Schwerin: Urheberrechtsklage wegen Livestream-Mitschnitt

4.000 Euro Strafe soll ein Mann aus Schwerin bezahlen, wenn er noch einmal Mitschnitte des Livestreams aus dem Kommunalparlament veröffentlicht. Der Schweriner hatte eine vierminütige Rede auf Facebook geteilt. Seine Motivation: mehr Transparenz in der lokalen Politik.

Sitz der Stadtvertretung Schwerin: Das Rathaus am Markt – CC0 Hermann Luyken

„Ick finn‘ den Antrag gar nicht leeg“, beginnt Claus Jürgen Jähnig seine Rede in der Stadtvertretung Schwerin. Jähnig, Abgeordneter der Fraktion Unabhängiger Bürger, spricht zum Tagesordnungspunkt 43: Plattdeutsche Sprache – auf Platt. Es ist die erste auf Plattdeutsch gehaltene Rede im Kommunalparlament von Schwerin. „Das musste einfach geteilt werden“, dachte sich Stephan Martini. Er schnitt die Rede im Livestream mit und veröffentlichte das Video auf seinem Facebook-Profil. Jetzt fordert die Stadt Schwerin ihn mit einer Unterlassungsklage dazu auf, künftig keine Aufzeichnungen mehr zu veröffentlichen. Ansonsten soll er ein Ordnungsgeld von 4.000 Euro zahlen.

Abgeordnete wehren sich gegen Aufzeichnung

An sich ist das ein gewöhnlicher Vorgang bei einer Urheberrechtsverletzung. Die Stadt Schwerin hat nach ihrer Auffassung das Urheberrecht an den Aufnahmen; Martini hat das Video ohne Erlaubnis verbreitet. Doch es gibt auch eine politische Komponente: Vor einem Jahr hatte die Stadtvertretung beschlossen, keine Aufzeichnungen des Livestreams zu erlauben und auch selber kein Videoarchiv zu betreiben – gegen die Stimmen der Linken und der Wählergemeinschaft Aktion Stadt und Kulturschutz (ASK), dessen Geschäftsführer Martini ist. Die Aufzeichnungsgegner argumentierten, dass aus dem Zusammenhang gerissene Videos von Reden der Stadtvertreter in den Umlauf kommen könnten. Sie befürchteten, das könnte potentielle Kommunalpolitiker von einer Kandidatur für die Stadtvertretung abhalten. Für Verstöße wurde eine Strafe von bis zu 250.000 Euro beschlossen.

Die Befürworter argumentieren hingegen mit Transparenz. Aufzeichnungen der Sitzungen würden BürgerInnen die Möglichkeit geben, die Entscheidungen und Debatten später transparent nachzuvollziehen, denn Redebeiträge werden nicht protokolliert. „Alle, die Sitzungen in den Abendstunden aufgrund familiärer oder beruflicher Gründe nicht in Echtzeit verfolgen können, sind ausgeschlossen“, sagt Stephan Martini. Er sieht die Aufzeichnungen auch als ein Mittel der Barrierefreiheit. „Sind die Sitzungen erst einmal gespeichert, ließen sich Untertitel für Schwerhörige und anderes einbinden“, erklärte er.

Überwiegt das öffentliche Interesse?

Im April lud Martini das vierminütige Video der plattdeutschen Rede auf Facebook hoch. Der zugrunde liegende Antrag für touristische Hinweisschilder auf Plattdeutsch kam aus der Wählergemeinschaft ASK. „Das war so toll. Wann hört man schon mal so viel Platt“, schreibt er in dem mittlerweile gelöschten Facebook-Post. Martini wollte mit seinem Post aber auch eine Debatte lostreten über die Aufzeichnung der Stadtvertretungssitzungen. Das erklärt Martini so: „Die Stadt Schwerin argumentiert mit dem Persönlichkeitsrecht der Abgeordneten gegen eine Aufzeichnung. Aus unserer Sicht ist das öffentliche Interesse an den Redebeiträgen zu den Anträgen höher zu bewerten.“ Gegen manipulative Videos helfe nur eine offizielle Aufzeichnung.

Mehrere auf Youtube veröffentliche Aufzeichnungen von Sitzungen hat die Stadt Schwerin ebenfalls mit Verweis auf das Urheberrecht löschen lassen.

Von Martini verlangte die Stadt wegen seines Facebook-Posts eine Unterlassungserklärung. Die wollte der Schweriner nicht unterzeichnen, sodass die Stadt ihn auf die Unterlassung am Amtsgericht Rostock verklagte. Martini hat grundsätzliche Zweifel daran, dass der Livestream vom Urheberrecht geschützt ist. Ob das Gericht seiner Auffassung folgt, ist fraglich. „Derzeit suchen wir für den Fall eines ordentlichen Gerichtsverfahren Menschen, die uns unterstützen wollen mit Hinweisen, Rat und einer kleinen finanziellen Unterstützung“, erklärt Martini. Interessierte können sich per E-Mail an ihn wenden.

Butendeem: Der Antrag zur plattdeutschen Beschilderung wird mittlerweile in veränderter Form in den Ausschüssen beraten.

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15 Ergänzungen

  1. Es klingt ja absurd, dass hier mit dem Urheberrecht argumentiert wird. Wenn man die Herleitung des Rechtes geschichtlich betrachtet, muss man dann nicht die beiden damit gedachten Schutzinteressen – ökonomische Ausbeutung und Schutz des Leumunds des Urhebers – als maßgeblich betrachtet werden?
    Der zweite Punkt ließe sich daran festmachen: Eine verfälschende Darstellung oder/und eine Unterschlagung des Urhebepunkts ist nicht zulässig und ist straffähig oder ersatzpflichtig.
    Der Erste könnte nicht festgestellt werden, da eine ökonomische Ausbeutung nicht in Anspruch genommen werden kann.
    Beides sieht mir aber ungeeignet dazu aus, das Mitschneiden und die Verbreitung unterbinden zu können. Ein ggf. verfangender Handlungstatbestand entstände doch erst zeitlich nachgeordnet.

    Unabhängig davon sehe ich die Argumentation der Stadtvertretung als bedenkenswert an.
    So wie sich die Kultur im Internet derzeit darstellt ist das Risiko nicht zu unterschätzen. Nur der Ansatz über das Urheberrecht scheint mir zu unpassend und zunehmend nicht als bestandssicher.

    1. … berücksichtigt werden, ist bei der stark eingeschränkten Meinungsfreiheit kein Wunder. Die Regierungen legen sich ihre Interessen schon zurecht, wie sie es brauchen – natürlich zum Wohl des Urheberrechtes… … ? MEHR SAG ICH DAZU NICHT, DENN ES HERRSCHT JA EINE WERTEGEMEINSCHAFT… WELCHE WERTE DIESE VERTRITT, IST KEINEM AUS DEM VOLK BEKANNT… WEM ZUM WOHLE und wem zum Schaden ?!

  2. Mir ist aus persönlicher Erfahrung ein Fall bekannt, in dem selbst die Veröffentlichung der inhaltlichen (d. h. nicht wörtlichen) Sitzungsprotokolle mit Verweis auf die Persönlichkeitsrechte umstritten war. Von daher nehme ich an, dass die öffentliche Dokumentation in vielen kommunalen Vertretung ein Problem ist.

    Zum Hintergrund sollte man auch wissen, dass Entscheidungen meist in den Verwaltungen vorbereitet werden und die kommunalen Vertretungen lediglich dazu dienen, diese abzunicken. Das heisst, die Verwaltungen haben gar kein Interesse dran, in den Räten und (noch schlimmer) der Öffentlichkeit Diskussionen aufkommen zu lassen.

    Dass die Stadverwaltung Schwerin hier nach dem Urheberrecht greift, liegt wohl daran, dass die Persönlichkeitsrechte in Deutschland ausserhalb des Grundgesetzes keine gesetzliche Formulierung haben. Das UrhG ist so ziemlich der einzige Hebel, den die Stadtverwaltung finden konnte, um Partizipation aus der Öffentlichkeit zu unterdrücken.

    Erstaunlich finde ich aber, dass die Verwaltung Löschung und Unterlassung verlangen kann, obwohl die Urheberrechte eindeutig bei den Ausarbeitern der Reden liegen. Kann mal jemand entsprechende Aufforderungen veröffentlichen, damit man verstehen kann, wie das rechtlich funktionieren soll? :)

  3. „Die Aufzeichnungsgegner argumentierten, dass aus dem Zusammenhang gerissene Videos von Reden der Stadtvertreter in den Umlauf kommen könnten.“
    > Was soll denn dieser Blödsinn? Sowas ist schlicht Berufsrisiko eines jeden Politiker- oder PR-Menschen, und auch, wenn Otta Normalbürgerin irgendetwas veröffentlicht. Wenn etwas verfälschend wiedergegeben wird, dann ist das nicht in Ordnung, und es gibt Mittel, dagegen vorzugehen. Aber es ist kein Grund, die Transparenz zu behindern. Es läßt sich nicht verhindern, daß Bürger über die Aussagen von Politikern diskutieren (im Gegegnteil, das ist doch hoffentlich auch so gewollt?!) und in diesem Zusammenhang auch Zitate anbringen, sprich: diese off- und online verbreiten.

    Überhaupt: Was ist denn mit den schriftlichen Protokollen der Sitzungen? Können die nicht verkürzt u/o verfälscht verbreitet werden. Oder gibt es keine Protokolle?

    *massives Kopfschütteln*

    1. Es gibt lediglich ein Ergebnisprotokoll. Die Inhalte der Reden, Stellungnahmen der Verwaltung etcpp werden nirgendwo fest gehalten.

  4. Um auch sicherzustellen zu können, dass inhaltliche Verfälschungen und Urheberrechtsverstöße nicht mehr stattfinden können, hat sich das Stadtparlament Schwerin dazu entschlossen, nur noch in geheimer Sitzung an einem geheimen Ort zu tagen. Weiterhin wurde angeregt, damit nicht weiterhin die Stadtverordneten der persönlichen Kritik aus der Öffentlichkeit ausgesetzt werden, zukünftig bei einer Wahl auf die namentliche Veröffentlichung der Kandidaten zu verzichten.
    Die Demokratie ist ein wichtiges Gut. Sie sollte, falls nötig mit allen zu Verfügung stehenden Mitteln, vor den Bürgern geschützt werden.

  5. Die ganzen schönen intellektuellen Argumente in flotte Sprache verpackt, um seine Konterposition und Überzeugungskunst dar zu stellen, sind alle für die Katz und pure Zeitverschwendung. Lasst die I…. reden, lasst sie machen… mehr als auslachen sollte man Politiker und überzeugte Kapitalisten nicht. Alles andere bedeutet nur Verlust eurer Lebenszeit! Genießt es – solange es noch geht. Scheiß auf den Deppen, der sich bei Facebook wichtig machen wollte und auf die Trottel die zwanzig Jahre im Delay hängen und jetzt über das heulen was sie Millionen Menschen angetan haben. Aus die Maus.

  6. Verkehrte Welt … . Die Volksvertreter wollen nicht, dass das Volk mithört bzw. mitsieht.

  7. Ist das Urheberrecht überhaupt gültig für gewählte Parlamente und Amtsverlautbarungen?
    Ich denke mal nicht, es ist nicht anwendbar meine Meinung.

  8. Die Idee mit der Barrierefreiheit ist gut, denke ich. So als juristischer Weg natürlich – warum die Regelung der Stadtvertretung menschenfeindlich und demokratiefeindlich ist muss man da ja nicht belegen, sondern, gegen welches konkrete Gesetz damit verstoßen wird. Nachteil wäre natürlich, dass der einfachere Weg, eine „Gleichbehandlung“ herzustellen, dann wäre, dass auch der Livestream nicht mehr gesendet wird.
    Letztlich ist das ein Angriff auf die Demokratie und wenn es eine gerechte Welt wäre, würde das auch als solches gerichtlich verhandelt. Wenn man Politiker wird, sollte man davon ausgehen, dass Äußerung in öffentlichen Räumen (Parlamente sind das hoffentlich), grundsätzlich aufgenommen und wiedergegeben werden – vollständig und nicht sinnverfremdend. Sonst machen wir bald Pressekonferenzen mit kompletter Informationssperre und niemand darf nichts mehr wissen. Angenommen ich würde einen Politiker sehen, der z.B. auf offener Straße jemanden aufs infamste beschimpft. Darf ich das aufnehmen und an die Presse geben? Mein Rechtsverständnis war: Ja, ich darf, weil es im öffentlichen Interesse liegt, zu wissen, wes Geistes Kind unsere gewählten Vertreter sind.

  9. UPDATE: Das Verfahren findet Anfang Januar vor dem Landgericht Rostock statt. Zwischenzeitig hat die Stadt auch strafrechtlich Klage erhoben. Die Staatsanwaltschaft berät derzeit über eine Klageerhebung. Mehr Infos auf Anfrage: 015204466108

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.