Datei „Szenekundige Beamte“Fußballfan-Daten landen weiter massenweise bei der Polizei

Das rheinland-pfälzische Innenministerium strukturiert seine polizeilichen Datenbanken über Fußballfans neu. Obwohl die Dateien „Szenekundige Beamte“ dabei datenschonender werden, ist das kein Anzeichen für den Willen zu einer konstruktiveren Beziehung zwischen Fans und Behörden.

Fans des 1. FC Kaiserslautern mit Pyrotechnik, Fahnen und gereckten Fäusten.
Zukünftig landen die Daten von Begleitpersonen vermeintlich gewalttätiger Kaiserslautern-Fans nicht mehr in den Datenbanken der Polizei. CC-BY-NC-ND 2.0 Der Toco

Datenbanken über Fußballfans stehen immer wieder in der Kritik, datenschutzrechtlich fragwürdig zu sein und organisierte Fans pauschal als gewalttätig abzustempeln. Für die bundesweite Datei „Gewalttäter Sport“ und die regionalen Dateien „Szenekundige Beamte“ (SKB-Dateien) sammeln Polizist:innen Unmengen an Daten über angeblich gewaltbereite oder kriminelle Anhänger:innen von Fußballvereinen.

In einem Pilotprojekt testet die Polizeidirektion Kaiserslautern ab April eine datenschonendere SKB-Datei. Das gab der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz (SPD) Mitte Februar bekannt. Es sollen nicht mehr wie bisher auch Daten von Kontakt- und Begleitpersonen der vermeintlich gewalttätigen Fans erhoben und gespeichert werden. Auch sollen Personen, die in der Datei gelistet werden, künftig darüber informiert werden. Alle zwölf Monate überprüfen die Behörden die Speicherung.

Gegenüber netzpolitik.org begründete ein Sprecher des Innenministeriums die Umstrukturierung allerdings nicht etwa mit Datenschutzbedenken, sondern mit IT-Vereinheitlichung:

Die bislang existierenden Datenbanken wurden seinerzeit auf Basis standortbezogener IT-Anwendungen programmiert (sogenannte „Insel-Anwendungen“). Mit der neuen Datenbank wird eine landeseinheitliche, IT-gestützte Datei für alle Fachdienststellen geschaffen. Somit wird künftig eine landeseinheitliche Verfahrensweise und Datenbankpflege sowie ein zentrales Änderungsmanagement gewährleistet.

Landesdatenschutzbeauftragter hält Neustrukturierung für notwendig

Im Innenministerium hielt man die Datenbank dem Sprecher zufolge auch in der bisherigen Form für datenschutzkonform. Das sieht man beim rheinland-pfälzischen Landesdatenschutzbeauftragten Dieter Kugelmann anders. Auf Anfrage sagt ein Sprecher, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum BKA-Gesetz aus dem Jahr 2016 und die EU-Datenschutzrichtlinie für Justiz und Inneres, ebenfalls von 2016, hätten eine Neustrukturierung notwendig gemacht. In der EU-Richtlinie ist festgehalten, dass sie schon bis 2018 in nationales Recht hätte umgesetzt werden müssen. Sowohl das Urteil als auch die EU-Richtlinie sollen die Rechte von Bürger:innen bei der Strafverfolgung stärken.

Auch die unverändert lange Liste an Informationen, die in der Datenbank über Betroffene gespeichert werden, zeigt, dass es auf Seiten des Innenministeriums kein Umdenken bezüglich des Datenschutzes gab. Welche Informationen genau in der Datei landen, ergab eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im rheinland-pfälzischen Landtag im Jahr 2015. Neben objektiven Fakten halten die „szenekundigen“ Beamten dort auch subjektive Einschätzungen fest, beispielsweise ob jemand in seiner Fan-Gruppierung die Funktion eines „Rädelsführers“ oder eines „Mitläufers“ übernimmt.

Fanhilfe des 1. FC Kaiserslautern begrüßt Maßnahme

Vom Pilottest der neuen SKB-Datei bei der Polizei Kaiserslautern wären zunächst in erster Linie Fans des 1. FC Kaiserslautern betroffen. Die Rot-Weiße Hilfe, eine Solidaritätsgemeinschaft, die Fans des 1. FC Kaiserslautern bei Problemen mit der Polizei und der Justiz berät und unterstützt, kritisiert die Arbeit der sogenannten szenekundigen Beamten schon lange. In einer Broschüre erklären sie den Fans, was deren Aufgabe ist:

SKBs sind dazu da, die Fanszene im Auge zu behalten und an Infos zu kommen. […] Es ist ihr Job, Profile über euch zu erstellen, z. B. darüber, ob, wie und mit wem ihr euch in einer Gruppe bewegt. Jedes noch so kleine Detail wird hierzu verwendet. Außerdem werden die subjektiven Einschätzungen der SKBs als eine Art „Gutachten“ in die Gerichtsakten übernommen.

Gegenüber netzpolitik.org begrüßt die Rot-Weiße Hilfe die Umstrukturierung der Datei. Man halte die Neustrukturierung für einen ersten Schritt in die richtige Richtung, weil nicht mehr ganz so viele Daten gespeichert würden. Ob es aber am Verhältnis zwischen Fans und Polizei etwas ändern könnte, sei mit den aktuell verfügbaren Informationen noch nicht zu beurteilen. Auf ihrer Webseite stellt die Fanhilfe vorgefertigte Formulare zur Verfügung, mit denen Fans bei den Behörden erfragen können, ob und mit welchen Daten sie in einer Fandatenbank gelistet sind.

Neben der SKB-Datei bei der Polizei in Kaiserslautern gibt es laut Innenministerium noch eine weitere Datei in Koblenz. Sofern der Pilottest ab April erfolgreich verlaufe, soll das neue System zu Beginn der Fußballsaison 2021/22 ab 1. Juli in ganz Rheinland-Pfalz zum Einsatz kommen.

Keine Änderungen bei Datei „Gewalttäter Sport“

Keine Bewegung gibt es derweil bei der bundesweiten Datei „Gewalttäter Sport“, die in den vergangenen Wochen mal wieder für Schlagzeilen sorgte. Eine kleine Anfrage der Grünen-Fraktion im Bundestag hatte ergeben, dass im Jahr 2020 trotz pandemiebedingten Geisterspielen in allen oberen Fußball-Ligen über 1.000 Menschen neu in die Datei aufgenommen wurden. Die Bundesregierung erklärt das mit Verzögerungen bei den Ermittlungen und Fanzusammenkünften, die es trotz Geisterspielen gegeben habe.

Werden Fans neu in die Datei „Gewalttäter Sport“ aufgenommen, werden sie in fast allen Bundesländern nicht darüber benachrichtigt. Unklar ist auch, warum eine Person in einer Datei mit dem Titel „Gewalttäter“ landet, deren Personalien beispielsweise wegen Beleidigung oder Diebstahl festgestellt wurden. Fanvertreter:innen kritisieren außerdem seit Jahren, dass auch Menschen in der Datei landen, deren Personalien einfach nur bei der Anreise zu einem Fußballspiel festgestellt werden.

Eine Neustrukturierung nach rheinland-pfälzischem Vorbild könnte hier Verbesserungen erwirken. Solange bei Polizei und Innenministerien aber kein wirkliches Umdenken hin zu einer konstruktiven Beziehung mit organisierten Fußballfans stattfindet, sind wirklich datenschonende Lösungen nicht in Sicht.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

Eine Ergänzung

  1. Neben den unklaren Kriterien, durch die Fußballfans ins behördliche Raster – und damit in polizeiliche Dateien – geraten, ist auch weiterhin unklar wer alles von diesen polizeilichen Datenbeständen profitiert.
    Werden personenbezogene Daten (möglicherweise ohne Rechtsgrundlage) zum “Schutz privater Rechte“ an die Stadionsicherheiten (private Sicherheitsdienste/ Security) der Fußballvereine weitergegeben?
    Wenn große Sicherheitsunternehmen wie z. B. Securitas (Stadionsicherheit f. Rot-Weiss Essen, auf Schalke wurde der Vertrag mittlerweile gekündigt) in zahlreiche (direkte) Kooperationsverträge mit verschiedenen Länderpolizeien eingebunden sind liegt diese Vermutung nahe.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.