Volker Grassmuck Mediensoziologe, freier Autor und Aktivist. Er hat an der Freien Universität Berlin, der Universität Tokio, der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität São Paulo über die Wissensordnung digitaler Medien, Urheberrecht und Wissensallmende studiert und geforscht. Die Langfassung dieses Textes wird auf vgrass.de erscheinen.
Die Rundfunkkommission der Länder plant, Medienintermediäre wie Soziale Netzwerke, „User Generated Content“-Portale und Blogging-Portale zu regulieren. Damit geht es beim neuen „Medienstaatsvertrag“ nicht mehr nur um Smart-TVs, Zattoo und Netflix, sondern um netzpolitisches Kernterritorium. Noch bis zum 30. September läuft das Beteiligungsverfahren. Die Rundfunkpolitiker bitten um Stellungnahmen über das Kontaktformular.
Die Absicht ist – wie bei allem, was aus der Meinungs- und Rundfunkfreiheit des Artikel 5 des Grundgesetzes hervorgeht –, die frei zugängliche Informations- und Meinungsvielfalt und die kommunikative Chancengleichheit zu sichern, auf dass wir uns alle frei unsere Meinung bilden können. Gemeint sind meinungsmächtige Intermediäre wie Youtube, Facebook oder Google.
Doch wie sieht es mit unbeabsichtigten Nebenwirkungen aus? Soviel vorweg: Auch nach den geplanten Regelungen müssen netzpolitik.org-TV, Wikimedia Commons oder Fefes Blog keine Rundfunklizenz beantragen. Der neue Rundfunkstaatsvertrag bedeutet nicht den Untergang des Internet, wie wir es kennen – auch wenn er der 23. ist. Ob er sich trotz guter Absichten auf zivilgesellschaftliche Angebote auswirkt, ist unklar. Ein Vorschlag zur Vermeidung von Kollateralschäden.
Rundfunk und Telemedien
Zur Einleitung in die Konsultation heißt es: „Rundfunk ist heute mehr als Radio und Fernsehen: Smart-TVs, OTT, Streaming, Let‘s Plays oder user-generated-content sind nur einige Begriffe, die den Medienwandel beschreiben.“ Um bestehende Konzepte und Sicherungen des Rundfunkrechts diesem Medienwandel anzupassen, folgt der Entwurf im Wesentlichen dem, was die Bund-Länder-Kommission zur Medienkonvergenz in ihrem Abschlussbericht (pdf) im Juni 2016 vorgeschlagen hatte.
Bislang unterscheidet der Rundfunkstaatsvertrag zwischen zulassungspflichtigem „Rundfunk“ und zulassungs- und anmeldefreien „Telemedien“. In den Erläuterungen zum Entwurf heißt es, seit geraumer Zeit werde bezweifelt, ob diese Unterscheidung noch zeitgemäß ist. „Diskutiert wird, ob das im Rundfunkbegriff enthaltene Tatbestandsmerkmal der Linearität („zeitgleich“ und „entlang eines Sendeplans“) noch handhabbar und praktikabel ist und ob die Zulassungspflicht durch eine bloße Anzeigepflicht ersetzt werden sollte.“
Die Aufhebung der Unterscheidung scheitert jedoch an der europäischen Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD), die aktuell ebenfalls überarbeitet wird. In den Erläuterungen zur Novellierung des Rundfunkbegriffs heißt es, diese „wird an der bisherigen Unterscheidung zwischen linearen audiovisuellen Mediendiensten und audiovisuellen Mediendiensten auf Abruf festhalten. Entsprechend wird auch der staatsvertragliche Rundfunkbegriff das Merkmal der ‚Linearität‘ beibehalten. Die zum Rundfunkbegriff selbst vorgesehenen Änderungen sind deshalb im Wesentlichen redaktioneller Natur.“
„Rundfunk“ bleibt weitgehend unverändert ein linearer Informations- und Kommunikationsdienst für die Allgemeinheit und zum zeitgleichen Empfang von journalistisch-redaktionell gestalteten Angeboten in Bewegtbild oder Ton entlang eines Sendeplans mittels Telekommunikation. Rundfunkveranstalter benötigen weiterhin eine Zulassung. Eine Ausnahme gab es bislang für ausschließlich im Internet verbreitete Hörfunkprogramme. Daraus entsteht nun ein neue Regelung für Bagatellrundfunk.
Demnach bedürfen Rundfunkprogramme keiner Zulassung, „die aufgrund ihrer geringen journalistisch-redaktionellen Gestaltung, ihrer begrenzten Dauer und Häufigkeit der Verbreitung, ihrer fehlenden Einbindung in einen auf Dauer angelegten Sendeplan […] nur geringe Bedeutung für die individuelle und öffentliche Meinungsbildung entfalten“, die weniger als 5.000 Nutzern zum zeitgleichen Empfang angeboten werden oder „die regelmäßig im Monatsdurchschnitt weniger als 20.000 Zuschauer erreichen [oder vorwiegend dem Vorführen und Kommentieren des Spielens eines virtuellen Spiels dienen].“
Damit soll der langjährige Streit darüber geklärt werden, ob Youtuber für Live-Streams Sendelizenzen benötigen. Offen ist jedoch weiterhin, ob es sich bei Merkels wöchentlichem Podcast Die Kanzlerin direkt und den regelmäßigen Pressekonferenzen Live aus dem Kanzleramt um Rundfunk handelt. Wäre dem so, müsste sie eine Lizenz beantragen, die ihr aber nicht erteilt werden dürfte, weil Staatsfunk unzulässig ist. Nach einer Recherche von Buzzfeed prüft nun die Kommission für Zulassung und Aufsicht (ZAK) der Medienanstalten die Öffentlichkeitsarbeit der Bundeskanzlerin.
Streams und Live-Übertragungen
Gaming-Streams und live eSports sollen ausdrücklich ausgenommen werden. Zwar erreichen sie auf Plattformen wie Twitch regelmäßig ein Vielfaches der 5.000 zeitgleichen Zuschauer. Der Einfluss von Spielen wie Counter-Strike oder WoW auf die individuelle und öffentliche Meinungsbildung dürfte jedoch gering sein.
Umgekehrt wünschen sich Live-Übertragungen vom netzpolitischen Abend oder vom Chaos Communication Congress einen solchen Einfluss, fallen jedoch aufgrund ihrer begrenzten Häufigkeit wohl aus der hier verwendeten Definition von „Rundfunkprogrammen“.
Auch an den Bestimmungen zu „Telemedien“ ändert sich wenig. Der aktuelle Entwurf folgt der Trennung von Rundfunk und Presse. War bislang von dem Rundfunk „vergleichbaren Telemedien (Telemedien, die an die Allgemeinheit gerichtet sind)“ die Rede, heißt es nun parallel zu „presseähnlichen Telemedien“: „rundfunkähnliche Telemedien […] mit Inhalten, die nach Form und Inhalt hörfunk- oder fernsehähnlich sind und die aus einem von einem Anbieter festgelegten Inhaltekatalog zum individuellen Abruf bereitgestellt werden.“
Medienplattformen und Benutzeroberflächen
Plattformen und Benutzeroberflächen fungieren als „Gatekeeper“ für die Medienvielfalt, da sie das Angebot auf ihrer Plattform und die Auffindbarkeit der Inhalte in ihrer Benutzeroberfläche bestimmen. Ziel der Regulierung ist es, Zugang und Auffindbarkeit von Inhalten mit besonderer Relevanz für den öffentlichen Meinungsbildungsprozess sicherzustellen.
Dahinter steht die Beobachtung, dass Plattformen durch Netzwerkeffekte Marktmacht und Bindekraft entfalten: Wer sich einen Smart-TV oder ein Netflix-Abo leistet, wird bevorzugt dort schauen. Es reicht daher nicht aus, dass er Öffentlich-Rechtliche anderswo im Internet sehen kann. Wenn sie auf einer aufmerksamkeitsdominierenden Plattform nicht vorkommen, sinkt ihre Chance wahrgenommen zu werden.
Gegen Lock-in-Effekte schreibt die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) Interoperabilität und Datenportabilität vor. Das Medienrecht mit seinem Regulierungsziel der Vielfaltssicherung unterscheidet zwischen Binnenpluralität und Außenpluralität: Es gibt mehrere Zeitungen und viele Internetangebote, so dass Menschen Vielfalt erhalten können, wenn sie mehrere nutzen. Wird jedoch unterstellt, dass sie aufgrund der Bindekraft von Plattformen und Intermediären gerade nicht mehrere VoD-Dienste, EPGs oder Soziale Netze nutzen, muss auf jedem betroffenen Angebot Binnenpluralität hergestellt werden. Dazu dienen die Belegungsregeln für Medienplattformen und möglicherweise auch für Benutzeroberflächen.
Eine Medienplattform ist ein Dienst, der „Rundfunk oder rundfunkähnliche Telemedien zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst“.
Ausgenommen sind Angebote, die sich nicht nach Sprache, Inhalten oder Marketingaktivitäten an Nutzer in Deutschland richten, ebenso Kabelnetze mit weniger als 10.000 angeschlossenen Wohneinheiten und Internet-Diensten mit weniger als 20.000 tatsächlichen Nutzern im Monatsdurchschnitt.
Gemeint sind Fernsehkabelnetze, lineare TV-Dienste wie Zattoo und Magine und die Plattformen, auf die Smart-TVs zugreifen, sowie VoD-Dienste wie iTunes, Netflix und Amazon Prime TV. Youtube ist wohl mit den Inhalten betroffen, die Google selbst verantwortet, z. B. in Youtube Originals, nicht aber mit den Nutzerbeiträgen, die es zu einem Medienintermediär machen.
Wahrscheinlich fällt auch das Angebot des Chaos Computer Clubs media.ccc.de darunter. Anders als bei offenen Plattformen wie Youtube fasst hier der Anbieter rundfunkähnliche Telemedien zu einem Gesamtangebot zusammen: Der CCC entscheidet, welche Veranstaltung hier, neben seinen eigenen, live streamen und Audiodateien und Videos anbieten darf. Möglicherweise entkommt die CCC-Mediathek dem Plattformstatus, da sie sich an Nerds und nicht an die Allgemeinheit richtet. Andererseits wird für Anbieter von Medienintermediären ausdrücklich die Möglichkeit einer „thematische Spezialisierung“ vorgesehen. Für Medienplattformen gibt es eine solche Spezialisierung nicht. Die rundfunkähnlichen Telemedien, die sie versammeln, richten sich per Definition an die Allgemeinheit. Damit scheint ein Vollprogramm gemeint zu sein. Die Möglichkeit, dass sich eine Plattform an die Allgemeinheit richtet, sich aber gleichzeitig auf Inhalte aus der Wissenschaft, der LGBT-Community oder eben der Hacker-Szene spezialisiert, scheint nicht vorgesehen zu sein.
Eine Benutzeroberfläche ist eine Übersicht über Angebote einer oder mehrerer Medienplattformen, die eine direkte Ansteuerung dieser Angebote ermöglicht.
Im Kern sind damit Electronic Programme Guides (EPG) und andere Programmführer gemeint. Geht es bei den Plattformregeln darum, dass die gesellschaftlich gewünschten und deshalb zur Verbreitung vorgeschriebenen Inhalte auf den Plattformen verfügbar sind (Must-carry), geht es hier darum, dass sie auch gefunden werden können (Must-be-found).
Wer in seinem Blog gelegentlich Links auf Mediatheken und Youtube setzt, fällt sicher nicht darunter. Wohl aber MediathekView mit seiner Übersicht der aktuell in den öffentlich-rechtlichen Mediatheken in Deutschland, Österreich und der Schweiz verfügbaren Beiträge.
Die Vorschriften für Plattformen sind weitgehend unverändert. Wer eine Medienplattform anbieten will, muss dies mindestens einen Monat vor Inbetriebnahme der zuständigen Landesmedienanstalt anzeigen. Wenig überraschend braucht der Anbieter, um Inhalte eines Rundfunkveranstalters auf eine Plattform zu stellen, dessen Einwilligung. Ebenso, um diese inhaltlich oder technisch zu verändern oder für Werbezwecke zu überblenden oder zu skalieren.
Für problematische Inhalte gibt es ein zweistufiges Notice-and-takedown-System: „Bei Verfügungen der Aufsichtsbehörden gegen Programme und Dienste Dritter, die über die Medienplattform verbreitet werden, sind diese zur Umsetzung dieser Verfügung verpflichtet.“ Wenn Maßnahmen gegen diese Dritten versagen, können Maßnahmen zur Verhinderung des Zugangs zu solchen Programmen gegen den Anbieter der Medienplattform oder Benutzeroberfläche gerichtet werden.
Den Kern der Vielfaltssicherung machen die Belegungsregeln für Medienplattformen aus: Von der Gesamtkapazität für Rundfunkprogramme soll jeweils ein Drittel verwendet werden für zur Verbreitung gesetzlich bestimmter beitragsfinanzierter Programme, die ebenfalls gesetzlich vorgeschriebenen Regionalfenster kommerzieller Rundfunkanbieter und die im jeweiligen Bundesland zugelassenen regionalen und lokalen Programme sowie die Offenen Kanäle; ein Drittel für Programme, die der Plattformbetreiber mit dem Ziel der Vielfaltssicherung auswählen kann; und einem Drittel, das er frei, aber unter einem Ungleichbehandlungsverbot belegen darf.
Wäre media.ccc.de doch eine Medienplattform, müsste es seine Kapazität zu je einem Drittel mit Öffentlich-Rechtlichem und Vielfalt belegen. Aber was ist die Kapazität des Internet und was ist ein Drittel davon? Müsste der CCC tatsächlich ARD und RBB als Live-Stream und zum Abruf aufnehmen? Und sogar die AfD, wenn sie das wollte, um Ungleichbehandlung zu verhindern?
Für Benutzeroberflächen führt der Entwurf einen eigenen Paragraphen ein. Demnach dürfen gleichartige Inhalte nicht ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandelt werden. Das betrifft vor allem deren Sortierung und Anordnung auf der Benutzeroberfläche: „Zulässige Kriterien für eine Sortierung oder Anordnung sind insbesondere Alphabet, Genres oder Nutzungsreichweite. Eine Sortierung oder Anordnung soll in mindestens zwei verschiedenen Varianten angeboten werden. [Sie] muss auf einfache Weise und dauerhaft durch den Nutzer individualisiert werden können. Alle Angebote müssen mittels einer Suchfunktion diskriminierungsfrei auffindbar sein.“
Medienplattformen und Benutzeroberflächen müssen ihren Nutzern und der Regulierungsbehörde transparent machen, was sie tun: die Grundsätze für die Auswahl von Inhalten und für ihre Organisation, darunter die Kriterien, nach denen Inhalte sortiert und angeordnet werden und nach denen Empfehlungen erfolgen. Der zuständigen Landesmedienanstalt haben sie zudem auf Verlangen Auskunft über die Verwendung ihrer Metadaten und über die Zugangsbedingungen, insbesondere Entgelte und Tarife, zu geben.
Schließlich überlegen die Rundfunkpolitiker, Inhalte mit Must-carry-Status, die Vorrang bei der Belegung von Plattformen haben, auch in Benutzeroberflächen „besonders hervorzuheben und leicht auffindbar […] machen” zu lassen. Die Bund-Länder-Kommission war in der Frage unentschieden. Es gab auch Stimmen, die eine privilegierte Auffindbarkeit als positive Diskriminierung abgelehnt haben.
Sollten media.ccc.de und MediathekView unter die Definitionen von Plattform und Oberfläche fallen, müssten beide wohl ihre Transparenz verbessern. Am problematischsten wären für sie die Belegungsregeln.
Medienintermediäre
Die wahrgenommene Wichtigkeit gesellschaftlich relevanter Themen wird inzwischen von Suchmaschinen und Sozialen Netzen mitbestimmt. Die Frage, inwieweit algorithmische Entscheidungen die Wahrnehmung des Meinungsklimas verzerren und Polarisierungstendenzen verstärken, ist in der Forschung noch nicht abschließend geklärt. Die Medienpolitiker sehen aber eine so hinreichende Gefahr, dass sie hier für Transparenz und Diskriminierungsfreiheit sorgen wollen.
Ein Medienintermediär ist ein „Telemedium, das auch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter aggregiert, selektiert und allgemein zugänglich präsentiert, ohne diese zu einem Gesamtangebot zusammenzufassen“. Noch offen ist, ob der Begriff mit einer offenen Beispielliste konkretisiert wird: „[Insbesondere sind Medienintermediäre a) Suchmaschinen, b) Soziale Netzwerke, c) App Portale, d) User Generated Content Portale, e) Blogging Portale, f) News Aggregatoren.]“
„Dies sind z. B. Angebote wie die Google-Suchmaschine oder YouTube und Soziale Netzwerke wie Facebook. In Abgrenzung zu Plattformen werden nur sog. ‚offene Systeme‘ und damit keine Anbieter erfasst, die eine abgeschlossene Auswahl von Inhalten anbieten.“ (Erläuterungen zu Intermediären)
Das Wörtchen „auch“ in der Medienintermediär-Definition ist wichtig. Denn würde das Telemedium nur journalistisch-redaktionelle Angebote aggregieren, wäre es entweder, wenn es überwiegend Texte aggregiert, eine Presseplattform und die Rundfunkpolitik nicht zuständig (Presseähnlichkeit!) oder, wenn es audiovisuelle Inhalte versammelt, eben eine Medienplattform. „Auch“ meint, dass neben journalistisch-redaktionellen Inhalten eine Suchmaschine auch alle möglichen anderen Angebote zugänglich präsentiert und Facebook auch private Posts mit Fotos vom Abendessen oder Urlaubsberichten aggregiert. Darunter fallen auch Twitter, Google-News, Newstral, Huffington Post mit seinen Blogs, nicht aber individuelle Websites, Blogs oder Youtube-Kanäle.
Fällt die Wikipedia darunter? Einerseits ist sie ein offenes System, andererseits bietet sie eine abgeschlossene Auswahl von Inhalten in Form einer Enzyklopädie. Einerseits ist sie zweifellos journalistisch-redaktionell gestaltet, ohne jedoch journalistisch-redaktionelle Angebote Dritter zu aggregieren, andererseits stammen ihre Inhalte nicht von Journalisten oder Redakteuren, sondern von ihren Nutzern. Ist die Wikipedia also ein „User Generated Content Portal“? Sie enthält rundfunkähnliche Telemedien, die sie zu einem vom Anbieter bestimmten Gesamtangebot zusammenfasst. Ist die Wikipedia also kein Intermediär, sondern eine Medienplattform? Deutlicher scheint die Lage beim Medien-Repositorium der Wikipedia: Wikimedia Commons. Das ist ein offenes System, das nicht zu einem Gesamtangebot zusammengefasst wird.
Auch OER-Plattformen mit ihren Videos wären erfasst, ebenso Kodi als offene Plattform für Apps von Drittanbietern, z. B. Zattoo, media.ccc.de, Internet Archive usw. Auch Intermediäre sind nur betroffen, wenn sie zur Nutzung in Deutschland bestimmt sind. Vimeo mit deutschsprachiger Oberfläche wäre betroffen, nicht aber das Internet Archive.
Auch bei den Vorschriften des neuen VI. Abschnitts gibt es eine Aufgreifschwelle. Sie gelten nicht für Medienintermediäre, die weniger als eine Million Nutzer („Unique User“) im Bundesgebiet pro Monat erreichen, auf die Aggregation von Inhalten mit Bezug zu Waren oder Dienstleistungen spezialisiert sind oder ausschließlich privaten oder familiären Zwecken dienen. Demnach wären Amazon, Zalando und viele Shops ebenso ausgenommen wie Whatsapp und andere Messenger.
Anbieter von Medienintermediären haben zur Erleichterung der Rechtsverfolgung einen inländischen Zustellungsbevollmächtigten zu benennen. Das müssen sie jedoch nach DSGVO ohnehin schon.
Die Transparenzvorschriften besagen, dass Anbieter von Medienintermediären Informationen verfügbar halten müssen über die Kriterien für die Aufnahme und den Verbleib von Inhalten auf ihren Angeboten und über „die zentralen Kriterien einer Aggregation, Selektion und Präsentation von Inhalten und ihre Gewichtung einschließlich Informationen über die Funktionsweise der eingesetzten Algorithmen in verständlicher Sprache“. Das wäre die erste gesetzliche Vorschrift zur Offenlegung der Funktionsweise von Algorithmen.
Die Regeln zur Diskriminierungsfreiheit richten sich laut Erläuterung an besonders marktmächtige Medienintermediäre: „Zur Sicherung der Meinungsvielfalt dürfen Medienintermediäre journalistisch-redaktionell gestaltete Angebote, auf deren Wahrnehmbarkeit sie potentiell besonders hohen Einfluss haben, weder mittelbar noch unmittelbar unbillig behindern oder ohne sachlich gerechtfertigten Grund unterschiedlich behandeln.“ Eine Diskriminierung liegt vor, wenn der Anbieter von den nach den Transparenzvorschriften veröffentlichten Kriterien „zugunsten oder zulasten eines bestimmten Inhaltes bewusst und zielgerichtet“ abweicht.
Anders als bei Medienplattformen und Oberflächen, denen offenbar in jedem Fall ein Vollprogramm (Information, Bildung, Beratung und Unterhaltung) zugrunde gelegt wird, sehen die Politiker bei Intermediären die Möglichkeit einer thematischen Spezialisierung vor. Diese muss vom Anbieter durch die Gestaltung des Angebots kenntlich gemacht werden. Als Beispiele nennen die Erläuterungen Google News und Xing.
Ebenso ist ein auf rechtsnationale Themen spezialisiertes soziales Netzwerk vorstellbar, das als Selektionskriterium ‚keine Ausländer‘ festlegt und veröffentlicht. Solange es davon nicht willkürlich abweicht, würde es sich nicht um Diskriminierung im Sinne des Entwurfs handeln.
Schließlich erwägen die Politiker, eine Ausweispflicht für Social Bots einzuführen. Wer Bots verwendet, ist „verpflichtet, bei mittels eines Computerprogramms automatisiert erstellten Inhalten oder Mitteilungen den Umstand der Automatisierung kenntlich zu machen, sofern das hierfür verwandte Nutzerkonto seinem äußeren Erscheinungsbild nach für die Nutzung durch natürliche Personen bereitgestellt wurde. Dem geteilten Inhalt oder der Mitteilung ist der Hinweis gut lesbar bei- oder voranzustellen, dass diese unter Einsatz eines das Nutzerkonto steuernden Computerprogrammes automatisiert erstellt und versandt wurde.“ Neben den Betreibern von Bots sollen auch soziale Netzwerke dafür Sorge tragen, dass Bots gekennzeichnet werden.
Mark Zuckerbergs Behauptung „Wir sind nur ein Tech-Provider für das, was unsere Nutzer machen, deshalb bleibt uns mit Medienregulierung vom Hals“ wird damit ein Ende haben. Facebook müsste die Funktionsweise seiner Algorithmen erklären und dafür sorgen, dass Bots gekennzeichnet werden.
Eine Gefahr, dass die Intermediären-Regulierung auf private Posts übergreift, besteht wohl nicht. Uploadfilter oder ein Notice-and-takedown sind nicht vorgesehen. Schließlich geht es auch hier um journalistisch-redaktionelle Inhalte, und nur deren Anbieter können Verstöße bei den Landesmedienanstalten geltend machen. Was für Maßnahmen diese dann ergreifen, sollen sie selbst in Satzung und Richtlinien regeln. Der Staatsvertrag gibt ihnen die Möglichkeit, bei Verstößen Angebote zu untersagen und deren Sperrung anzuordnen.
Vorschlag
Mein vorläufiges Fazit: Der Entwurf geht in die richtige Richtung. Vor allem Algorithmen-Transparenz und Kennzeichnungspflicht für Bots sind Neuerungen, die das Meinungsklima verbessern können. Wie die Diskussion gezeigt hat, wirft der neue Rundfunkstaatsvertrag jedoch viele Fragen zu zivilgesellschaftlichen Angeboten auf. Wie sich Wikipedia, Wikimedia Commons, media.ccc.de oder MediathekView in die erweiterte Systematik einfügen, ist unklar.
Wollte man unbeabsichtigte Nebenwirkung auf diese Anbieter ausschließen, könnte man die Regelungen auf Plattformen, Benutzeroberflächen und Intermediäre beschränken, die mit Gewinnerzielungsabsicht betrieben werden. Anknüpfungspunkte dafür finden sich im Netzwerkdurchsetzungsgesetz. Das beginnt: „Dieses Gesetz gilt für Telemediendiensteanbieter, die mit Gewinnerzielungsabsicht Plattformen im Internet betreiben, die es Nutzern ermöglichen, beliebige Inhalte mit anderen Nutzern auszutauschen, zu teilen oder der Öffentlichkeit zugänglich zu machen (soziale Netzwerke).“ Auch in der aktuellen AVMD-Richtlinie heißt es, sie solle nur wirtschaftliche Tätigkeiten erfassen, „sich jedoch nicht auf vorwiegend nichtwirtschaftliche Tätigkeiten erstrecken, die nicht mit Fernsehsendungen im Wettbewerb stehen, wie z. B. private Internetseiten und Dienste zur Bereitstellung oder Verbreitung audiovisueller Inhalte, die von privaten Nutzern für Zwecke der gemeinsamen Nutzung und des Austauschs innerhalb von Interessengemeinschaften erstellt werden.“
Alternativ ließe sich zur Vermeidung von Kollateralschäden an den Bericht der Bund-Länder-Kommission anknüpfen. Dort heißt es: „Im Rahmen der technischen Medienplattformen soll aus Sicht der Länder an dem ‚Must-Carry‘-Regime festgehalten werden, sofern es sich um Netze handelt, die für eine erhebliche Zahl von Endnutzerinnen und -nutzern das Hauptmittel zum Empfang von audiovisuellen und Audioinhalten darstellen.” Eine sinngemäße Formulierung findet sich jedoch im Entwurf nicht wieder. Mit der vorgesehenen Aufgreifschwelle von 20.000 tatsächlichen Nutzern im Monatsdurchschnitt werden eine Reihe zivilgesellschaftlichen Plattformen erfasst, ohne dass diese für irgendjemanden das Hauptmittel zum Empfang von audiovisuellen Inhalten wären.
Nach Auswertung der eingegangenen Stellungnahmen will die Rundfunkkommission im Herbst über die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses beraten und über das weitere Vorgehen entscheiden.
Könnte das Diskriminierungsverbot von Springer verwendet werden, wenn Google News versuchen wuerde, Medien aufzulisten, für die sie keine kostenfreie Lizenz für das Leistungsschutzrecht bekommen?
Mh, komplizierte Frage.
Zunächst hat Google, nach meinem Verständnis, keine Presseverleger aus News oder Suche geworfen. Nachdem die Verleger, die das wollen, ihr LSR zur kollektiven Wahrnehmung an die VG Media übertragen und diese Google auf Zahlung von Vergütung verklagt hatte, hat Google bei Seiten von VG-Media-Mitgliedern keine Snippets und Thumbnails mehr angezeigt, weiterhin aber Überschrift und Links [1]. Als die Verlage gemerkt haben, dass ihnen das wehtut, haben sie die VG Media angewiesen, Google – und nur Google – eine ‚Gratiseinwilligung‘ zu erteilen [2]. Insofern sind die LSR-Medien (Springer, Burda, Funke, Madsack und DuMont Schauberg u.a. [2a]) bei Google genauso gelistet wie die Nicht-LSR-Medien (Spiegel, FAZ, Zeit, Süddeutsche und natürlich auch Netzpolitik). Ergo keine Diskriminierung.
Wohl aber gegen andere Suchmaschinen, die keine ‚Gratiseinwilligung‘ von den LSR-Verlegern bekommen haben. Daher hatte Yahoo vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt [3]. Das entschied, dass es (noch) nicht zuständig sei und Yahoo sich zunächst an die Fachgerichte wenden müsse [4]. Parallel hatte das Deutschen Patent- und Markenamt als Aufsicht über die Verwertungsgesellschaften der VG Media untersagt, nur Google eine Gratislizenz zu erteilen. Das sei ein Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Dagegen hat die VG Media vor dem Bayerischen Verwaltungsgericht München geklagt [5]. Das wiederum entschied im Mai, das Verfahren solange auszusetzen, bis der EuGH über die Gültigkeit des deutschen LSR entschieden hat [6]. Bis dahin dürfen die Verlage Google weiterhin positiv diskriminieren [7]. Andere Suchmaschinen wie T-Online zeigen dagegen zwar weiter Ergebnisse von LSR-Verlagen, aber nicht mal mehr die Überschrift, sondern nur noch die URL [8].
Könnte Springer das vorgeschlagene Diskriminierungsverbot für Medienintermediäre verwenden? I.A. m.E. nicht, da keine Diskriminierung vorliegt. Sollte der EuGH das deutsche Leistungsschutzrecht für gültig erklären, würde Google sehr wahrscheinlich immer noch keine LSR-Vergütung an Springer zahlen, sondern in dessen Listung unterhalb der Schwelle „kleinster Textausschnitte“ bleiben. Und bei Nicht-LSR-Verlagen weiter Snippets und Vorschaubilder zeigen. Da Google diese Regeln für seine Aggregation, Selektion und Präsentation nach § 53 d-E transparent gemacht hat [1], und sofern es nicht „zugunsten oder zulasten eines bestimmten Inhaltes bewusst und zielgerichtet“ von diesen eigenen Regeln abweicht, liegt auch dann keine Diskriminierung vor. Einen anderen gesetzlichen Anspruch darauf, dass Intermediäre mehr als kleinste Textausschnitte präsentieren, damit sie vergütungspflichtig werden, sehe ich nicht. Auch einen Anspruch Springers gegen andere Verlage, dass diese ihren Vergütungsanspruch aus dem LSR gegen Intermediäre durchsetzen müssen, sehe ich nicht.
Andere Suchmaschinen haben zwar Grund sich über Diskriminierung zu beklagen, nur hilft ihnen der Staatsvertragsentwurf dabei nicht, da der nur eine Diskriminierung von Intermediären gegen Anbieter journalistisch-redaktioneller Inhalte vorsieht, nicht aber umgekehrt von Anbietern gegen Intermediäre.
Schließlich: Warum sollte Springer das tun, wenn es das könnte? Wie Golem nach den aktuellen Mitgliedern der VG Media und deren IVW-Klickzahlen errechnet hat, ginge das Gros der Zahlungen von Google ohnehin an Springer. Würden mehr Verlage ihre Vergütung einfordern, würde Springer aus dem 2%-Anteil, der pauschal an alle VG Media-Mitglieder ausgeschüttet wird, noch ein bisschen mehr bekommen [9]. Dafür müsste sich Springer m.E. aber nicht mit Google, sondern mit den anderen Verlagen anlegen. Die haben aber wohl wenig Lust, sich die bislang aufgelaufenen Gerichtskosten der VG Media von 2,2 Mio. Euro aufzulasten, ohne realistische Aussichten, jemals Geld von Google zu bekommen. Auch das scheint mir keinen Sinn zu machen.
Kurz: Wie man’s dreht und wendet, das „Zombie-Gesetz aus Deutschland“ [10] kennt nur einen sinnvollen Weg: in die Tonne.
[1] https://germany.googleblog.com/2014/10/news-zu-news-bei-google.html
[2] http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/leistungsschutzrecht-verlage-erteilen-google-recht-auf-gratisnutzung-a-998774.html
[2a] https://www.vg-media.de/de/digitale-verlegerische-angebote/berechtigte-presseverleger.html
[3] https://netzpolitik.org/2014/leistungsschutzrecht-yahoo-reicht-verfassungsbeschwerde-beim-bundesverfassungsgericht-ein/
[4] http://www.internet-law.de/2016/11/bundesverfassungsgericht-zum-leistungsschutzrecht-der-presseverleger.html
[5] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-google-klagt-sich-in-prozess-um-gratislizenz-ein-1709-130362.html
[6] https://netzpolitik.org/2017/blamage-mit-ansage-deutsches-leistungsschutzrecht-auf-eu-pruefstand/
[7] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-vg-media-darf-google-weiterhin-bevorzugen-1805-134412.html
[8] https://suche.t-online.de/fast-cgi/tsc?q=merkel+site%3Abild.de
[9] https://www.golem.de/news/leistungsschutzrecht-so-viel-geld-wuerden-die-verlage-von-google-bekommen-1809-136436.html
[10] https://netzpolitik.org/2018/das-leistungsschutzrecht-ein-zombie-gesetz-aus-deutschland-wird-bald-in-ganz-europa-realitaet/
Eine Korrektur: Die europäische Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) schreibt keine Interoperabilität vor. Facebook ist nicht verpflichtet, seinen Nutzern die Kommunikation mit anderen Netzwerken oder anderen Netzwerken die Kommunikation mit seinen Nutzern zu ermöglichen. Über dieses Manko habe ich hier geschrieben: http://einspruch.faz.net/einspruch-magazin/2018-09-05/8bd39503bee64dca8896e7c10e5a7327/?GEPC=s5