Die EU will immer noch Netz-Sperren, jetzt sogar weltweit

Die EU will weiterhin Netz-Sperren gegen Kindesmissbrauchs-Dokumentation im Internet einsetzen. Nach einem internen Beschluss Anfang des Monats, will man das jetzt auch in einer globalen Allianz durchsetzen.

Im Beschlussdokument der Justiz- und Innenminster-Konferenz wird gefordert:

die größtmögliche Reduzierung der Verfügbarkeit von Kinderpornographie online, unter anderem durch die Erleichterung von Maßnahmen zum Entfernen, oder, wo angemessen, auch Sperren von Webseiten.

Joe McNamee von EDRi hat dazu bereits Anfang des Monats alles gesagt. Hier die Übersetzung, mit freundlicher Genehmigung von unwatched.org:

Am 8. Juni 2012 adaptierte der Rat der Europäischen Union seine sog. Schlussfolgerung zur Schaffung einer „Globalen Allianz gegen Kindesmissbrauch im Internet“. Ebenso wie in der im Vorjahr verabschiedeten Richtlinie wird in diesem Dokument von Netzsperren, dort „wo sie angemessen sind“, gesprochen.

Dass Sperren überhaupt in das Dokument aufgenommen wurden, zeigt, wie wenig Vertrauen in diese „Globale Allianz“ gesetzt wird – schließlich sollte man meinen, eine derartige Allianz wäre dazu in der Lage, die fraglichen Inhalte zu löschen sowie die Täter zu identifizieren und strafrechtlich zu belangen.

Außerdem wird damit ein Konzept aus dem Unionsrecht in einen globalen Kontext übertragen, mit allen Problem, die ein derartiger Prozess mit sich bringt. In der EU-Richtlinie sind für den Einsatz von Netzsperren einige Sicherheitsvorkehrungen vorgesehen (auch wenn diese nicht immer umgesetzt werden) und die Maßnahme unterliegt zudem der EU-Grundrechtecharta. Im internationalen Kontext greifen diese Schutzvorkehrungen aber nicht.

Darüber hinaus haben sich dänische und schwedische Behörden schon seit längerer Zeit in Japan für die Einführung von Internetsperren eingesetzt. Der schwedische Botschafter in Japan hat letzte Woche an einer Veranstaltung in Tokyo teilgenommen, um sich dort für Internetsperren auszusprechen – wobei er sogar bizarre „offizielle“ schwedische Statistiken präsentierte, um die Notwendigkeit der Sperren aufzuzeigen. Rein zufällig ist übrigens einer der größten Anbieter von technischer Sperrinfrastruktur, Netclean, ein schwedisches Unternehmen. Ebenfalls rein zufällig finanziert die Dienststelle der schwedischen EU-Kommissarin CIRCAMP, eine Organisation der Polizei, die ebenfalls für Netzsperren lobbyiert.

Die Motivation der dänischen Ratspräsidentschaft ist schwer nachzuvollziehen – wird der Missbrauch von Kindern für andere politische Zwecke instrumentalisiert oder hat die dänische Regierung das Problem des Missbrauchs einfach nicht verstanden?

So wurde dem Umstand, dass das Sperren von Internetseiten keine statistisch nachweisbare Verbesserung für den Schutz von Kindern mit sich bringt, offenbar keinerlei Beachtung geschenkt. Noch schlimmer ist, dass die Statistiken der EU-finanzierten Hotlines zeigen, dass auch der mögliche Nutzen von Internetsperren für den Schutz von Kindern minimal ist. Nicht nur, dass die Anzahl der Internetseiten mit Darstellungen von sexueller Gewalt an Kindern konstant rückläufig ist, liegen rund die Hälfte dieser Seiten (und das Verhältnis verschiebt sich zunehmend) auf File-Hosting-Seiten oder auf gehackten Servern, die normalerweise nicht gesperrt werden können. So wäre es beispielsweise völlig unverhältnismäßig, die gesamte Flickr Website oder Microsoft Skydrive zu sperren, weil deren Dienste für illegale Zwecke missbraucht wurden.

Unberücksichtigt blieb auch, dass Sperren von Seiten mit Darstellungen von Kindesmissbrauch bisher noch in jedem Land, in sie eingeführt wurden (außer in Schweden), auf Seiten mit anderen Inhalten – insbesondere auf Glücksspiel und Urheberrechtsverstöße – ausgeweitet wurden. Dies, obwohl in der EU bestimmte Vorkehrungen zum Schutz der Grundrechte vorgesehen sind.

Zudem wurde darauf verzichtet, notwendige Schutzvorkehrungen in dem Dokument vorzusehen, was allerdings auch darauf zurückzuführen sein könnte, dass bereits einige EU-Länder Netzsperren ohne ernstzunehmende Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt haben. In der Tat hat Dänemark selbst eine Sperrinfrastruktur aufgebaut, ohne dass es dafür eine rechtliche Grundlage gibt.

Das Dokument enthält eine Reihe von „Schlussfolgerungen der Präsidentschaft“. Diese sind zwar nicht bindend, müssen aber einstimmig verabschiedet werden. Man darf sich über manche Länder, wie die Niederlande, Deutschland oder Polen wundern, wo auf nationaler Ebene hitzige Debatten über Sperrmaßnahmen geführt und diese schlussendlich abgelehnt wurden. Doch lediglich Deutschland hat im Zuge der Diskussionen im Rat Bedenken über diese Initiative geäußert. Es scheint mehr als verwegen, die Glaubwürdigkeit der EU aufs Spiel zu setzen, nur um rund um den Erdball eine Strategie zu verbreiten, die offenbar nicht gut genug ist, um sie in allen Mitgliedsstaaten umzusetzen.

Während sich die Europäische Union weiterhin richtungslos und in jedem nur erdenklichen Forum für Internetsperren einsetzt, werden ironischerweise überhaupt keine Anstrengungen unternommen, um innerstaatliche Baustellen anzugehen. So wurde im letzten Jahrzehnt keine grundsätzliche Strategie entwickelt und es erfolgte keine ernsthafte Abwägung verschiedener Maßnahmen wie Netzsperren und „Notice & Take-down“ – ganz anders als in den Vereinigten Staaten, wo das „Notice & Take-down“-Verfahren inzwischen vollständig reformiert wurde und positive Auswirkungen zu verzeichnen sind.

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34 Ergänzungen

  1. Vermutlich wird es dann nicht lange dauern bis die Sperren dann auch für Rechts/Links extreme oder sonstwie von den EU Diktatoren unerwünschten Inhalten herangezogen wird.

    Mann kann wirklich nur hoffen das die EU möglichst bald wieder untergeht, auf Nationaler Ebene kann man sich immerhin noch besser gegen solche Vorhaben zur Wehr setzen im Gegensatz zu den Entscheidungen der demokratisch nicht legitimierten EU Kommission !

      1. Kann definitiv nur meine Sympathie für diese Aussage bekunden. Die EU macht es zunehmend glaubwürdig, dass sie keine Existenzberechtigung hat.

  2. Aus den Augen aus dem Sinn?
    Das sperren von Kinderpornographie verhindert selbige nicht. Gab es nicht vor einigen Jahren einen Kinderpornoring, der ein eigenes Netz aufgebaut hatte, also Sperren doppelt nicht ziehen würden? Wie wäre es zuerst einmal die Zusammenarbeit zwischen nationalen Polizeistellen zu verbessern, um solche Ringe auszuheben? Alles andere ist nur das Vorschieben scheinheiliger Gründe, um an die Möglichkeit zu kommen Sperren zu erstellen. Und selbst, wenn diese Sperren tatsächlich errichtet werden würden. Was dann? Würden plötzlich alle aufhören Kinder zu vergewaltigen? Mein Gott, das glauben die doch selber nicht.

  3. Irgendwie gibt es immer noch ein Problem mit den Offline-Merkbefreiungen. Müsste man da dem Amt für Merkbefreiung vielleicht eine parallele EU-Kommission für Merkbefreiung beiseite stellen?

    Fragt sich
    VB.

      1. Was? Ein Mini-Me für Merkel? Och nee, bitte nicht, eine reicht schon.

        Aber mal ernsthaft: Wie viele Tonnen Merkbefreiungen pro Jahr sollen die drucken? Und wird dann auch wirklich umgesetzt, was da empfohlen wird? (Hihi, Oettinger als Schwerwasserreaktor-Regelstab. ^^) Dann gehen der EU aber ganz schön schnell die Politiker aus.

  4. Man kann nur hoffen das diese EU bald auf dem Müllhaufen der Geschichte entsorgt wird noch möglichst bevor all unsere Freiheits und Grundrechte zerstört sind.

  5. Und auch hier muss wieder darauf hingewiesen werden:
    Die Alters-Definition, die die EU (und Schweden) für „Kind“ heranzieht, sind 18 Jahre!

    1. Und es geht nicht nur um Darstellungen von Missbrauch, sondern um jegliche realen oder gestellten(!) sexuellen Handlungen.

      Ziel ist offensichtlich nicht die Verhinderung von Kindesmissbrauch, sondern die komplette Tabuisierung von jugendlicher Sexualität.

      1. Genau, dann ist jegliche Erotik mit darstellerinen welche jünger als 18 aussehen könnten verboten. Dann gibt es eben nur noch Milf und Granny Pron. Das Freut natürlich die Konservativen Moralwächter !

  6. Der Artikel beruht auf einem Irrtum, nämlich, daß es in der Sache um die Verhinderung von Kinderpronographie geht und Netzsperren ein Mittel zu deren Durchsetzung sind.
    In Wirklichkeit geht es um die Einführung von Netzsperren und Kinderpornographie ist ein Mittel sie durchzusetzen. Dann macht auch der auf den ersten Blick unlogische Beschluß der EU plötzlich Sinn und alles fügt sich ganz wunderbar zusammen.

  7. Der Artikel beruht auf einem Irrtum, nämlich, daß es in der Sache um die Verhinderung von Kinderpronographie geht und Netzsperren ein Mittel zu deren Durchsetzung sind.
    In Wirklichkeit geht es um die Einführung von Netzsperren und Kinderpornographie ist ein Mittel sie durchzusetzen. Dann macht auch der auf den ersten Blick unlogische Beschluß der EU plötzlich Sinn und alles fügt sich ganz wunderbar zusammen.Der Artikel beruht auf einem Irrtum, nämlich, daß es in der Sache um die Verhinderung von Kinderpronographie geht und Netzsperren ein Mittel zu deren Durchsetzung sind.

  8. „Unberücksichtigt blieb auch, dass Sperren von Seiten mit Darstellungen von Kindesmissbrauch bisher in jedem Land, in dem sie eingeführt wurden [..] auch auf „Urheberrechtsverstöße“ ausgeweitet wurden ..“

    Genau das ist doch auch der Plan, der hier ganz offensichtlich dahinter steckt. So als hätte die EU-Kommision und die Content-Industrie jetzt nicht so in den letzten Wochen immer mehr gemerkt gehabt, dass es wohl mit den Plänen zu ACTA nichts mehr geben wird .. Schon kommt Cecilia Malmström, stellvertretend für die Musikindustrie und Co., wieder um die Ecke und legt ihre alten Kinderpornoseiten-Sperrpläne so auf den Tisch ..

    Wer’s glaubt wird seelig, kann ich nur zu die Leute sagen, die immer noch denken, hierbei würde es um Kinderpornos gehen, und die Content-Industrie würde sich nicht hinter diesen Deckmantel verstecken und den Vowand der Kinderpornografie für ihre eigenen Zwecke missbrauchen ..

  9. Netzsperren wären in der EU (vermutlich Weltweit) schon längst Verpflichtend würden sie etwas Nützen und wären nicht zu Umgehen.
    Übrigens auch in Deutschland gibt es verfügte „Netzsperren“ zb zu politisch extremen oder verbotenen Organisationen.
    Die Infrastruktur für Sperren ist schon vorhanden und könnte jederzeit erweitert werden.
    Die Content-Industrie fährt zur Durchsetzung auch längst eine andere Stategie als die der „Kinderpornographie“.
    Man führt Urheberechs-Musterprozesse zb. gegen „Pirate Bay“ und verfügt gerichtliche Anordnung wie in Irland, Großbritannien , Niederlande … ect.
    Auch in Deutschland ist nicht sicher nach geltenden Recht wie solch ein Prozess ausgehen würde , würde er von der Content-Industrie Gewonnen wäre es ein Dammbruch für Netzsperren auf Urheberrechtsverstöße, durch die „gerichtliche“ Hintertür.
    Wer also Netzsperren auf Dauer ausschließen möchte muß dies auch gesezlich tuen (verbieten), zudem wohl auch das Urheberrecht ändern.

  10. Und, was spricht dagegen das die Grenzen auch Online eingehalten werden? Ich kann ja ohne Sondererlaubniss auch kein Bomben importieren. Daher sollte schon über kurz oder lang der Schritt zu Whitelisten.Filter an den Landes und EU Grenzen erfolgen.

    mfg

    Ralf

    1. Ich kann auch über meinen Internetanschluss keine Bomben importieren, so gesehen ist der Vergleich ein wenig bemüht. Sicher müssen Regeln eingehalten werden und auch befolgt werden, nur sollte das freie Internet nicht eingeschränkt werden. Wer Kinderpornographie verhindern will, der sollte liebe die Vergewaltiger verfolgen. Ist bei weitem effektiver. Alles andere ist Augenwischerei.

    2. …Und, was spricht dagegen das die Grenzen auch Online eingehalten werden?….

      Ganz einfach weil es auf dieser Erde keine Grenzen gibt , Genzen sind etwas Unnatürliches aus menschlicher Perversion entstanden und auf der Welt schon für genügend Unheil Verantwortlich, bis zum heutigen Tag.
      Gerade das Internet soll eine Welt ohne Grenzen aufzeigen, ein Netz was allen Gehört , jedem Offensteht und niemand Besitzt.
      Wer Grenzen und Gesetze aus der realen Welt 1:1 ins Internet Übertragen will , wird auch die Ideologien, Kriege und restliches Weltübel dort hineintragen.

    3. Moderne Grenzen unterscheiden sich doch wesentlich, von den traditionellen geografischen. Kriege sind ja auch nicht mehr das, was sie mal waren ;-) Sie finden eher im/am Rechner statt, und vorher in den Köpfen!

      Herr Dr. Uhl machte bereits im Bundestag darauf aufmerksam, dass der kritische Gedanke, bereits in seiner Entstehung erkannt werden müsse.
      Mach Dir also keine Sorgen oder Angst und vertraue den Autoritäten. Der regierende Uhl’sche Sicherheitsapparat hat alles unter Kontrolle.

      1. Moderne Grenzen unterscheiden sich doch wesentlich, von den traditionellen geografischen.?

        Erzähle das einmal einen afrikanischen oder mexikanischen Flüchtling.
        Zudem verwechselst du Kriege „im“ Computer und Kriege „mit“ dem Computer.
        Um Kriege „im“ Computer mach ich mir weniger Sorgen statt „mit“ ihm.
        Das unsere Regierung und wohl auch ein Herr Dr. Uhl gern die „Gedankenpolizei“ möchte ist nichts neues und es wir wohl eines Tages auch so kommen , nur ob sich das Volk dies Gefallen lässt ist wohl fraglich?, denn permanente Überwachung , Abschottung und „Gedankenpolizei“ setzen einen totalitären Staat vorraus.

  11. Fehlt noch ne schöne Sex-Offenders-Liste wie in den USA, mit lebenslangem Eintrag für jeden, der sexuell angehauchte Darstellungen von unter-18-Jährigen verbreitet. Also zum Beispiel für den 17jährigen, der Nacktfotos an seine 17-jährige Freundin verschickt.

  12. Eigentlich schon sehr traurig, dass wir unseren Regierungen nicht mal mehr genug vertrauen (können), dass es ihnen wirklich nur um das Wohl der Kinder geht….
    Für mich der Beweis, dass hier etwas grundsätzlich schief läuft!

  13. Scheinheilige Politiker.
    Wenn denen wirklich daran gelegen wäre, ansatzweise etwas gegen Kinderpornographie zu tun, würde sie nicht mit ihrer asozialen Politik mehr und mehr Familien in die Armut trotz Vollzeitjob schicken.
    Denn gerade dies fördert Kinderarbeit und Kindesmissbrauch.
    Win-Win für die Politiker: so tun, als läge einem das Wohlergehen der Kinder am Herzen und gleichzeitig den Überwachungsapparat ausbauen.
    Und das Volk lässt sich blenden.

  14. Hallo Andre,

    ich denke dass sich unüberlegte Formulierungen wie “Netz-Sperren gegen
    Kindesmissbrauchs-Dokumentation im Internet” als Bumerang
    herausstellen können. Wäre ich Befürworter von Netzsperren, dann
    würde ich Dir das als Beschönigung oder Verharmlosung von
    Kinderpornographie um die Ohren hauen, weil Du das mit dem positiv
    konnotierten Begriff “Dokumentation” verknüpfst. Formulierungen wie
    Diese bieten einfach eine Steilvorlage für die Gegenseite. Lass das
    doch bitte. Schließlich steht nicht die Bewertung von
    Kinderpornographie, sonder der Umgang mit ihr im Zentrum der Debatte.

    1. Im Gegenteil, die Formulierung ist wohlüberlegt und ein Ergebnis der Zensursula-Diskussion.

      Siehe MOGiS:

      Der Begriff “Kinderpornographie” ist eine vulgäre und irreführende Vereinfachung dessen worum es eigentlich geht. Es geht weder um Prostitution von Kindern (porneia), noch um eine Abbildung (grapho). Worum es wirklich geht, ist die Dokumentation (Bilder oder Filme) der sexuellen Ausbeutung von Kindern. Deshalb sollte es “Dokumentation von Kindesmissbrauch” genannt werden. Dies macht den Konsumenten solcher Bilder auch klar, dass sie keine Pornographie sehen, sondern Bilder des sexuellen Missbrauchs eines Kindes.

      Oder auch meine Master-Arbeit, Kapiel 3.1, Seite 10 ff.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.