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TrugbildDie neue Einsamkeit

Eigentlich sollten Unterhaltung und Erotik Menschen verbinden. Stattdessen weisen die Venus und die IFA, Leitmessen ihrer Branchen, einen anderen Weg.

Ein Bild auf Basis von "Nighthawks" von Hopper, aber die Menschen an der Bar haben Smartphones in der Hand.
Wie sieht die Zukunft aus? – Public Domain Vincent Först mit ChatGPT

Im Frühherbst fanden in Berlin zwei traditionsreiche Events statt: Die IFA (ehemals Internationale Funkausstellung, heute „Innovation For All“) ist eine Ausstellung für Unterhaltungs- und Gebrauchselektronik. Die Venus ist eine Fachmesse für Lifestyle und Erotik.

Auch wenn sich an wenigen Tagen viele Tausende Menschen gemeinsam durch die langen Messegänge schoben, fand sich der gemeinsame Nenner der IFA und der Venus im Gegenteil ihrer Kernthemen: Arbeit statt Unterhaltung, Einsamkeit statt Erotik.

Isoliert arbeiten

„Content Creation“ und „Künstliche Intelligenz“ gehören zu den altbekannten Buzzwords am Messestand. Auf der IFA stapelt sich neues Kamerazubehör, mit dem sich Creator bestmöglich und ohne fremde Hilfe inszenieren können. Ein erhobener Daumen signalisiert der Kamera, von nun an jeder Bewegung selbstständig zu folgen.

Selfie-Sticks stabilisieren automatisch das Bild der Smartphone-Frontkameras, damit nichts wackelt. Handtellergroße Drohnen fliegen einem nach, um auch keinen Schritt mehr zu verpassen. Die Bilder für die sozialen Medien entstehen zukünftig in Einsamkeit, egal ob zu Hause oder auf dem Wanderweg.

Die „Fitness- und Digital Wealth“-Sektion gibt einen Ausblick darauf, wie sich die Menschen nach getaner Arbeit mithilfe technischer Hilfsmittel zurücklehnen können. Hier gibt es Massagesessel, Gesichts-Massage-Geräte, Massage-Pistolen und Nackenwärmer in allen möglichen Variationen. Entspannung per Knopfdruck und mit Heizfunktion, ohne dass ein anderer Mensch Hand anlegen müsste.

Die Verkäuferin für „smarte“ Ringe legt einem ans Herz, die erste Stunde des Tages in natürlichem Licht zu verbringen. „Für einen Energie-Boost.“ Übrigens würde schon ein kleines Bier den Schlaf stören. Der Ring wisse das. Was gut und was schlecht ist, hat der Ring von Trainingsdaten aus rund einer Milliarde „Schlaf-Events“ von etwa 30 Millionen Ringträgern des Unternehmens gelernt.

Nur Erregung, kein Orgasmus

Der Eros, der antike griechische Gott der Liebe und Sinnlichkeit, gibt der Erotik ihren Namen. Für den französischen Philosophen Georges Bataille ist Erotik ein „Bejahen des Lebens bis in den Tod“. Leider ist selbst vom „petite mort“, dem kleinen Tod, auf der Venus nicht viel zu spüren.

Mit kleinen Schildern über den Stehtoiletten der Messe-WCs wirbt das Unternehmen GoSpring für Potenzprodukte. Über einer Phallus-förmigen Rakete steht „Mission Erektion“ – vom Orgasmus ist vorerst noch keine Rede.

Uns fehlen dieses Jahr noch 303.559 Euro.

Auf den Messen kursieren wilde Geschichten über verborgene Sinnlichkeit und Erotik, die schließlich doch niemand richtig sehen oder fühlen kann: So raunt einem mal so nebenbei ein Dildoverkäufer zu, wie „sehr es in den Separées abgehe“, den von den Messebesuchern abgeschirmten Räumen. Das wolle man gar nicht wissen, so krass sei das.

Auf der IFA spricht ein Bosch-Vertreter eines Kochautomaten à la Thermomix verschwörerisch von der „echten AI Magic“, die sich allerdings für niemanden sichtbar hinter der Haube des Geräts abspielt.

Puppen als Partner

Auf der Venus begrüßt die Besucher am „Real Dolls“-Stand eine Deko-Puppe mit Helm, schusssicherer Weste und Sturmgewehr. Auf die Frage, ob man das ganze Zubehör beim Puppenkauf kostenlos dazubekomme, antwortet der Standhüter schmunzelnd: „Nein, aber vielleicht rennen die Puppen irgendwann durch den Schützengraben und nicht mehr wir Menschen.“

Die Körper der Dolls sind mit einer Heizfunktion ausgestattet. Mit etwas Puder fühlt sich das fast wie ein echter Mensch an. Laut dem Betreiber des integrierten „KI-Systems“ sei sich die Puppe des eigenen Aussehens „bewusst“ und kann deshalb digital erstellte Selfies an ihren (Be-)Nutzer verschicken.

Man solle sich vorstellen, wie toll das wäre, auf der Arbeit ein Foto im Bademantel von seinem „Social Companion“ zugeschickt zu bekommen. In der zugehörigen Nachricht hieße es dann: „Ich freu mich auf dich.“ Selbstverständlich lässt sich die Puppe auch mit dem Smart-Home verbinden – was auch immer das bringen mag.

Veränderter Zugang zur Welt

Nach den großen Individualisierungsmaschinen unserer Zeit – Autos, Fernsehern und Smartphones – sind die sprachfähigen Chatbots wohl der wichtigste Wegweiser auf dem Pfad in eine technologisch bedingte einsame Zukunft.

Wie wir über digitale Schnittstellen mit der Welt in Verbindung treten, verändert schließlich auch den Zugang zu unseren Mitmenschen. Die von der Technologie in Anspruch genommene Zeit fehlt an anderer, analoger Stelle. Für gute Unterhaltung und Erotik, die Verbindung schaffen, braucht es mindestens zwei. Darauf dürfte man sich einigen können.

Noch 303.559 Euro für digitale Freiheitsrechte.

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9 Ergänzungen

  1. In der Tat. Wir schaffen uns Ersatzbefriedigung in einer unbefriedigenden Welt. Überall Probleme, nicht nachvollziehbare Politik, Kriege, Hunger und Not, wir müssen nun Lebensmittelvorräte für wenigstens X-Tage horten. Drohnen, autonome Waffen und Sexpuppen, was für eine Konstellation. Krieg als Computerspiel? Schön wär’s. Und das, wozu wenigstens Zwei gehörten nun nur noch alleine und mit einem Stück Plastik mit Heizfunktion und Vibrationsmotor.

    Tja, soziale Interaktion ist nicht einfach. Da ist es doch viel leichter Stereotypen auszupacken, ihnen gar hinterher zu laufen, ein Schwätzchen mit der KI zu halten, das „Handy“ nicht aus der Hand zu legen und nur zu konsumieren. Erst recht, wenn es einem Ideal nahe kommen soll. Schönheitswahn, vermeintlicher Perfektionismus…

    Ist ja auch gut für die Wirtschaft. Was gut für mich ist weiß der Ring viel besser. Ein Ring, sie zu knechten, sie alle zu finden, ins Dunkle zu treiben und ewig zu binden (J.R.R. Tolkin).

    Aber gut, das willst’e gar nicht wissen. Oder? Nö, wirklich nicht. Aber Du Leser, wie geht es dir eigentlich? Gut? Kann ich was für dich tun? Lust auf ein Schwätzchen, lebendig und echt?

    Oh sorry, das war fehl am Platz. Ich bin wohl in der falschen Realität, irgendwo an einer Dimensionskreuzung zu früh abgebogen. Hier ist schließlich Internetz.

    Man, nun hab ich doch vergessen, mich für diesen nachdenklich machenden Artikel zu bedanken und bin abgeschweift. Doch was erwartest du, wenn du mich nachdenklich machst.

  2. „Für gute Unterhaltung und Erotik, die Verbindung schaffen, braucht es mindestens zwei. Darauf dürfte man sich einigen können.“

    Also ich brauche dafür keine weitere Person, denn als Fiktosexueller Mensch bevorzuge ich fiktive Partner. Umso mehr kann ich nicht verstehen das vieles immer aus der Sicht von Menschen mit einer normalen Sexualität beurteilt wird, die sich in andere nur schwrr hineinversetzen können. Das hat der Gesetzgeber ja bei den Puppen gut gezeigt, obwohl:

    „Forscher und Aktivisten haben darauf hingewiesen, dass die falsche Darstellung des Verlangens nach fiktiven minderjährigen Figuren als Verlangen nach einem menschlichen Kind ein Beispiel für ein auf die zwischenmenschliche Sexualität bezogenes Vorurteil ist“

    https://de.wikipedia.org/wiki/Fiktosexualit%C3%A4t

    1. Die allermeisten Menschen sind halt nicht fiktosexuell, und haben ein Bedürfnis nach menschlicher Nähe (emotional wie körperlich). Sexualität und Romantik sind ja auch nur Teile der menschlichen Nähe und Wärme, die ja wesentlich mehr umfasst (Kuscheln, Familie, Freundschaft). Und wenn sie diese nicht haben (evt. auch mangels Engagement), sondern durch Fiktion/Produkte ersetzen und dadurch vereinsamen, ist das natürlich nicht schön. Und dem Kapitalismus kommt das natürlich sehr gelegen, da viele unglücke Menschen, die nach Erfüllung streben, sich das von Karriere und Konsum erhoffen (Was ja auch von der Werbung versprochen wird, aber natürlich eher schlecht funktioniert)

  3. Trackbacken scheint mich recht zu funktionieren, daher auf diesem Wege: ich bin der festen Überzeugung, der Vergleich der beiden Messen hinkt erheblich, weil eine IFA kommende Normalitäten erzeugt und so destruktiven gesellschaftlichen Impact hat, während eine Pornmesse gesellschaftliche Fantasien abbildet und anregt und daher soviel vereinzelnde Techspielerei inszenieren kann, wie sie will, aber zwangsläufig immer eine Aufforderung zur (besseren) Kommunikation bleiben muss. Ausformulierter unter https://www.korrupt.biz/11250/die-erotikmesse-als-gesellschaftsdiagnose/

    1. Vielen lieben Dank für den Antwort-Text! Zu den Kernthesen möchte ich kurz ergänzen:

      a) Bei der Venus geht es um Fantasien

      Die in der Kolumne beschriebene Puppe halte ich nicht für fantasie­steigernd, weil sie die Wünsche ihres Anwenders „auf Knopfdruck“ erfüllt – und er sich letztlich nur selbst in ihr widerspiegelt. Einen Aspekt dieses Themas beschreibe ich ausführlicher in einem Artikel für den Fluter:
      https://www.fluter.de/ai-girlfriends-chatbots-beziehungen-maenner

      b) Pornografie hilft, die eigenen Wünsche/Fantasien zu entdecken und zu kommunizieren. Pornografie bereichert damit das Leben der Menschen.

      Das mag für manche Menschen und Formate zutreffen. Ich bin allerdings der Meinung, dass ein Großteil der mit wenigen Klicks verfügbaren Pornografie nicht auf Qualität, sondern auf extrem einseitige Quantität ausgelegt ist. Inwiefern diese „billigen“ (Online-)Bilder unser Erleben prägen, versuche ich hier zu beschreiben: https://netzpolitik.org/2025/trugbild-die-vermuellung-der-welt/

      1. Moin, Vincent,
        ich kann beiden Punkten nicht beistimmen, und vorweg: mir gehts nicht ums Rechthaben, nur um die Gefahr, wegen herbeihalluzinierten Risiken reale Entwicklungen zu übersehen.
        a) Sexdolls, dein Text dazu. Gut beobachtet, aber beobachtet wurden wohlweislich „nur“ Text-Chatbots. Ne okaye Realdoll geht bei EUR 3K los. Das kauft sich kein forever alone guy, das kaufen sich (wenige!) Menschen, die einen an der Klatsche haben. Realdolls sind *sehr* exotische Nische. Sie normalisieren nichts und haben exakt null Einfluss auf das allgemeine Sexleben der Wohnbevölkerung. Über erotischen Austausch mit Chatbots ließe sich besser streiten, ich ahne selbst dort erstaunliche Horizonterweiterungen (und dieselbe Menge an zurecht untervögelten Arschlöchern wie überall anders auch), allein, um die gings nicht.
        b) die „billigen“ Onlinebilder. So leid mirs tut, auch da sehe ich einen Text, der an einem schönen Bild zu lang entlanggeht. So lang, bis er Trolling mit der Reproduktion subjektiver Sexvorlieben gleichsetzt. Das Bild ist leider schief, und es mag MILFs auf Pr0nplattformen und Motherfuckers im Rap geben noch und nöcher, mit intergenerationalem Vögelverhalten hat das null Überschneidung. Ich zweifle auch an der Sinnhaftigkeit der Zuschreibung von „Qualität“ und „Quantität“. Nimms mir nicht übel, ich lese da das bekannte „ich kann das ja einschätzen, aber alle anderen!“ und da kam ich vor bald zehn Jahren zum Schluss, das ist allenfalls moral panic, Pädagogen gelassen: https://www.korrupt.biz/6068/fachtagung-jugend-und-pornografie-in-tuebingen-paedagogen-raten-zur-gelassenheit/ – seitdem verfolg ich das Thema interessiert und vermag keine Veränderung zu erkennen.
        Nochmal: ich bin sehr sicher, du machst dir über die falschen Probleme Sorgen, und das ist schade, denn die andere Hälfte des Artikels scheint mir nicht verkehrt diagnostiziert.

  4. „Über einer Phallus-förmigen Rakete steht „Mission Erektion“ – vom Orgasmus ist vorerst noch keine Rede.“

    Ich verstehe nicht, was der Autor mit dem Absatz und der Zwischenüberschrift sagen möchte. Würde er sich wünschen, dass es direkt um den Orgasmus in der Werbung geht?

    1. Ich glaube, hier das Sinnbild eines Unternehmens entdeckt zu haben, das Profit aus der Bekämpfung von Symptomen schlägt, ohne an den Ursachen des Problems interessiert zu sein – womöglich sogar das Problem (und das Leid) noch verstärkt. Der profitabelste Konsument ist einer, der weder Anfang noch Ende kennt, der in „Dauer-Erregung“ verbleibt. Eine vergleichbare Metapher bietet Instagram, das als Plattform vor allem daran interessiert ist, den Nutzer in einer Endlosschleife zu halten.

      1. Danke für die Erläuterung. Das ergibt Sinn im Gesamtkontext des Artikels. Aber auch ein schönes Beispiel von „wie man macht, man macht es Falsch“. Früher ging es nur um den Orgasmus und das war ja auch nicht Richtig.

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