Deutsche WelleGericht muss neu über Strafe für Facebook-Repost entscheiden

Die Deutsche Welle darf Symbole des sogenannten Islamischen Staats zeigen, wenn sie darüber berichtet. Doch was passiert, wenn jemand solche Artikel auf Facebook teilt und das Bild automatisch in der Timeline erscheint? Darüber streitet ein Geflüchteter vor Gericht. Er sollte für einen Repost Strafe zahlen.

Zerstörte Stadt Shingal
Bilder der Zerstörung durch den Krieg mit dem sogenannten IS sind kein Problem, solange keine Symbole der Organisation zu sehen sind. – CC0 Levy Clancy

Auf einem Bild sind fünf Männer zu sehen, die ihre Waffen in die Kamera halten. Zwei von ihnen tragen Mützen, die Erkennungszeichen des sogenannten Islamischen Staates zeigen. So bebilderte der deutsche Auslandssender Deutsche Welle eine Recherche darüber, woher die Terrormiliz ihre Waffen bezieht. Mokhmad A. teilte die russischsprachige Version des Artikels auf seinem öffentlichen Facebook-Profil und kommentierte ebenfalls auf Russisch: „Experten haben die Waffen der IS-Milizen in Syrien untersucht – die Ergebnisse sind entmutigend!“. Das Bild wurde automatisch übernommen. Das Amtsgericht Augsburg verurteilte ihn daraufhin im September 2019 zu einer Geldstrafe. Er habe die Kennzeichen des seit 2014 in Deutschland verbotenen Vereins verbreitet.

Der aus Tschetschenien geflüchtete A. und seine Anwältin Johanna Künne gingen in Revision und hatten Erfolg: Das Bayerische Oberste Landesgericht hob das Urteil auf, ein anderer Richter des Amtsgerichts Augsburg muss nun neu entscheiden. In seiner Begründung führt das Oberste Landesgericht auf, das vorherige Urteil habe die Meinungsfreiheit verletzt. „Mein Mandant und ich sind zufrieden, dass das Urteil des Amtsgerichts aufgehoben wurde“, sagt Künne. Sie hätte sich jedoch eine grundsätzliche Stellungnahme des Gerichts erhofft, „ob die Ausnahme vom strafrechtlichen Verbot, die für Presseberichterstattung gilt, auch für das Weiterverbreiten in sozialen Medien fortgelten muss“.

Es kommt auf den Kontext an

Das Verbot, Kennzeichen verbotener Vereine zu verbreiten, soll vor allem Propaganda und Verharmlosung bekämpfen. Der Bundesgerichtshof äußerte in vorigen Urteilen, dass der Straftatbestand restriktiv ausgelegt werden muss. Es kommt also auf den Kontext an, in dem die Symbole und Erkennungszeichen verwendet werden. Diesen Kontext habe das Amtsgericht nicht genügend geprüft, heißt es im Revisionsurteil.

Der Deutsche Journalisten-Verband kritisierte damals das Urteil des Augsburger Gerichts gegenüber der Deutschen Welle: „Das Posten eines journalistischen Beitrags der Deutschen Welle ist nicht Hasskriminalität, sondern die Weiterleitung von Qualitätsjournalismus. Es ist völlig unverständlich, warum das verboten sein soll“.

Lea Beckmann ist Juristin bei der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die den Fall unterstützt hat. Sie kommentiert das Revisionsurteil: „Wir sehen unsere Rechtsauffassung bestärkt: Das Verbreiten legaler Presseberichterstattung ist in aller Regel von der Meinungsfreiheit gedeckt. Strafbar kann es nur unter besonderen Umständen sein – zum Beispiel, wenn ein Medienbericht mit Symbolen verbotener Organisationen eindeutig zu Propagandazwecken geteilt wird.“

Das Foto mit den IS-Mützen war nicht das einzige, wofür A. eine Strafe zahlen sollte. Weiter wurde ihm vorgeworfen, Gewaltdarstellungen verbreitet zu haben. Er soll nämlich auch zwei Videos auf seiner Facebook-Seite geteilt haben, auf denen zu sehen war, wie Hunde Kinder bissen und von Soldaten dazu animiert wurden. Auch hier wies das Revisionsurteil die ursprüngliche Entscheidung zurück. Die Beschreibung des Sachverhalts im urprünglichen Urteil reiche nicht aus, um zu bewerten, ob es sich wirklich um eine unzulässige, menschenverachtende Gewaltdarstellung handele.

Warum wurde ausgerechnet gegen A. ermittelt?

Es ist unklar, warum ausgerechnet gegen Mokhmad A. wegen des Reposts ermittelt wurde. Laut seiner Anwältin hätten über 80 Menschen den Deutsche-Welle-Artikel auf Facebook geteilt. A. selber meint, so Deutsche Welle, „die deutschen Behörden hätten ihn voreingenommen als Tschetschenen und Muslim verdächtigt“. Laut seiner Anwältin Künne stelle ihn der Vorwurf in einem falschen Licht dar. „Die Behörden wollen ihn zu Kursen für diejenigen schicken, die die Werte Deutschlands nicht genügend respektieren“, zitiert Deutsche Welle sie. Dabei habe er nur zeigen wollen, dass er den sogenannten Islamischen Staat ablehne.

Einen ähnlichen Fall gab es bereits 2018 – ebenfalls in Bayern. Damals teilte ein Musiker kommentarlos einen Artikel des Bayerischen Rundfunks, dessen Bebilderung eine YPG-Flagge enthielt. Die Polizei München wertete das als Verstoß gegen das Vereinsgesetz und ermittelte gegen ihn und weitere Nutzer, die den Artikel geteilt haben. Obwohl die Flagge nicht generell, sondern nur als Symbol für die PKK verboten ist. Das Verfahren wurde letztlich eingestellt.

Offenlegung: Die Autorin hat in Zusammenarbeit mit der Gesellschaft für Freiheitsrechte, die die Revision unterstützt hat, eine Studie zur Digitalisierung von Migrationskontrolle erarbeitet.

Korrekturhinweis: In der ersten Version war vom Bayerischen Oberlandesgericht die Rede, tatsächlich hat aber das Bayerische Oberste Landesgericht entschieden. Wir haben den Fehler korrigiert.

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5 Ergänzungen

  1. Wie kommt es überhaupt zu solchen Urteilen? Ich denke die Intention, Propaganda zu verhindern, nicht Berichterstattung sollte offensichtlich sein und die Unterscheidung zumindest in diesem Fall eindeutig.

    Ich erinnere mich da auch an einen Fall, wo dieses Piktogramm von einer Person, die ein Hakenkreuz in den Müll wirft, geahndet werden sollte, weil man da ein Hakenkreuz sieht. Die beste Erklärung, die mir da einfällt, ist mutwillige Repression. Gibt es eine andere Begründung?

    Ist die richtige Konsequenz, das zeigen solcher Symbole (und konsequenterweise auch Beleidigung, leugnen des Holocaust, etc) zu entkriminalisieren?

    1. Warum sollte die Konsequenz daraus sein, das Zeigen verfassungsfeindlicher Symbole zu entkriminalisieren?

      Es ist in den geschilderten Fällen doch recht eindeutig, dass die Nutzer nicht selbst die verfassungsfeindlichen Symbole genutzt/gezeigt/geteilt haben, sondern Presseberichte. Im Falle des Herrn A. wurde das Bild sogar automatisch übernommen, wie es beim Teilen in sozialen Netzwerken häufig der Fall ist. Der Nutzer hat also nicht einmal unbedingt einen Einfluss darauf, welche Bilder in der Vorschau zum Link angezeigt werden.

      Fragwürdig ist das Vorgehen aber absolut. Nach der kruden Logik der bayerischen Justiz müsste auch jeder Nutzer, der einen Beitrag über Neonazis oder Nazi-Schmierereien mit entsprechenden Bildern teilt, als potenzieller Nazi-Sympatisant angeklagt werden. Damit wäre es praktisch nicht mehr möglich, die dazugehörige Berichterstattung zu teilen, denn Hakenkreuze sind da auch allgegenwärtig.

      Angenommen, ich entdecke an der örtlichen Synagoge Hakenkreuzschmierereien, mache davon ein Foto und teile es über Twitter. Verbreite ich damit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen?

      1. Naja, wenn ich das Zeigen solcher Symbole erlaube, beuge ich missverständnissen vor.

        Wenn ich ein Bild von Hakenkreuzen an einer Synagoge teile, ist erstmal nicht klar, ob ich das als Beifall oder als Verurteilung tue. Insbesondere der Effekt beim Leser ist der gleiche. Also wenn da ein Nazi meinen Beitrag sieht und dadurch von der Tat selber erfährt, wird er sich immernoch unterstützt sehen, selbst wenn ich da einen gegenteiligen Kommentar drunter schreibe. Da will ich wirklich nicht der Willkür der Justiz ausgesetzt sein.

        Legalisierung schafft also an dieser Stelle Rechtssicherheit und wie hoch der Schaden davon tatsächlich wäre finde ich erstmal vollkommen unklar.

  2. Hi Anna, ich glaube der letzte Link „Verfahren wurde eingestellt“ ist falsch, er zeigt auf den Bericht zum ersten Urteil.
    Dieser Comment kann kommentarlos weg :)

    1. Hallo a, jap, das ist zwar ein Bericht zum ersten Urteil, aber unten im Bericht steht auch was zu den anderen Fällen: „Doch das Verfahren gegen den Musiker sowie ein anderes vergleichbares, sei eingestellt worden, sagte Künne der DW.“

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.