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Geschichten aus dem DSC-BeiratEinreisebeschränkungen und Zugriffsschranken

Wie wirkt sich der europäische Digital Services Act auf Plattformnutzer*innen anderswo aus? Wie schützt man Kinder und Jugendliche im Netz, ohne überall Zugriffsschranken zu installieren? Damit beschäftigen sich die Fachleute aus dem DSC-Beirat.

Eine Schranke mit schwarz-orangenen Streifen, die auf einer Straße steht.
Schranken können ausschließen. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Marcel Strauß

Der DSC-Beirat ist ein Gremium aus Zivilgesellschaft, Forschung und Wirtschaft. Er soll in Deutschland die Durchsetzung des Digital Services Act begleiten und den zuständigen Digital Services Coordinator unterstützten. Svea Windwehr ist Mitglied des Beirats und berichtet in dieser Kolumne regelmäßig aus den Sitzungen.

Dass ein paar wenige US-amerikanische Tech-Unternehmen und ihre Gründer disproportional großen politischen und gesellschaftlichen Einfluss haben, ist inzwischen im Mainstream angekommen – willkommen in der Broligarchie. Die realen Konsequenzen der neuen Nähe zwischen dem Weißen Haus und der Tech-Industrie ließen sich zuletzt eindrucksvoll in einer Bekanntmachung von US-Außenminister Marco Rubio beobachten: In Zukunft werden neue Visa-Beschränkungen für ausländische Staatsangehörige gelten, die „für die Zensur der geschützten Meinungsäußerung in den Vereinigten Staaten verantwortlich“ sind.

Die Pressemitteilung des State Departments formuliert es nicht explizit aus, aber Rubios neue Visaregelungen nehmen offenkundig Personen ins Visier, die an der Durchsetzung von Gesetzen wie dem Digital Services Act (DSA) beteiligt sind. Der DSA steht bereits seit Monaten unter Beschuss. Spitzenpersonal der Trump-Administration diskreditiert ihn regelmäßig als Zensurwerkzeug.

Trotzdem stellt Rubios Ankündigung eine neue Eskalationsstufe dar: Bisher wurden vor allem die Intention und Funktionsweise des DSA bis zur Unkenntlichkeit verzerrt. Nun können auch Beamt*innen, die an der Durchsetzung des DSA arbeiten, unter Druck geraten. Das gilt auch für Akteur*innen aus Zivilgesellschaft und Forschung, die sie darin unterstützen. Damit forciert die Trump-Administration jene Abschreckungseffekte bezüglich der Meinungsfreiheit, die sie Europa vorwirft.

Inmitten dieser Gemengelage ist es nicht verwunderlich, dass die politische Situation in den USA und ihre möglichen Auswirkungen auf die Anwendung des DSA auf der Tagesordnung der vierten Sitzung des DSC-Beirats standen.

Was ist dran an extraterritorialen Auswirkungen des DSA?

Auf Bitte des DSC wird das Thema in einer Arbeitsgruppe des Beirats bearbeitet. Sie soll dem DSC eine Handreichung zur Verfügung stellen. Konkret steht dabei zum Beispiel die Frage im Vordergrund, was die tatsächlichen Auswirkungen des DSA auf Inhalte von Nutzer*innen außerhalb der EU sind.

Diese sogenannte extraterritoriale Wirkung des DSA werfen Trump und Co. Europa vor: Dass Inhalte von US-Bürger*innen, die in den USA von der Meinungsfreiheit geschützt sind, wegen des DSA (und abweichenden europäischen Definitionen davon, was als rechtswidrig gilt) entfernt werden. Tatsächlich handelt es sich um ein Strohmann-Argument: Viele der großen Online-Plattformen schränken Inhalte, die gegen nationales Recht verstoßen, durch sogenanntes Geoblocking lokal ein. Inhalte, die gegen ihre eigenen Hausregeln verstoßen, entfernen sie in der Regel global.

Das soll nicht heißen, dass der DSA nicht zu problematischen Auswirkungen in anderen Regionen der Welt führen kann. Auch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz wurde seinerseits als Beispiel angeführt, um restriktive Gesetzgebung in anderen Ländern zu rechtfertigen und zu legitimieren. Die Erzählung massenhafter Entfernungen von rechtmäßigen Aussagen von US-Bürger*innen scheint aber mehr als unwahrscheinlich und in erster Linie politisch motiviert.

Narrative und Gegennarrative

Ein anderes Thema im Fokus der Arbeitsgruppe „USA“ ist die Frage, wie sich der transatlantische Gegenwind auf die auswirken könnte, die für eine effektive Durchsetzung des DSA unerlässlich sind: Expert*innen aus Zivilgesellschaft und Forschung.

Die Demontage des Stanford Internet Observatory gibt einen Vorgeschmack darauf, was die gezielte Diskreditierung von Bemühungen, den Missbrauch von und auf Online-Plattformen aufzudecken, anrichten kann. Um ähnlichen Angriffe auf Forschung und Zivilgesellschaft in der EU zuvorzukommen, müssen dringend Kapazitäten aufgebaut werden: Wir müssen Zivilgesellschaft und Forschung stärken, vor Angriffen schützen und den Zensur-Erzählungen faktenbasierte Aufklärungskampagnen über die Funktions- und Wirkungsweise des DSA entgegensetzen.

Gegennarrative standen auch auf der diesjährigen re:publica-Konferenz hoch im Kurs. Dabei sollte klar sein, dass Diskursinterventionen nicht ansatzweise genügen werden, um der ökonomischen und politischen Machtkonzentration in den Händen von Google, Meta, Microsoft und Co. zu begegnen. Ähnlich wie es nicht ausreichen wird, rechtsextreme Parteien wie die AfD „inhaltlich zu stellen”, um demokratische Institutionen zu schützen, reicht es nicht, nur über die Probleme der Broligarchie zu reden.

Stattdessen sollten wir unsere Ressourcen dafür einsetzen, die existierenden gesetzlichen Mittel konsequent zu nutzen und uns für ihre Weiterentwicklung einzusetzen. Denn bei aller Begeisterung für den DSA und die Möglichkeiten, die er bietet: Die Geschäftsmodelle großer Online-Plattformen werden vom DSA kaum tangiert. Inwieweit der DSA also in der Lage ist, systemische Veränderungen zu erreichen, darf angezweifelt werden. Aber zurück zum Beirat.

Jugendschutz: Zwischen Teilhabe und Zugriffsschranken

Ein weiteres, auch auf der re:publica diskutiertes Thema hat den zweiten inhaltlichen Schwerpunkt der vierten DSC-Beiratssitzung gebildet: der Kinder- und Jugendmedienschutz. Was sich für manche trocken anhören mag, hat das Zeug, zu einer fundamentalen Weichenstellung für das Netz zu werden.

Konkret geht es um Artikel 28 des DSA. Der trägt Anbietern von Online-Plattformen unter anderem auf, „geeignete und verhältnismäßige Maßnahmen“ zu ergreifen, um für ein „hohes Maß an Privatsphäre, Sicherheit und Schutz von Minderjährigen“ zu sorgen. Was das genau heißen soll, ist alles andere als eindeutig und Gegenstand von Leitlinien, die die Europäische Kommission aktuell erarbeitet. Dabei nimmt die Frage, ob Anbieter unter dem DSA das Alter ihrer Nutzer*innen bestimmen müssen, eine zentrale Stellung ein.

Solche Altersbestimmungen oder Altersschranken können massive Auswirkungen auf die Grundrechte aller Nutzer*innen haben und werden vehement von Mitgliedstaaten wie Frankreich, Spanien, Dänemark und Griechenland gefordert. Um dem Druck der Mitgliedstaaten zu begegnen, hat die Europäische Kommission selbst die Entwicklung einer auf digitalen Identitäten beruhenden Altersverifikations-App in Auftrag gegeben.

Eine aktuelle Ermittlung gegen Anbieter von pornografischen Plattformern lässt durchblicken, dass Altersschranken in Zukunft sehr viel weiter verbreitet sein werden. Damit könnten die Zeiten, in denen Nutzer*innen sich durchs Internet bewegen konnten, ohne ihr Alter anzugeben, vorbei sein.

Wie guter Schutz von Kindern und Jugendlichen im Netz aussehen kann und warum Altersschranken kein Allheilmittel sind, hat der Beirat in einer Handreichung an den DSC erarbeitet. Diese Handreichung ist der Versuch, ein differenziertes Licht auf den Schutz von Minderjährigen zu werfen, ohne dabei dem Trugschluss aufzusitzen, dass es einfache technische Lösungen für komplexe gesellschaftliche Herausforderungen gibt. Stattdessen müssen die Eignung und Verhältnismäßigkeit von Interventionen beachtet werden, genau wie die Auswirkungen auf die Rechte aller betroffenen Nutzer*innen, insbesondere die von Kindern und Jugendlichen.

Jenseits von Altersbeschränkungen oder Altersverifikationssystemen können Designmaßnahmen und Default-Einstellungen helfen, um die auf die Bedürfnisse minderjähriger Nutzer*innen einzugehen und gleichzeitig Online-Plattformen besser für alle Nutzer*innen zu machen.

Die Leitlinien könnten also zu einem sinnvollen Umgang mit Online-Risiken beitragen – oder aber zu einer Version des Internets, in dem der freie Zugang zu Wissen und Informationen von Altersschranken begrenzt wird. Zur Entwurfsfassung der Leitlinien der Europäischen Kommission kann noch bis zum 10. Juni Feedback eingereicht werden.

Trend geht zur Deregulierung

Trotz aller Aktivitäten im Bereich der DSA-Durchsetzung dürfen wir aber nicht übersehen, dass aus Brüssel auch gegenteilige Signale gesendet werden: Die „Simplifizierungs“-Agenda der Europäischen Kommission könnte eine nie dagewesene Ära der Deregulierung einläuten.

Nachdem die Kommission im Februar angekündigt hat, die lange geplante KI-Haftungsrichtlinie zurückzuziehen, könnten auch Kernpfeiler des Rechtsrahmens für Online-Dienste wie die Datenschutzgrundverordnung, der DSA, der Digital Markets Act und die KI-Verordnung von sogenannten Omnibus-Paketen aufgeweicht werden. Von der hiesigen Netz-Community werden diese Entwicklungen bis jetzt kaum thematisiert, sollten uns aber alle aufhorchen lassen.

Unter dem Vorwand, europäische Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, droht ein massiver Rückbau europäischer Regulierung. Dabei soll sie Grundrechte schützen, Nachhaltigkeit fördern und Unternehmen zur Einhaltung von Sorgfaltspflichten zwingen. Um die wertebasierte Regulierung von Tech-Unternehmen zu untergraben, braucht es also nicht unbedingt US-amerikanische Tech-Bros – Europa kann das ganz alleine.

2 Ergänzungen

  1. Man denkt immer nur ein Pornografie aber wenn man so in den Sozialen Netzwerken unterwegs ist findet man weit mehr was ungeeignet ist für minderjährige. Komisch Pornografie wird 100% heraus gefiltert, Gewalt und zerstörende Bilder nicht!? Immer wieder wird mir das präsentiert weil sich das irgendwer um Umfeld anschaut oder die KI meint es würde mir gefallen. Weis nicht ob man sich lustig machen sollte über Unfälle von Menschen wo klar ist das diese sogar tödlich verunglückt sind. Vor 30 Jahren war das einfacher und wenn man ehrlich ist würde es auch niemand befürworten wenn Minderjährige in ein Erotikgeschäft gehen. Die Frage ist bloß in wie weit man das Netz aufgeben muss wie man es lieben gelernt hat? Die Politik hat da kein gespürt für und folgt er den konservativen Hardlinern für das er Neuland ist. Deswegen ja auch die gleiche Lösung wie vor 30 Jahren, den Ausweis Bitte!

  2. „Tatsächlich handelt es sich um ein Strohmann-Argument: Viele der großen Online-Plattformen schränken Inhalte, die gegen nationales Recht verstoßen, durch sogenanntes Geoblocking lokal ein. Inhalte, die gegen ihre eigenen Hausregeln verstoßen, entfernen sie in der Regel global.“

    Tatsächlich klingt das wie ein Strohmann Argument. es geht darum, dass Meinungsäußerungen von US Bürger geblickt werden. Die „Hausregeln“ haben damit nichts zu tun und dürfen die Meinungsfreiheit auch nicht einschränken. und, wie häufig das passiert, ist ein weiterer Strohmann.

    Die Frage ist eher ob es richtig ist das übernationale Behörden für die Einordnung von Meinungsäußerungen zuständig sein sollten. Mittlerweile wird das als normal betrachtet, für mich ist das nach wie vor der weg in eine Zensurbehörde.

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