Ende März rief der Europäische Rat die Mitgliedstaaten auf, die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine besser zu koordinieren. Neben diesem Zehn-Punkte-Plan und einer ersten finanziellen Soforthilfe von 668 Millionen Euro wird die Regierung in Kiew durch einzelne Mitgliedstaaten im Sicherheitsbereich mit Militärhilfe gegen den russischen Einmarsch in der Ukraine unterstützt. Die EU stellt dafür 2,5 Milliarden Euro bereit. Am 25. Juli 2022 hat die Europäische Investitionsbank ein zusätzliches Hilfspaket über 1,6 Milliarden Euro für den Wiederaufbau beschlossen.
Weniger bekannt ist die Unterstützung durch EU-Agenturen aus dem Bereich Justiz und Inneres (Justice and Home Affairs – JHA), die teilweise ebenfalls umfangreiche Maßnahmen in der Ukraine und den angrenzenden Ländern durchführen. Als „Netz der JHA-Agenturen“ haben diese bereits zwei Wochen nach Kriegsbeginn eine gemeinsame Erklärung mit einer „Verpflichtung zur Hilfeleistung“ veröffentlicht. Einige von ihnen beteiligen sich an der „Arbeitsgruppe für integrierte politische Krisenreaktion“, mit der die EU auf Sicherheitsvorfälle reagieren will. Eine jüngst veröffentlichte Übersicht beschreibt die verschiedenen Aktivitäten.
Frühwarnmeldungen und Verbindungspersonen
So hat beispielsweise Europol sämtliche Unterstützungskapazitäten über seine fünf „operativen Zentren“ aktiviert. Sie befinden sich am Sitz der Polizeiagentur in Den Haag und decken von der schweren Organisierten Kriminalität, Cyberkriminalität, Terrorismus bis zur Finanz- und Wirtschaftskriminalität verschiedene Spektren ab. Auch das „Einsatz- und Analysezentrum“ leistet entsprechende Beiträge.
In den Zentren erstellt Europol Analysen und Frühwarnmeldungen zu den Bereichen Terrorismus, Menschenhandel oder Handel mit Schusswaffen und Sprengstoffen. Medienberichten zufolge verfügt die Agentur seit dem Frühjahr über Hinweise auf organisierten Waffenschmuggel aus der Ukraine.
Für die Koordination mit den Europol-Zentren hat die Ukraine eine Verbindungsperson zu Europol entsandt. Der Posten soll die Zusammenarbeit mit den ukrainischen Strafverfolgungsbehörden vereinfachen. Dort unterhält Europol nach einem 2016 geschlossenen Abkommen selbst ein Verbindungsbüro; ob dieses allerdings derzeit mit Personal besetzt ist, lässt der Bericht der Agenturen offen.
Online-Überwachung und Suche nach „Extremisten“
Eine „operative Überwachung“ erfolgt außerdem online. Europol soll etwa „bestimmte Telegram-Kanäle, die für pro-russische Desinformation und Fake News genutzt werden“, abschalten. Zuständig ist dafür die „Meldestelle für Internetinhalte“, die nach eigenen Angaben auch nach „gewaltbereiten Extremisten“ sucht, die in die Ukraine reisen.
Die Einheit soll die Kommunikation, Finanzierung und Rekrutierung der Freiwilligen aufdecken. Ob sich dies auch auf Kämpfer:innen aufseiten der Ukraine erstreckt, geht aus dem Bericht nicht hervor. Ersuchen für entsprechende Ermittlungen stammen aus der Ukraine und Moldawien, schreibt Europol.
Mit der Aktivierung des „Notfallprotokolls für die Strafverfolgungsbehörden“ will Europol die Ukraine und ihre Nachbarn zudem bei größeren grenzüberschreitenden Cyberangriffen unterstützen. Entsprechende Reaktionen haben EU-Mitgliedstaaten bereits in Cyberübungen geprobt, dabei stand immer wieder Russland im Fokus.
Ermittlungen zu Kriegsverbrechen und Sanktionen
Zusammen mit Eurojust, der Agentur für die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen, koordiniert Europol grenzüberschreitende Ermittlungen zu Kriegsverbrechen in der Ukraine. Die Agenturen sollen europäische und internationale Gerichte bei der Beweissicherung unterstützen und haben hierzu das Analyseprojekt „Zentrale internationale Verbrechen“ eingerichtet. Daran können sich interessierte Mitgliedstaaten beteiligen und ihre Informationen in einer Datenbank teilen. Zu den Aufgaben von Europol gehört dabei die „Online-Überwachung“ auf der Suche nach Material, das möglicherweise mit Kriegsverbrechen in Verbindung steht.
Europol überprüft in der Operation OSCAR außerdem die EU-Sanktionslisten mit Informationen in ihren eigenen Datenbanken und sucht nach Verbindungen zur Organisierten Kriminalität und zu Geldwäsche. Entsprechende Unterstützung erfolgt auch beim Aufspüren und der Beschlagnahme von russischen Vermögenswerten in Bezug auf den Ukrainekrieg. Die EU-Kommission hat hierzu eine Task Force „Einfrieren und Beschlagnahmen“ eingerichtet.
Auch in den Nachbarstaaten der Ukraine ist Europol aktiv und unterstützt etwa sogenannte sekundäre Sicherheitskontrollen an den Grenzen mit Litauen, Polen, Rumänien, der Slowakei, Ungarn und Moldawien. Dabei werden die Papiere von Geflüchteten überprüft und mit europäischen Datenbanken abgeglichen. Mit nicht einmal 20 Mitarbeiter:innen sind diese Einsätze aber eher klein.
Mehr als 250 Frontex-Bedienstete
Weitaus mehr Personal hat Frontex an die EU-Außengrenzen mit der Ukraine entsandt. Im Rahmen ihrer Operation „Terra“ befinden sich derzeit mehr als 250 Mitarbeiter:innen der Grenzagentur in der Region, die meisten davon in Rumänien und Moldawien. Die Regierung in Chişinău hat für diesen Zweck ein Statusabkommen mit Frontex abgeschlossen. Frontex wird dabei durch die 2005 begonnene Europäische Mission zur Unterstützung des Grenzschutzes in Moldawien und der Ukraine (EUBAM) unterstützt. Das Mandat dieser EU-Sicherheitsmission wurde dazu um Grenzschutzaufgaben erweitert.
Nach einer Ministerkonferenz der „Unterstützungsplattform Moldau“ im April in Berlin haben die Mitgliedstaaten von EU und G7 umfangreiche finanzielle Unterstützung und die Bereitstellung von Ausrüstung und Technologie für das Land beschlossen, darunter Drohnen, Kameras und Fahrzeuge. Die kleine Republik Moldau ist seit Juli auch Sitz einer „EU-Drehscheibe für die innere Sicherheit und die Sicherheit und Grenzmanagement“, mit der die EU-Kommission Missionen und Einsätze koordinieren will.
Für Geflüchtete aus der Ukraine – allerdings nicht jene, die sich aus einem Drittstaat in dem Land aufhielten – hat die EU die Richtlinie über den vorübergehenden Schutz erlassen. Alle EU-Mitgliedstaaten müssen diese in ihr nationales Recht umsetzen und Menschen unbürokratisch aufnehmen. Hierbei hilft die EU-Asylagentur (EUAA), die Bedarfe ermittelt und derzeit elf Länder bei der Registrierung von Geflüchteten operativ unterstützt.
Grundrechte, Gleichstellung und Drogensucht
Auch die Grundrechteagentur (FRA) ist mit den Vorgängen in der Ukraine befasst. „Der Krieg in der Ukraine ist die schwerste Bedrohung der Menschenrechte in Europa in dieser Generation“, wird die FRA in dem Bericht der neun Agenturen zitiert. Zu den wichtigsten Herausforderungen zählen demnach die Situation der Millionen von in die EU vertriebenen Menschen und lokalen Gemeinschaften, die sie aufnehmen. Sie sollen vor Gewalt und Ausbeutung, Hassreden und anderen Gefahren geschützt werden. Die FRA führt hierzu Gespräche mit Polizei- und/oder Grenzbehörden und reist zu Beobachtungsmissionen an die europäischen Außengrenzen.
Unter den Millionen geflohenen Ukrainer:innen stellen Frauen mit Kindern den größten Anteil, sie leiden unter Stress und Traumata und sind auch auf der Flucht der Gefahr von geschlechtsspezifischer Gewalt, sexueller Ausbeutung und Menschenhandel ausgesetzt. Dies fällt in den Aufgabenbereich des Europäischen Instituts für Geschlechtergleichstellung (EIGE), das als EU-Agentur auch im Bereich Gender Mainstreaming unterstützt.
Weitere Hilfe leistet die Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (EMDDA), die drogenbedingte Sicherheits- und Gesundheitsbedrohungen erkennen und darauf reagieren will. Hier steht allerdings die medizinische Hilfe in jenen Ländern im Vordergrund, die am stärksten von der Zuwanderung der aus der Ukraine vertriebenen Menschen betroffen sind.
Schulung zur Überwachung offener Quellen im Internet
Mit der CEPOL unterhält die EU eine eigene Polizeiakademie, die ebenfalls den Status einer Agentur hat. Wie in derartigen Fällen üblich hat die Bildungsstätte Online-Workshops zu Auswirkungen des Ukraine-Konflikts auf die Strafverfolgungsbehörden der Mitgliedstaaten durchgeführt. Weitere Schulungen könnten auf Ersuchen des ukrainischen Justizministeriums für dortige Behörden erfolgen, etwa in den Bereichen Forensik oder der Überwachung offener Quellen im Internet.
Eher eine Nebenrolle spielt die Agentur für das Betriebsmanagement von IT-Großsystemen (eu-LISA), die ihre „Wachsamkeit“ in Bezug auf die von ihr betriebenen Datenbanken verstärkt. Die Agentur bietet der Kommission „fachliche Unterstützung“ bei der Entwicklung einer Plattform für die Registrierung von Geflüchteten aus der Ukraine und weiteren Support an.
Da wird wieder eine Unmenge an finanziellen Mitteln in einen mächtigen Wasserkopf versenkt. Warum errichtet Europol eine Stabsstelle zur Strafverfolgung wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine ein, obwohl Europol keinerlei Befugnisse in der Juristikative besitzt und nicht einmal in der Ukraine tätig werden darf (da kein EU-Mitglied)? Die Beweissicherung wird mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit sehr subjektiv erfolgen. Darüber hinaus gibt es den internationalen Gerichtshof, welcher für diese Angelegenheiten zuständig ist.
Was in der Mitgliederkonferenz „Unterstützungplattform Moldau“ beschlossen wurde, ist auch höchst bemerkenswert. Frontex ist in Moldau, neben Rumänien, mit 250 Mitarbeitern und entsprechender Ausrüstung tätig. Warum wird Überwachungs- und Einsatz-Equipment dem Staat Moldau zur Verfügung gestellt, obwohl dieser mit der EU-Grenzüberwachung gar nicht beauftragt ist? Da stellt sich mir die Frage, ob es nicht einen anderen Verwendungszweck für das Material gibt? Die Antwort kann sich jeder selbst ausmalen.