„Ich werde mich freier und weniger ängstlich fühlen“, so war Aarons Hoffnung, wie er gegenüber netzpolitik.org sagte. Er hat während der Covid-Pandemie ein Coding-Bootcamp bei dem Anbieter Ironhack absolviert. Für den Kurs soll er eine Rechnung in Höhe von 7.500 Euro begleichen. Geld, das er bis heute abstottert. Und seine Hoffnung auf eine Anstellung im IT-Sektor hat sich ebenfalls nicht erfüllt.
Aaron ist arbeitslos, wie rund 2,8 Millionen Menschen in Deutschland. Sogenannte Coding-Bootcamps sollen dabei helfen, diese Zahl zu verringern. Doch unsere Recherchen zeigen, dass dies bei weitem nicht so gut funktioniert, wie von den Anbietern angepriesen. Der Fachkräftemangel lässt sich damit wohl nicht beheben.
„Deine Karriere beschleunigen“
Anbieter von Coding-Bootcamps bieten Kurse an, die Arbeitssuchende weiterbilden sollen. Die Kursthemen reichen von der Web- und App-Entwicklung über Big Data bis zur Künstlichen Intelligenz. Ironhack, das seit 2013 auf dem Markt ist, will mit seinem Angebot so „deine Karriere beschleunigen“, damit der „Aufbruch in die Technologiebranche“ gelingt.
Für den beruflichen Boost sollen die Kursteilnehmer:innen innerhalb kurzer Zeit möglichst viel hinzulernen. Die meist englischsprachigen Kurse dauern in der Regel mehrere Wochen bis Monate und werden oft europaweit an verschiedenen Standorten angeboten. Die Trainingstage vor Ort sind meist eng getaktet, zwischendurch gibt es auch mal gemeinsame Yogakurse.
Ihren Ursprung haben die Bootcamps beim Militär, im Strafvollzug und in der Jugendpädagogik. Mit hartem Ton und strengen Grundregeln sollen sie Soldat:innen und aufmüpfige Jugendliche disziplinieren. Auf ähnliche Weise sollen die harten IT-Ausbildungslager den Teilnehmer:innen den Weg aus ihrer Arbeitslosigkeit weisen.
Auch Aaron, der eigentlich anders heißt, wollte mit der Hilfe eines Coding-Bootcamps in der IT-Branche Fuß fassen. Und Aaron ist nicht allein. Immer mehr Menschen scheinen Kurse bei Anbietern von solchen Trainingslagern zu buchen. Entsprechende Institute gibt es seit über 20 Jahren. Neue Anbieter kommen stetig hinzu.
Kleingedruckte Hinweise auf Bildungsgutscheinen
Besonders attraktiv sind die Bootcamps für Menschen, die Transferleistungen durch die Bundesagentur für Arbeit (BA) oder das Jobcenter erhalten. Über Bildungsgutscheine können sie die Angebote sogar kostenfrei wahrnehmen. Allerdings weist etwa Ironhack nur am Rande auf diese Möglichkeit hin: „Arbeitslos in Deutschland? Hol dir dein kostenloses Bootcamp“, heißt es kleingedruckt auf der Unternehmenswebsite.
Auf einer Übersichtsseite erklärt Ironhack, dass die Beantragung dieser Leistung einfach sei. Für die Bearbeitung müssten Interessierte nur Zeit fürs Amt mitbringen. Der Anbieter selbst drückt die Motivation des Amts so aus: „Kein Haken, denn sie wollen die Arbeitslosenquote in Deutschland senken.“
Knapp 300.000 Menschen haben im vergangenen Jahr bundesweit einen Bildungsgutschein eingelöst, schreibt uns die Bundesagentur auf Anfrage. Wir haben die Agentur auch gefragt, ob sie der Äußerung von Ironhack zustimmen, was sie verneint: „Die Förderung der beruflichen Weiterbildung der BA zielt auf den Erhalt der individuellen Beschäftigungsfähigkeit des Einzelnen ab, um eine dauerhafte berufliche Eingliederung am Arbeitsmarkt zu ermöglichen“, so eine Sprecherin gegenüber netzpolitik.org.
Doch Menschen wie Aaron, der nicht aus Deutschland kommt, finden entweder nicht den Weg durch den hiesigen Verwaltungsdschungel. Oder sie gehen freiwillig dieses finanzielle Risiko ein. Ironhack selbst sagte uns, dass „ein bedeutender Anteil unserer Teilnehmer […] Bildungsgutscheine zur Finanzierung ihrer Ausbildung nutzt. Der genaue Prozentsatz kann variieren.“ Genaue Daten könnten sie aufgrund ihrer Sensibilität nicht herausgeben, so ein Sprecher.
„Alles war ziemlich chaotisch“
Aaron hatte einen Datenanalyse-Kurs bei Ironhack belegt. Die didaktische Aufbereitung enttäuschte ihn. „Die Themen wurden auf trockene Art und Weise präsentiert, es fehlten Beispiele oder visuelle Erklärungen“, sagte Aaron gegenüber netzpolitik.org. „Eigentlich war alles ziemlich chaotisch und ich wollte die Folien nie wieder öffnen.“
Ironhack widerspricht auf Anfrage von netzpolitik.org. Das Unternehmen rekrutiere sein Lehrpersonal aus einem Pool von Expert:innen, „die nicht nur über tiefgehende Fachkenntnisse in ihrem jeweiligen Bereich verfügen, sondern auch praktische Erfahrung in der Branche haben“. Dies scheint sich in der Praxis nicht zu bestätigen. Teilnehmer:innen berichten beispielsweise von Digitalagentur-Mitarbeitern, die gebucht werden und diese Schulungen noch nebenbei erledigen sollen.
Offenbar ist Ironhack kein Einzelfall. Die Folien eines anderen Anbieters, die netzpolitik.org vorliegen, erklären zwar die Fachbegriffe korrekt. Allerdings werden hier Code-Beispiele aus Word-Dateien herauskopiert. Das ist keine moderne Entwicklungsumgebung. Der lieblose Ansatz zieht sich durch mehrere Unterlagen aus der Weiterbildung, auch wenn es immer wieder wechselnde Lehrkräfte gibt.
„In der Realität war vieles anders“
Sophie, die gleichfalls anders heißt, hat ähnliche Erfahrungen mit Coding Bootcamps gemacht wie Aaron. Sie hat mehrere Kurse des Anbieters neue fische absolviert. Den Anbieter habe sie bewusst gewählt, sagte Sophie gegenüber netzpolitik.org, da dessen Angebot sich eher an Frauen richtet.
Die Kurse hat sich Sophie durch die Bundesagentur für Arbeit finanzieren lassen. Sie hat sich proaktiv ausgesucht, solche Kurse zu belegen. Dennoch hatte sie es schwer, einen Bildungsgutschein für den ersten Kurs zu bekommen. Beim zweiten Kurs sei es leichter gewesen. Sophie gefiel das spielerische Lernen: „Der Vortest bei neue fische hat schon Spaß gemacht.“
Allerdings habe sie den zweiten Kurs nur deshalb belegt, weil sie neue fische schon kannte. Hier war im Vergleich zum versprochenen Angebot dann „in der Realität vieles anders“. Die Qualität sei schwächer gewesen, sagte Sophie gegenüber netzpolitik.org. „Hätte ich die Kurse selbst bezahlen müssen, wäre mir das zu viel Geld gewesen.“
Kosten in Höhe von 7.500 Euro
Aaron hatte seinen dreimonatigen Kurs während der Corona-Pandemie belegt. Er wollte neue Kontakte knüpfen und vor allem den Umgang mit Daten lernen. Die Kosten in Höhe von rund 7.500 Euro hat die Chancen eG übernommen. Am Ende wird Aaron wohl 15.000 Euro zurückzahlen.
Ironhack hatte ihm nahegelegt, sich das Geld von diesem genossenschaftlichen Unternehmen zu leihen, so Aaron. „Mit dem Umgekehrten Generationenvertrag zahlst du einen Anteil deines Einkommens zurück – fair, sicher und flexibel“, wirbt die Chancen eG für ihr Angebot. Der Umgekehrte Generationenvertrag sieht vor, dass die Genossenschaft die Bildungskosten von Aaron übernimmt. Im Gegenzug verpflichtet sich Aaron, einen prozentualen Anteil seines Einkommens zurückzuzahlen, wenn er berufstätig ist und mehr als ein Mindesteinkommen bezieht. Auf diese Weise ermöglicht er es dann weiteren Studierenden, sich fortzubilden.
Wer die Website der Chancen eG besucht, kann dort aktuell lesen: „Derzeit keine Finanzierung möglich“. Der Hinweis bestätigt, dass es der Genossenschaft derzeit ökonomisch nicht gut geht. netzpolitik.org hat bei der Genossenschaft nachgefragt, welche Folgen die angekündigte Umstrukturierung für bestehende Rückzahlende hat. Bislang hat die Chancen eG auf unsere Anfrage nicht reagiert.
„In einem Job unterzukommen ist ein Netzwerkding“
Aaron konnte nach dem Bootcamp erst einmal keine Stelle im Datenbereich finden. „Dennoch gab mir das Bootcamp ein neues Selbstwertgefühl und einen neuen Zeithorizont für die Stellensuche und Vorstellungsgespräche“, sagt er heute.
Inzwischen arbeitet Aaron als Consultant und verfügt damit wieder über ein regelmäßiges Einkommen. In etwa fünf Jahren, schätzt er, wird er seinen Kredit und damit zugleich doppelt so viel Geld zurückgezahlt haben, wie er sich einst von der Chancen eG für den Kurs geliehen hatte.
Aaron möchte gleichfalls wie Sophie und weitere Betroffene, mit denen wir gesprochen haben, seinen Namen und die Eckdaten zu den absolvierten Kursen nicht öffentlich machen. Beide möchten ihre Karrieren nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. „In einem Job unterzukommen ist ein Netzwerkding“, sagte Sophie. „Ich will es mir da mit niemandem verscherzen.“
FYI
>> Information we (IronHack) collect about you: These are the categories of data we may process:
Contact Details: examples include name, email address, telephone number, address.
Financial Data: examples include billing address, credit card number, bank account details.
Household and Relationships: examples include emergency contact, marital status, next of kin.
Identifiers and Legal Documents: examples include passport, national insurance number, proof of residence, national identification number.
Activity and Behavioural: examples include friend list, interests, tagged media.
Personal Characteristics: examples include sex, nationality, gender, date of birth, cv information, academic qualifications.
Location Data: examples include gps location, tracking data.
Communications Data: examples include instant messaging data, social media posts, postal content.
Images and Recordings: examples include cctv footage, photos, videos.
Views and Opinions: examples include survey responses, testimonials, non-political, religious or philosophic opinions.
Work-related Data: examples include details of grievance, completed tasks, disciplinary proceedings.
Technical Identifiers: examples include ip address, mac address, username, passwords.
Special Category Data, examples include:personal data revealing racial or ethnic origin
Bei mir in der Gegend sehe ich viel Werbung für ein Code-Bootcamp namens „42 Luxembourg“, das behauptet, komplett kostenlos zu sein. Deren Webseite macht überhaupt nicht klar, was das Businessmodell ist und woher sie sich finanzieren, wenn nicht durch Teilnahmegebühren. Finde ich sehr fishy. Vielleicht Stoff für investigativen Journalismus als follow-up zu diesem Artikel?
Die legal notice lesen hilft.
„The website http://www.42luxembourg.lu is the website of “42 Luxembourg”, i.e. a public learning space run by the Digital Learning Hub under the aegis of the Ministry of Education, Children and Youth of the Grand Duchy of Luxembourg, which is dedicated to the field of computer science.“
In Heilbronn gibt es auch das 42 Heilbronn. Ich habe mir das auch angeschaut, weil ich mich frage wie das kostenlos gehen soll. Es ist aber wohl tatsächlich so. Die Schulen kostenlos Leute um sie dann den Industrieunternehmen zuzuführen. In Heilbronn ist das insbesondere Schearzkopf, den sowieso gefühlt die halbe Stadt gehört, Audi, SAP, Porsche usw. ubd die finanzieren die Schule. Eine Möglichkeit sich Fachkräfte ranzuziehen.
Man muss auch 4 Wochen eine Phishing, eine Art Aufnahmeprüfung machen, damit man wohl beweist das man das ernst meint und sich durchbeisen kann. das ganze geht so lange bis man sich sicher fühlt ein Praktikum oder job Anzufangen. Das kann dann schon 2 Jahre gehen. Und in der Zeit musst du dein Leben selbst Finanziere und gleichzeitig viel Zeit ins Lernen investiere. Ich glaube da ist es schwieriger als im Studium noch ein nebenjob zu machen. Aber so richtig habe ich keine Vorstellung wie gut das funktioniert. ich find das Konzept interesant, weiß ber nicht was ich davon halten soll. Ein Folow Up zu dem Thema fände ich auch sehr interesant.
Ich finde es sehr schade, alle Bootcamps über einen Kamm zu scheren.Sie unterscheiden sich in Länge und Inhalt des Curriculums, Instruktoren, Unterstützung im Netzwerk, Bewerbungstraining etc. Leider gibt es in diesem Bereich auch schwarze Schafe! Ein umfangreicher Eingangstedt, würde verhindern, dass Teilnehmende, die nicht geeignet sind, das Boot Camp absolvieren. Damit steigen auch die Chancen auf einen Arbeitsplatz hinterher. Wer denkt er kann sein Leben komplett durch ein Bootcamp ändern, drei Monate im Vergleich zu langen Jahren Schul- und Ausbildung irrst sich.
Die Voraussetzungen müssen stimmen, die Einstellung muss passen, und der Wille sich zu verändern auch. Natürlich ist es nach einem Bootcamp schwerer, ein Job zu finden, wie zum Beispiel nach einem Studium – aber wer ein praxisbezogenes Bootcamp absolviert, im Anschluss eventuell noch ein Praktikum macht und darüber dann in den Job einsteigen, hat gute Chancen dort auch zu bleiben. Diejenigen, welche Erfahrungen haben im Juniorbereich in einem bestimmten Arbeitsfeld oder in Bereichen wie zum Beispiel im Marketing, im HR, oder auch tatsächlich im Software development, können mit einem Boot Camp in drei Monaten ihr Wissen um einiges vervielfachen und auffrischen. Ich denke also, es ist immer Fall bezogen und eine generelle Verurteilung durch die Autorin finde ich nicht richtig! Es gibt auch sehr viele positive Fälle, die hier aber gar nicht zu Wort kommen, Vielleicht solltet ihr auch einmal die positiven Aspekte des schnellen Lernens in Betracht ziehen, die den Teilnehmenden ermöglichen, sich up zu skillen und damit sofort in einen neuen Job einzusteigen. Wie zum Beispiel mit Generativer KI, Data Science oder anderem. Und ja, die Kosten sind hoch, aber wenn die Autorin die Kosten auf die unterrichteten Stunden umrechnen würde, käme sie zu einem anderen Schluss.
Stelle mich gerne jeder Debatte!