In den letzten Tagen ist uns immer wieder aufgefallen, dass sowohl Netzbewegte als auch Journalistinnen und Journalisten den Anschluss an die Vorgänge rund um die EU-Datenschutzreform verloren haben – und natürlich auch Sascha Lobo(s Mutter). Dabei wird es gerade spannend: Das Europäische Parlament und die zuständigen Minister basteln momentan an eurem Datenschutz für die nächsten 20 Jahre. Bis zur Sommerpause wollen sie über ihre Positionen abstimmen. Wer sich einbringen will, muss das jetzt – während der Verhandlungen – tun. Am Tag der Abstimmung ist es schon zu spät.
Datenschutzreform: Was ist das noch mal?
Die Datenschutzreform besteht aus einer Richtlinie für den Polizei- und Justizbereich sowie aus einer Verordnung für Unternehmen und Behörden, die nichts mit Strafverfolgung zu tun haben. Die Verordnung wird im Wortlaut in allen 27 Mitgliedsstaaten gelten. Sie ist zurecht Dreh- und Angelpunkt der Debatte, da sie den Schutz eurer Daten (nicht nur) im Netz für die nächsten ca. 20 Jahre regeln wird. Worum, es inhaltlich geht hat der Digitale Gesellschaft e.V. hier zusammengefasst. Wem das mit Verordnung, Richtlinie und Co. zu schnell ging, dem seien die 10 Fragen und Antworten zur Datenschutzreform ans Herz gelegt.
Warum ist das wichtig?
Adresshändler sammeln die Adressen von Minderjährigen und schaffen ein Einfallstor für zudringliche Werbung und Hausbesuche. Google erstellt seit der illegalen Änderung seiner Geschäftsbedingungen auf Basis der Daten, die wir ununterbrochen bei seinen circa 60 Diensten hinterlassen, Persönlichkeitsprofile. Facebook löscht Daten einfach nicht, auch wenn wir es verlangen.
Das sind nur wenige Beispiele für unzureichende bzw. unzureichend durchgesetzte europäische Datenschutzgesetze. Mit der zunehmenden Vernetzung der Welt geht eine Goldgräberstimmung in Sachen datenbasierter Geschäftsmodelle einher. Zustimmung zur Datenverarbeitung, Zweckbindung der erhobenen Daten oder gar Löschung von Daten passen nicht immer dazu. Schließlich kann ja jedes Datum irgendwie wertvoll sein. Und natürlich finden auch Staaten diese Datenberge interessant. Dumm nur, dass Datenschutz Grundrecht ist und kein Mensch sich gerne beobachten lässt.
Wirtschaftliche Interessen sind nicht per se schlecht und Datenschutz muss kein Widerspruch zu ihnen sein. Jedoch sollten sie reguliert werden. Das wissen wir spätestens seit der Bankenkrise.
Überzeugt: Wo kann ich anfangen?
Die Europäische Kommission hat ihre Vorschläge zur Datenschutzreform im Januar 2012 vorgestellt. Jetzt arbeiten sich die Innen- und Justizminister der Mitgliedsstaaten (Ministerrat) sowie das Europäische Parlament daran ab. Wenn sie bis zur Sommerpause ihre Vorschläge abgestimmt haben, setzen sie sich mit der Kommission an einen Tisch und einigen sich auf euren neuen Datenschutz. Die Kommission hat eine akzeptabel starke Meinung zum Datenschutz. Der Ministerrat nicht. Beim Parlament ist das noch offen. Da es nicht ohne den Rat geht, muss der Vorschlag des Parlaments stark ausfallen. Der Rat wird noch genug Kompromisse erzwingen, die zulasten des Datenschutzes gehen.
Allerdings arbeitet der Ministerrat traditionell intransparent und ist eher schwer zu beeinflussen. Innenminister Friedrich auf die Füße zu treten, kann trotzdem nichts schaden. Besser ihr wendet euch an die Abgeordneten des Europäischen Parlaments.
Das Europäische Parlament: Was läuft da?
Die Abgeordneten des Europäischen Parlaments haben bereits einige Abstimmungen zur Datenschutzverordnung hinter sich. Diese Abstimmungen der sogenannten meinungsgebenden Ausschüsse sind – bei diesem Lobbyansturm kaum verwunderlich – sehr wirtschaftsfreundlich ausgefallen, auch wenn es am Ende etwas besser wurde. Teilweise wurden Lobbyvorschläge 1:1 übernommen, die Grundprinzipien wie die Zustimmung zur Datenverarbeitung einfach aushebeln wollen. Das Projekt LobbyPlag hat das sehr anschaulich dargestellt.
Derzeit verhandelt der federführende Innenausschuss (LIBE) über Kompromisse, da über 3.000 Änderungsanträge eingereicht wurden, über die – ohne Bündelung und Vorauswahl – nicht sinnvoll abgestimmt werden könnte. Das machen der Berichterstatter und die Schattenberichterstatter/innen. Aber auch die anderen Mitglieder des LIBE-Ausschusses sind einflussreich – schließlich müssen sie den Kompromissen am Ende zustimmen. Die finale Ausschussabstimmung, mit der das Parlament seine Position festlegt, soll noch vor der Sommerpause stattfinden.
Achtung: Ihr dürft euch nicht bis zum Sommer zurücklehnen. Die Kompromisse werden jetzt gemacht. Hier geht es nicht um ein Ja oder Nein. Wenn der LIBE-Ausschuss zur Abstimmung geht, hat er sich bereits geeinigt.
Wer hat welche Positionen im LIBE-Ausschuss?
Berichterstatter für die Datenschutzgrundverordnung ist Jan Philipp Albrecht (Grüne). Er leitet die Kompromissverhandlungen. Er hat eine Stellungnahme zur Verordnung vorgelegt, die immerhin nicht hinter den Kommissionsvorschlag zurückgeht. Die Mehrheitsverhältnisse und die inhaltliche Stoßrichtung im Ausschuss steht allerdings gegen Albrecht.
Schattenberichterstatter für die Konservativen sind der deutsche Europaparlamentarier Axel Voss (CDU) und der Brite Timothy Kirkhope. Die konservativen Änderungsanträge erlauben die Datenverarbeitung ohne Zustimmung auf Basis des „berechtigten Interesses“. Ein „berechtigtes Interesse“ dürfen auch Dritte haben und eure Daten zu einem anderen Zweck weiter benutzen. Was hat das mit Datenschutz zu tun? Nichts. Ohne eure Kontrolle dürften eure Daten also munter von Unternehmen zu Unternehmen gereicht werden. Ohne zu übertreiben scheint es, als würden die Konservativen am industriefreundlichsten verhandeln.
Ebensolche Ideen unterstützt auch die liberale Schattenberichterstatterin Sarah Ludford, die derzeit anstelle von Alexander Alvaro (FDP) verhandelt. Wenn die Liberalen so weiter verhandeln, verspielen sie ihr Image als Bürgerrechtspartei. Jedoch sind die Positionen nicht bei allen festgefahren. Es gibt noch Bürgerrechtler/innen unter ihnen und damit das Potenzial, die Fraktion zumindest zu spalten.
Die Sozialdemokraten im Europäischen Parlament werden durch Dimitrios Droutsas vertreten. Ihre Positionen sind respektabel, jedoch sollten wir die Sozialdemokraten daran erinnern, auch für diese zu kämpfen.
Eine Analyse der bedrohlichsten Änderungsvorschläge, die auf dem Tisch legen, liefert ein Bericht europäischer Bürgerrechtsorganisationen.
Und jetzt? Action!
Ihr solltet euch also vor allem an die liberalen, konservativen und sozialdemokratischen Abgeordneten im LIBE-Ausschuss wenden. Eine Liste der deutschen Abgeordneten im LIBE-Ausschuss findet ihr hier. Auf der europaweiten Kampagnenseite nakedcitizens.eu könnt ihr ihnen eine Postkarte oder eine Mail schicken. Oder einfach mal anrufen. Argumente findet ihr auf den Datenschutzseiten des Digitale Gesellschaft e.V. oder gebündelt in englischer Sprache bei European Digital Rights. Auch auf netzpolitik.org haben wir schon einiges zum Thema geschrieben. Erzählt euren Freunden von der Datenschutzreform. Teilt das Kampagnenvideo in euren Netzwerken. Das ist nicht ACTA, aber genau so wichtig.
Mir gefällt der Stil des Videos nicht. Es wird zu sehr mit Ängsten der Zuschauer gespielt und zu wenig Quellen geboten/Originalzitate geliefert.
Ich sehe das inzwischen als schwierig an, EU-weite online Proteste gegen das konzertierte Vorgehen multinationaler Konzerne in Brüssel – da verpuffen die Bürgerproteste – E-Mails gehen im Spam unter, Abgeordnetenwatch führt im besten Fall dazu, dass das Büro des Abgeordneten bittet, man möge sich zur Sprechstunde des Abgeordneten anmelden (was ich ja nun auch so hätte tun können).
Mund – äh – antragsgerechte Formulierungen vermag ich nicht zu liefern, ich bin auf meine Abgeordneten angewiesen und denen – in dem Fall der von mir gewählten Personen, kann ich auch gar nichts vorwerfen, sie verhalten sich in meinem Sinne vorbildlich, sie sind aber scheinbar in der Minderheit. Ich für meinen Teil überlasse das Protestieren jetzt anderen, und bedanke mich bei denen, die sich trotz aller Versuchungen und der anders handelnden Mehrheit, den Bürgern verpflichtet fühlen, und in deren Sinne handeln.