„Hallo, Menschlein!“ begrüßt Pepper die Besucher:innen, die im Futurium die Denkräume im ersten Stock betreten. Das Futurium, das ist das am 5. September eröffnete „Haus der Zukünfte“ am Berliner Spreeufer. Aus den Fenstern blickt man auf das Regierungsviertel. Und Pepper, das ist ein humanoider Roboter, der Neuankömmlingen erklärt, wie sie sich in der Ausstellung zurecht finden.
Zukünfte? Denkräume? Humanoide Roboter? Wem das zu schnell ging, für die haben wir uns im neuen Museum mal genauer umgeschaut.
Wie wollen wir leben?
Die Zukunft, das ist offenkundig kein Objekt, das ausgestellt werden könnte. Wie also beschäftigt man sich in einer Ausstellung mit der Zukunft? Indem die Besucher:innen dazu angeregt werden, sich selbst mit der Zukunft zu beschäftigen. „Wir stellen nicht die Zukunft aus“, sagt Stefan Brandt, Direktor des Futuriums, „sondern zeigen Objekte, Ideen, Installationen und Spiele, die den Menschen helfen sollen, sich mögliche Zukünfte vorzustellen.“
Brandt sitzt in seinem Büro mehrere Stockwerke vom Trubel der Ausstellung entfernt. Weil es Mittwochmorgen ist und wahrscheinlich auch, weil der Eintritt in das Museum nichts kostet, ist die große, helle Eingangshalle voller aufgeregter Schüler:innen und leicht gestresster Lehrer:innen. Knapp einen Monat nach der Eröffnung weiß wahrscheinlich noch niemand so genau, was sie über die drei Stockwerke verteilt eigentlich erwartet.
Die neuesten Technologien präsentieren oder sich vorzustellen, wie die Technologien von Morgen aussehen, das ist nicht Sache des Futuriums, sagt Brandt, das sei reine Spekulation. „Wir wollen in den Denkräumen Fragestellungen an die Zukunft erkennbar machen, die aus unserer Sicht für die Gestaltung der Zukunft wichtig sind.“ Es geht also um die Frage, wie wir in Zukunft leben wollen.
Mit dieser Frage können sich Besucher:innen im „Futurium Lab“ und in den drei Denkräumen Technik, Mensch und Natur beschäftigen. Wirklich trennen lassen sich die drei Bereiche natürlich nicht, weder thematisch noch räumlich. Der Denkraum Technik beschäftigt sich dementsprechend auch mit dem Menschen und der Natur. „Wir wollen zeigen, dass Technik an sich nicht schlecht oder gut ist. Es sind die Menschen, die sie einsetzen und die bestimmen, wie sie sich sie zu Nutzen machen“, beschreibt die Ausstellungsleiterin Gabriele Zipf die Idee dahinter, während wir uns zwischen Familien und Rentner:innen durch die Ausstellung bewegen.
Sich vorstellen, was möglich ist
Das Museum zeigt aber nicht nur moderne Technologien. Es macht sie sich auch zu Nutze, mit dem Gebäude, der Ausstellungsarchitektur und der Art, wie der Besuch gestaltet wird. Im Futurium Lab, einer Art Ausprobier-Raum, kann man kleine Roboter programmieren und 3D-Drucker ausprobieren. Das Lab will spielerisch Technologien näher bringen, die in der Forschung zu zukunftsfähigen Innovationen bereits angewendet werden. Hier geht es darum, das Interesse für die Funktion von Technik zu wecken. Es geht darum, sich vorstellen zu können, was möglich wäre und neugierig auf das Entwickeln neuer Möglichkeiten zu machen.
Spielerisch geht es auch in den Denkräumen zu: Nachdem Besucher:innen von Pepper begrüßt werden, können sie sich ein Armband mit integriertem Chip anziehen. An den Stationen der Denkräume können sie mit dem Armband besonders interessante Themen oder die eigene Meinung dazu speichern. Die Daten werden nach dem Besuch, falls gewünscht, in der Zukunftsmaschine ausgewertet: Das Armband wird eingeworfen, aufgesaugt und ein Überblick über die eigenen Interessen als Karte ausgedruckt. Die Daten könnten in Zukunft auch als Rückmeldung für die Ausstellung ausgewertet werden. Noch werde das aber nicht gemacht, versichert Direktor Brandt.
„Zukunftsdarstellungen sind subjektiv“
„Wir glauben, dass man in Zukunft Technik immer weniger sehen wird“, erklärt Ausstellungsleiterin Zipf, „und dass immer mehr Technologien wie selbstverständlich in unserem Leben eingebaut sein werden.“ Im Denkraum Technik stehen deshalb weiße, langezogene Stationen, die wie große Bildschirme aussehen und auf denen man über Sensoren wie mit unsichtbarer Hand Optionen oder weitere Informationen zu einzelnen Themen auswählen kann.
Fragestellungen, die aus Sicht des Museums wichtig sein werden und der Glaube, dass Technologien unsichtbar sein werden, ist das denn noch eine neutrale Ausstellung von Zukunft? Nein. „Gerade das Thema Zukunft greift stark in die persönlichen oder politischen Überzeugungen, Vorstellungen und Präferenzen ein“, erklärt Brandt. Welche Objekte und Ideen präsentiert und welche Fragen gestellt würden, sei natürlich eine Frage der Priorisierung. Das Futurium versuche auch gar nicht, einen Hehl daraus zu machen. „Entscheidend ist, dass man das transparent darstellt. Dann können das alle kritisch reflektieren.“
„Die ausgestellten Technologien gibt es schon“
Ein Beispiel für diese Priorisierung ist ein Teil des Denkraumes, in dem Besucher:innen mit Hilfe von Tablets und einem Augmented-Reality-Programm Entscheidungen über bestimmte Szenarien treffen. Eines der Szenarien orientiert sich am sogenannten Kontrollraum Rio in Rio de Janeiro. „Die ausgestellten Technologien gibt es schon“, sagt Zipf und meint damit nicht die Tablets und angewendeten Programme, sondern die Möglichkeit, mit tausenden Überwachungskameras ganze Städte zu beobachten und in Echtzeit reale Entscheidungen zu treffen.
Mut zur Subjektivität wird in der Ausstellung auch dann gezeigt, wenn man als Besucher:in mit dem Tablet in der Hand sieht, wie in einer Modellstadt eine kleine Menschengruppe zu einer kritischen Menschenmasse anwächst. Schnell muss eine Entscheidung getroffen werden: Polizist:innen schicken und die Menschengruppe auflösen oder sie weiter beobachten? Beobachtet man die Gruppe, stellt sich heraus, dass es sich um eine friedliche Kundgebung handelt, die sich bald wieder von selbst auflöst. Entscheidet man sich für den Eingriff, werden die Menschen und die Gesellschaft unzufriedener mit der Polizei. Diese explizite Situation sei ausgedacht, beruhe aber auf existierenden Systemen. „Wir wollen damit Modellsituationen entwerfen und sagen: Man kann darauf auf diese oder jene Art reagieren“, so Zipf.
Eine Besucherin, die gerade ihr Tablet zurücklegt, ist überrascht über die Realität hinter dem dargestellten Szenario. Dass es die technischen Möglichkeiten für solche Kontrollmaßnahmen bereits gibt, wusste sie zwar, deren Anwendung kannte sie aber nur aus Serien. Dass sie in Rio bereits genutzt werden, war ihr neu. Genauso die von der Stadt San Sebastián angebotene Möglichkeit, online nachzusehen, wo es freie Parkplätze gibt und diese sogar zu reservieren.
Climate Engineering und Designerbabys
Eine andere Technologie, ein anderes Szenario: Climate Engeneering als Alternative zum Verzicht auf fossile Brennstoffe, um den Klimawandel zu verhindern. Wieder haben Besucher:innen die Möglichkeit, sich zu entscheiden: Um die Erderwärmung langfristig aufzuhalten, müssen sie konsequent erneuerbare Energien ausbauen und Arbeitsplatzverluste oder soziale Unruhen in Kauf nehmen. Von einem Wissenschaftler, dessen Gesicht auf der Bildschirmwand erscheint, wir das Konzept einer internationalen Regierung erwähnt, Entscheidungen müssten weltweit getroffen werden.
Der Einsatz von Climate Engineering dagegen führt in dem simulierten Szenario zu mehr Chaos, weil die Technologien noch nicht ausgereift sind und das Klimasystem der Erde zu kompliziert ist. Auch das eine klare Linie, denn der Klimawandel und Maßnahmen für eine wirksame Bekämpfung sind keine Meinungsfrage, sondern von der Wissenschaft untersuchte Tatsachen.
„Wir sehen die Erwähnung internationaler Regierungen oder erneuerbarer Energien nicht gleich als politischen Auftrag“, erklärt Zipf an dieser Station. „Es geht darum, dass diese großen Themen nicht allein auf nationaler oder kontinentaler Ebene gelöst werden können, sondern übergreifende Lösungen gefunden werden müssen.“ Climate Engineering klinge wie eine perfekte Lösung, aber noch könne kein:e ernsthafte:r Wissenschaftler:in voraussagen, welche Folgen die Anwendung der Technologien haben könnte.
Der Klimawandel und Vorschläge für eine nachhaltige Zukunftsgestaltung sind mit vielen Ängsten verbunden. Werde ich durch Maßnahmen der sauberen Energiegewinnung meinen Job verlieren? Die Frage nach den Arbeitsplätzen stellt sich in der Gesellschaft und in der Ausstellung auch in anderen Kontexten: bei der Programmierung von Robotern und künstlicher Intelligenz zum Beispiel. Roboter, die unsere Arbeit besser machen als wir selber und Künstliche Intelligenz, die uns ersetzen könnte, das schürt verständliche Ängste vieler Menschen.
Auch an einer Station zu neuen Erkenntnissen aus der Gentechnik, die zur Gesellschaftsfähigkeit von Designerbabys führen könnten, wird auf gängige Ängste eingegangen. Um Krankheiten besser zu verstehen, Vorsorge und Heilung vielleicht für jede*n maßgeschneidert möglich zu machen, müssten wir einiges von uns preisgeben und entscheiden, was wir eigentlich über unsere „genetische Grundausstattung“ erfahren wollen, heißt es dort.
Eine 18-jährige Besucherin zweifelt an den Heilsversprechen. „Solche Möglichkeiten, auch die der Designerbabys, würden die Unterschiede zwischen arm und reich immer größer machen. Reiche könnten sich intelligentere Babys leisten, die dann wieder Geld scheffeln.“ Würde sie ihre Gesundheitsdaten zu Forschungszwecken zur Verfügung stellen? „Die wahre Herausforderung ist ein ordentlicher Datenschutz. Ob mein Arzt oder Forscher meine Gesundheitsdaten kennen, ist nicht wichtig. Aber die Krankenkasse darf deswegen nicht die Beiträge erhöhen. Wir müssten uns vor Cyberangriffen schützen können und die Daten anonymisieren“, sagt sie.
Hackerethik und automatisierte Wahlkabinen
Natürlich darf in einem Denkraum zum Thema Technik die Frage des Datenschutzes nicht unbehandelt bleiben. Ein meterhoher, schwarzer Kasten, der von innen wie ein Serverraum aus dem Bilderbuch aussieht, soll einen Datenblock darstellen. Außen ist er mit Nullen und Einsen bestückt, in deren Mitte ein:e „Hacker:in“ über den Laptop gebeugt abgebildet ist. „Der sieht aus, wie man das in den Filmen gerne so sieht“, sagt ein 64-jähriger Besucher, der 35 Jahre in der Softwareentwicklung gearbeitet hat, und lacht.
Daneben sind die #algorules als Codex für Programmierer:innen und Anwender:innen zu lesen: Algorithmen müssen verständlich sein, ihre Wirkung und Verantwortungen vorher definiert werden, der Einsatz erkennbar und Fehler meldbar sein. Im Verborgenen angewendete Algorithmen und verarbeitete Daten führen zu Problemen und „je stärker solche Programme unsere Gesellschaft prägen, desto dringender benötigen wir allgemeine Grundsätze zur Nutzung und Kontrolle intelligenter Computerprogramme“, steht dort zu lesen. „Was wir versuchen, sind unterschiedliche Positionen zusammenzubringen, um sie dann diskutierbar zu machen“, erklärt Zipf. Mut zur Priorisierung eben.
Im Futurium Lab im Untergeschoss finden wir eine besonders interessante Installation: eine Wahlkabine, in der nach einem Gesichtsscan automatisch die zu einem passende politische Partei gewählt wird. Die Idee, dass nach einem Gesichtsscan die identifizierte Person mit bereits über sie vorhandenen Daten zu politischen Vorlieben abgeglichen wird und daraus eine womöglich zutreffende Wahl für die Person getroffen werden könnte, ist gar nicht abwegig. Technologien für automatisierte Gesichtserkennung, den Datenabgleich und entsprechende Datenbanken über solchen Vorlieben gibt es bereits.
In unserer Gesellschaft gilt die politische Wahl allerdings als etwas sehr persönliches, geheimes und freies. Diese Installation wirft also die Frage nach dem Punkt auf, an dem wir sagen, dass uns eine Entscheidung zu elementar ist, um sie uns abnehmen zu lassen. Sich bewusst zu machen, welche Entscheidungen man sich durch Technologien abnehmen lassen möchte und welche nicht, ist das wichtigste daran. Leider ist das Erklärvideo zur Wahlkabine, beides Teil der künstlerischen Installation, so real, dass es fast wie eine Werbung für das Verfahren wirkt. Die teils verheerenden Konsequenzen von automatisierter Gesichtserkennung, wie sie bereits eingesetzt wird, werden nicht gezeigt. Wer sich mit dem Thema noch nicht auskennt, könnte diese Installation so als rein positives Zukunftsszenario sehen.
Wichtig ist, sich überhaupt Gedanken zu machen
Ziel der Ausstellung sei nicht, eine Beurteilung vorzugeben, sondern „Zusammenhänge zu zeigen, die Konsequenzen, die an Entscheidungen dranhängen, um eine Entscheidungsfähigkeit erst möglich zu machen“, sagt Zipf abschliessend. Eine politische und zukunftsweisende Entscheidung, die das Futurium über die Ausstellung hinausgehend schon getroffen hat: In der gesamten Kommunikation wird gegendert.
Das passt natürlich nicht allen. Und so wird einer:einem vielleicht erst durch einen Besuch in dem Haus der Zukünfte klar, was man in einem solchen Haus und damit in der Zukunft sehen möchte und was nicht. Auf die Darstellung der Hacker:in hätten wir beispielsweise verzichten können. Die Forderung nach erkennbaren Algorithmen und der Wichtigkeit des Datenschutzes hat uns gefreut. Mehr Hintergründe zum weltweiten Einsatz von automatisierter Gesichtserkennung wären uns allerdings auch wichtig gewesen.
Zukunft und die Beschäftigung damit ist eben subjektiv. Jede:r setzt andere Schwerpunkte und zieht persönliche Grenzen an anderer Stelle. Worüber wir uns wohl einig sein können: Ohne sich vorher gemeinsam über diese Schwerpunkte und Grenzen Gedanken zu machen, kommt es zu Ängsten und Unsicherheiten. Ein gemeinsamer Weg bedeutet, dass alle Entscheidungen, von denen Bürger:innen betroffen sind, auch von diesen mitgetragen werden. Egal, ob es um den Klimaschutz, den Einsatz von Robotern oder das Nutzen von persönlichen Daten geht.
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