen für die Pressefreiheit.
Selbst wenn sich der Plan eines Datenfreihafens in Island durchsetzt, so wird dies wohl nur ein kurzweiliges Ereignis werden.
Da sich Island nach Kräften um die EU Mitgliedschaft bemüht werden auch dort bald Maßnahmen gelten, die in der restlichen EU gelten.
Ich für meinen Teil glaube nicht, dass Island diese Pläne noch lange verfolgen wird.
Ich fuer meinen Teil denke nicht, dass Island in die EU strebt. Stichwort Fischfang.
Das hat nichts mit Denken oder Glauben zu tun, sondern mit Fakten :)
http://ec.europa.eu/external_relations/iceland/iceland_application.pdf
Eine Insel für „Raubkopierer.“ Naja?!
Warum sollte in Island eine so liberale Gesetzgebung einzug halten, während alle anderen Staaten durch die „Wir haben Angst“-Sicherheitspolitik der sogenannten Konservativen (bei uns die CDU/CSU) in den Abgrund gerissen werden?
Gibt es dort keine so dummen Leute?
@Norbert: Lesen hilft. Ich habe nichts von einer „Insel für Raubkopierer“ geschrieben und die Originalquellen geben das auch nicht her.
heise, 2006:
Ein Kabelbruch am Meeresgrund und in 1500 Kilometer Entfernung hat am Wochenende weite Teile Islands vom Internet abgeschnitten. Wie der Rundfunksender RUV heute berichtete, war am Samstagabend in 3000 Meter Tiefe das Kabel \Cantat-3\ zwischen der Nordatlantik-Insel und Kanada gebrochen. Daneben gibt von Island nur noch das Kabel \Farice-1\ nach Schottland. (…)
http://www.heise.de/newsticker/meldung/Kabelbruch-im-Atlantik-koppelt-Island-vom-Internet-ab-127912.html
@markus
zu (#3/#4) sehe ich aber ähnliche Probleme, die weitgehenden Einschränkungen im Bereich Presse- und Meinungsfreiheit werden ja zumeist (mit Ausnahme Terror/KiPo) mit der Durchsetzung von altertümlichen Urheber- bzw. Verwertungsrechten begründet/initiiert. Es ist in meinen Augen nicht wirklich möglich eine freie und offene Infrastruktur für die ultimative Meinungs- und Pressefreiheit aufrecht zu erhalten und gleichzeitig dem Druck der Contentindustrie bzw. deren Lobbystaaten (USA, EU) stand zu halten.
Wenn Island diesen Schritt geht holen sie sich zwangsläufig auch die „Raubkopierer“ ins Land und stehen dann unter großem politischen Druck seitens USA und EU. Das wird den ganzen Traum dann zwangsläufig zum Platzen bringen.
Aber ich versuche mir mal einen gewissen Grundoptimismus zu erhalten. Die Idee ist gut und ich drücke uns allen die Daumen was die Umsetzung betrifft.
Gruß.
@torben
Sehr schöner Kommentar. Ähnliches wollte ich auch in nur zwei Sätzen sagen, was mir augenscheinlich nicht gelungen ist.
Neben dem politischen Druck, dem Island kaum standhalten wird, ist es auch technisch nicht durchdacht.
Zur Not werden halt die Unterseekabel nach Island gekappt bzw. an den Endpunkten in den anderen staaten blockiter, gefiltert etc.
Aus der Sicht der Gegner des Datenfeihafens ist Island ideal: man hat die ganze Seuche auf einer Insel, schaltet alles einfach ab und muss sich nicht mit verteilten strukturen rumschlagen
Einiges davon lässt sich genauso gut im EU-Rechtsrahmen durchsetzten. Die Frage ist nur, ob es eine sehr gute Idee ist, die Freiheit der Meinungsäußerung so radikal zu erweitern, die eine Mehrheit hinter sich hat. Gewöhnlicherweise balanziert man verschiedene Rechtsgüter bei uns, ein Gesetz ist dann ein Ergebnis dieses Abwägungsprozesses. Wie gesagt, „können wir haben“ bei uns. In Deutschland würde sich die Situation z.B. bereits sehr verbessern, wenn man eine eindeutige Zuständigkeit von Gerichten festlegen und Hamburg entmachten würde…
@Marcus: von der Bewerbung wusste ich nicht, danke fuer das Update!