Copyright Update #5: Vor Entscheidung im EU-Parlament trägt Wikipedia schwarz

Morgen ist ein Schicksalstag für das EU-Urheberrecht. Das EU-Parlament entscheidet über seine Position, der Ausgang der Abstimmung ist offen. Die deutschsprachige Wikipedia-Community fürchtet Verschlechterungen und versperrt symbolisch die Startseite.

Visualisierung des Wikipedia-Blackouts (Quelle)

Mit dem Internet wurde das Urheberrecht von einem Nischenthema zu einem relevanten Aspekt im digitalen Alltag von uns allen. Unsere Serie Copyright Update widmet sich der Debatte über dessen ausgewogene und zeitgemäße Gestaltung.

Eines der wichtigsten Grundprinzipien der Wikipedia ist ihr Anspruch, bei ihren Inhalten einen möglichst neutralen Standpunkt einzunehmen. Gerade bei politischen Themen führt das bisweilen zu einem intensiven Ringen, wie so ein neutraler Standpunkt aussehen könnte. Dass dieses Ringen aber transparent nachvollziehbar und zu einem immer nur vorläufigen Ergebnis führt, ist zentrales Qualitätskriterium der Wikipedia. Umso bemerkenswerter ist deshalb, wie heute Besucherinnen und Besucher der Wikipedia auf der Startseite begrüßt werden. Vor einer verdunkelten Wikipedia fordert ein großer Banner dazu auf, ihre Abgeordneten im EU-Parlament zu kontaktieren (siehe Screenshot).

Screenshot der Startseite der deutschsprachigen Wikipedia am 11. September 2018 (besucht mit deutscher IP-Adresse; Besucher mit österreichischer IP-Adresse sehen eine angepasste Version)

In einem Blogeintrag erklären Lilli Iliev und John Weitzmann von Wikimedia Deutschland die Hintergründe für die Aktion. Der Protest der Wikipedia-Community richtet sich gegen die Einführung eines neuen Leistungsschutzrechts für Presseverleger, damit Wikipedia nicht für Quellenverweise auf Presseartikel zahlungspflichtig wird, und warnt vor der Einführung einer Upload-Filterpflicht:

Für Wikipedia als Plattform ist zwar eine Ausnahme vorgesehen, aber schon für das dazugehörige Medienarchiv Wikimedia Commons ist alles andere als sicher, ob diese Ausnahme noch so weit reicht, von unzähligen Projekten außerhalb der Wikimedia-Projekte ganz zu schweigen. Wikipedia ist aber ohne ein digitales Umfeld freier und Freiwilligen-getragener Projekte nicht denkbar.

Iliev und Weitzmann verweisen in ihrem Beitrag auch darauf, dass es bislang erst einmal im Jahr 2012 einen symbolischen „Wikipedia-Blackout“ aus Protest gegen zwei US-Gesetzesvorhaben gegeben hatte. Damals war der Protest sehr erfolgreich und hatte zu einem entscheidenden Meinungsumschwung unter Kongressabgeordneten beigetragen (siehe auch Abbildung).

Kompliziertes Abstimmungsprozedere im Plenum

Ob der Protest in Europa ähnlich erfolgreich ist, wird sich morgen, Mittwoch, zeigen. Allerdings ist das Verfahren komplizierter als 2012 in den USA, da es nicht einfach nur um eine Ablehnung des gesamten Reformvorschlags sondern um konkrete Abänderungsanträge geht. Insgesamt wurden über 200 Anträge eingebracht.

Mit welchem Verhandlungsmandat das EU-Parlament in den Trilog mit EU-Kommission und Rat geht, hängt jetzt davon ab, wie die Abgeordneten morgen über einzelne Änderungsanträge abstimmen. Üblicherweise debattiert das Plenum des EU-Parlaments nicht mehr über einzelne Änderungsanträge, sondern es segnet nur noch die Vorlagen des jeweils federführenden Ausschusses ab. Da die vom deutschen EU-Abgeordneten Axel Voss maßgeblich vorangetriebene Vorlage mit Upload-Filterpflicht und weitreichendem Leistungsschutzrecht aber im Juli diesen Jahres überraschenderweise keine Mehrheit fand, müssen alle Abgeordneten jetzt in allen Punkten Farbe bekennen.

Einen Überblick über die wichtigsten Änderungsanträge liefert die Urheberrechtsexpertin unter den EU-Abgeordneten Julia Reda auf ihrem Blog. Ihre Aufstellung dokumentiert dabei, dass die Fronten teilweise durch die Fraktionen verlaufen. Von Seiten der konservativen EVP-Fraktion wird im Wesentlichen an den im ersten Anlauf gescheiterten Voss-Vorschlägen festgehalten.

Verschärfungen verhindern oder Verbesserungen erreichen?

Die offene Abstimmung im Plenum ermöglicht aber nicht nur, Verschärfungen im EU-Urheberrecht zu verhindern, sondern eröffnet auch die Möglichkeit, in einigen Punkten zusätzliche Verbesserungen zu erreichen. Unter anderem verweist Reda auf einen Änderungsantrag zur Einführung einer neuen verpflichtenden Urheberrechts-Ausnahme für nutzergenerierte Inhalte, der im Rechtsausschuss nur mit einer Mehrheit von einer Stimme abgelehnt worden ist.

Wer also heute EU-Abgeordnete zur Ablehnung von Upload-Filterpflichten und neuen Leistungsschutzrechten auffordert, der könnte bei dieser Gelegenheit auch darum bitten, der Remixkultur im Internet etwas Gutes zu tun und für die entsprechenden Änderungsanträge zu stimmen. Kontaktdaten der Abgeordneten liefert saveyourinternet.eu. Und nach dem Anruf im Abgeordnetenbüro gibt es noch die Möglichkeit, einer Petition zum Thema bei change.org über die Schwelle von einer Million UnterzeichnerInnen zu helfen.

Transparenzhinweis: der Hinweis auf die Petition wurde am 11.9., 12:30 Uhr ergänzt.

14 Ergänzungen

  1. über Youtube gibts dann nach 15 Stunden Upload für ein 5 Stunden- Street Art – Video, indem Straßenkünstler ihre Musik über Ghettoblaster laufen lassen dann bsplw. folgenes: „Weltweit gesperrt: La valse d’Amélie – Yann Tiersen“ (2 Minuten 30)
    Das Tool um dort die urheberrechts“geschützte“ Musik auszutauschen ist unausgereift: Mal abgesehen davon, daß nur von YT vorgeschlagene Titel genutzt werden können.

    Arme Amélie.. *ist ja auch etwas deprimierend die Musik*

  2. Ich denke es wird ein waschechter Kompromiss. Keine Uploadfilter und die Anbieter müssen lediglich den Upload filtern.

  3. Das nennt man Lobbying:
    Netzpolitik vertritt die Interessen von Wikipedia und wirbt dafür, fremde journalistische Leistung frei nutzen zu dürfen und damit auch die Leistungen von Netzpolitik selbst.

    Das stellt mich vor ein riesiges Wertungsproblem: Ich bin davon überzeugt, dass man für eine Urheberleistung dem Urheber oder seinem Verbreitungsorgan ein angemessenes Honorar bezahlen muss. Damit verdient der Journalist immerhin seinen Lebensunterhalt! Man kann nicht einerseits Mindestlohn fordern und andererseits die geistige Leistung eines Journalisten verheizen.

    Andererseits bin ich zutiefst enttäuscht von Presse (z.B. FAZ und HAZ) und Fernsehen (insbes. ARD und ZDF), weil sie nicht neutral berichten. Ausgerechnet Netzpolitik, die da ein deutlich höheres Niveau halten, stimmen nun für die Abschwächung von Urheberrechten.

    Könnt Ihr es Euch leisten, Euer Alleinstellungsmerkmal preiszugeben?

    1. ARD und ZDF arbeiten sich ja hauptsächlich am zurechtrücken unseres Weltbilds ab. Sendungen wie Panorama oder Frontal sind nicht mehr das was sie mal waren.

    2. Netzpolitik vertritt die Interessen von Wikipedia und wirbt dafür, fremde journalistische Leistung frei nutzen zu dürfen und damit auch die Leistungen von Netzpolitik selbst.

      Wo werben wir „dafür, fremde journalistische Leistung frei nutzen zu dürfen“?

    3. Die Industrie (allen voran der Springer Verlag) versucht den Diskurs zu verschieben, indem Scheinargumente wie in diesem Kommentar angebracht werden.

      Daher eignen sich Pseudo-Argumente dieser Art wie von „HerBert“, die entweder gezielt gestreut werden von Springer et. al oder von Ungebildeten weiter verbreitet werden, sehr gut um zu betrachten, wie hier vom Wesentlichen abgelenkt wird.

      Der Kommentar bedient sich der Heuchelei („zutiefst enttäuscht“, „riesiges Wertungsproblem“, „ausgerechnet Netzpolitik“, sowie der Ablenkung („angemessenes Honorar“).

      Vereinfachende Begriffe wie „der Journalist“ sollen die Menschen emotional berühren und verdecken, dass es Großkonzerne sind, die mit dem Leistungsschutzrecht kleine Verlage und News-Aggregatoren aus dem Markt schießen werden und damit unabhängige Journalisten empfindlich treffen werden.

      Dass Netzpolitik als unabhängiges journalistisches Projekt selbst nicht negativ vom fehlenden Leistungsschutzrecht betroffen ist, ist dem Kommentator egal.

      Bürgerrechtler und Journalisten sollen gegeneinander ausgespielt werden, um davon abzulenken, dass es hier um einen Konflikt zwischen den Interessen der User und der Verwertungsindustrie ist, die die Content-Creator ausbeutet und vor sich hertreibt.

  4. Auf jeden Fall ist es sehr auffällig, wie einseitig von Netzpolitik über die Thematik berichtet wird. Gegenstimmen, beispielsweise von betroffenen Journalisten, kommen hier aus Prinzip schon nicht zu Wort. Ein ausgewogener Diskurs zu dieser Thematik sieht ganz anders aus.

      1. Eure NP Redakteurin ist hauptamtliche Lobbyistin in Brüssel. Findest Du nicht, dass es sich bei NP eher um Journalismus Simulation handelt ?

        1. Du meinst Kirsten Fiedler, die sehr selten hier als freie Autorin Beiträge schreibt und wo das gekennzeichnet ist? Döpfner schreibt auch Beiträge in der Welt, obwohl er u.a. BDZV-Chef ist. Ist die auch eine Journalismus Simulation?

  5. Der Gag ist doch, dass alle Medienhäuser schon in Deutschland vor Googles Marktmacht eingeknickt sind. Der Monopolist unserer Filterblasen hat also umgehend von allen Medienhäusern Freibriefe zur weiteren Verwendung ihrer Artikel bekommen. Aber wenn ich jetzt einen Artikel hier verlinken würde um euch das zu beweisen, würde ich gegen das Gesetz verstoßen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.