Studie: Pseudonymität mindert nicht die Glaubwürdigkeit

Eine Studie von Thomas Chesney und Daniel K.S. Su kommt zu einem überraschenden Ergebnis: Für die Glaubwürdigkeit von Bloggern scheint es unerheblich zu sein, ob unter Klarnamen oder Pseudonym geschrieben wird. Untersucht wurde die Frage anhand von 3 Gruppen, die einen exakt gleichen Text einmal mit einem Pseudonym, einmal mit Pseudonym, Alter und Geschlecht, und einmal mit Klarname, Alter, Foto und Beschreibung eines vermeintlichen Autors zu lesen bekamen. Danach sollte unter anderem die Glaubwürdigkeit des Bloggers beurteilt werden.

Es ergab sich kein signifikanter Zusammenhang, und sogar ein leichter Trend zu erhöhter Glaubwürdigkeit durch das Pseudonym. Nun sollte man das Ergebnis nicht überbewerten: Der Text war immer gleich (Thema: Fußpilz) und es wurde der Effekt nicht in anderen Themenbereichen (z.B. Politik, Produktbewertungen, und, wichtig: Nachrichten) oder mit unterschiedlichen Stilen (pöbelnd, Rechtschreibfehler,…) untersucht. Moderatoreffekte halte ich hier für sehr wahrscheinlich: Nur, weil ich einen anonymen Text über Fußpilz als glaubwürdig empfinde, heißt es noch nicht, dass ich das in anderen Themengebieten ebenso tue. Auch könnte ich mir vorstellen, dass die Glaubwürdigkeit nicht-pseudonyme Autoren weniger Fehlern oder schlechtem Stil leidet als die von pseudonymen Bloggern. Ansonsten ist noch anzumerken, dass die eigentliche Untersuchung bereits 2006 stattfand, als Blogs noch eine weniger beachtete Rolle spielten, die Leser sich also evtl. mit einem anderen Anspruch dem Text genähert haben.

Ich will mich jetzt hier nicht auch noch über die homogene Stichprobe und weitere Kritikpunkte an der Studie auslassen, belassen wir es einfach dabei: Bevor man das Ergebnis für bare Münze nimmt, sollte das es mal unter geneuerer experimenteller Kontrolle repliziert werden. Wenn es sich als stabil herausstellt, ist es in der Tat interessant.

Thomas Chesney and Daniel K.S. Su (2010). The impact of anonymity on weblog credibilityInternational Journal of Human-Computer Studies, 68 (10), 710-718

17 Ergänzungen

  1. Tatsächlich glaube ich auch, dass Pseudonymität eine geringe Rolle spielt.
    Wichtiger ist Reputation. Wenn ein Blogger bzw. überhaupt irgendwer mir bekannt ist und er mit mir oft übereinstimmt und ich eben über die Zeit glaube erkannt zu haben, dass er wahr oder was auch immer schreibt, dann bringe ich im Vertrauen („glaubwürdig“) entgegen unabhängig davon ob pseudonym oder mit Klarnamen.

    Bei so einer Studie, wo ich beide nicht kenne, weder den, der seinen Klarnamen angibt noch den der pseudonym schreibt bringe ich folglich das gleiche Misstrauen entgegen.
    Oder ich Recherchiere.
    Also soooo überraschen finde ich jetzt nicht, dass das ähnlich glaubwürdig bewertet wird.

  2. „einem überraschenden Ergebnis“
    für mich nicht überraschend.

    wenn man auf Inhalt und nicht auf Äußeres achtet.
    Ich kenne auch nicht jeden auf der Straße mit Namen, keinen Verkäufer oder Schlachter, ob ich ihnen vertraue hat damit wenig zu tun. (naj, ich könnte die Namen natürlich erfahren.)

    Bei nem Film interessiert auch nicht wie der Schauspieler oder Produzent heißt. Und im Sport kommt es auch nicht auf Posen sondern auf Taten an.

    Aber die Medienbranche hat heute schon auf den Deckel bekommen….
    Vielleicht liegt es auch an der Erwartungshaltung. Erwarten wir wirklich, dass jemand der sich vorstellt glaubwürdiger ist als eine andere Person?

  3. Deus Figendi hat einen wichtigen Punkt. Ein Pseudonym kann ich über Jahre kennen lernen. Wenn es hingegen alleine über einem Text steht, ist es ohne weiteren Belang.

    anon: Ein Nickname ist manchmal wie ein optisches Erscheinungsbild – durch Worte entstehen Bilder im Kopf. Um es mit Deinem Beispiel zu erklären: Stell Dir vor Dein Schlachter steht in Anzug und Krawatte hinter dem Tresen oder in einer Abfallentsorger-Uniform.

  4. @Deus

    „…er mit mir oft übereinstimmt…“
    Ein wichtger Punkt. mir geht es da wohl wie jedem anderen. Wer meiner Meinung ist (oder nur wenig abweicht) ist ein Freund. Wer dagegen selten meiner Meinung ist, der ist nicht glaubwürdig.

    Wobei ich doch meine evtl. Unwissenheit nicht zum Maßstab machen kann, oder doch?

    Wenn jemand meinen Horizont erweitert ist es gut. Was aber wenn die Erweiterung weh tut? Wenn sie gegen meine bisherigen Ansichten zu wider läuft? (Und ich sie daher nicht verstehe.)
    Bleibe ich beim alten, bekannten oder lasse ich mich auf die neue Sicht ein. Ob ich mich irre hängt davon ab wie viel ich vorher wirklich wusste.

    Ich denke, am ehesten „gefallen“ Blogs, Zeitungen, Menschen etc. Die einem scheinbar etwas Neues geben, neue Informationen. Die aber nicht unbedingt neue Einsichten mit sich bringen, keine Herausforderung für die eigene Sicht auf die Welt sind und damit meine Art zu Denken, meine (Vor-)Urteile nicht verändern.
    vielleicht liegt es an dem was man Charakter nennt. Als konservativer Typ können mich einzelne argumente vielleicht überzeugen aber meine Grundhaltung nicht ändern. Kapitalist bleibt Kapitalist, Sozialist Sozialist usw. usw.

    Lernen kann man in kleinen Schritten. Immer ein wenig mehr dem Horizont entgegen, evtl. mal den Kurs leicht anpassen.

    Nur ein echtes moralisches Erdbeben, persönlich erlebt, ändert Charakterzüge. Ein Sturm, ein Schiffbruch das lässt einen Menschen einen ganz neuen Kurs setzen.

  5. @Torsten

    Da hast du recht, Pseudonyme haben schon eine Bedeutung. Wobei es dann auf das Pseudonym an kommt und man trotzdem nicht sagen kann wer dahinter steckt oder wie viele.

    Ich kann auch auf zehn Pseudos treffen und immer ist es die gleiche Person.

    Am Ende ist es nicht wichtig, der Inhalt muss zählen.

  6. @anon (4):
    Ja, ich habe das schon bewusst geschrieben, man (also ich jedenfalls) hängt sich gerne an Medien, die die eigene Meinung vertreten.
    Dass das ggf. Horizont-Erweiterungs-Bremsend (^^) ist ist klar, aber zumindest mir – und ich denke vielen anderen auch – geht es so.
    Jemand der nicht meiner Meinung ist verliert aber nicht unbedingt an Glaubwürdigkeit… er ist imho ebenso glaubwürdig, wie jemand der zu einem Thema schreibt, zu dem ich mir noch keine Meinung gebildet habe.
    Der, der mir aufs Maul schaut hat einfach nur einen Bonus.

    Darüber hinaus kenne ich aber auch durchaus Pseudonyme, die ich für glaubwürdig halte, deren Meinung ich schätze, aber keineswegs teile. Dennoch lese ich sie gerne.

    Vielleicht (das ist jetzt ganz klar Spekulation) ist es sogar so, dass die Meinungs-Übereinstimmung sicher einen Einfluss darauf hat, was man stärker konsumiert. Aber dass die Glaubwürdigkeit eher was damit zu tun hat wie gut man jemanden kennt.
    Dadurch entsteht ein mittelbarer Zusammenhang: Wessen Meinung ich mag, den les ich mehr, den kenne ich besser, dem glaub ich eher.
    Wessen Meinung ich nicht mag, den les ich weniger, aber wenn ich ihn (z.B. gezwungener Maßen oder weil er einen angenehmen Stil hat oder…) doch viel lese, dann gewinnt er ggf. doch an Glaubwürdigkeit. Von diesen gibt es dann aber logischerweise weniger.

  7. @Deus

    vielschichtig, hier sollte sich mal ein Soziologe oder vielleicht sogar en Psychologe mit einschalten …

  8. Kurze Anmerkung zur Kritik am Versuchsdesign:

    Dass es immer der gleiche Text war und dass die Versuchspersonen-Gruppen homogen waren, ist kein Makel, sondern so gewollt. Bei derartigen psychologischen Versuchen geht es ja gerade darum, nur den Einfluss des interessierenden Faktors (der unabhängigen Variablen) – hier also: Pseudonym – zu untersuchen. Die Versuchspersonengruppen und das Versuchsmaterial sollten sich also idealerweise nur hinsichtlich des interessierenden Faktors unterscheiden.

    Ein wichtigerer Kritikpunkt wäre, dass ein nicht-signifikantes Ergebnis leider weniger aussagekräftig ist als ein signifikantes Ergebnis – ganz allgemein, unabhängig vom Inhalt der Studie. Das hat mit der statistischen Absicherung von Fehlerwahrscheinlichkeiten zu tun: Hätten sich signifikante Unterschiede gezeigt, dann hätte man ziemlich sicher schlussfolgern können, dass ein Pseudonym einen Unterschied macht. Das Fehlen des signifikanten Unterschieds jedoch lässt einen nicht mit der gleichen Sicherheit sagen, dass ein Pseudonym KEINEN Unterschied macht. (Mehr dazu hier: https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Fehler_2._Art ). Vielmehr könnte es dann immer noch der Fall sein, dass ein eigentlich existierender Pseudonym-Effekt überlagert wurde durch z.B. eine unsaubere Versuchsdurchführung oder durch doch zu heterogene Versuchspersonengruppen oder durch Moderatorvariablen (https://secure.wikimedia.org/wikipedia/de/wiki/Moderatorvariable)

  9. @Lucomo: Vielen Dank für den Hinweis. Ich entferne mal die Klammern in meinem Text:

    Der Text war immer gleich und es wurde der Effekt nicht in anderen Themenbereichen oder mit unterschiedlichen Stilen untersucht. Moderatoreffekte halte ich hier für sehr wahrscheinlich.

    …womit ich genau das aussage, was du dankenswerterweise anmerkst, denn der Moderatoreffekt hätte nur ausgewiesen werden können, wenn potenzielle Moderatoren auch variiert worden wären.

    @anon: Ich bin Psychologe. Auf dieser Datenbasis führe ich allerdings keine Diskussionen. Die Studie ist einfach schwach. Deshalb: Replizieren, und dann können wir weitersehen.

  10. Pseudonymitaet ist vernachlaessigbar, wenn man auf Erfahrung setzen kann.

    Am Ende deines Artikels fragte ich mich nur noch: Wieso blogst du es dann? ;)

  11. @blubb: Weil es – vernünftig untersucht – ein interessantes Forschungsgebiet ist. Für Personen wie Alxel E. Fischer spielt Pseudonymität ja – warum auch immer – irgendwie eine große Rolle.

  12. Ich halte Lucomo für glaubwürdig, kenne ihn aber nicht – das kann verschiedene Gründe haben:

    – Eloquenz
    – Sympathie (er verlinkt auf die SSL-Version von Wiki… ;-) )
    – seien Argumentation scheint schlüssig

    Ein Gegenbeispiel-Herr von und zu war für mich schon (genauer schon vorher, aber da hatte ich ihn noch nicht auf dem Radar) seit seinem Amtseid unglaubwürdig, obwohl er nciht anonym auftritt, aber:

    Ich habe gewisse Vorurteile gegen CSU/CDU-Mitglieder. Auch wenn ich von mir verlange dieses Schubladendenken immerwieder gewissenhaft zu prüfen und die Schublade vorsichtig öffne um den Eingesperrten eine Chance zu geben habe ich immer wieder die Erfahrung gemacht, dass meine Schublade doch die Richtige ist. Auch bei herrn von und zu habe ich zwischendrin reingelinst und was soll ich sagen? Er liegt dort gut, wo er ist! Trotzdem werde ich bald wieder mal reinkucken…

    Aber in genau so einer Schublade liegen Lucomo, Anon, Pseudonym und ich bei Herrn Axel E. Fischer…nur er hat den Schlüssel wohl verlegt oder gar verloren. Wir werden da nicht mehr rauskommen – drauf geschissen, machen wir ’ne Pulle in der Schublade auf! *g*

  13. für mich (und vermutlich auch für einige andere Netizens) ist es völlig wurscht, von welchem Namen ein Blog oder eine Meinung verfasst wurde. Von daher ist das Ergebnis nicht sonderlich verwunderlich. Allerdings wäre es sicher begrüßenswert, die subjektive Glaubwürdigkeit noch auf weitere Faktoren zu prüfen, z.B. Quellenangaben, Themengebiet des Inhaltes und Aufmachung des Blogs.

    In einer Zeit, in der massive Fehleinschätzungen seitens „namhafter Autoren“ bekannt werden und man auch hanebüchene Geschichten mit nettem Lächeln unters Volk bringen kann, müssen wir sowieso jede Meldung erstmal selbst zwei, dreimal nachlesen und ggf. die Quellen überprüfen, um eine Nachricht als „wahr“ abzustempeln. Und ich sehe nicht, warum ein „Dr. Klarname“ da glaubwürdiger sein soll, als „HelloKitty87“.

    Was zählt ist doch einzig und allein der Inhalt. Ob wir den Inhalt mögen, ihm zustimmen, ihn logisch oder fundiert halten und ihn mit anderen Meldungen/Meinungen/Inhalten abgleichen.

    Und darin sehe ich kein Manko, sondern eine große Chance. Eine Chance, seine Meinung undiskriminiert und ohne Vorurteile vortragen zu können und(!) auch noch dasselbe Gewicht zu haben, wie jemand, der sich mit hochpoliertem Namen als „Experte des Gebiets“ ausweisen will.
    Und zudem eine Chance, ebendiese Meinung notfalls gegen den Strom zu äußern, ohne gleich negative Konsequenzen in irgendeiner Form fürchten zu müssen.

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