Bundesjustizministerium plant Gesetz für Abhörmaßnahmen aus dem europäischen Ausland [Update]

Mit der Umsetzung einer EU-Richtlinie wollen die EU-Mitgliedstaaten die Rechtshilfe in Strafsachen vereinfachen. Ein Anordnungsstaat darf bei einem Vollstreckungsstaat bestimmte Ermittlungen anfordern. Geregelt werden die Überwachung von Bankgeschäften und Telekommunikation sowie der Einsatz verdeckter ErmittlerInnen. Auch Einsätze von Trojanern wären EU-weit möglich.

Surveillance Cat (CC BY-NC 2.0 by Nick Southall via flickr)

Das Bundesinnenministerium Bundesjustizministerium hat den Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der EU-Ermittlungsanordnung in Strafsachen (EEA) vorgelegt. Ein Anordnungsstaat soll damit einen Vollstreckungsstaat in der Europäischen Union auffordern können, bestimmte Ermittlungen zu veranlassen. Dies umfasst die Überwachung von Bank- oder sonstigen Finanzgeschäften, die Überwachung der Telekommunikation, den Einsatz von verdeckten ErmittlerInnen und sogenannte kontrollierte Lieferungen. Dabei handelt es sich um fingierte Geschäfte mit Drogen oder Waffen, anhand derer mithilfe technischer Überwachungsmaßnahmen der Transportweg nachvollzogen werden kann.

Die Richtlinie wurde bereits in 2014 verabschiedet, alle EU-Mitgliedstaaten müssen diese in nationales Recht umsetzen. Mit der jetzigen Initiative bleibt die Bundesregierung hierzu im vorgesehenen Zeitrahmen. Bis zum 22. Mai 2017 soll das erforderliche Gesetz erlassen werden.

Zurückweisungsmöglichkeiten minimiert

Die Ermittlungsanordnung in Strafsachen basiert auf dem Prinzip der gegenseitigen Anerkennung von justiziellen Entscheidungen in Strafsachen, wie sie 1999 im Fünfjahresprogramm des EU-Gipfels im finnischen Tampere beschlossen und später im Vertrag von Lissabon zementiert wurde. Sämtliche EU-Mitgliedstaaten unterliegen seitdem einer Kooperationsverpflichtung.

Entsprechende Regelungen sind bereits in früheren Verträgen enthalten, etwa im Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen oder in der Europäischen Beweisanordnung. Nicht von der neuen Richtlinie erfasst ist die Bildung von „Gemeinsamen Ermittlungsgruppen“ und grenzüberschreitenden Observationen, die bereits im Übereinkommen über die Rechtshilfe in Strafsachen geregelt sind.

In der Praxis ergeben sich also durch die Ermittlungsanordnung in Strafsachen keine größeren Änderungen gegenüber den bisherigen Verfahren. Jedoch sind die Zurückweisungsmöglichkeiten von Anordnungen deutlich minimiert. Auch werden die Rechtshilfeersuchen durch die Verwendung einheitlicher Formulare standardisiert.

Behörden können auch Verkehrs- und Standortdaten anfordern

Zum Abhören der Telekommunikation können von den Justizbehörden der EU-Mitgliedstaaten nicht nur Inhalte angefordert werden, laut dem Gesetzentwurf dürfen sie auch die Erhebung von Verkehrs- und Standortdaten veranlassen. Möglich ist die „unmittelbare Übertragung des Telekommunikationsverkehrs“ oder eine Aufzeichnung und anschließende Übermittlung der Ergebnisse an die begehrende Behörde im Ausland. Näheres regelt eine individuell zu treffende Vereinbarung zwischen der Anordnungsbehörde und der Vollstreckungsbehörde. Der Einsatz von Trojanerprogrammen wird in dem Gesetzentwurf nicht ausgeschlossen, auch Anordnungen zur akustischen Überwachung sind dem Text zufolge denkbar.

Der grenzüberschreitende Einsatz von verdeckten Ermittlern als „Echtzeitmaßnahme“ ist einem eigenen Artikel geregelt. Hierfür hatten sich die deutsche und die britische Regierung stark gemacht, die im Rat ein Veto zur verpflichtenden Anordnung verdeckter Ermittlungen einlegten. Hintergrund ist die Komplexität entsprechender Maßnahmen, da verdeckte Einsätze monatelang angebahnt werden müssen und mit hohen Risiken der Enttarnung einhergehen. Dem Vollstreckungsstaat wird nun ein Ermessensspielraum zugestanden.

Sofern der Anordnungsstaat eigene Polizeispitzel im Vollstreckungsstaat einsetzen will, muss deren Rechtsstellung gesondert vereinbart werden. Aus Deutschland durften bislang lediglich die Kriminalämter und der Zoll verdeckte ErmittlerInnen führen. Mit dem im Juni beschlossenen „Anti-Terror-Paket“ ist nun auch die Bundespolizei verdeckten Ermittlungen befugt. Der Bundespolizeipräsident kündigte an, diese vor allem Bereich der internationalen „Schleusungskriminalität“ einzusetzen.

Bei polizeilichen Großeinsätzen werden die Kosten geteilt

Grundsätzlich soll der Vollstreckungsstaat alle Kosten tragen, die bei Ermittlungs- und Überwachungsmaßnahmen in seinem Hoheitsgebiet anfallen. Nur wenn die Vollstreckungsbehörde der Ansicht ist, dass die Kosten „außergewöhnlich hoch“ sind, kann sie bei der Anordnungsbehörde eine Kostenteilung anregen. Eine solche Mitteilung muss jedoch vor Beginn der Maßnahme erfolgen. Als Beispiele nennt die EU-Richtlinie Sachverständigengutachten, polizeiliche Großeinsätze oder Überwachungstätigkeiten über einen langen Zeitraum.

Laut einem Vermerk will das Bundesjustizministerium die Umsetzung der EU-Richtlinie zur Neuordnung der innerstaatlichen „Zuständigkeitsregeln“ für die grenzüberschreitende Telekommunikationsüberwachung nutzen. Bislang musste die Zuständigkeit einzelner Gerichte in den Bundesländer für Ersuchen aus dem Ausland über das Bundesamt für Justiz ermittelt werden. Nun soll jeder EU-Mitgliedstaat einem Gericht am Sitz einer Landesregierung zugewiesen werden.

Update: Die Pressestelle des Bundesministerium des Innern ist über den Artikel „gestolpert“ und teilt richtigerweise mit:

Nicht BMI sondern BMJV war/ist bei dem von Ihnen in Bezug genommenen Gesetzgebungsvorhaben federführend, die Überschrift ist somit unzutreffend, und ich bitte um Änderung.

Weiter heißt es zu der am 26. September 2016 veröffentlichten Drucksache:

Der Gesetzentwurf „zur Änderung des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen“ soll die Richtlinie 2014/41/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die Europäische Ermittlungsanordnung in Strafsachen (RL EEA) umsetzen. Er wurde übrigens bereits am 20. Juli 2016 vom Kabinett beschlossen.

Korrektur: In der ursprünglichen Überschrift war fälschlicherweise vom Bundesinnenministerium und nicht vom Bundesjustizministerium die Rede. Wir bedauern den Fehler.

3 Ergänzungen

  1. Das scheint doch bürokratischer Unsinn zu sein. Man kann ja den Tor-Webbrowser anweisen nur Knoten in den Russland, China und meinetwegen Island zu nutzen. Dann bekämen die Buben bestenfalls noch die Daten aus Island. Die wären noch verschlüsselt. Vorschalten ließe sich noch eine VPN nach Japan, Indien oder auch Hongkong. Ohne Krimineller zu sein, sowas verwende ich standardmäßig. Die wirklichen Gefahren im Internet gehen heute von den Staatsspitzeln aus. Die können ja sagen, Provider xyz, gib mir mal die aktuelle IP – Adresse von Schützling ABC, dann scannen sie das System von ABC, finden eine Lücke und jubeln ihm sonstwas unter. Dann schicken sie die gepanzerten Figuren mit schwarzen Masken und stürmen die Hütte, um IHRE selbst geschaffenen „Beweise“ sicherzustellen.

    Damit will ich nur sagen, es ist ganz schöner Blödsinn, was die da kontrollieren oder regulieren wollen.

    Wenn ich als ABC mich vor Kriminellen der qualifizierteren Art schützen will, verschleiere ich meine echte IP. Nicht auf die billige Art, man darf echten Kriminellen auch echte Kenntnisse zutrauen. Irgendwelche albernen Kryptotrojaner jucken mich garnicht. Ich komme meinetwegen mit einer Virtuellen Maschine unter Linux daher, wird die (falls ich so blöde wäre und eine Infektion nur zuließe) zurückgesetzt. Natürlich ist dieses „Modell“ angreifbar. Aber nur, wenn man die AKTUELLE ECHTE IP kennt. Für Staatsschnüffler kein Problem, somit sind die die einzige Gefahr, nicht nur für Kriminelle, sondern für JEDEN.

  2. „Man kann ja den Tor-Webbrowser anweisen nur Knoten in den Russland, China und meinetwegen Island zu nutzen.“

    Davor , das automatische Routing soweit einzuschränken, wird ausdrücklich und aus gutem Grund gewarnt. Weiteres auf https://www.torproject.org/

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