Die Free Software Foundation Europe veröffentlichte heute ihre Freie-Software-Wahlprüfsteine für die Wahl zum Landtag Nordrhein-Westfalens am 13. Mai 2012. Alle hier aufgeführten Parteien konnten Stellung nehmen zu Fragen über die Umsetzung Offener Standards, den Einsatz Freier Software in der Bildung, Werbung für unfreie Software auf Webseiten der öffentlichen Verwaltung, Probleme der Herstellerabhängigkeit, Kontrolle über mobile Endgeräte, Softwarepatente und die generelle Förderung Freier Software.
FDP, Grünen, Piraten und SPD erklärten ihre Positionen. Im Gegensatz zu anderen Landesverbänden kamen trotz Nachfrage leider keine Antworten von CDU und Die Linke. Besonders erfreulich sind die konkreten und fundierten Aussagen der Piratenpartei, die sich damit deutlich vor den anderen Piraten-Landesverbänden positionieren. Konsens bei allen teilnehmenden Parteien ist die Abschaffung von Softwarepatenten und die klare Positionierung für Offene Standards in der Verwaltung. Doch unterscheiden sich die Vorstellungen der Parteien, ob und wie genau Freie Software gefördert und eingesetzt werden soll. Die FSFE wird kontinuierlich beobachten, welche der Versprechen die Parteien nach den Wahlen wirklich umsetzen.
Die FDP in Nordrhein-Westfalen sieht Softwarepatente weiterhin als Gefahr für kleine und mittlere Unternehmen. Sie schreiben, dass „freie auch gleichzeitig sichere Software ist“ und wollen die kommenden Ergebnisse zu Freier Software und Interoperabilität aus der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Bundestags in ihre zukünftige Arbeit einbeziehen. Kritisch sieht die FSFE die Antwort der FDP bei der Bildungspolitik: So lobt die FDP in NRW „gute Beispiele bürgerschaftlichen und wirtschaftlichen Engagements, z.B. die Beteiligung von Firmen, die Schulen Hardware zur Verfügung stellen“ und sieht „unter Einbindung von Stiftungen, Software-Produzenten, aber auch Software-Anbietern für Schulen Chancen, Software kostenlos zu erhalten“. Die FSFE sieht die Gefahr, dass Schulen — durch von Unternehmen bereitgestellte Soft- und Hardware — ihre Schüler nur an spezifischen Produkten ausbildet und sie dadurch in ihrem späteren Leben stärker von einzelnen Herstellern abhängig sein werden.
Die NRW-Grünen wollen hingegen, dass Kinder und Jugendliche schon „frühzeitig in Kontakt mit offenen Formaten, offenen Standards und freien Lizenzen“ kommen, damit sie „erkennen, welchen Mehrwert diese bringen können“. Sie möchten den Einsatz Offener Standards in der Landesverwaltung, insbesondere bei der Beschaffung, stärken und schrittweise auf Freie Software umstellen, „um Folge-Abhängigkeiten (Dienstleistungsmonopole) zu überwinden“. Daneben sehen sie Freie Software als Querschnittsaufgabe, welche sie in den verschiedenen Bereichen der Landespolitik vorantreiben wollen. Den Herausforderungen durch einen Kontrollverlust bei mobilen Computern wollen sich die Grünen, zusammen mit anderen Akteuren, bundesweit stellen. Softwarepatente lehnen die Grünen ab, wie alle Parteien in NRW, die geantwortet haben.
Die Piraten in Nordrhein-Westfalen wollen „den Einsatz von Freier Software in öffentlichen Einrichtungen vorschreiben und in anderen Bereichen fördern“. Dabei schreiben sie, der Umstieg auf Freie Software erfordert zwar einen längeren Prozess, doch mit wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Vorteilen. Die Piraten fordern zudem: „[d]er Dokumentenaustausch zwischen und mit staatlichen Stellen muss auf Grundlage offener Standards geschehen“, damit niemand zur Nutzung bestimmter Software gezwungen wird. Außerdem fordern die Piraten den Einsatz „offener Hardware“, in der Verwaltung, um den Einsatz Freier Software nicht hardwareseitig zu verhindern. In der Bildungspolitik wollen sie „verhindern, dass die Abgabe von Arbeitsergebnissen in proprietären Formaten verlangt wird“ und fordern, dass in Schulen „Betriebssystem und Software immer unter einer Freien Lizenz stehen“ müssen. Bei mobilen Geräten will die Piratenpartei, dass „Informationen nicht ohne die ausdrückliche Genehmigung des Besitzers erhoben oder weitergegeben werden“ und dem Anwender die volle Kontrolle über sein Gerät geben, „auch was das Aufspielen alternativer Firmware angeht“. Des Weiteren soll die „Verwaltung […] keine Geschäftsmodelle von Unternehmen bewerben“ und Softwarepatente möchten sie in Zusammenarbeit mit anderen Piratenparteien aus Deutschland und Europa weltweit abschaffen.
Die SPD in Nordrhein-Westfalen sieht in Freier Software eine Möglichkeit, allen die „digitale Teilhabe in der Gesellschaft zu ermöglichen“. Sie führen an, dass in der Landesverwaltung bereits viel Freie Software verwendet wird und lehnen Softwarepatente ab. Allerdings bestehen bei der SPD einige Missverständnisse zu Freier Software: So sprechen sie einmal von „kostenfreier Software“ und an anderer Stelle von unterschiedlichen Geschäftsmodellen bei unfeier und bei Freier Software. Die FSFE empfiehlt, klar zwischen Software- und Geschäftmodellen zu unterschieden, wie bei Georg Greve: „Was macht ein Freies Software Unternehmen aus?“ nachgelesen werden kann.
Wahlprüfsteine der FSFE zu vergangenen Wahlen, sind auf den „Befrage Deine Kandidaten“-Seite verfügbar. Wie immer ermutige ich alle Leser, ihren Politikern direkt zu befragen. Eine einfache Möglichkeit dafür ist zum Beispiel Abgeordnetenwatch.
Update: Wikimedia Deutschland hat vor einer Stunde die Antworten der Parteien auf ihre Wahlprüfsteine veröffentlicht. Darin Fragen zu Bildungspolitik; Freie Bildungsinhalte; §53 UrhG und dessen Durchsetzung an Schulen; Zugang zu Wissen und kulturellem Erbe; Gebührenfinanzierten Inhalten; Staatliche Werke und offene Regierungsdaten; Offene Innovationskultur; Netzsperren und Netzpolitik im Land.
DIE LINKE hat selbstverständlich auch auf die Fragen von Wikimedia Deutschland geantwortet. Alle Antworten können hier in der Synopse mit den anderen Parteien nachgelesen werden: http://meta.wikimedia.org/wiki/Wikimedia_Deutschland/Wahlpr%C3%BCfsteine/NRW_2012
Verräterische Wortwahl:
„Den Herausforderungen durch einen Kontrollverlust bei mobilen Computern wollen sich die Grünen, zusammen mit anderen Akteuren, bundesweit stellen.“
An bundesweiten Akteuren falen mir spontan ein: IM Friedrich, Bosbach, Uhl, …
In der Antwort heißt es dazu: „Dies würden wir gerne gemeinsam mit interessierten Akteuren wie der FSFE, den Verbraucherzentralen aber auch den zu beteiligenden Landesbetrieben oder dem BSI ausloten.“
Und was ist mit den anderen Parteien, die antreten? Wurden die von der FSFE nicht um Stellungnahme gebeten? Bei Wikimedia haben mich insbesondere die Antworten der Partei der Vernunft (positiv) überrascht. Ziemlich frisch. Da zieht sich wenigstens mal ein erkennbarer roter Faden durch die Antworten. Bei allen anderen Parteien sind die Standpunkte ja offenkundig nie von einem Prinzip abgeleitet, sondern zusammengeklaubt, wie’s einem gerade passt (bzw. wie man hofft, genügend Wähler damit zu fangen).
Hallo Peter,
das kommt immer etwas darauf an, wieviel Zeit unsere Freiwilligen haben. In NRW haben wir es nicht geschafft alle Kontakte rauszusuchen und haben daher nur die gelisteten Parteien angeschrieben. Ich werde mal mit Wikimedia sprechen ob wir die Kontaktlitsen gemeinsam pflegen.
Viele Grüße
Matthias
Das mag sich ja alles vor Wahlen sehr schon Lesen und Einsicht vermitteln.
Aber leider Agieren die Parteien in Deutschlang nach den Wahlen oder bei Koalitionsgesprächen immer nach dem Motto was interessiert uns unser „Geschwätz von gestern“.
Besonders wenn dann die gewichtigen Lobbyisten an Türen klopfen und wenn etwas nicht regional „ganz so einfach Durchsetzbar ist“ gibt es ja immernoch die EU.
Da kann man sein Moralisches Gesicht wahren und trozdem VDS, Netzsperren oder Softwarepatente einführen … da man ja „Gezwungen“ wurde.
Die Antworten helfen. Siehe z.B. die Positionen zu Softwarepatenten. Hier ist klar, dass die Parteien dagegen sind. Das hilft in Gesprächen. Bei den Antworten sieht man auch, was die Parteien noch nicht verstanden haben und welchen Themen wir daher besser erklären müssen.