Die EU-Kommission hat am 8. März ihre Pläne vorgestellt, um Gewalt gegen Frauen in ihren Mitgliedstaaten zu bekämpfen und Betroffene besser zu unterstützen. Unter anderem soll der Vorschlag die Kriminalisierung von Vergewaltigungen in den 27 Mitgliedstaaten vereinheitlichen.
Die vorgeschlagene Richtlinie enthält auch erstmals klare Vorgaben für die Kriminalisierung von Taten, die unter dem Begriff digitale Gewalt zusammengefasst werden. Darunter fallen das nicht-einvernehmliche Verbreiten von intimen Aufnahmen, Cyberstalking und Belästigung im Netz. Zu diesen Formen von Gewalt bestünden derzeit „signifikante rechtliche Lücken“, heißt es im Vorschlag, sowohl in den Mitgliedstaaten wie auf EU-Ebene.
Der Vorschlag ergänze die geplante Gesetzgebung rund um das Digitale-Dienste-Gesetze, schreibt die Kommission. Es gehe um Mindestvorschriften für Straftaten im Zusammenhang mit digitaler Gewalt. Das Digitale-Dienste-Gesetz ist ein umfassendes Reformvorhaben, das bereits deutlich weiter fortgeschritten ist.
Viele der im Vorschlag beschriebenen patriarchalen Gewaltformen richten sich nicht nur gegen Cis-Frauen, sondern auch gegen trans Personen und nicht-binäre Menschen. Darauf geht die EU-Kommission jedoch nicht näher ein.
Ein Jahr Gefängnis für nicht-einvernehmliche Uploads
Die geplante Richtlinie soll unter anderem Mitgliedstaaten dazu verpflichten, sogenannte bildbasierte Gewalt einheitlich unter Strafe zu stellen, umgangssprachlich bekannt als „Racheporno“. Das Verbreiten von intimen Aufnahmen ohne die Zustimmung der Gezeigten soll demnach mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft werden.
Dabei ist unerheblich, ob die Betroffenen den Aufnahmen zu einem Zeitpunkt zugestimmt oder sie gar selbst gemacht und verschickt haben. Entscheidend ist, ob sie gegen ihren Willen verbreitet wurden. Damit wären von der Richtlinie auch solche Fälle abgedeckt, in denen Betroffene selbst Nacktbilder verschickt haben, die anschließend im Internet veröffentlicht werden. Beratungsstellen und Betroffene berichten immer wieder von solchen Fällen.
Abgedeckt ist auch die Verbreitung manipulierter Bilder, die den Anschein erwecken sollen, jemand sei in einer pornografischen Aufnahme zu sehen. Die Richtlinie geht dabei auf sogenannte „Deepfakes“ ein, mit deren Hilfe sich inzwischen täuschend echte Aufnahmen herstellen lassen. Aber auch mit herkömmlichen Bildbearbeitungsprogrammen lässt sich das bewerkstelligen. Um mögliche Opfer besser zu schützen, soll bereits die Androhung all dieser Taten vom Gesetz erfasst sein. Die Drohung mit der Veröffentlichung von intimen Aufnahmen wird häufig zur Erpressung eingesetzt.
Cyberstalking und Belästigung unter Strafe
Ebenfalls ausdrücklich unter Strafe gestellt werden soll das sogenannte Cyberstalking, also die Bedrohung und kontinuierliche Überwachung einer anderen Person mit digitalen Hilfsmitteln. Darunter würden wohl auch Spionage-Apps fallen, sogenannte Stalkerware, mit deren Hilfe Täter:innen ihre Opfer mittels infizierter Geräte umfassend ausspähen können. Täter:innen können aber auch mittels erpresster oder erratener Passwörter Zugang zu Accounts, Nachrichten oder Geräten erlangen. In Deutschland wird das seit vergangenem Jahr bereits im reformierten Nachstellungsparagrafen berücksichtigt.
Die Richtlinie sieht auch Regulierungen zu sogenanntem Cyberharrassment vor. Das lässt sich mit Belästigung, Mobbing oder Hetze übersetzen. Es geht um Angriffe im Internet gegen eine Person, indem „bedrohliches oder beleidigendes Material“ verbreitet wird, das den Betroffenen „bedeutenden psychologischen Schaden“ zufügt. In Zukunft solle das ebenfalls mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft werden können. Auch die Beteiligung an einer solchen Kampagne reiche dazu aus. Solche Angriffe richten sich häufig gegen Prominente, etwa Politiker:innen oder Journalist:innen, können aber auch vollkommen Unbekannte treffen.
Laut dem Kommissionsvorschlag sollen Betroffene von Gewalt in Zukunft das Recht auf eine volle Entschädigung durch Täter:innen bekommen, darunter etwa Gesundheitskosten, entgangenes Einkommen, Kosten eines Umzugs oder psychische und psychologische Schäden durch die Gewalt. Auch die Kosten der Gerichtsverfahren sollen entschädigt werden.
Der Vorschlag will auch so genannte Takedown-Verfahren regulieren, also wann und wie schnell möglicherweise strafbare Inhalte aus dem Internet gelöscht werden müssen, etwa auf Social Media oder Pornoplattformen. So sollen lokale Behörden die Möglichkeit bekommen, auf Wunsch der Betroffenen die Löschung oder Sperrung von Inhalten anzuordnen. Dies soll auch bereits vor Abschluss eines Gerichtsverfahrens möglich sein, allerdings nur wenn „ausreichend Beweise“ vorliegen, dass die Inhalte dem Opfer bedeutsam schaden.
Erster Aufschlag
Der Vorschlag ist zunächst der Aufschlag für einen Gesetzgebungsprozess, der nun mit dem EU-Parlament und dem Rat abgestimmt werden muss. Ab Inkrafttreten der Richtlinie haben Mitgliedstaaten dann zwei Jahre lang Zeit, die Regeln in nationale Gesetze umzusetzen. Die Richtlinie will erstmals Minimalstandards schaffen, die für alle 27 Mitgliedstaaten einheitlich gelten sollen. Bei der Umsetzung, etwa der Festlegung von Strafmaßen, haben die Staaten Gestaltungsspielraum.
Sollte die Richtlinie so in Kraft treten, wie der Vorschlag es vorsieht, würde das auch für Deutschland bedeuten, dass neue Gesetze geschaffen werden müssten. Das nicht-einvernehmliche Verbreiten von Bildern zum Beispiel wird seit vergangenem Jahr als Teil von Nachstellung im Strafgesetzbuch benannt, ist jedoch nicht für sich genommen eine Straftat.
Ich verstehe, dass das Gesetz auf Rachepornos abzielt – aber könnte es auch Auswirkungen auf kommerzielle Pornografie haben die professionell produziert wird? Was, wenn ein(e) Darsteller(in) Jahre nach dem Dreh alles bereut – würde dieses Gesetz es ermöglichen gegen die weitere Veröffentlichung und Verbreitung (strafrechtlich) vorzugehen??
„Das Verbreiten von intimen Aufnahmen ohne die Zustimmung der Gezeigten soll demnach mit mindestens einem Jahr Gefängnis bestraft werden. “
Die Zustimmung sollte sich ja jederzeit widerrufen lassen, oder?