BND und Verfassungsschutz„Notdürftige Reparatur“ und nicht verfassungskonform

Eigentlich muss der Gesetzgeber bis zum Jahresende neue Regelungen für die Geheimdienste hinbekommen. Aber in der heutigen Anhörung von Experten im Bundestag wurde deutlich: Die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts wurden bislang nicht ausreichend beachtet. Die Gesetzentwürfe seien zudem schwer verständlich, es mangele an Normenklarheit.

Bild des BND-Gebäudes in Berlin mit dekorativer Palme als Kunst am Bau
Das BND-Hauptquartier in Berlin-Mitte. CC-BY-NC-SA 4.0 Andi Weiland

Seit einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022, in dem mehrere Vorschriften des bayerischen Verfassungsschutzgesetzes für verfassungswidrig erklärt worden waren, sowie einem Beschluss des Höchstgerichts vom 28. September 2022 steht eine Reform bei den Geheimdiensten zwingend an. Die bisher im Verfassungsschutzgesetz geregelten Befugnisse, die den Inlandsgeheimdienst dazu berechtigen, Daten zu übermitteln, die er mit seinen geheimdienstlichen Mitteln erhoben hat, sind seither verfassungswidrig.

Der grüne Parlamentarier und Innenpolitiker Konstantin von Notz brachte es heute gegen Ende einer zweistündigen Bundestagsanhörung von Sachverständigen zu Gesetzesentwürfen im Geheimdienstrecht auf die Formel: „Sie geben uns viel mit auf den Weg“. Denn mit Ausnahme der Geheimdienstler selbst waren sich die Herren Experten weitgehend einig: Es mangele den Gesetzentwürfen an Normenklarheit, die Neuregelungen zu Datenübermittlungen sei nicht verfassungskonform, das Trennungsgebot zu wenig bedacht. Auch die Kontrolle der Geheimdienste sei nicht adäquat.

Über zwei konkrete Gesetzentwürfe verhandelte der Ausschuss für Inneres und Heimat des Deutschen Bundestags. Neu darin sind vor allem die Regelungen zur Übermittlung geheimdienstlich erhobener personenbezogener Daten, die an die neuen Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts anzupassen sind. Dabei geht es beispielsweise um Daten, die an Waffenbehörden oder andere Verwaltungsbehörden weitergegeben werden, oder auch um den Datenaustausch zwischen Geheimdiensten. Selbst eine Datenübermittlung an Private ist dem Wortlaut nach nun vorgesehen und stieß auf einhellige Kritik.

Es ging konkret um das vom Bundeskanzleramt federführend entworfene neue BND-Gesetz (BNDG-E) und den Entwurf zum Verfassungsschutzgesetz (BVerf-SchG-E), für den das Bundesinnenministerium verantwortlich zeichnet. Letzterer Entwurf ist der erste Teil einer größeren Reform des Geheimdienstrechts. Neun Sachverständige hatten nach einem kurzen Eingangsstatement den Abgeordneten Rede und Antwort gestanden und teilweise vorab schriftliche Stellungnahmen abgegeben.

„Nicht verfassungskonform“

Am deutlichsten machte der Jurist und Universitätsprofessor Mark Zöller seine Kritik: Der Entwurf zum BND-Gesetz aus dem Kanzleramt sei zwar „insgesamt besser gelungen“ als der Entwurf zum Verfassungsschutzrecht aus dem Bundesinnenministerium, aber auch er sei „in entscheidenden Passagen nicht verfassungskonform“. Für beide Gesetze gingen „die Regelungen insgesamt zu weit“, wenn man sie an den gesetzten Standards des Bundesverfassungsgerichts messe. Es handele sich um eine klare Ausweitung der Befugnisse zur Datenübermittlung, nicht um eine Einschränkung.

Auch der Sachverständige Ralf Poscher, ebenfalls Jurist und Universitätsprofessor, machte deutlich, dass „offensichtlich die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts nicht eingehalten“ wurden. Er verwies darauf, dass sich darin alle Sachverständigen einig seien. Die Schwellen für die Weitergabe würden abgesenkt statt verschärft. Die Sachverständigen sahen vor allem die vom BVerfG festgeschriebene Übermittlungshürde der „konkretisierten Gefahr“ nicht ausreichend umgesetzt.

Der Jurist Matthias Friehe von der European Business School nannte die vorliegenden Reformvorschläge nur eine „notdürftige Reparatur“. Einige Stellen würden aufgrund des höchstrichterlichen Urteils nun korrigiert, andere Baustellen vom Gesetzgeber aber „nicht angegangen“.

Gefragt danach, welche Leerstellen er in den Gesetzentwürfen sehe, verweist Friehe darauf, dass eine unabhängige Vorabkontrolle beispielsweise noch nicht umgesetzt worden sei. Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem Urteil vom 26. April 2022 mehrere Regelungen des Bayerischen Verfassungsschutzgesetzes als verfassungswidrig erkannt und wegen der Intensität der Grundrechtseingriffe solche unabhängigen Vorabkontrollen an mehreren Stellen gefordert. In dem aktuellen Entwurf sucht man sie aber vergeblich.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber mahnte „zwingend gebotene“ Änderungen an und sah einen „dringenden Überarbeitungsbedarf, um eine datenschutzkonforme Grundlage“ zu bekommen. Er attestierte den Entwürfen, sie seien „nicht hinreichend verständlich und konsistent“. Dadurch sei die Rechtssicherheit gefährdet. Bei den Löschpflichten und den Aufbewahrungsfristen müsse der Gesetzgeber ebenfalls nachbessern.

Diesen „umfangreichen Nachbesserungsbedarf“ hatte Kelber auch in einer schriftlichen Stellungnahme (pdf) erläutert. Beide Gesetzentwürfe würden „in ihrem Aufbau und ihrer Systematik grundlegend auseinanderlaufen“.

Explizit kritisierte Kelber auch die „extrem kurze Beteiligungsfrist“. Er schaute dabei mahnend in die Runde der anwesenden Parlamentarier. Es wirkte allerdings nicht so, als hätte der wichtigste Datenschützer der Republik viel Hoffnung auf Besserung.

Die Angst des Geheimdiensts vor dem Gericht

Ausweitung der Befugnisse

Christian Mihr freute sich als Vertreter von Reporter ohne Grenzen zwar grundsätzlich über Nachbesserungen, betonte aber, dass sich einmal mehr der Eindruck aufdränge, es ginge um eine „bloße Ausweitung der Befugnisse“ der Geheimdienste. Es fänden sich nur „wenig eingrenzende Formulierungen“. Die Entwürfe stünden auch im Widerspruch zum Trennungsgebot, das der zunehmenden Verwischung der Grenzen zwischen Geheimdiensten und Polizeien entgegenwirken soll.

Er verwies zudem darauf, dass die versprochene Überwachungsgesamtrechnung noch immer ausstehe. Diese Überwachungsgesamtrechnung geht auf ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts aus dem 2010 zurück. Sie soll die Gesamtwirkung aller einzelnen Überwachungsmaßnahmen auf die Grundrechte bewerten. Ein Moratorium zum Überwachungsausbau vor dem Erstellen einer Überwachungsgesamtrechnung ist aber nicht vorgesehen.

Insgesamt seien die Gesetzesentwürfe nicht nur schwer verständlich, sie wichen auch erheblich voneinander ab. Dafür werde aber keine Begründung gegeben. Mihr forderte für Reporter ohne Grenzen: Bei der Arbeit von Journalisten müsse Vertraulichkeit umfassend geschützt werden. Vor allem beim BND-Gesetzentwurf fänden sich stattdessen besonders bei den Verkehrsdaten kaum Schranken. Der BND hört internationale Telekommunikationsverkehre jeweils unter Einsatz von tausenden Selektoren ab und wertet Metadaten aus. Mihr hätte sich zudem gewünscht, dass die Nutzung von Staatstrojanern „klar untersagt“ würde. Das fehle im Gesetzentwurf. Auch stehe beim BND einem „Aufwuchs der Mittel“ kein „Aufwuchs bei der Kontrolle“ gegenüber.

Zöller verwies auch auf ein praktisches Problem: Geheimdienste können Daten quasi anbieten und rausgeben, aber der Gesetzgeber hätte keine Gesetzgebungskompetenz dafür, was mit den Daten dann geschehe. Das widerspreche der Idee der „Doppeltür“. Diese „Doppeltür“ geht auf eine Denkfigur zurück, die als „Doppeltürmodell“ vom Bundesverfassungsgericht schon in einer Entscheidung vom 24. Januar 2012 geprägt wurde. Demnach muss der Gesetzgeber „nicht nur die Tür zur Übermittlung von Daten öffnen, sondern auch die Tür zu deren Abfrage“. Denn auch derjenige, der Daten bekommt, braucht für den Umgang damit Regeln. Erst „beide Rechtsgrundlagen gemeinsam, die wie eine Doppeltür zusammenwirken müssen“, seien Voraussetzung für die Übermittlung von personenbezogenen Daten zwischen einer auskunftserteilenden Stelle und dem Datenabruf einer auskunftsuchenden Stelle.

Das gelte auch bei Übermittlung an ausländische Behörden, so Zöller. Eigentlich müsse man das „komplett streichen“, denn man könne das nicht kontrollieren. Wenn die Entwürfe so Gesetz würden, sei ein neue Niederlage in Karlsruhe absehbar, warnte der Jurist.

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7 Ergänzungen

  1. Gibt es bei Gesetzestexten ein `git blame`? (https://www.git-scm.com/docs/git-blame)

    Wenn nicht fänd ich das mal eine gute Idee, nicht nur in diesem Fall.

    Mich würde doch interessieren wer es eine gute Idee fand, dass geheimdienstlich angeeignete Informationen an Privatpersonen weitergegeben werden dürfen und vor allem warum.

    Selbst mir als nichtjurist ist die verfassungswidrigkeit klar.

    Weiß jemand mit welcher Begründung dies ermöglicht werden sollte? Ich tue mir sehr schwer damit eine legitime und gesellschaftlich akzeptierbare Argumentation dafür zu finden.

    1. > Im Ernst: Seit wann halten sich denn Geheimdienste an irgendwelche Gesetze?

      Auch im Ernst: Seit es Gesetze für Geheimdienste gibt. Zumindest ist das in Demokratien so, wobei die Gesetze in unterschiedlichen Ländern unterschiedlich weit gehen, und genau darauf kommt es an.

      Was Deutschland anbelangt, gehe ich davon aus, dass nachrichtendienstliche Behörden sich im Rahmen geltender Gesetze bewegen. Die parlamentarische Kontrolle der Dienste wurde verbessert und kann noch weiter verbessert werden.

      Deutsche Geheimdienste sind vergleichsweise eng reguliert. Dass sie dabei auch am Rande des Erlaubten handeln ist erwartbar, aber Behörden kennen ihre roten Linien ganz genau, und das Parlamentarische Kontrollgremium ebenso. Die Reform der Geheimdienstgesetze soll diese roten Linien präzisieren.

        1. > Du solltest mal die diversen Untersuchungsausschuesse zu BND und BfV/LfVs nachlesen

          Ja, immer gute Lektüre. Doch zu der wohlfeilen und überspannten Unterstellung, wie „Im Ernst: Seit wann halten sich denn Geheimdienste an irgendwelche Gesetze?“ bin ich nicht gekommen. Das ist unter Niveau, weil es nahelegt, dass die Behörden sich nie an Gesetze halten würden. Ist deine Meinung nicht ein wenig zu verfestigt?

          Wie wäre es, wenn Du mal konkrete Quellen nennen würdest, bei denen die Probleme noch nicht behoben sind, so als reality update?

          1. Die Frage ist, wie vertrauenswuerdig sind die Dienste bezueglich ihres inhaerenten Willens, sich an Gesetze und Regelungen zu halten.

            Die Dienste haben regelmaessig demonstriert, dass sie ein inhaerentes Bestreben haben, sich darueber hinweg zu setzen oder mit sich mit mehr als fragwuerdigen Rechtsauffassungen, zT gegen die zustaendige Expertise im eigenen Haus, darum herum zu mogeln. Dabei wird nur ein geringer Teil dieser Vorkommnisse ueberhaupt publik.

            Gleichzeitig haben die zustaendigen Politiker von CDU und SPD, von ihren Koalitionspartnern Gruene wie FDP gedeckt, immer demonstriert, dass derartige Verfehlungen, wenn sie denn publik werden, nicht sanktioniert werden. Im Gegenteil, sie werden regelmaessig mit Gesetzen zur Ausweitung der Befugnisse belohnt.

            Nicht vergessen, dass diese Dienste eine ungebrochene personelle Tradition von Gehlen ueber Roewer bis Maassen haben, ebenfalls von den zustaendigen Ministern gestuetzt.

            Wer sollte also warum davon ausgehen, dass sich diese Dienste im Zweifelsfall an Gesetze halten, wenn sie es gerne nicht wuerden?

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