Amerikanische Internet-Anbieter sollen auch in Zukunft die Netzneutralität mit sogenannten Spezialdiensten aushebeln können. Das geht aus einem Vorschlag hervor, den die Regulierungsbehörde FCC gestern angenommen und veröffentlicht hat. Diese Entwicklung ist nicht nur schlechtes Vorbild für die hiesige Politik, sondern hat unmittelbare Auswirkungen.
Vor drei Wochen wurde bekannt, das die US-Behörde Federal Communications Commission einen neuen Regulierungs-Vorschlag zur Netzneutralität machen will. Dieser wurde gestern, wie geplant, angenommen und veröffentlicht: Protecting and Promoting the Open Internet.
In seinem dazugehörigen Statement verlautbart Behördenchef Thomas Wheeler wohlklingend:
I strongly support an open, fast and robust Internet. This agency supports an Open Internet. There is ONE Internet. Not a fast internet, not a slow internet; ONE Internet.
Das kennen wir ja bereits. Niemand ist gegen Netzneutralität, jeder ist dafür. Der Teufel steckt aber im Detail: Wie wird Netzneutralität definiert, und welche Ausnahmen und Schlupflöcher werden ermöglicht? Und davon finden wir im 99-seitige Vorschlag auf die Schnelle mindestens drei.
Ausnahme für Spezialdienste
Artikel 60 lautet:
In the Open Internet Order, the Commission recognized that broadband providers may offer “specialized services” over the same last-mile connections used to provide broadband service. The Commission stated that these services can benefit end users and spur investment, but also noted the potential for specialized services to jeopardize the open Internet. Due to these concerns, the Commission stated that it would monitor these services, but that its rules would “not prevent broadband providers from offering specialized services such as facilities – based VoIP.” We tentatively conclude that we should maintain this approach and continue to closely monitor the development of specialized services to ensure that broadband providers are not using them to bypass the open Internet rules or otherwise undermine a free and open Internet.
Auf deutsch: „Alle Daten sind gleich, aber ‚Spezialdienste‘ sind gleicher.“
Ausnahme für Mobilfunk-Netze
Artikel 62:
The transparency rule applies equally to both fixed and mobile broadband Internet access service. The no-blocking rule applied a different standard to mobile broadband Internet access services, and mobile Internet access service was excluded from the unreasonable discrimination rule. We tentatively conclude that we should maintain the same approach in today’s Notice.
Auf deutsch: „Alle Daten sind gleich, aber ‚Mobilfunkdaten‘ sind gleicher.“
Ausnahme für „wirtschaftlich angemessene“ Zerstörung des Internets
Immer wieder taucht in dem Dokument der Begriff „wirtschaftlich angemessen“ auf. Schon vor drei Wochen titelten wir: FCC erlaubt “wirtschaftlich angemessene” Zerstörung des Internets. Jetzt gibt es sogar einen eigenen Gliederungspunkt „Prohibiting Only Commercially Unreasonable Practices“, der in sechs Artikeln (116-121) festlegt, dass Netzneutralität wichtig ist, aber „wirtschaftlich angemessen“ sein muss.
NGOs: „Netzneutralität retten!“
Seit der Ankündigung vor drei Wochen haben sich in den USA laute Kampagnen zur Rettung der Netzneutralität organisiert. Dazu zählten offene Briefe, Faxe und E-Mails an Abgeordnete und eine Demonstration vor der FCC.
Tatsächlich hat die FCC den vor drei Wochen geleakten Entwurf noch einmal abgeschwächt. Trotzdem garantiert er noch lange keine echte Netzneutralität und ist eine Gefahr für das freie und offene Internet.
Michael Weinberg von Public Knowledge:
The FCC’s proposal still falls well short of real net neutrality rules. It would create a two-tier internet where “commercially reasonable” discrimination is allowed on any connections that exceed an unknown “minimum level of access” defined by the FCC.
Corynne McSherry von der Electronic Frontier Foundation:
The bad news: the FCC still is considering a set of rules that will allow Internet providers to discriminate how we access websites with only vague and uncertain limits, endangering network neutrality and threatening the vibrant growth of the Internet.
FCC-Vorschlag gefährlich für Europa
Die Regulierung in den USA ist auch für die EU äußerst wichtig. Einerseits laufen wichtige Strecken und Dienste des Internets über die USA, wären damit also auch direkt betroffen. Zweitens verwendet die FCC exakt die selbe Argumentation wie EU-Kommission und Bundesregierung: „Ja klar retten wir Netzneutralität. Wir erlauben nur Ausnahmen für ‚Spezialdienste‘ und Mobilfunknetze.“ Das darf sich nicht durchsetzen.
Und drittens kann die amerikanische Regulierung auch durch das geplante Transatlantische Freihandelsabkommen TTIP wieder relevant für EU-Regulierung werden.
Alexander Sander für Digitale Gesellschaft:
Die Bundesregierung muss die europäischen Fortschritte bei der Netzneutralität nun aktiv verteidigen anstatt tatenlos dabei zuzusehen, wie das Erreichte zur Verfügungsmasse multinationaler Konzerne gemacht wird. Sie darf daher nicht einfach den Ausgang der TTIP-Verhandlungen abwarten, sondern muss jetzt ihren Einfluss im Ministerrat nutzen und mit Nachdruck auf eine Aussetzung der Verhandlungen hinwirken. Ein Freihandelsabkommen, das den Kern eines freien und offenen Internet in Europa zur Disposition stellt, kann und darf es nicht geben.
Sagt der FCC: Rettet das Netz!
Public Knowledge ruft schonmal den „Sommer der Netzneutralität“ aus.
Die FCC hat jetzt eine 60-tägige öffentliche Konsultation gestartet. Möglichkeiten, seine Meinung kundzutun, gibts’s zum Beispiel per Mail an die FCC, über das EFF-Tool Dear FCC und bei Save the Internet. Rettet das Netz!
1 Ergänzungen
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