"Digitaler Angriff auf die Demokratie"Untersuchungsausschuss soll Moratorium für Staatstrojaner fordern

Die Demokratie ist durch unkontrollierte Spionagetechnologie gefährdet. Gestern präsentierte Sophie in ’t Veld dem Pega-Ausschuss vorläufige Empfehlungen, in denen sie für eine strikte Regulierung von Staatstrojanern plädiert. Es zeichneten sich schwierige Verhandlungen ab.

Links ein Screenshot der vorläufigen Empfehlungen, rechts ein Bild von Sophie in ’t Veld.
Die EU muss sofort handeln, so in ’t Veld. – Alle Rechte vorbehalten in ’t Veld: Imago / Zumawire; Empfehlungen: Europäisches Parlament; Montage: netzpolitik.org

Wird das menschliche Leben in Zukunft demokratisch und frei sein oder durch „digitale Prozesse kontrolliert“? Darum gehe es letztlich bei Regulierung von Staatstrojanern: um die Demokratie in Europa. So steht es in den vorläufigen Empfehlungen des Pegasus-Untersuchungsausschusses im Europäischen Parlament (EP).

Gestern präsentierte die liberale Abgeordnete Sophie in ’t Veld ihren Kolleg:innen den aktuellen Entwurf. Die Empfehlungen sind der zentrale Output der Arbeit im Ausschuss und sollen der Kommission und dem Ministerrat später als Grundlage für einen Gesetzgebungsprozess dienen.

Staatstrojaner seien ein „digitaler Angriff auf die Demokratie von innen“, sagte Sophie in ’t Veld gestern im Ausschuss. Durch ihren unregulierten Handel und Einsatz seien Grundrechte innerhalb, aber auch außerhalb der Union gefährdet. Ungeachtet dieser akuten Bedrohung wären die Kommission und die Mitgliedstaaten der EU bisher weitestgehend untätig. So würden Sie größtenteils weder mit dem Ausschuss kooperieren, noch eigene Initiative ergreifen bei der Aufklärung. Dieses Verhalten sei „inakzeptabel und unverzeihlich“. Es benötige dringend eine europaweite, umfassende und strikte Regulierung für den Handel und Einsatz von Staatstrojanern und ähnlichen Überwachungswerkzeugen. Bis dies gegeben sei, sei ein Moratorium notwendig.

Bisher stellen die Empfehlungen allerdings nicht die Sicht des gesamten Untersuchungsausschusses dar. Bereits im November hatte in ’t Veld in ihrer Funktion als Berichterstatterin einen vorläufigen Bericht für das Parlament über die Erkenntnisse und Arbeit im Ausschuss vorgestellt. Die Empfehlungen an die Kommission und den Rat basieren auf den Erkenntnissen aus dem Bericht.

Beide Dokumente müssen nun noch durch Verhandlungen im Ausschuss und in einer gemeinsamen Resolution verabschiedet werden. Bis morgen können die Fraktionen im Ausschuss noch Änderungsanträge für den Bericht einreichen, bis zum 10. Februar für die Empfehlungen. Eine endgültige Version beider Dokumente wird frühestens ab April erwartet. Im Ausschuss reicht eine einfache Mehrheit, um eine Resolution zu verabschieden. Die im Ausschuss beschlossenen Empfehlungen werden dann zum Mandatsende des Ausschusses dem Plenum im Europäischen Parlament vorgelegt.

Polen, Ungarn und Griechenland: EU-Recht eindeutig gebrochen

Die Aufgabe des Pega-Ausschusses ist es, „angebliche Verstöße oder Missstände bei der Anwendung des EU-Rechts im Zusammenhang mit der Verwendung von Pegasus und gleichwertiger Spionagesoftware“ zu untersuchen. In der aktuellen Version der Empfehlungen stellt Sophie in ’t Veld für Polen, Ungarn und Griechenland eindeutige „Verstöße und Missstände bei der Umsetzung des Unionsrechts“ fest.

Es sei klar, so in ’t Veld gestern im Ausschuss, dass die Regierungen dieser Staaten Überwachungstechnologien wie Pegasus rechtswidrig und zum eigenen politischen Vorteil eingesetzt hätten. Die Empfehlungen listen daher Anforderungen an die drei Mitgliedstaaten auf, EU-Recht umzusetzen, institutionelle und rechtliche Schutzmaßnahmen wieder einzuführen und unabhängige Ermittlungen zu ermöglichen. Besonders hervorgehoben werden gerichtliche Kontrollen, bevor Regierungen Staatstrojaner einsetzen (ex ante), und nachdem diese Tools eingesetzt wurden (ex post). Europol solle zudem mit unabhängigen Ermittlungen in den drei Staaten beginnen.

In Spanien sei der rechtliche Rahmen wohl im Einklang mit dem EU-Recht – es stelle sich aber die Frage nach der Umsetzung. In Spanien wurden dutzende Politiker:innen, Anwälte, Aktivist:innen und Journalist:innen angegriffen. Die Empfehlungen fordern die spanische Regierung auf, in all diesen Fällen Klarheit zu schaffen. Bisher blockiert die spanische Regierung die Arbeit des Ausschusses und verhindert eine juristische Aufarbeitung der Fälle.

Die Abgeordnete der Linken Cornelia Ernst kündigte an, dass ihre Fraktion einige Ergänzungen zu Spanien hinzufügen werde. Ernst war im November auf eigene Faust nach Spanien gereist, weil sich der Ausschuss nicht auf eine Mission nach Spanien einigen konnte. Der Vorsitzende Jeroen Lenaers von der EVP sagte gestern dazu, dass eine offizielle Pega-Mission nach Spanien noch immer möglich sei – schließlich wurde das Mandat des Ausschusses bis Juni verlängert.

Im Fall Zypern sei ein Verstoß gegen EU-Recht sehr wahrscheinlich. Notwendig sei eine unabhängige Untersuchung aller dokumentierten Fälle von staatlichem Hacken. Besonders sollten alle vergebenen Export-Lizenzen überprüft werden. Zypern war in der Vergangenheit immer wieder als Ausfuhrort von Überwachungstechnologie aufgefallen.

Staatstrojaner-Regulierung: So umfassend wie möglich

Das Problem begrenze sich aber nicht auf einzelne Mitgliedstaaten. Es handle sich bei Tools wie Pegasus um eine mächtige, aber dennoch fast vollkommen unregulierte Technologie. So sei „die Situation in anderen Mitgliedstaaten ebenfalls Anlass zur Sorge …, insbesondere angesichts der Existenz einer lukrativen und expandierenden Spyware-Industrie, die vom guten Ruf, dem Binnenmarkt und der Freizügigkeit in der Union profitiert“. Eine europaweite Regulierung sei daher unumgänglich.

Vorrangig sei ein strikter rechtlicher Rahmen, so in ’t Veld. Weil ein gesetzlicher europaweiter Standard erfahrungsgemäß eine gewisse Zeit benötigt, sei bis dahin ein konditionales Moratorium für den Handel und den Einsatz von Werkzeugen wie Pegasus notwendig. Dieses könnte dann für einzelne Staaten gelockert werden, wenn sie strenge Auflagen erfüllen. Grüne und Linke signalisierten gestern in Person von Hannah Neumann und Cornelia Ernst ihre Unterstützung für ein Moratorium. Beide forderten darüber hinaus, dass besonders invasive Überwachungswerkzeuge wie Pegasus verboten werden sollten. Ernst kritisierte zudem das eher dürftige Kapitel über die Situation in Deutschland und kündigte hier weitere Ergänzungen an.

Ein anderer Schwerpunkt ist die Forderung nach einer restriktiven und europaweiten Definition nationaler Sicherheit. Auch bisherige Studien, die der Ausschuss in Auftrag gegeben hatte, kritisierten immer wieder, dass das Argument nationaler Sicherheit als Blankoscheck für den Einsatz extrem invasiver Überwachungstechnologien angeführt werde. Es benötige hier nun endlich eine klare und begrenzte Definition des Begriffs, um diese missbräuchlichen Einsätze zu verhindern. Zustimmung kam hierzu gestern besonders von den Grünen.

Weitere Empfehlungen sind die Überprüfung von Exporten und Entwicklungshilfe der EU, den Handel mit Sicherheitslücken zu unterbinden, sowie bestehendes Datenschutzrecht in der EU auch umzusetzen.

Mehr Kompetenzen für das Parlament

In ihren Empfehlungen fordert Sophie in ’t Veld auch mehr Kompetenzen für das Europäische Parlament. Bisher können dort Untersuchungsausschüsse Zeugen und Dokumente anfordern – ob diese dann aber auch erscheinen, entscheiden letztlich die Mitgliedstaaten und EU-Institutionen.

Dass die Mitgliedstaaten diese Möglichkeit zum Fernbleiben gerne wahrnehmen, zeigte sich gestern erneut. So sagte der Vorsitzende Jeroen Lenaers zu Beginn der Sitzung, dass eine geplante Anhörung zu Geheimdiensten abgesagt werden musste, weil keiner der eingeladenen Mitgliedstaaten kommen wolle. Dies sei ein „systematisches Vorgehen“ der Mitgliedstaaten.

Offener Schlagabtausch im Ausschuss

Schon gestern deuteten sich erhitzte Verhandlungen über die finale Resolution des Ausschusses an. Nach in ’t Veld’s Eingangserklärung meldete sich als erstes der spanische Abgeordnete Juan Ignacio Zoido von der EVP-Fraktion zu Wort. Man begrüße grundsätzlich die Empfehlungen – es gebe aber noch eine Menge Probleme und „gewisse falsche Anschuldigungen“. Technologie vom Typ Pegasus sei keinesfalls eine Gefahr für die Demokratie, sondern ein Garant für Sicherheit, Ordnung und Demokratie. Man dürfe auf keinen Fall das „Potenzial neuer Technologien“ beschneiden.

Elissavet Vozemberg-Vriondi, ebenfalls von der EVP, sagte, die Empfehlungen würden ihr Land Griechenland in einem schlechten Licht dastehen lassen, obwohl es keine Beweise für den unrechtmäßigen Einsatz von Überwachungstechnologie gebe. Griechenland sei „eine der besten Demokratien in der EU“. Dass die EVP sich bei dieser Ansicht nicht ganz einig sein dürfte, zeigte die Wortmeldung von Ludmilja Novak. Die slowenische Politikerin der EVP sprach sich für eine gründliche Untersuchung aller dokumentierten Fälle von staatlichem Hacken aus und unterstrich ihre Hoffnung, dass der Ausschuss die Empfehlungen verabschiedet.

Sophie in ’t Velds Reaktion auf die Aussage von Vozemberg-Vriondi fiel emotional aus. Sie erklärte, sie sei nicht im Europäischen Parlament, um ihre nationale Regierung anzugreifen oder zu verteidigen. Es gehe um alle europäischen Bürger:innen und die europäische Demokratie. Ihre Abschlusserklärung wurde dabei mehrfach von Zwischenrufen der Fraktion der europäischen Konservativen und Reformisten unterbrochen. Die Vertreter:innen dieser Fraktion waren die erste Stunde der Sitzung gar nicht anwesend gewesen.

Es ist nicht das erste Mal, dass in ’t Veld sich im Rahmen eines Ausschusses mit Überwachungstechnologien beschäftigt. 2014 untersuchte der Ausschuss für bürgerliche Freiheiten, Justiz und Inneres im Europäischen Parlament (LIBE), dem in ’t Veld seit 2009 angehört, die NSA-Affäre. Gestern sagte sie, schaue man sich heute die Resolution von damals an, sehe man, dass kaum eine der Empfehlungen umgesetzt wurde. Es liege nun am Ausschuss und am Europäischen Parlament sicherzustellen, dass die Kommission dieses Mal die Empfehlungen umsetzt.

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