BreakpointKonsum ist keine Kur

Das Thema mentale Gesundheit hat schon lange die Social-Media-Feeds erobert. Doch statt Hilfsangeboten propagieren viele Influencer:innen Konsum, statt um Gesundheit geht es um Kommerz. Wer das als „Mental Health“-Influencing verkauft, dem sollte man misstrauen, findet unsere Kolumnistin.

Sie posten ihre Luxusurlaube, werben für ihre Coachings, schreiben Motivationssprüche und preisen Gadgets an, die das Leben vereinfachen sollen. Alles, um die eigene mentale Gesundheit zu fördern. Die Rede ist von selbsternannten „Mental Health“-Influencer:innen.

Seit Jahren schon haben Content Creator:innen das Thema mentale Gesundheit für sich entdeckt und fluten die Feeds von Millionen von Menschen mit Beiträgen über Stressabbau und den Umgang mit Depressionen oder Angstzuständen.

Wer das seriös und sachlich tut, leistet einen wichtigen Beitrag dazu, Aufmerksamkeit für das Thema zu schaffen, psychische Beschwerden zu entstigmatisieren und Betroffenen Hilfsmöglichkeiten aufzuzeigen. Doch um diese Creator:innen soll es in dieser Kolumne nicht gehen.

Mir geht es um diejenigen, die von Gesundheit sprechen und Kommerz meinen. Diejenigen, die ihr Geld damit verdienen, hilfesuchenden Menschen Heilung durch Konsum zu versprechen.

Luxusurlaub gegen Depressionen

Dieser Vorwurf wurde besonders deutlich der Influencerin Cathy Hummels gemacht, unter anderem durch die Deutsche Depressionsliga. 2022 bewarb Hummels einen Luxus-Urlaub und inszenierte ihn als Mittel gegen Depressionen. Als „Strong Mind Retreat“ stellte sie einen Trip auf die Insel Rhodos vor.

Nach heftiger Kritik löschte Hummels die Posts und erklärte sich öffentlich. Doch sie ist bei weitem nicht die einzige, die das Thema mentale Gesundheit als Markt für sich entdeckt hat.

Das Thema ist ergiebig: Seit einigen Jahren werden sich mehr und mehr Menschen der Relevanz mentaler Gesundheit und Fürsorge bewusst. Der Bedarf nach Hilfsangeboten ist groß. Da ist es nicht verwunderlich, dass zahlreiche Content Creator:innen mit fragwürdigen Selbsthilfetipps und Produktplatzierungen einen Mehrwert schaffen wollen – vor allem für sich selbst.

Schmuck gegen Angstzustände

Die bekannte Influencerin Diana zur Löwen postete etwa, sie sei häufig gestresst. Um sich zu entspannen, würde sie deshalb gerne eine Akupressurmatte nutzen. Diesen Tipp unterstreicht sie, indem sie einen Hersteller solcher Matten promoted.

Zur Löwen hatte vor nicht allzu langer Zeit einen Ring mit drehbaren Perlen beworben – als „Anxiety Ring“, also dem Namen nach ein Schmuckstück gegen Angstzustände und Nervosität. Das Drehen der Perlen sollte beruhigend wirken und den Betroffenen Abhilfe verschaffen. „Hilft bei Stress und Nagelkauen“, warb zur Löwen in ihrer Instagram-Story für ihren Ring. Dieser Beitrag ist Ende Juli noch immer als „Story-Highlight“ auf zur Löwens Instagram-Profil einsehbar. Im Anschluss postete sie Berichte von zufriedenen Käufer:innen, die beschrieben, wie sehr der Ring ihnen beim Stressabbau geholfen habe.

Auf ihrer Website weist zur Löwen darauf hin: „Ein ‚Anxiety Ring‘ ist kein Heilmittel und ersetzt keine professionelle Hilfe/Therapie. Mir persönlich hilft er aber durch die beweglichen Perlen beim Stressabbau.“ Dass der Namen des Produkts einerseits eine Wirkung bei Angstzuständen suggeriert und genau dieser Claim wieder relativiert wird, ist irritierend.

Andere Creator:innen geben ohne psychotherapeutische Ausbildung Tipps für die Selbstheilungsreise und verkaufen Krafttier-Kartensets, die „Kraft, Mut und Rat“ geben sollen. „Depressmenot“-Kerzen für umgerechnet mehr als 30 Euro pro Stück sollen das eigene Leben mit „positivity“ erfüllen. Andernorts werden Coachings gegen unbewältigte Traumata angeboten.

„Mental Health“ als Kommerzmaschine

In genau solchen Momenten wird das hehre Ziel der Förderung mentaler Gesundheit zu einer Kommerzmaschine umgekrempelt. Konsum wird als Betäubungsmittel gegen Stress und in anderen Fällen gar gegen psychische Erkrankungen inszeniert. Das ist nicht verwunderlich: Schließlich betreiben viele followerstarke Influencer:innen ihre Accounts nicht aus altruistischer Fürsorge für die digitale Gemeinschaft, sondern aus kommerziellen Gründen.

Zwar könnte man argumentieren, eine Akupressurmatte zur Stressverminderung könne durchaus nützlich sein und demnach sei es auch legitim, diese zu bewerben und sich „Mental Health“ auf die Flagge zu schrieben. Auch Akupressur-Ringe kommen als Skills zum Umgang mit Anspannung in therapeutischen Settings vor. Doch was die sogenannten „Mental Health“-Influencer:innen propagieren verfehlt die Lebensrealität der Menschen, die derartige Posts auf der Suche nach Hilfe und Tipps konsumieren.

Denn immer mehr Konsum – sei es der Erwerb einer Liegematte oder eines anderen Gegenstands – wird nicht dazu beitragen, dass Menschen weniger psychische und mentale Leiden empfinden.

Depression ist kein Werbeträger

In der Lebensrealität der meisten Menschen wird wohl eher eine Dauerbelastung aus Lohnarbeit, Care-Arbeit, Selbstoptimierungszwang und sozialer Isolation dazu führen, dass sie mental belastet sind – und nicht die Abwesenheit einer Liegematte oder eines Stressrings.

Doch ebenjene Realität, die Menschen immer weiter unter Druck setzt und mentale Leiden verursacht, wird durch eine digitale Kultur in sozialen Medien befördert, die vielmehr darauf bedacht ist, Profite zu erwirtschaften und Menschen zum Konsum zu animieren, als eine Gemeinschaft zu schaffen, in der Last von den Schultern der Menschen genommen wird.

Die Deutsche Depressionsliga etwa kommentierte in der Causa Cathy Hummels: „Schwierig wird es, wenn bei manchen Social-Media-Accounts und Auftritten von Bloggerinnen und Bloggern der Eindruck entsteht, die Depression sei lediglich eine kurze Erscheinung und könne beispielsweise mit Sonnenstrahlen weggezaubert werden. Sehr heikel wird es, wenn sie augenscheinlich als Werbemittel eingesetzt wird, um (eigene) Produkte zu vermarkten.“

Die Darstellungen der angeblichen Realität von Influencer:innen sind oftmals verkitscht und entsprechen so gar nicht dem, was der durchschnittliche Mensch täglich erfährt – und höchstwahrscheinlich auch nicht dem, was die Influencer:innen selbst erleben. Doch viele Mittel scheinen Recht, um einen weiteren Werbevertrag abzuschließen und eine größere Zahl eigener Produkte zu verkaufen.

Dass auch psychische Erkrankungen und deren Behandlung derartig optimiert vermarktet werden, ist das Gegenteil von Awareness-Arbeit: Statt Aufmerksamkeit für das wichtige Thema mentale Gesundheit zu erwecken, wird ein unrealistisches Bild davon gezeichnet, wie psychisch kranke Menschen und ihr Heilungsprozess aussehen sollten.

Noch mehr mentale Belastung

Derartige „Mental Health“-Influencer:innen werden wohl eher das Gegenteil ihres erklärten Ziels erreichen. Indem sie immer neue, angeblich optimierte Umgangsformen mit mentalen Problemen propagieren, werden Menschen verstärkt dazu getrieben, sich weiter zu vergleichen, mehr Produkte zu konsumieren – und selbst den Umgang mit ihren eigenen Beschwerden und Erkrankungen vermeintlich zu „optimieren“. Zudem erzeugen jene Posts das Bild eines psychisch erkrankten oder mental belasteten Menschen, der für seine Leiden – und deren Heilung – allein selbst verantwortlich wäre.

Allein das bedeutet Stress und mentale Belastung. Und Betroffene, die an dem aussichtslosen Versuch scheitern, sich selbst durch den Konsum von Schmuck, Luxus-Urlauben und zwielichtigen Coachings zu heilen, werden wohl eine um so größere Last empfinden.

Das heißt nicht, dass Arbeit für mentale Gesundheit und soziale Medien ein Widerspruch in sich sind. Aber es heißt, dass Menschen, die mit der Verstärkung eines Konsumzwangs Geld verdienen und das „Mental Health“-Influencing nennen, misstraut werden sollte.

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