Hunderte protestierten am frühen Morgen gegen Internet-Zensur

Das mit dem Aufstehen hat also geklappt: Je nach Quelle zwischen 200 und 500 Menschen haben sich heute morgen in Berlin an der Mahnwache gegen eine von BKA und Internet-Providern betriebenen Zensur-Infrastruktur beteiligt. Sie trugen Scheuklappen und viele einfallsreiche Slogans, dazu gab es mobile Musikversorgung. Schöne Bilder gibt es von Tim Pritlove und Foo Bar . Update: Und von Valakis und noroute . Und hier gibt es ein tolles Panorama-Bild und noch eine Foto-Galerie von fabnie.

N24 hat einige Video-Interviews gemacht, unter anderem mit Andreas Bogk, Andy Müller-Maguhn und Constanze Kurz vom CCC . Es war auch sonst viel Presse vor Ort, da wird sich im Laufe des Tages noch mehr Material ergeben. Einen schönen Artikel zum Thema hat Spiegel Online heute gebracht: "BKA zensiert bald das Web" . Die dpa-Meldung war leider nicht so prickelnd.

Der neue Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur (AK Zensur) hat schon eine Pressemitteilung herausgegeben:

Rund 500 Internet-Nutzer demonstrierten gemeinsam mit Opfern von sexuellem Missbrauch am Freitag vor dem Bundespresseamt gegen die Pläne von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Diese sehen vor, Webseiten, die Bilder und Videos von Kindesmissbrauch zeigen, auszublenden – statt sie abzuschalten. Die Demonstration fand anlässlich der heutigen Unterzeichnung von Verträgen fünf großer Internet-Provider mit dem BKA statt. Die Provider verpflichten sich damit, alle Webseiten zu sperren, die sich auf einer Sperrliste des BKA befinden. Diese Webseiten bleiben jedoch weiter im Netz, den Kunden der fünf Provider wird lediglich der Zugang erschwert. Die Sperren sind leicht umgehbar.
Die Kritiker sehen in den vom Familienministerium angestrebten Sperren einen Einstieg in Internet-Sperren nach chinesischem Muster. Mit dem Vorwand, Kinderpornographie zu bekämpfen, würde eine Zensur-Infrastruktur eingerichtet und das Thema Kindesmissbrauch für den Wahlkampf genutzt.
Die überwiegende Mehrheit der Webseiten mit entsprechendem Material liegt in den USA und Westeuropa – die Server könnten abgeschaltet werden. Daher werfen die Kritiker Ursula von der Leyen vor, nicht effektiv gegen Kindesmissbrauch vorzugehen. So sind auf den Sperr-Listen der skandinavischen Länder auch rund 100 Webseiten aufgelistet, deren Server in Deutschland stehen. Sollten diese strafbare Inhalte verbreiten, wäre es ein Leichtes dies zu verhindern und die Täter strafrechtlich zu verfolgen.
Zudem werden die meisten Bilder und Filme von Kindesmissbrauch in geschlossenen Zirkeln getauscht. Sperren sind da wirkungslos. Daher fordern Kritiker der Sperr-Vorhaben schon lange, die Ermittlungsbehörden technisch und personell besser auszustatten.

ZDNet hat schon über den AK berichtet: "Bürgerrechtler gründen Arbeitskreis gegen Internetsperren und Zensur" .

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35 Ergänzungen

  1. Hm – kommt mir das nur so vor, oder hat sich die Tagesschau unter dem blassen Tom Burow endgültig zum Hofberichterstatter und Berliner Jubelperser gewandelt?!

    1. nein ninjaturkey das kommt nicht nur dir so vor. unter völliger ignoranz aller expertenmeinungen und studienergebnisse verbreitet die ARD gerade großflächig kritik und kommentarfrei regierungspropaganda.
      Ekelhaft ist das vor allem wenn man bedenkt das die Tagesschau um 20:15 Uhr immernoch die meistgesehene deutsche Nachrichtensendung ist, und damit eine entsprechende Massenwirkung praktisch garantiert.

  2. Der Kommentar bei Tagesschau ist ja unter aller Sau. 100% Propaganda (wiederholt die falschen Zahlen aus dem Familienministerium) und 100% einseitig.

    P.S.: Die Kommentare #2 und 6 hier sind dagegen Spam.

  3. NDR Info sprach heute gar von 450.00 Webseiten, die täglich aus Deutschland aufgerufen werden…
    Falsche ZAhlen falsch interpretiert.

    Besonders schlimm an dem tagesschau.de-Kommentar finde ich ja die Scheineinsprüche gegen die Sperren, so dass bei unbedarften Lesern leicht der Eindruck der Neutralität entsteht.

    Ist der Vertrag rechtlich überhaupt möglich? Schließlich werden die Rechte Dritter(die Kunden) beschnitten – dem müssten die Kunden doch an sich erstmal zustimmen

  4. […]

    Aber uns soll zumindest niemand mehr erzählen, dass man eine staatlich gesteuerte Zensurinfrastruktur bei Internet-Zugangs-Providern benötigt, wenn es im Grunde darum geht auf Webservern kinderpornographische Inhalte zu sperren. Das tun die Betreiber offenbar herzensgern und freiwillig selbst, weil sie im Gegensatz zu MP3s von Britney Spears und bloggigen Blogs DAMIT tatsächlich ein moralisches Problem haben.

    Mehr:
    ‚Hunderte protestierten am frühen Morgen gegen Internet-Zensur‘ bei netzpolitik.org

    […]

    In: Zu doof zum Telefonieren …

  5. Was da vorgeht ist unglaublich. Ich finde es toll, dass ihr protestiert habt – und protestiere virtuell mit. Eine Internetzensur ist auf alle Fälle, für alle Politiker und für alle Zeiten und egal welcher Vorwand tabu und darf niemals umgesetzt werden.
    Bin ich froh, dass ich bei keinem dieser Provider bin, die unterschrieben haben. Die gehören boykottiert.

  6. Die Bilder von der Mahnwache sind bei Google nicht indexiert (beabsichtigt oder nicht ausreichend getaggt?)
    Schade, so findet man gar keine Zensurgegner bei einer suche nach Zensursula…

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.