iVoteEU-Abgeordnete kritisieren neue Abstimmungs-App

Das EU-Parlament stimmt seit der Pandemie in manchen Ausschüssen mit einer App ab, die nur auf Apple-Geräten funktioniert. Linke und Piraten warnen vor der Abhängigkeit von dem US-Konzern.

Umweltausschuss
Die Arbeit im EU-Parlament kann derzeit nur eingeschränkt stattfinden, die meisten Abgeordneten stimmen von zuhause aus ab. Hier im Bild: eine Sitzung im Umweltausschuss. – Alle Rechte vorbehalten European Union 2020 – Source : EP

Seit Ausbruch der Corona-Pandemie läuft ein Großteil der Arbeit im Europäischen Parlament virtuell ab. Die Wahl der Werkzeuge sorgt nun allerdings für eine Kontroverse. Denn in einigen Ausschüssen stimmen die Abgeordneten seit Kurzem mit einer App namens iVote ab. Für die Nutzung der App ist ein Apple-Gerät und ein Konto bei dem US-Konzern notwendig.

Das ist nicht zuletzt bemerkenswert, weil die Europäische Union in den vergangenen Jahren wiederholt gegen Apple vorgegangen ist. Die EU-Kommission verdonnerte den Konzern etwa 2016 zu einer 13-Milliarden-Euro-Steuernachzahlung in Irland, seit wenigen Wochen ermittelt die Wettbewerbsbehörde außerdem wegen Kartellrechtsverstößen in Apple App-Store. Genau diese Infrastruktur soll nun dem EU-Parlament die Weiterarbeit in der Coronakrise garantieren.

Nur für Apple-Geräte verfügbar

Die iVote-App wird bereits in einigen der 22 Parlamentsausschüssen genutzt oder getestet, darunter in den wichtigen Gremien für Binnenmarkt und Budget. Die App soll ein Verfahren ablösen, dass zu Beginn der Pandemie eingeführt wurde: Seither laufen Abstimmungen oft mit eingescannten Stimmzetteln per Mail. Das soll weiter möglich sein, die Vorsitzende einiger Ausschüsse drängen jedoch zur Verwendung der neuen App.

Bei iVote handelt es sich um eine Eigenentwicklung der IT-Abteilung des Parlaments, wie es in einem FAQ für die Abgeordneten heißt. Sie ist nur über den App-Store von Apple zugänglich. Um den Abgeordneten die Nutzung der App zu erklären, hat das Parlament sogar eigens ein sechsminütiges Erklärvideo produziert, dass wir unseren Leser:innen nicht vorenthalten möchten.

Bei Abstimmungen aller Abgeordneten im Plenum verwendet das Parlament weiterhin sein bisheriges System mit den eingescannten Stimmzetteln, zuletzt wurde es mit zusätzlichen Sicherheitsmaßnahmen verbessert. Etwa erfolgt die Übermittlung der Stimmzettel nun per VPN-Verbindung.

Diese verbesserte Infrastruktur für Abstimmungen mit gescannten Stimmzetteln sei allerdings nicht für Ausschüsse verwendbar, heißt es in dem FAQ zu iVote. Warum das nicht möglich ist, konnte die Parlamentsverwaltung allerdings auf Anfrage nicht erklären.

Abgeordnete: „Schlechter Scherz“

An der iVote-App gibt es heftige Kritik von Linken und Grünen. „Die Abhängigkeit von einem Big-Tech-Konzern ist völlig unnötig“, sagt der linke Co-Fraktionschef Martin Schirdewan. Seine Fraktion protestierte in einem Brief an Parlamentspräsidenten David Sassoli gegen die Verwendung von iVote.

Für Schirdewan handelt es sich nur um den Höhepunkt einer Entwicklung, denn in der Pandemie habe bereits ein Gutteil der Arbeit des Parlaments – etwa die Software für Videokonferenzen – nur über Apple-Geräte funktioniert. „Da bindet sich das Parlament völlig unnötigerweise an Apple, das ist unglücklich und nicht zu erklären“, sagt er gegenüber netzpolitik.org.

Harte Worten kommen auch von Parlamentsvizepräsident Marcel Kolaja, einem tschechischen Piraten in der Fraktion der Grünen. Die Stimmabgabe im Parlament von einer US-amerikanischen Firma abhängig zu machen, sei „ein schlechter Scherz“, kritisiert er in einem Blogeintrag.

Kolaja beschreibt, dass für die Stimmabgabe ein iCloud-Konto bei Apple notwendig sei. „Darüber hinaus sendet iVote auch alle Abstimmungsdaten an den Cloudspeicher“, schreibt er in seinem Blog. Wenn Abgeordnete sich weigerten, die iCloud-Nutzungsbedingungen zu akzeptieren, könnten sie nicht abstimmen.

Etwas verhaltenere Kritik kommt von der Sozialdemokratin Katarina Barley, die ebenfalls Vizepräsidentin des Parlaments ist. „Für mich kann der Einsatz einer solchen App allenfalls temporär sein, das ist auch eine Frage der digitalen Souveränität Europas“, sagt die frühere Justizministerin. Sie hofft, dass statt mit der App künftig auch in den Ausschüssen mit dem gesicherten E-Mail-Abstimmungsverfahren gewählt werden kann.

Offene Datenschutzfragen

Die Parlamentsverwaltung betont in ihrem FAQ, das Log-in über iCloud sei eine „technische Notwendigkeit“. Die App verwende das Apple-Konto jedoch nicht zur Authentifizierung der Stimmzettel und sei nicht in der Lage, ein iCloud-Konto mit einer bestimmten Person zu verknüpfen. „Das bloße Einloggen zur Abstimmung mit iVote gibt per se keine Daten an Apple weiter.“

Derzeit ist unklar, ob die Nutzung App tatsächlich mit den Datenschutzregeln der EU-Institutionen vereinbar ist. Diese sehen für wichtige IT-Systeme eine Datenschutz-Folgeabschätzung vor. Der Datenschutzbeauftragte des EU-Parlaments antwortete nicht auf eine Anfrage von netzpolitik.org, ob eine solche Folgeabschätzung durchgeführt wurde. Erst im Vorjahr stoppte der Europäische Datenschutzbeauftragte das Parlament dabei, mithilfe einer umstrittenen US-Firma Wähler:innendaten zu sammeln.

Auf Anfrage von netzpolitik.org erklärt die Parlamentsverwaltung, bei der App handle es sich um eine temporäre Maßnahme. Die Daten würden verschlüsselt und die Sicherheit der App werde positiv bewertet. Unsere Fragen zum Datenschutz und möglichen Alternativen zu dem System ließ die Parlamentssprecherin unbeantwortet.

Während es Kritik von links gibt, äußern andere Abgeordnete Verständnis gegenüber dem Versuch, im Parlament neue Technologie einzuführen. „Das Europäische Parlament musste seine Arbeitsweise in halsbrecherischer Geschwindigkeit digitalisieren“, erzählt die dänische Abgeordnete Karin Melchior von der liberalen Fraktion Renew Europe.

Innerhalb von zwei Wochen sei das Parlament von einer Papier-Arbeitsumgebung zu Abstimmungen und Sitzungen online sowie fast hundertprozentiger Telearbeit übergegangen. „Hoffentlich können wir die Covid-19-Abriegelung nutzen, um die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments auch in den kommenden Jahren zu verbessern“, sagt Melchior.

Update 29.06.2020: Die Antwort des Parlaments ging nach Veröffentlichung des Artikels ein und wurde nachträglich hinzugefügt. Der Vorname des Abgeordneten Kolaja wurde von Martin auf Marcel berichtigt.

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4 Ergänzungen

  1. Also das mit dem Internet, das setzt sich ohnehin nicht durch, da muss man als Europaeische Institution keine Energie mit Infrastrukturplanung oder Gstaltung verschwenden. Und wenn man das dann doch mal braucht, dann kauft oder mietet man das einfach. Der Teil der Abgeordneten, der ohnehin direkt oder indirekt von Unternehmen bezahlt wird, sieht natuerlich kein Problem darin.

    Dass die ueberhaupt eine Eigenproduktion am Start haben, ist vermutlich als Unfall einem uebereifrigen EU-Beamten zuzurechnen. Das gab’s dann halt, und das kam damit zum Zuge. Was fuer so eine Institution durchaus schon positiv bemerkenswert ist.

  2. ich werd nicht mehr. einfach nur wow. jeder weiß, dass die IT in den EU-Institutionen riesige Probleme hat, aber das ist ein neues high.

  3. eVoting für geheime Wahlen? Unabhänging von einer datenschutzrechtlichen Folgeabschätzung. Einen Weg über Server eines US:Amerikanischen Unternehmens zu nehmen muss ein no-go sein.
    In Zeiten in denen die US.A eine Regierung haben, die sicher nur wenig Bedenken hat ihre Dienste zu beordern sich selbst über die schon legal katastrophalen rechtlichen Bedinungen hinwegzusetzen, können die Warnzeichen kaum fetter sein. Dabei auf Apple, einem Privatunternehmen zu vertrauen, dass sie das schon nicht zu lassen … das ist weniger als ein schlechter Witz. Das ist grenzenlos inkompetent. Im besten Fall.
    Was ist das für ein IT-Abteilung die so etwas auch nur anbietet auszuführen?
    Eine Verpflichtung zum Besitz eines Apple.Mobile?
    Und seit wann sind die Argumente gegen eVoting jetzt ungültig geworden? Ein entdeckter Fehler reicht doch, um alle Stimmergebnisse aus der Zeit ungültig oder hinterfragbar zu machen.
    Das riecht nicht nur an allen Enden, das stinkt.

  4. Haben die Entwickler schon mal was von Cross-platform app development frameworks gehört?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.