Bundeswehr und Bundesnachrichtendienst sind nicht allein: Auch der Verfassungsschutz will soziale Medien in Echtzeit ausforschen

"Connecting the dots" war gestern: Neue Analysetools für Soziale Netzwerke sollen außer Beziehungen unter den Teilnehmenden einer Kommunikation auch "Stimmungen in der Bevölkerung" erkennen
„Connecting the dots“ war gestern: Neue Analysetools für Soziale Netzwerke sollen außer Beziehungen unter den Teilnehmenden einer Kommunikation auch „Stimmungen in der Bevölkerung“ erkennen

Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) will soziale Medien in Echtzeit überwachen, um aus den Nachrichten Rückschlüsse auf Verbindungen unter den Teilnehmenden der Kommunikation zu ziehen. Dies berichtet der aus dem Projekt „Geheimer Krieg“ hervorgegangene Rechercheverbund aus NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“. Demnach plane der Inlandsgeheimdienst den Aufbau einer neuen Referatsgruppe, insgesamt seien 75 Vollzeitstellen anvisiert. Die Fachabteilung trage den Namen „Erweiterte Fachunterstützung Internet“ (EFI). Heute Nachmittag soll laut den Berichten der Haushalt des Innenministeriums beschlossen werden.

Bereits 2012 habe die Behörde beklagt, eine manuelle Auswertung von Internetinhalten sei „nicht mehr möglich“. Standorte in Berlin und Köln sollten deshalb mit neuer Technik und Personal aufgerüstet werden. Hierfür solle ein „System zur Gewinnung, Verarbeitung und Auswertung von großen Datenmengen aus dem Internet“ entwickelt werden. Seit Frühjahr suche die Behörde bereits „IT-affine Sachbearbeiter/innen“ mit „Erfahrung in der Analyse großer Datenmengen“ sowie Informatiker für „Analysen von Internetprotokollen“ und zur „Beobachtung und Bewertung der technischen Fortentwicklung von Netzwerk- und Internettechnologien“.

Der Inlandsgeheimdienst setzt schon jetzt Werkzeuge zur Auswertung Sozialer Netzwerke ein. Um welche Anwendungen es sich dabei handelt ist unklar, auch die genutzten Verfahren sind nicht bekannt. Möglich ist, dass lediglich die Kommunikation einzelner NutzerInnen oder deren Inhalte grafisch aufbereitet werden. Andere Anwendungen behaupten in der Lage zu sein, sogar Stimmungen in der Bevölkerung erkennen zu können. Die Ausspähung des öffentlich zugänglichen Internet wird als „Open Source Intelligence“ (OSINT) oder „Reality Mining“ bezeichnet. Die Funktionsweise derartiger Anwendungen hatten wir hier bereits beschrieben.

„Strategische Initiative Technik“ und „Wissenserschließung aus offenen Quellen“

Der Wunsch nach mehr Ausspähen öffentlicher Quellen war kürzlich über den Bundesnachrichtendienst (BND) bekannt geworden, der ebenfalls seine Möglichkeiten zur gezielten Ausforschung sozialer Netzwerke verbessern will. Auch hierzu hatten die „Süddeutsche Zeitung“, NDR und WDR entsprechende Unterlagen einsehen können. Das Projekt sei Teil einer „Strategischen Initiative Technik“, für die der Auslandsgeheimdienst 300 Millionen Euro beantragt habe. Nicht genannte „Sicherheitskreise“ erklärten der Nachrichtenagentur dpa, Ziel sei etwa „einen zweiten arabischen Frühling oder andere bedeutsame Entwicklungen rechtzeitig zu erkennen“.

Unter dem Namen „Wissenserschließung aus offenen Quellen“ (WeroQ) betreibt auch das Verteidigungsministerium Forschungen zur automatisierten Analyse von öffentlichen Quellen im Internet. Das System soll in ein Führungsinformationssystem der Bundeswehr überführt werden. Hauptauftragnehmer ist die Fraunhofer Gesellschaft mit ihrem Forschungsinstitut für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie (FhG FKIE). Der US-Konzern IBM bringt seine Software „Content Analytics“ ein. Die Forschungen sollen 2016 beendet sein, geplant sind Haushaltsmittel in Höhe von 1,35 Millionen Euro.

Details zu „WeroQ“ kamen erst durch parlamentarische Anfragen heraus. Die Abgeordneten hatten sich dabei auch erkundigt, inwiefern der Bundesnachrichtendienst derartige Techniken nutzt. Das nun von NDR, WDR und „Süddeutscher Zeitung“ aufgedeckte BND-Programm war verschwiegen worden.

Überlegungen zu neuen Entwicklungen in der TKÜ auch im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“

Vermutlich ist auch das „Strategie- und Forschungszentrum Telekommunikation“ (SFZ TK) mit Technologien zur Analyse Sozialer Netzwerke am Start. Das Zentrum des Bundesinnenministeriums befasst sich mit neuen Entwicklungen in der Telekommunikationsüberwachung und besteht. Angeschlossen sind das Bundeskriminalamt, die Bundespolizei und der Inlandsgeheimdienst BfV. Das SFZ TK befindet sich im „Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum“, das BKA und BfV ungeachtet des Trennungsgebotes in Berlin-Treptow betreiben.

Zu den Aufgaben des SFZ TK gehört die „klassische Telekommunikationsüberwachung, aber auch die Weiterentwicklung spezifischer Verfahren. In Markt- und Techniktrendbeobachtungen werden Möglichkeiten zum Knacken von Verschlüsselungen untersucht. Der Strategieentwicklung für neue Überwachungsansätze folgt dann die Vergabe von Forschungsvorhaben und die Unterstützung beim Einsatz in den interessierten Behörden.

Zur Zeit befasst sich das SFZ TK mit Möglichkeiten des Abhörens von Cloud-Computing. Zu Treffen werden auch nicht näher genannte „Behörden- und Industrievertreter“ eingeladen. Für ebenfalls nicht ausgeführte „notwendige Dienstleistungen“ seien Aufträge nach einer Ausschreibung vergeben worden. Die Projektergebnisse bleiben geheim. Damit Bundes- und Landesbehörden mit neuen Abhörmaßnahmen gleichermaßen Schritt halten können, wurde die „Kommission Grundlagen der Überwachungstechnik“ (KomGÜT) eingerichtet. Sie fungiert als eine Art Frühwarnsystem und bereitet notwendige „Anpassungsprozesse“ für die beteiligten Behörden vor.

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10 Ergänzungen

  1. Aber Facebook und co nutzen doch https:// also wenn die das überwachen dann müssen die.

    1.) SSL knacken können, oder 2.) Die Schlüssel von Facebook haben, oder 3.) Zugang zu den Dabenbanken der sozialen Netzwerke haben.

    1. reicht schon, öffentliche infos zu scrapen, um grobe rückschlüsse zu ziehen. gerade bei twitter kann man so prima die stimmung beobachten und proteste früherkennen.
      das könnte man natürlich auch, wenn man alle pakete und briefe öffnet und liest.

  2. Für so einen Kack haben die die Kohle für 75 hochbezahlte Vollzeitstellen!

    Beim nächsten Gammelfleischskandal kann man dann lesen, dass der einzige zuständige Kontrolleur ein Einzugsgebiet von ganz NRW hat oder so…

  3. Die Twitter API ist wahrscheinlich die am wenigsten aufwändige und daher billigste Art mal etwas „Big Data“ zu üben! :)

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