Ich nahm das Google-Geld. Warum ich es heute nicht mehr machen würde.

Der Weltkonzern Google wird mit Geschenken und Diensten zur tragenden Säule des europäischen Journalismus. Die Medien geben damit ein stückweit Unabhängigkeit auf. Warum wir Alternativen zum Konzern-Wohlfahrtsprogramm von Google brauchen. Ein Kommentar

No thanks: Journalismus lebt von seiner Unabhängigkeit. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Isaiah Rustad

Google macht sich mit seinem Produkt-Ökosystem und Förderprogrammen für den Journalismus unverzichtbar. Das Geld, das Google an Medienhäuser, Pressevereine und für Nachwuchsförderung verteilt, kommt praktisch ohne Gegenleistungen daher. Trotzdem, oder gerade deswegen, halte ich es für ein Danaergeschenk. Ich sage das aus berufenem Munde, denn ich habe selbst zwei von Google finanzierte Stipendien bezogen.

Journalismus lebt von seiner Unabhängigkeit. Wer Geldgeschenke nimmt, ohne eine Leistung dafür zu erbringen, wird abhängig. Das gilt nicht unbedingt für einzelne Journalisten; ich habe keine Zweifel an der kritischen und couragierten Berichterstattung über Google durch viele der Medien, die aus der Digital News Initiative Geld erhielten. Doch die Verlage werden durch das Geld sanft gestimmt und in ihrer wirtschaftlichen Entwicklung in eine Richtung gedrängt, die Google vorgibt. Man kann sagen: Die Medien werden zu Partnern von Google erzogen.

Freiheit und Verzicht

Im Pressekodex des deutschen Presserates heißt es: „Schon der Anschein, die Entscheidungsfreiheit von Verlag und Redaktion könne beeinträchtigt werden, ist zu vermeiden.“ Wer das Geld einer Firma oder Organisation nimmt, schreibt nicht mehr so frei über sie wie vorher.

Ich war von Januar bis Juli 2017 Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung in Oxford, danach arbeitete ich für drei Monate bei der NZZ in Zürich an einem Projekt. Google finanzierte einen maßgeblichen Teil des Geldes, das mir die Gastinstitutionen auszahlten. Ohne diese Mittel hätte ich beide Möglichkeiten nicht genutzt. Weder in Oxford noch Zürich hatte ich direkt mit Google zu tun, der Konzern mischte sich nicht in meine Arbeit ein. Dennoch wäre es naiv zu glauben, dass Google und sein Geld harmlos sind. Ich würde es heute nicht mehr annehmen.

Googles Komplizen

Google macht Medien und Journalisten mit seinen Geschenken zu Komplizen. Ob es um das dubiose Geschäftsmodell mit Nutzerdaten geht, Steueroptimierung in Offshore-Oasen oder Drohnenprojekte mit dem US-Militär: Google verdient und versteuert sein Geld nicht immer auf die sauberste Art. Je mehr wir davon als Medien nehmen, desto mehr werden wir Teil davon.

Klar lässt sich sagen, dass meine Position in der Frage sowohl bequem als auch kompromittiert ist, denn ich war Nutznießer des Geldes. Das will ich gar nicht abstreiten. Dennoch ist mir wichtig, mich heute davon abzugrenzen. Es geht, wie ich glaube, um mehr als das Handeln von Einzelnen.

Die Frage berührt die ganze Branche: Wer heute über Politik, Wirtschaft oder Gesellschaft berichtet, kommt an dem Internetriesen Google und seinen Mitbewerbern Facebook, Apple, Amazon und Microsoft nicht vorbei. Ob es nun um die Zukunft des Urheberrechts geht, die Entwicklung von künstlicher Intelligenz, selbstfahrenden Autos oder politischen Debatten und Wahlkämpfe im Netz: Überall sind die großen Internetfirmen relevant und ein Machtfaktor. Wer von diesen Firmen Geld nimmt, wird gegenüber der Öffentlichkeit erst noch seine Unabhängigkeit unter Beweis stellen müssen.

Das 150-Millionen-Programm von Google wirft zudem die Frage auf, warum es sonst kaum etwas Vergleichbares gibt. Medien überall in Europa suchen nach Hilfe für ihre digitale Transformation, neue Geschäftsmodelle und Lösungen für transparenteren, lesernäheren Journalismus. Öffentlich-rechtliche Finanzierung kann eine Lösung sein, aber es ist wohl nicht die einzige. Google zeigt, wie private Firmen eine Lücken schließen, die sich mangels Alternativen geöffnet hat. Wir brauchen nun neue Modelle zur Finanzierung und Weiterentwicklung der Medienlandschaft, die unabhängig von Konzernen ist. Der Fall Google ist ein Weckruf, denn die Freiheit der Presse muss auch finanziell gesichert werden.

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Die Recherche zu Googles Geld und seinem Einfluss auf Journalismus und Medien in Europa ist ein Projekt von Ingo Dachwitz und Alexander Fanta. Ein halbes Jahr lang haben sie Informationen über Googles (Digital) News Initiative und den dazugehörigen Innovationsfonds gesammelt, eine Datenbank der geförderten Projekte aufgebaut und analysiert, Interviews mit Expertinnen, Verantwortlichen und Mittelempfänger:innen geführt. Am Ende sind sie überzeugt: Die Nachrichteninitiative bringt spannende Projekte hervor und doch ist sie ein Problem. Bisher erschienene Texte:

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13 Ergänzungen

  1. „Wer von diesen Firmen Geld nimmt, wird gegenüber der Öffentlichkeit erst noch seine Unabhängigkeit unter Beweis stellen müssen.“
    In D’land agieren nunmal sehr Viele nach der Maxime: „Wess Kuch‘ ich ess, des Hand nicht beiß!“ (o.ä.)

    2 Fragen die mich besonders interessieren:
    -Als „Aussteiger“ – bekommt man da Karriere-Probleme, bsplw. wie bei Scientology oder manchen Banken?
    -Wird man, wie bei Versicherungen, und generell Schneeballsystemen, üblich, genötigt Freunden und Verwandten Produkte zu verkaufen oder ihre Daten zu sammeln?

  2. Bisschen arg scheinheilig, wenn dann unten dran stolz in der Autoren-Beschreibung steht: „2017 beschäftigte er sich als Stipendiat am Reuters-Institut für Journalismusforschung in Oxford und bei der NZZ in Zürich mit Projekten zum Roboterjournalismus.“

    Da fehlt dann jeder Hinweis auf das vermeintlich böse, böse Google-Geld.

        1. Natürlich hab ich die Überschrift gelesen. GENAU DESWEGEN finde ich die Autorenbeschreibung dann scheinheilig, wenn trotz des bösen Google-Geldes, das das Stipendium bezahlt hat, darin nichts davon zu lesen ist.

          1. Sorry! Wenn sich nun im Internet umgeschaut wird, kann festgestellt werden, daß sich dort immer mehr Privat-Interessen bis zu Desinformationen („Fake News“, „Verschwörungstheorien“, etc.pp) tummeln. Es ist auch Spiel- und Kriegsfeld für Staaten und ihre Geheimdienste. Es ist soweit nur logisch, daß (Privat-)Unternehmen auf diesem „Informations-Feld“ des Internets ebenfalls, in den weltweit laufenden „digital Information Warfare“, aufrüsten. Auf der allgemein bevorzugten Hardware, dem Smartphone, sind sie schon – aber auch nicht nur die und auch sicher nicht auf allen.

            Netter Vortrag zum Verständnis der Vor-Bedingungen eines digitalen Kalten (Informations-) Kriegs“:
            https://media.ccc.de/v/np14-8-netzpolitik_in_der_aera_cyber_4_0

      1. Nicht böse gemeint, aber durchaus ernst:

        Es sagt sich sehr leicht, dass man heute etwas so nicht mehr tun würde. Insbesondere, wenn es sich um abgesclossene, unabänderliche Vorgänge handelt. Aber hier gäbe es eine wirklich konsequente Handlungsoption, die jemand in deiner Situation wahrnehmen könnte. Zurückzahlen und zurückgeben, wie es jeder mit unrechtmäßig erworbenen Gegenständen tun müsste.

        Solches konsequente Handeln würde zu weniger Doppelmoral einer Person führen und Leute für moralische Argumente von dieser Person empfänglicher machen. Fakten kümmern sich nicht um ein Empfinden, aber moralische Argumente fruchten nur bei Vertrauen.

        Aber natürlich müsste man erstmal feststellen, wieviel davon „unrechtmäßig“ ist. 2%, 55%, 78,7%? Ist wie bei der „check your privileges“ Aufforderung, wieviel muss jemand gegenüber anderen zu(rück)geben, damit die zufrieden sind :)

        1. Eine Anmerkung, die zum Nachdenken einlädt, danke!

          Streng genommen steht im Artikel nur „Ich würde es heute nicht mehr annehmen“, d.h. weder, dass er die Annahme bereut, noch, dass sie aus seiner Sicht ein Fehler war.

          Zur Ausgleichszahlung: Vielleicht würde die ja auch 200% sein – „Zinseffekte“ wie den angereicherten Lebenslauf eingerechnet. Plus Zahlungen zur Behebung des vermeintlich entstandenen Schadens!?

          Ich finde jedenfalls positiv, dass Alexander einen so transparenten Artikel geschrieben hat und denke nicht, dass die Episode negativ auf seinen Charakter zurückfällt (meine Meinung).

  3. Wer andere BESCHENKT darf keine Gegenleistung verlangen. So würde ich es auch machen, schön die Hand austrecken aber deswegen noch lang nicht nach der Pfeife tanzen. Fragt sich bloß ob man mit dieser Einstellung nicht aus dem Verkehr gezogen wird.

  4. Der Artikel. so richtig er im Grunde ist, bietet eine prima Argumentationshilfe für Google: Seht her, er hat das Geld genommen und schreibt dennoch kritisch. Zack! Und den Leser hat Google sogar noch darauf weitergeleitet. In meinem Fall aus dem Panorama von Google News. Was ist also gewonnen, außer weiterer Klickfang?

  5. Interessanter Artikel, diese Thematik in Bezug auf Google ist mir neu. Unabhängigkeit ist in dieser sich immer weiter vernetzenden Welt zunehmend schwierig geworden. Man kann auch anders herum provokativ denken: Na und, dann sind wir halt abhängig, eingeschränkt und begrenzt, dürfen nicht mehr alles sagen, alles wollen, alles ankündigen – wen interessiert’s?
    Die junge Generation bezieht ihr Wissen vorrangig aus sozialen Medien, die hintergründig durchdrungen sind von Fremdbestimmung. Wissen wird bezogen über krasse News, lustige Bilder und schockierende Kurzvideos. Echtes Wissen geht allmählich verloren. Gefragt sind vor allem Teaser, also Schlaglichter und Schlagzeilen. Das hat Folgen.
    Ein Beispiel: Ich ging letzte Woche an einem Bach entlang, der umsäumt war von wunderschönen alten Eichen und Silberweiden. Ein junges Pärchen, beide etwa 18 Jahre alt, sass, in ein Gespräch vertieft, auf einer Bank. Als sie mich bemerkten, wendete der junge Man sich mir zu, hielt mir etwas kleines Rundes hin und fragte: „Wissen Sie was das ist? Kann man das essen?“ Erstaunt blickte ich auf den kleinen Gegenstand in seiner Hand, an dem er offenbar herumgepult hatte, ohne in aber richtig geöffnet zu haben. Ich schluckte leer, schaute den Mann an und zwang mich ganz ruhig und sachlich zu antworten. Ohne zu lachen. Ohne zu schreien. Ohne frech und gemein zu werden. Das alles war nämlich gleichzeitig in mir. Das kleine Ding war – eine Eichel! Und beide hatten keine Ahnung! Sie sassen neben einer Eiche und kannten weder den Baum, noch die Frucht, und stellten auch keinen Zusammenhang zwischen beidem her! So anständig wie sich beide mir gegenüber verhielten, hatten sie nicht auch nicht versucht, mich hochzunehmen. Sie wussten es wirklich nicht! Beide bedankten sich sogar brav bei mir, nachdem ich sie aufgeklärt hatte. Fast noch schlimmer als das Nichtwissen, war ihre Reaktion auf meine Erklärung: Sie hörten zu, blieben ruhig, verabschiedeten sich von mir und redeten, als ich sie verlies, wieder weiter, so als ob nichts Wichtiges passiert sei. Es war ihnen also weder peinlich, dass sie es nicht wussten, noch war es für sie offenbar wichtig, so einfache Alltagsdinge wissen zu müssen.
    Auch wenn ich für Unabhängigkeit bin: Falls Google einmal die Idee haben sollte, die künftig vielleicht pleite gegangenen öffentlichen Schulen zu übernehmen und allen Schülern umfangreiches Weltwissen einzuimpfen bei leider gleichzeitiger Indoktrination mit Firmenphilosophie und dadurch „Sichtbehinderung“ durch schwer zu erkennende Lenkung und Unterschlagung, würde ich mich vermutlich schwer damit tun, das wirklich schlimm zu finden.

  6. Die Kommentare zur ‚Scheinheiligkeit‘ sind für mich besonders scheinheilig, da sie allesamt eher dem Neidfaktor zuzuschreiben sind.
    Mein eigener Blog „FIWUS“ wird von niemanden gesponsert, auch von Google nicht, auch wenn eine winzige Google-Anzeige existiert, aber ich schreibe auch nicht, um Geld zu verdienen, obwohl ich es wirklich nötig hätte bei meiner ‚unglaublich hohen Rente von € 670,00‘. Ich hätte aber keinerlei Skrupel, Kohle von Google anzunehmen. Nur ist der FIWUS halt für jeden kostenlos und wird es auch bleiben, denn was ich schreibe ist niemals Auftrag. Sollte mal ein Auftrag reinschneien, wird auch Honorar fällig.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.