Big Brother AwardsMicrosoft für „Lebenswerk“ ausgezeichnet

Ob in der Freizeit, im Beruf oder in der Verwaltung: Software von Microsoft findet man in sämtlichen Lebensbereichen. Weil der Konzern es trotz Kritik immer wieder schafft, seine Macht über die Daten auszuweiten, erhält er den „Oscar der Überwachung“.

Das vierfarbige Firmenlogo von Microsoft erscheint über dem Eingang zu einem Microsoft-Store.
Nicht nur für sein Verwaltungsmonopol erhält der Techkonzern einen Oscar. Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch: unsplash.com

In der Hechelei Bielefeld verleiht der Verein Digitalcourage heute die Big Brother Awards, die auch gestreamt werden. In der fünfköpfigen Jury sitzen zwei Mitglieder von Digitalcourage, Frank Rosengart vom Chaos Computer Club sowie zwei weitere Datenschutzexperten. Der Negativpreis geht an Unternehmen, Behörden oder Personen, die aus Sichtweise der Jury besonders wenig Wert auf Datenschutz und Grundrechte legen.

In der Kategorie „Lebenswerk“ räumte Microsoft dieses Jahr den Preis ab. Und das nicht zum ersten Mal: Bereits 2002 bescheinigte die Jury dem Konzern eine Vorbildfunktion beim Thema Überwachung. Damals wegen einer „flächendeckenden Urheberrechts-Kontrolltechnologie“, dem Digital Rights Management. Inzwischen ist viel vorgefallen. Grund genug, um sich die letzten Entwicklungen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen.

Das tut Thilo Weichert in seiner Laudatio, die er mit den Worten schließt: „Microsoft ist eine große Bevormundungsmaschine, die uns unserer digitalen Souveränität beraubt.“ Weichert ist ehemaliger Datenschutzbeauftragter von Schleswig-Holstein und ist heute noch als Datenschutzexperte beim Netzwerk Datenschutzexpertise aktiv.

Microsoft: Der große Bruder in allen Lebenslagen

Weichert erinnert an viele einzelne Aspekte, die offenbar zur Wahl des Preisträgers führten. Im Bereich Gaming will Microsoft den Spielehersteller Activision Blizzard schlucken. Auch um in der heraufbeschworenen virtuellen Zukunft, dem Metaverse, eine zentrale Rolle zu spielen. Die Wettbewerbsbehörde in Großbritannien hat die Übernahme am Mittwoch allerdings vorerst blockiert. Der immer gleiche Vorwurf dabei: zu viel Marktmacht.

Mit seinen Office-Anwendungen ist das Unternehmen schon lange für viele unersetzlich. Wie groß die Abhängigkeit von Microsoft ist, verdeutlichte erst im Januar ein zwischenzeitiger Ausfall einiger Microsoft-Dienste: Wegen eines Netzwerk-Konfigurationsfehlers war in vielen Büros Kaffeepause angesagt.

Bei der Nutzung von Microsoft vorne mit dabei sind auch deutsche Behörden, Microsoft hat in der Verwaltung die Nase vorn: 96 Prozent aller bundesunmittelbaren Behörden nutzten 2018 Microsoft Office sowie Windows, 69 Prozent nutzen Windows Server. Das geht aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion vom Mai 2021 hervor.

Wenig dazugelernt

Im aktuellen und im vergangen Jahr 2022 kam nochmal einiges auf die Microsoft-Verwaltungsdominanz oben drauf. Man schaue nur auf die Berliner Senatsverwaltung: Statt – wie ursprünglich geplant – die Berliner Lehrkräfte mit Adressen von Mailbox.org auszustatten, bekam stattdessen am Ende der Techriese den Zuschlag. Dabei hatte sich bereits ein Drittel der 34.000 Berliner Lehrkräfte neue Zugänge des Berliner Anbieter zugelegt.

„Ob Microsoft kurzfristig billiger ist, ist fraglich. Dass die langfristige Bindung an Microsoft letztlich nur dem Unternehmen dient, ist offensichtlich“, so Weichert in der Laudatio.

Daten-Black-Box Microsoft

Im November 2022 hatten mehrere Datenschützer darauf hingewiesen, dass Microsoft 365 nicht mit der Datenschutzgrundverordnung im Einklang stehe. Microsoft lege nicht offen, welche Kategorien von Daten sie verarbeiten und zu welchem Zweck, heißt es in dem Gutachten der Datenschützer.

Auch kritisieren die Expert:innen, dass Microsoft die persönlichen Daten seiner Kund:innen in die USA übermittele, wo der Konzern seinen Sitz hat. Eine Kritik, auf die auch die BBA-Jury verweist. Das Datenschutzniveau in den USA sei wesentlich geringer als in Europa, US-Geheimdienste hätten auf die Daten Zugriff. Der Datentransfer in die USA durch Microsoft verstoße dadurch gegen die Schrems-II-Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes.

Microsoft verweist indessen darauf, dass es inzwischen 17 europäische Rechenzentren gibt, die den Datentransfer für den öffentlichen Sektor und für zahlende Großkunden vermeiden. Das Unternehmen nennt dieses Projekt „EU Data Boundary“. In Deutschland hat Microsoft angekündigt, Daten deutscher Behörden zukünftig hierzulande in gemeinsamen Rechenzentren von SAP und Arvato zu speichern.

Der BBA-Jury sieht die Vorhaben aber kritisch, die mit Blick auf den Datentransfer in die USA nicht weit genug gingen. Durch amerikanische Gesetze, den Cloud-Act sowie den Foreign Surveillance Act seien die Daten immer noch nicht vor den US-Behörden sicher.

Das sind die weiteren Preisträger

In der Kategorie „Behörden und Verwaltung“ gewann Finanzminister Christian Lindner, der mit seinem Plattform-Steuertransparenzgesetz ein Gesetz schuf, das laut Jury „umfassende Vorratsdatenspeicherung über private Flohmarktverkäufe“ vorsehe. Das Fintech-Unternehmen finleap erhielt den Preis in der Kategorie „Finanzen“.

Ein Big Brother Award in der Kategorie „Kommunikation“ ging an die Videokonferenz-Plattform Zoom. Die Deutsche Post DHL Group durfte sich über einen Preis in der Kategorie „Verbraucherschutz“ freuen: Die Jury stellte fest, dass Pakete häufig nur noch per „Digitalzwang“ mit App entgegenzunehmen seien.

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5 Ergänzungen

  1. Im Fall von DHL würde mich mal interessieren, ob eine Klage auf Herausgabe mit Fristsetzung Sinn ergäbe. (Wenn man fies wäre, könnte man den Digitalzwang als gewerbsmäßige Erpressung und Diebstahl betrachten.)

  2. Wer macht in Unternehmen und Behörden, Verwaltungen eigentlich die Risikobewertung, wenn zentral auf (Cloud, SaS) Services von Microsift gesetzt wird? Denkt da jemand über das whatifthen nach – vielleicht auch mal volkswirtschaftlich? Ist ja nicht die Frage, ob das mal richtig breit kapput gegangen wird, sondern nur wann.

    1. whatifthen: Ja klar. aber nicht volkswirtschaftlich, sondern privat- oder bestenfalls vetternwirtschaftlich. Die Logik ist ganz einfach: Wenn ich den Auftrag nicht an M$ vergebe, bekomme ich die nächste gut gefüllte Aktentasche nicht. Anders als mit diesen Aktentaschen sind die meisten Entscheidungen pro M$ nicht zu erklären, siehe auch die sehr gute Doku von 2018 „Das Microsoft-Dilemma“.

  3. Die Berliner Lehrer werden – ebenso wie die Thüringer Lehrer – weiterhin von https://mailbox.org gehostet.

    Es ist nicht richtig, dass Microsoft den Zuschlag zu diesem Auftrag bekam. Hier ist leider auch von offizieller Ebene – durch Staatssekretär Aziz Bozkurz auf Twitter und dem CDO des Landes Berlin Ralf Kleindiek damals im Digitalauschuss – nachweisbar völlig Falsches verbreitet worden. Vielleicht hätten sich die Herren eine Microsoft-Welt gewünscht und/oder waren entsprechend lobbyiert worden. Das können wir nicht beurteilen.

    Aber die in diesem Zusammenhang gegenüber https://mailbox.org im Digitalausschuss geäußerten Vorwürfe bezügl. fehlender Erweiterung, zu hoher Kosten etc. etc. sind ebenso falsch und unzutreffend und wir haben sie und diese Darstellung auch erst aus dem Digitalausschuss erfahren – und einzeln widerlegen können.

    Richtig ist, dass dein Auftrag für maximal 5000 Postfächer an einen Microsoft-Dienst/Dienstleister vergeben wurde. Es handelte sich dabei aber nicht um „die Berliner Lehrer“, sondern um andere Mailadressen im Bereich Berliner Schulen und/oder des Berliner Schulportals.

    Anders, als im von uns Stück für Stück damals widerlegten Twitter-Rant von Staatssekretär Aziz Bozkurt dargestellt, handelte es sich dabei nicht um eine echte Vergabe, sondern um eine beschränkte Ausschreibung, an der mailbox.org von vornherein nicht eingeladen wurde und nicht teilnehmen konnte. Anders als dargestellt wäre allerdings schon der Listenpreis von mailbox.org billiger gewesen, als der vergebene Vertrag an den Anbieter. Anders als dargestellt wäre mailbox.org problemlos in der Lage gewesen, die Leistung technisch zu erbringen – auch beim Einsatz von Outlook.

    Also: Entgegen verschiedener Darstellungen werden die Berliner Lehrer nach wie vor microsoft-frei von https://mailbox.org betrieben. Ob und was hier für die Zukunft geplant ist, mag jedoch eine ganz andere Frage sein.

    Peer Heinlein
    (CEO mailbox.org)

    1. Was Sie schreiben macht Sinn nur macht jetzt die Artikel Aussage wenig Sinn. Es scheint monentan das die lüge in der öffentlichkeit Geistert aber im Hintergrund scheint es wahr und klar….

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