Netzneutralität – über Bauprinzipien von Kommunikationsnetzen

Auf der Berlin-Open-Konferenz sprach heute Prof. Dr. Barbara van Schewick von der Stanford Law School über „Netzneutralität – über Bauprinzipien von Kommunikationsnetzen“. Der Vortrag war spannend und ich hab mal vieles mitgeschrieben.

Warum Netzneutralität fragte sie in der Einleitung? Für viele sei das doch sowieso nur eine Sache für ein paar verwirrte Netz-Aktivisten und gerne würde da auch was mit Kinderpornographie verwechselt. Ihr Anliegen sei es, mindestens eine Debatte darüber zu bekommen, auch wenn viele heute noch nicht sagen könnten, ob wir Netzneutralität wirklich brauchen.

Die frühere Situation im Netz war: Netzbetreiber haben keinen Einfluss auf Anwendungen und Inhalte. Netzbetreiber konnten nicht in Pakete rein schauen und wussten lange nicht, welche Pakete bei ihnen übertragen werden. Nutzer konnten frei entscheiden, wie sie das Netz nutzen wollen. Heute ist das anders: Netzbetreiber haben Technologien, um in den Datenverkehr rein zu schauen (u.a. Deep Paket Inspection). Das gibt ihnen neue Möglichkeiten, Anwendungen und Inhalte zu kontrollieren.

Das Kernanliegen der Netzneutralitätsdebatte sei: Sollte man Netzbetreibern die Möglichkeit geben, diese Technologien zu nutzen? Oder sollen Nutzer bestimmen können, wie sie das Netz nutzen? Brauchen wir Regeln, die Netzbetreibern verbieten, Anwendungen und Services zu blockieren oder auszuschließen?

In der frühen US-Debatte rund um Netzneutralität gab es immer Verlautbarungen von Seiten der Netzbetreiber, man hätte doch ein Interesse an möglichst vielen Anwendungen, weil damit doch das Internet interessanter wäre und mehr Menschen ins Netz gehen. Haben Netzbetreiber einen Anreiz, solche Technologien zu nutzen und zu diskriminieren? Das sei nicht immer so, aber immer öfters als man denkt!

Von theoretischer Seite gibt es drei Fragenkomplexe:

1. Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, um eigene Gewinne zu steigern
2. Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, um unerwünschte Inhalte ausschließen
3. Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, indem sie Anwendungen ausschließen oder zu blocken, um die eigenen Netze besser zu managen.

Es kamen eine Menge Beispiele, die die drei Fragenkomplexe beschreiben:

Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, um eigene Gewinne zu steigern.

Netzbetreiber bietet Anwendungen und Services an, die mit denen von anderen Anbietern konkurrieren. Bestes Beispiel ist Skype, was in vielen Mobilnetzen geblockt wird, weil man selber Geld mit Telefonaten macht. Aber auch der Netzbetreiber Comcast hat in den USA mit dem blocken von Bittorrent gezeigt, dass BitTorrent das Potential hat, sich zu einer Distributionsplattform fuer Fernseh- und Videoinhalte zu entwickeln, die mit Comcast’s tradionellem Video on Demand Service konkurriert.

Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, um unerwünschte Inhalte ausschließen.

In Kanada hat ein Netzbetreiber namens Telus die Webseite eines Gewerkschaftsangehörigen geblockt. Telus befand sich mit der Gewerkschaft im Arbeitskampf, und auf der Webseite diskutierten Gewerkschaftler ueber ihre Strategien im Arbeitskampf.
Netzbetreiber geben sich Inhalterichtlinien und damit will man dafür sorgen, dass über die eigenen Netze keine kontroversen Inhalte verbreitet werden. Eine Gruppe von Abtreibungs-Aktivisten wollte beim US-Netzbetreiber Verizon eine SMS-Mailingliste beantragen. Dies wurde abgelehnt, weil Abtreibung ja ein heikles Thema sei. Erst als die Geschichte bei der New York Times auf dem Titelblatt war, ruderte der Netzbetreiber zurück.
AT&T streamte Musikkonzerte, u.a. von Pearl Jam. Als der Sänger Eddie Vetter in einem Konzert George W. Bush kritisierte, wurde die Kritik von AT&T raus geschnitten. Man argumentierte mit Inhalteprinzipien und dass man doch Kinder vor böser Sprache schützen müsste.
Apple schliesst Anwendungen aus dem iPhone-Store aus, die politisch kontrovers sein könnten.

Netzbetreiber verletzten die Netzneutralität, indem sie Anwendungen ausschließen oder zu blocken, um die eigenen Netze besser zu managen.

Netzbetreiber verlangsamen Services oder blockieren sie. Flatrates erhöhen bei mehr Nutzen die Kosten für ISPs, was zu weniger Gewinn führt. Deshalb verlangsamte z.B. US-Netzbetreiber Comcast Bittorrent, ebenso Provider in Kanada. Aktuell gibt es in Grossbritanien den Fall, dass British Telecom den BBC iPlayer in der Peakzeit zwischen 17 – 0 Uhr verlangsamt. Der iPlayer verursache zuviel Traffic, weil viele ihne nutzen, um Filme und Serien on-demand herunter zu laden. Der Service wird dadurch so verlangsamt, dass laut BBC keine zufriedenstellende Nutzung mehr in dieser Zeit möglich ist. British Telecom gibt die Drosselung zu, argumentiert aber, dass man das nicht anders machen könnte, um ihre Netze nicht zu gefährden.

Die ganzen Beispiele seien nur die Spitze des Eisberges. Sie sollten uns um nachdenken anreden, was passiert, wenn die erhöhte Aufmerksamkeit für Verletzungen der Netzneutralität vorbei sind und neue Regeln geschaffen wurden.

Warum interessiere überhaupt Netzneutralität? Wenn ein Supermarkt beschließe, man würde nur noch Milka-Schokolade verkaufen, würde ja auch niemand nach Regulierung und Supermarkt-Neutralität rufen. Aber der Unterschied wäre im Netz anders und könne aus verschiedenen Perspektiven gesehen werden:

1. Was bedeutet das für Nutzer?

Nutzer können das Internet so nutzen, wie sie wollen und alles ist schön. In der Zukunft ist das vielleicht nicht mehr möglich, wenn Netzbetreiber bestimmte Services nicht mögen. Als Beispiel brachte sie Skype-Videotelefonie, was vielen helfe, mit anderen Menschen in Kontakt zu bleiben. Solche Anwendungen würden am ehesten durch Netzwerk-Management zum Opfer fallen, weil Netzbetreiber die Dienstleistung Video-Telefonie auch teuer für Business-Kunden verkaufen könnten. Das Internet würde für Nutzer dadurch weniger wertvoll.

2. Was bedeutet das für Anwendungsentwickler und Inhalteanbieter?

Bisher entscheidet der Markt durch die Nutzer, was gut ist und angenommen wird. In einer Welt ohne Netzneutralität würde das anders aussehen (siehe Beispiele oben). Bei der Entwicklung neuer Anwendungen und Inhalte müsste man sich nicht mehr fragen: Ist das cool und interessiert das die Nutzer? Sondern viel mehr die Frage würde im Vordergrund stehen: Was sagen die Netzbetreiber? Wird das legal sein? Was sagen die VCs in einer solchen Situation? Als in den USA die Netzneutralitätsdebatte am kochen war, hatten manche innovative Firmen das Problem, dass VCs als Risikopunkt genau diese Fragen stellten und man Probleme hatte, Finanzierungskapital zu bekommen.

3. Was bedeutet das für die Netzbetreiber?

Netzbetreiber finden Regeln ohne Netzneutralität toll. Sie können das Netz so managen, wie sie wollen, können mehr Geld vedienen und kontrollieren das Netz.

Wichtige Frage: Wie entscheidet man als Politiker zwischen den drei Gruppen?

Das Potential des Netzes für die Gesellschaft hängt von Netzneutralitäts-Regeln ab. Das Netz schickt Pakete hin und her und kreiert erstmal keinen Wert für die Gesellschaft. Der Wert steigt aber, wenn Nutzer anfangen, das Netz für Sachen zu nutzen, die wir wollen. Insofern ist die Nutzung des Netzes am wertvollsten für eine Gesellschaft.

Wenn Anwendungsentwickler und Inhalteanbieter mehr Anreize haben, bekommen wir mehr und bessere Anwendungen. Ist das gut? Ja, ist es, nicht nur ökonomisch gesehen. Anwendungen machen das Netz nützlich. Dienste und Services wie Twitter, Youtube und Wikipedia bieten Plattformen, wo Menschen z.B. auch ihre politische Meinung ins Netz stellen können oder gemeinsam etwas Großes schaffen. Soziale Medien schaffen mit ihrer Anwendung Mehrwert für die Gesellschaft.

Aber dann kommen die Netzbetreiber und sagen: Alles schön, aber wie können wir Geld verdienen? Hauptargument ist immer: Man braucht Gewinne, um die Infrastruktur auszubauen. Politiker entscheiden sich daher in der Regel für die Netzbetreiber, die aber gesellschaftlich am unwichtigsten sind. Die entscheidene Frage sei: Was haben wir von einem Netz, was nicht mehr / weniger nützlich für uns ist?

Ein Lösungsvorschlag für das Argument der Netzbetreiber sei, dass man Breitbandentwicklung öffentlich fördert, um das Problem zu umgehen. Die USA würden das jetzt machen.

Wo stehen wir in der Debatte?

In den USA sieht es richtig gut aus. Es gab einen langen Kampf für Netzneutralität. Sogar unter Bush hat die Regulierungsbehörde FCC im Comcast-Verfahren für Netzneutralität reguliert. Mit Obama ist jemand an die Macht gekommen, der Netzneutralität im Wahlprogramm hatte und die Verfasser seines Wahlprogrammes gerade an entscheidenden Stellen installiert. Die Frage sei nicht mehr: Bekommen wir Netzneutralitäts-Regeln in den USA, sondern nur noch: Wie sehen sie aus?

Dem Voraus ging ein großer Kampf der Netzbewohner! Es gab eine unglaubliche Lobbymacht der Netzbetreiber in Washington. Mehr als 70 Millionen Dollar sollen diese wöchentlich für Anzeigen und Lobbying ausgegeben haben, um Netzneutralität zu bekämpfen. Von Nutzerseite kamen aber über eine Million Mails und Briefe an die Politik und Unterschriften für Petitionen und damit kippte die Debatte, erstmal bei den Demokraten.

In Europa ist es leider nie richtig zu einer Debatte gekommen. Die EU-Kommission hatte sich Gedanken gemacht und im Telekom-Paket Netzneutralität rein geschrieben. In der ersten lesung hat das EU-Parlament mit großer Mehrheit auch dieser Passage zugestimmt. Aber dann kamen die US-Netzbetreiber AT&T und Horizons und mischten die Debatte auf. Sie koordinierten die Strategie der europäischen Netzbetreiber und letztendlich gab es in der 2. Lesung im EU-Parlament eine Aufweichung der starken Regeln. Der Stand ist jetzt, dass die Mitgliedsländer selber Regeln aufstellen sollen.

Und die entscheidene Frage ist: Wollen wir die Debatte in Deutschland? Dann müssen wir dafür kämpfen!

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24 Ergänzungen

  1. Die Diskussionen um eine (teil)Verstaatlichung der Stromnetze und der Trennung von Netz und Betrieb bei der Eisenbahn sind politische Parallelen, an die sich da argumentativ anknüpfen lässt!

  2. „Warum interessiere überhaupt Netzneutralität? Wenn ein Supermarkt beschließe, man würde nur noch Milka-Schokolade verkaufen, würde ja auch niemand nach Regulierung und Supermarkt-Neutralität rufen.“

    Wurde nicht Intel unter anderem dafür von der EU verklagt, da Sie Rabatte gewährt haben, wenn nur Intel CPUs verbaut/verkauft werden?

  3. Die Einschränkung für gewisse Dienste zu den peak-Zeiten gibt es auch schon in Deutschland. Beispielsweise Kabel Deutschland verlangsamt zwischen 18-24 Uhr BitTorrent und Rapidshare. Am Wochenende das selbe, nur offenbar schon von 10-24 Uhr. Wie es bei Skype ausschaut weiß ich nicht.

    Sprich die Frage ob wir diese Debatte überhaupt wollen stellt sich gar nicht mehr. Denn der Kunde wird schon eingeschränkt. Zumindest bei manchen Providern.

  4. Von Kimberly Claffy gibts ein ziemlich gutes Paper rund um das Thema Internet – allerdings (und das hat Seltenheitswert) aus der Sicht eines Forschers.
    Da spricht sie u.a. auch Netzneutralität an und argumentiert, dass die Betreiber Traffic-Management vorallem deswegen brauchen, weil das Internet schlichtweg miserabel konzipiert ist und teils aus dem letzten Knopfloch pfeift.
    Statt also Investitionen zu tätigen, gehen sie den leichteren Weg mit Traffic-Management. Eben auf Kosten der Benutzer…

    Kann dieses Paper wirklich jedem empfehlen. Pädagogisch wertvoll! ;)

    http://www.caida.org/publications/papers/2008/lawyers_top_ten/

    Alles Gute.
    bearmann

  5. Ja, diese Diskussion gibt es in den USA echt schon länger, und es ist auch viel präsenter in der Öffentlichkeit. Man muss allerdings auch bedenken, dass die Abschaffung der Netzneutralität es erfordert, dass sich z.B. alle Backbone-Betreiber zu einer Umrüstung ihrer Knoten bereit erklären müssten, um die Datenpakete analysieren zu können. In Deutschland sind das ja schon verschiedene, z.B. DT, Telefonica, Hansenet, Arcor und viele kleinere, von Europa ganz zu schweigen.

    Google als einer der größten Traffic-Produzenten ist auch entschieden gegen diese Aufhebung der NN, da das enorme Kosten für Google verursachen würde. Und deshalb scheint der Konzern auch bereits entsprechende Gegenmaßnahmen einzuleiten. Dazu bei Interesse: Googles Kommunikationsstrategie vor dem Hintergrund der Diskussion um die Netzneutralität

  6. Markus, sehr gute Mitschrift des Vortrags. Danke dafür. Die Debatte um Netzneutralität ist zweifellos spannend und liefert zumindest Material für eigene Gedanken und weitere Recherchen zum Thema.

    Zwei kurze Anmerkungen. Erstens: zum rhetorischen Bogen den Barbara in die Historie des Internets schlägt. Sie sagt:

    „Die frühere Situation im Netz war: Netzbetreiber haben keinen Einfluss auf Anwendungen und Inhalte. Netzbetreiber konnten nicht in Pakete rein schauen und wussten lange nicht, welche Pakete bei ihnen übertragen werden. Nutzer konnten frei entscheiden, wie sie das Netz nutzen wollen.“

    Das klingt zwar gut, ist aber falsch. Das Internet war gegenüber usenet, bulletin boards, etc. traditionell eher elitär, wurde zudem mancherort vom DoD (als Zugangs-ISP, wenn man so will) überwacht, und außerdem ist es dem Internet und seinen Protokollen vollkommen gleichgültig, ob Router oder Hosts neutral sind, was auch immer das bedeuten soll. Natürlich haben „Netzbetreiber“ schon immer in Pakete gucken können und das auch getan. Im übrigen oft mit dem Ziel den Service für Endanwender zu VERBESSERN, nicht zu verschlechtern.

    Zweitens: Die Beispiele für Verletzungen der Netzneutralität sind alles alte Hüte, und das mag für einen eher aktivistisch geprägten Vortrag auch okay sein, es gibt aber auch Dynamiken, etwa basierend auf der 2007er Comcast-BitTorrent-Sache, die unbedingt einschlägig sind (FCC und protocol agnostic network management). Wen also die Empirie und vor allem was sich daraus theoretisch und normativ schließen lässt interessiert, der sollte selber gucken und nicht nur Schlagworte übernehmen.

    Ich könnte jetzt noch viel schreiben, und auch die ganzen Quellen raussuchen, mach ich aber nicht ;-)

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.