Britisches Überwachungsgesetz könnte „Leben kosten“ und zu „schweren internationalen Konflikten“ führen

William Binney. Bild: Rama. Lizenz: Creative Commons BY-SA 2.0.

Das geplante britische Überwachungsgesetz würde Menschenleben kosten, sagte der ehemalige technische Direktor des US-Geheimdienstes NSA, William Binney, gestern in einer Anhörung vor einem Ausschuss des britischen Parlaments. Analysten würden von einer Flut an Informationen überschwemmt und hätten folglich Schwierigkeiten, die Nadel im Heuhaufen zu finden.

Er spreche aus eigener Erfahrung, erklärte der 36 Jahre bei der NSA tätig gewesene und mittlerweile zum Whistleblower gewandelte Binney. Massenhaft abgefangene Kommunikation habe unüberschaubare Datenberge zur Folge, die niemand durchforsten könne. Seit den Anschlägen vom 11. September 2001 habe dies „durchwegs zum Verlust von Menschenleben geführt, in meiner Heimat und anderswo“, so Binney in seiner schriftlichen Stellungnahme.

Die Anschläge hätten verhindert werden können, hätte man sich für einen zielgerichteten Ansatz entschieden. „16 Monate vor den Attacken betrieb meine Abteilung [Signit Automation Research Center – Sarc] eine neue Methode, die sich auf ‚intelligente Datensammlung‘ konzentrierte, um terroristische Netzwerke aufzudecken. Der Plan wurde zurückgewiesen, zu Gunsten eines deutlich teureren Plans, der darauf abzielte, sämtliche Kommunikation von allen zu sammeln“, zitiert ihn der Guardian.

Silicon Valley will Vertrauen wiederherstellen

In einer gemeinsamen Stellungnahme übten ferner die IT-Schwergewichte Facebook, Google, Microsoft, Twitter und Yahoo scharfe Kritik am Gesetzentwurf der britischen Innenministerin Theresa May. So wiesen sie im Entwurf enthaltene Bestrebungen zurück, Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselter Kommunikation zu gewähren, etwa mittels gesetzlich vorgeschriebenen Hintertüren. Problematisch sei zudem die Ermächtigung, in Computernetzwerke oder einzelne Geräte einzudringen, da dies die Sicherheit von Produkten oder Diensten gefährden und somit das Vertrauen der Nutzer in das gesamte Ökosystem untergraben würde.

Nach der Enthüllung des PRISM-Programms will Silicon Valley das Vertrauen in ihre Produkte wiederherstellen.
Nach der Enthüllung des PRISM-Programms will Silicon Valley das Vertrauen in ihre Produkte wiederherstellen.

Unvorhergesehene Auswirkungen hätte auch die Verpflichtung zur Herausgabe von im Ausland liegenden Nutzerdaten an britische Behörden. Um der Gesetzeslage auf der Insel zu entsprechen, müssten die Unternehmen womöglich Datenschutzrichtlinien anderer Länder missachten, was ein bodenloses Fass aufmachen würde.

Noch einen Schritt weiter ging Apple, das in einer gesonderten Stellungnahme vor „schweren internationalen Konflikten“ warnte, sollten nicht-britische Unternehmen dazu gezwungen werden, Gesetze ihrer Heimatländer zu brechen. Zudem sei wahrscheinlich, dass solche Regelungen einen Dammbruch darstellen und andere Länder ähnliche Gesetze erlassen würden. Das könnte einen „substanziellen Teil der IT-Industrie“ lahmlegen, die „dutzende oder hunderte, einander widersprechende Länder-spezifische Gesetze“ einhalten müsste.

Der „Investigatory Powers Bill“ genannte Gesetzentwurf war vergangenen November vorgestellt worden und sieht derzeit unter anderem eine weitreichende Vorratsdatenspeicherung, eine abgeschwächte richterliche Kontrolle sowie Maßnahmen vor, die Ermittlungsbehörden Zugang zu verschlüsselter Kommunikation verschaffen sollen. Die aktuelle laufende parlamentarische Debatte vor einem eigens eingerichteten Ausschuss hat zu zahlreichen lesenswerten Stellungnahmen geführt, etwa der des legendären Investigativjournalisten Duncan Campbell, der Electronic Frontier Foundation (EFF) oder der des UN-Sonderberichterstatters. Sie lassen sich auf der Webseite des Parlaments oder hier in alphabetischer Reihenfolge abrufen.

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9 Ergänzungen

  1. Ich persönlich bin davon überzeugt: es ist noch viel schlimmer!
    Aber ich bin auch davon überzeugt, das Britische Volk denkt ganz anders, als ihre Eliten.

      1. Ich vernehme einen leichten Sarkasmus ;) (ist ja auch nicht unberechtigt – spiegeln und so)
        Was ist der Unterschied zwischen Ironie, Sarkasmus und Zynismus? Zynismus ist eine Charakter-Eigenschaft!
        Alles Gute für 2016!

  2. mmh, die Aussage von Apple liest sich in meinen Augen so. „das geht zu schnell“, wenn wir bei so etwas mitmachen sollen, müssen die Überwachungsgesetze aller Länder, in denen wir unsere Geschäfte machen, langsamer, bis zu dem gewünschtem Status, angepasst werden.

    1. „Dammbruch“ und „lahmlegen“ klingt eher nach vollständig unerwünschten Praktiken. Apple hätte ja nichts davon, die machten bisher nicht alles so frohen Mutes mit wie diejenigen Unternehmen, deren Geschäftsmodell Stalking/Datensammeln ist. Eher legen die der Massenüberwachung mittels Verschlüsselung noch Steine in den Weg.

  3. Hi,
    also ich lebe seit 2 Jahren in England und habe nicht das Gefuehl, dass diese Massnahmen vom „Volk“hier abgelehnt werden wuerden. Hier stemmt sich ja auch niemand gegen die permanente CCTV Ueberwachung … „Privacy“ ist sicherlich mehr in Deutschland ein Thema als in UK … leider!

  4. Also wenn das so wäre wie Apple schreibt „schwere internationale Konflikte“ dann gibt es imho genügend Länder auf dieser Welt, die solche Gesetze mal geschwind machen sollten.
    Abgesehen davon, dass man, wenn die Unternehmen sich dann halt aus den Ländern zurück ziehen, man im Prinziep abgeschottete Landesnetze frei Haus bekommt. Ist doch super.
    Aber wahrscheinlich läuft es dann darauf hinaus, dass alle Länder an alles ran kommen. Datenreichtum für alle. Was besseres kann es doch nicht gegen die Verbrechensbekämpfung geben. :)

  5. Bei derzeit ca. 7 Milliarden Menschen, stelle ich mir das einfach unmöglich vor. Da allerdings, der Westen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung hat, wäre das im Westen wohl umsetzbar, und was macht man dann mit der Mehrheit von ca. 6,3 Milliarden auf dieser Erde? Weiter Waffenexporte? Weiter Völkerrechtswidrige Kriege, weiter Länder destabilisieren, weiter Drohen Einsätze? Folter, Entführung und Mord? Weiter unschuldige Zivilisten töten?

    Eine völlige Sicherheit wird es nie geben. Viel wichtiger wäre es deshalb die Ursachen anzugehen, kostet zwar auch Geld, aber wäre mit Sicherheit eher durchführbar, wenn gewollt. Aber solange der Westen mit seinen gerade einmal 10% der Weltbevölkerung, den Rest der Welt als seine Kolonien betrachtet, und auch so behandelt, braucht sich niemand im Westen über Terror beschweren. Wie schrieb schon Jean Ziegler in seinem Buch sehr treffend wie ich finde: “ DER WESTEN EIN IMPERIUM DER SCHANDE“

    Da das aber nicht einmal im Ansatz hier erwähnt wird (Ursachen bekämpfen) macht der Westen weiter wie bisher.

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