Erweiterte DNA-AnalyseDNA ist kein Augenzeuge, der eine Aussage machen möchte

In Bayern nutzen Ermittler heute schon DNA-Analysen, um die mutmaßliche Haut- oder Augenfarbe von Verdächtigen zu bestimmen. Das Justizministerium will diese erweiterten DNA-Analysen auch auf Bundesebene ermöglichen. Das bringt Probleme mit sich. Ein Interview mit Prof. Dr. Veronika Lipphardt.

Hand hält eine Probe
Erweiterte DNA-Analysen sind kein allwissendes Universalwerkzeug. CC-BY 2.0 snre

Hatte der Täter blaue oder braune Augen? Schwarze oder blonde Haare? Das sollen ErmittlerInnen laut dem Gesetzentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens bald mit sogenannten erweiterten DNA-Analysen ermitteln dürfen. Doch am Entwurf des Justizministeriums, über den der Bundestag am heutigen Freitag abstimmt, gibt es Kritik: Die sogenannte erweiterte DNA-Analyse ist nicht immer so zuverlässig, wie die ErmittlerInnen sich das wünschen würden, und bietet Potenzial für Diskriminierung und Stigmatisierung. Wir haben darüber mit Prof. Dr. Veronika Lipphardt gesprochen.

Lipphardt ist Wissenschaftsforscherin an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Sie ist Teil von WIE-DNA, einer wissenschaftlichen Initiative zu erweiterten DNA-Analysen. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler von WIE-DNA verfassten zu den Plänen einer erweiterten DNA-Analyse im Gesetzesentwurf zur Modernisierung des Strafverfahrens eine ausführliche Stellungnahme.

netzpolitik.org: Worum geht es in dem Gesetzentwurf des Justizministeriums bezogen auf DNA-Analysen?

Prof. Dr. Veronika Lipphardt: Bisher durften ErmittlerInnen DNA-Profile in gefundenen Spuren direkt mit DNA-Profilen in einer Datenbank abgleichen oder das Geschlecht einer Person feststellen. Dieses Gesetz soll erweitert werden. In Zukunft sollen sie auch statistische Aussagen über Haar-, Haut- und Augenfarbe machen können.

netzpolitik.org: Das heißt, die ErmittlerInnen gehen an einen Tatort, finden DNA-Material und schauen dann: Welche Augenfarbe hat der Täter oder die Täterin wahrscheinlich?

Lipphardt: Die Analyse schaut nach sogenannten SNPs. Das sind Stellen im Genom, die nicht bei allen Menschen gleich sind. Eine bestimmte Kombination solcher SNPs erlaubt eine Aussage über die wahrscheinliche Haar-, Haut- oder Augenfarbe. Für jede dieser einzelnen Farben gibt es unterschiedliche SNPs und es wird statistisch analysiert, welche Haarfarbe jemand wahrscheinlich hat, der diese Kombination von spezifischen Mutationen an bestimmten Stellen im Genom hat.

netzpolitik.org: Welche Eigenschaften außer Haar-, Haut- und Augenfarbe lassen sich aus diesen SNPs sonst noch ablesen?

Lipphardt: Aus DNA kann man nichts „ablesen“, denn da gibt es keinen Text, in den etwas hineingeschrieben ist. DNA ist auch kein Augenzeuge, der auf die Ẃache kommt und eine Aussage machen möchte. DNA ist ein hochkomplexes Gebilde und WissenschaftlerInnen müssen ungeheuer vielseitige Fähigkeiten haben, um diese Informationen interpretieren zu können.

In der Genom-Forschung versucht man, mit sehr großen Datensätzen und raffinierten statistischen Methoden Eigenschaften aus der DNA abzuleiten. Es geht darum, Korrelationen zwischen SNP-Kombinationen und einem Merkmal nachzuweisen. Bei der Verhaltensgenetik versucht man etwa, mit großen Datensätzen zu beweisen, dass bestimmte SNPs mit bestimmten Verhaltensweisen oder psychischen Erkrankungen zusammenhängen.

Das interessiert nicht nur ErmittlerInnen: Versicherungen beispielsweise würden gern mit solchen Informationen arbeiten. Sie glauben, daraus gute Daten über Erkrankungsrisiken ableiten zu können. Arbeitgeber sind ebenfalls an den Daten interessiert. Die Datenschutzrisiken bei großen genetischen Datensätzen sind erheblich, auch außerhalb der Forensik.

netzpolitik.org: Wie zuverlässig lassen sich Eigenschaften wie Haar-, Haut- oder Augenfarbe feststellen?

Lipphardt: Wir haben ziemlich viel mit WissenschaftlerInnen diskutiert, was es mit den Wahrscheinlichkeiten auf sich hat. Vor zwei Jahren wurden Vorhersagewahrscheinlichkeiten im oberen 90-Prozent-Bereich genannt. Diese Zahlen sind aber nicht universell haltbar.

Bei der blauen Augenfarbe erreichen GenetikerInnen in allen möglichen Ländern sehr hohe Wahrscheinlichkeitswerte. Bei einer braunen Augenfarbe wird nur in einigen Ländern mit über 90 Prozent Wahrscheinlichkeit richtig vorhergesagt, in anderen Ländern aber mit nur etwa 60-prozentiger Wahrscheinlichkeit. Das ist abhängig von der Population, auf die man die Analysen anwendet. ErmittlerInnen müssten die Vorhersagewahrscheinlichkeit einer Methode in einem bestimmten Kontext kennen.

Um es noch komplizierter zu machen: Sehr hohe Wahrscheinlichkeiten erreichen wir nur bei sehr hellen Pigmentierungen oder sehr dunklen Pigmentierungen. Helle Haut, blaue Augen und helle Haare oder dunkle Haut, dunkle Augen und dunkle Haare. Alles dazwischen – grüne Augen, graue Augen, braune Haare, leicht gebräunte Haut – kann man mit keiner guten Wahrscheinlichkeit vorhersagen.

Auf Deutschland übertragen bedeutet das, nur Leute mit ausgesprochen dunklen Pigmentierungen können gut vorhergesagt werden. Die einzige Gruppe, die ErmittlerInnen mit guten Wahrscheinlichkeiten in den Blick nehmen können, sind Minderheiten und Zugewanderte aus einem Land, in denen dies die dominierenden phänotypischen Merkmale sind. Die meisten Menschen in Deutschland weisen aber eine gemischte Pigmentierung auf, für die nicht so gute Wahrscheinlichkeiten erreicht werden können. Oder eben eine helle; von denen gibt es auch zu viele, um sinnvoll eingrenzen zu können. Beides – hell oder gemischt – hilft also als Analyse-Ergebnis bei Ermittlungen nicht weiter.

netzpolitik.org: In Bezug auf das Gesetz wurde betont, dass es bei der erweiterten DNA-Analyse nicht um die Herkunft der Verdächtigen gehen soll. Ist das einfach von den analysierten Eigenschaften trennbar?

Lipphardt: Die Marker für Haar-, Haut- und Augenfarbe überlappen mit den Markern, die für die sogenannte biogeografische Herkunft genutzt werden. Wenn eine Person eine dunkle Haut hat, dann wird als biogeografische Herkunft wahrscheinlich Afrika festgestellt. Das bedeutet aber nicht, dass die Person ein Afrikaner ist. Sie kann natürlich Europäerin oder Deutscher sein, genauso wie sie Amerikanerin oder Asiate sein kann. Es geht bei der biogeografischen Herkunft nur darum, wo die Vorfahren herkommen.

Das Justizministerium hat bekanntgegeben, sie möchten die biogeografische Herkunft wegen der Diskriminierungsgefahr nicht einbeziehen. Das Ministerium geht aber mit dem Begriff der Diskriminierung recht ungenau um. Da wird gesagt, man will rassistische Hetze vermeiden, aber über Maßnahmen dafür schweigt sich der Gesetzentwurf aus. Für mich wäre aber vor allem auch wichtig, dass unabsichtliche Diskriminierungseffekte vermieden werden, weil die Technologien nur für bestimmte Gruppen gut funktionieren.

Wenn das Ergebnis einer DNA-Analyse auf eine gesellschaftliche Mehrheit hinweist, werden die ErmittlerInnen es verwerfen, da es ihnen keine Fokussierung bringt. Wir werden stattdessen eine effektive Anwendung der Technologien vor allem bei Minderheiten sehen. Der Ermittlungsdruck auf diese Gruppen wird sich erhöhen, der auf die Mehrheit nicht. Außerdem arbeite ich mit einem interdisziplinären Team an Studien, die zeigen, dass die BGA-Methoden – die Methoden zur Analyse der biogeografischen Herkunft – Schwächen haben, die bisher nicht bekannt sind.

netzpolitik.org: Lässt sich die erweiterte DNA-Analyse überhaupt nicht-diskriminierend einsetzen?

Lipphardt: Wir arbeiten eng mit der britischen Forensikerin Denise Syndercombe Court zusammen und haben intensiv darüber gesprochen, wann und wie man die Technologien gut anwenden kann. Das geht beispielsweise in einer klar umrissenen gesellschaftlichen Situation: Sie haben eine Community, die von sehr weit her kommt und dort wie auch in Deutschland relativ isoliert geblieben ist. Wenn eine gründliche Auswertung ergibt, dass die Person mit hoher Wahrscheinlichkeit aus dieser bestimmten Region kommt, kann man dieses Ergebnis als Ansatzpunkt für Ermittlungen verwenden.

Dann fangen aber die eigentlichen Herausforderungen an, denn genau solche gesellschaftlichen Situationen sind extrem brisant. Die ErmittlerInnen müssen extrem vorsichtig vorgehen und sich vielseitig und multidisziplinär beraten lassen. In den Niederlanden wurden ErmittlerInnen bei solchen Fällen sogar von einer Kommunikationsberaterin unterstützt.

netzpolitik.org: Gibt es Erfahrungswerte zum Einsatz der erweiterten DNA-Analyse aus Bayern, wo das Polizeigesetz sie bereits erlaubt?

Lipphardt: Aus der Presse ist ein Fall in Bayern bekannt, in dem es um ein Sexualverbrechen ging. Die Analyse ergab: Die DNA-Spuren stammen von einem Europäer, der hell pigmentiert ist. Die Polizei konnte mit diesem Ergebnis nichts anfangen. Hätte sich ergeben, dass es jemand mit dunkler Hautfarbe ist, hätten die ErmittlerInnen vielleicht einen verwertbaren Hinweis gehabt. Aber sie hätten sehr, sehr vorsichtig vorgehen müssen.

Ich rate sehr davon ab, bei Öffentlichkeitsfahndungen leichtfertig mit solchen Informationen umzugehen, denn damit ist ein erhebliches Stigmatisierungspotential verbunden. Das ist noch problematischer, wenn die DNA-Analyse mit ihrer Vorhersage falsch lag, was durchaus vorkommt. Oder falsch interpretiert wurde, was auch vorkommt.

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