Österreich plant Klarnamenspflicht für Online-Plattformen [Updates]

Im Vorfeld eines Gipfels zum Thema „Hass im Netz“ wurden Pläne der österreichischen Bundesregierung bekannt, eine Klarnamenspflicht für Online-Plattformen gesetzlich vorzuschreiben. Betroffene wie die Ex-Abgeordnete Sigi Maurer, deren Fall mit ein Anlass für den Gipfel war, sprechen sich derweil gegen diese Maßnahme aus.

Auch in Wien ist Graffiti-Kunst in der Regel pseudonym CC-BY-SA 4.0 Herzi Pinki

Anmerkung: Der Beitrag wurde mehrfach auf Grund neuer Informationen aktualisiert. Die Updates finden sich am Ende des Artikels. 

Mit ein Anlass für den heutigen „Gipfel für Verantwortung im Netz und Gewaltprävention“ der rechtskonservativen österreichischen Bundesregierung in Wien war der Fall der Grünen Ex-Abgeordneten Sigi Maurer, die für die Veröffentlichung von obszönen Online-Beschimpfungen vom mutmaßlichen Beschimpfer verklagt und in erster Instanz verurteilt worden war.

Doch bereits im Vorfeld der Expertendiskussion (mit fragwürdiger Einladungspolitik) zum Thema wurden heute bereits über die Kronen Zeitung erste geplante Maßnahme bekannt. In dem Artikel der Printausgabe der größten Boulevardzeitung des Landes heißt es:

So soll im Büro des Kanzleramtsministers Gernot Blümel (ÖVP) etwa vorbereitet werden, eine „De-Anonymisierung“ – vulgo Klarnamenpflicht – für Online-Plattformen einzuführen. Die anfangs skeptischen Freiheitlichen dürften einverstanden sein, erste Maßnahmen sollen schon am Mittwoch im Ministerrat beschlossen werden.

Sigi Maurer, die in Kooperation mit dem Verein ZARA (Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit) binnen 38 Stunden 100.000 Euro via Crowdunding für einen „Rechtshilfefond gegen Hass im Netz“ eingesammelt hat, spricht sich jedoch im Gespräch mit netzpolitik.org klar gegen dieses Vorhaben aus:

Der Regierung geht es ganz offensichtlich nicht darum, Betroffenen zu helfen. Sie missbraucht meinen und andere Fälle um ihre eigene Agenda zur Beschränkung von Freiheit im Netz voranzutreiben.

In einem Vortrag im Rahmen des österreichischen Netzpolitischen Abends hatte Maurer letzte Woche außerdem betont, dass ihr Fall gerade zeige, dass eine Klarnamenspflicht keine Vorteile bringe:

Die Person, die mir [diese Nachrichten] geschickt hat, war nicht anonym, das war ein Klarname. Das würde überhaupt nichts nützen. […] Die Leute sind zu Recht anonym im Netz und das soll auch so bleiben.

In der Tat zeigen aktuelle Forschungsergebnisse wie jene von Katja Rost, Lea Stahel und Bruno S. Frey, dass in den von ihnen untersuchten Fällen nicht-anonyme Nutzer sogar etwas aggressiver als anonyme Nutzer  auftraten. Sie erklären das damit, dass sich die Nutzer als legitime Verteidiger sozialer Normen sehen und diese Verteidigung mit Klarnamen effektiver ist.

Aber selbst wenn in manchen Fällen eine Klarnamenspflicht Vorteile mit sich bringen würde, müsste man diese gegen die Nachteile solcher Maßnahmen abwägen (siehe zu diesem Thema den Beitrag „Gute Gründe für Pseudonymität – und gegen eine Klarnamenpflicht“ von Jillian C. York).

Sigi Maurer in der Sonne
Sigi Maurer hat aus ihrem Fall ein Politikum gemacht und bekommt dafür viel Solidarität. - Alle Rechte vorbehalten Johanna Rauch

[Updates 1 und 2, 13.11.2018, 09:30 und 9:42] Inzwischen hat Sigi Maurer auf ihrer Facebook-Seite unter dem Titel „Gipfelpropaganda: Nicht in meinem Namen!“ eine ausführliche Stellungnahme veröffentlicht und zählt darin unter anderem Gründe für Anonymität oder Pseudonymität im Netz auf:

Es gibt viele legitime Gründe, im Netz nicht unter Klarnamen unterwegs zu sein: Weil es die Arbeitskolleg_innen nichts angeht, was man in der Freizeit macht. Weil man nicht will, dass unendlich viele persönliche Daten über eine_n gesammelt werden können. Weil politisches Engagement für den Arbeitgeber problematisch sein könnte. Weil man vom stalkenden Exfreund nicht gefunden werden will.

Ebenfalls gegen eine Klarnamenspflicht aussprechen wird sich beim Gipfel selbst die als Expertin geladene Journalistin und Autorin („Der unsichtbare Mensch“) Ingrid Brodnig, wie sie gegenüber krone.at ankündigte: „Ich halte einen Klarnamenzwang nicht für die Lösung.“

[Update 3, 13.11.2018, 13.23 Uhr] In der Pressekonferenz im Anschluss an den Gipfel kündigten Bundeskanzler Kurz und Vizekanzler Strache entgegen der Medienberichte doch keine Klarnamenspflicht an, sondern nur die Pflicht von Plattformen bei Rechtsverletzungen Nutzerdaten herauszugeben. Beschlossen werden sollen etwaige Gesetzesänderungen auch noch nicht beim nächsten Ministerrat sondern erst zu einem späteren Zeitpunkt. Diese Position als „digitales Vermummungsverbot“ zu bezeichnen, wie es von Regierungsseite bei der Pressekonferenz laut Futurezone geframed wurde, ist dann aber doch irreführend. Denn Vermummungsverbote (z.B. bei Demonstrationen) gelten unabhängig von Rechtsverletzungen. Gleichzeitig sind Plattformen bereits heute bei Rechtsverletzungen zur Herausgabe von gespeicherten personenbezogenen Daten wie IP-Adressen verpflichtet.

15 Ergänzungen

  1. Danke für den Artikel!
    Ok, mal angenommen das wird in Österreich Gesetz. Wie sieht es mit Sanktionen aus bzw. wie soll das durchgesetzt werden?

  2. Dann kann jeder Nazi oder Islamist ganz ungehindert Jagd auf Kritiker machen und diese im Real Live aufsuchen. Extremisten würden dann so sehr schnell die Oberhand gewinnen da sich niemand mehr trauen würde zu widersprechen.

    Aber vielleicht ist es ja genau das was unsere Politiker wollen, ein Netz in dem Angst und Schweigen herrscht.

    1. Hm.. naja umgekehrt wäre das dann ja auch möglich und rate mal wer in der Mehrzahl ist…
      ;-D
      #wirsindmehr

      Ich fände es zumindest ein interessantes Experiment.

    1. Das wird auch nicht funktionieren – außer auf der „Suggestion-Ebene“: Bei sehr jungen und/oder unerfahrenen Nutzer*innen wird der Anschein erweckt, es sei ehrlich, legal und sicherer sich mit „Klarnamen“, dem von den Eltern festgelegten bürgerlichen Vollnamen, im Internet zu bewegen.

      Bürgerliche (!) Regierungen sollten im Gegenteil inkognito Namens-Masken empfehlen und fördern: Alias digitaler Avatare und „Herr/Frau Mustermann“ voreingestellter Anmeldungsformulare für Social-Media-Anbieter.

  3. Auf der einen Seite verherrlicht dieser Artikel das Nutzen von Pseudonymen, wobei auf der anderen Seite das Kommentarformular von Netzpol. selbst die Preisgabe von persönlichen Informationen fordert. Anstelle eines weiteren neuen Logos sollten eher alle persönlichen Daten gelöscht werden und ein kollektives Pseudonym, z.B. Bernd, für alle Kommentare eingeführt werden.

    1. Also nachdem ich hier langjährig kommentiere, kann ich dir versichern, das keine persönlichen Informationen erfasst werden.

      1. Wie kannst Du dies denn versichern? Nur weil es dir nicht bewusst ist und Du fleißig die Datenkrake fütterst, heißt dies nicht, dass Netzpolitik durch deine Kosten das neue Logo finanziert haben. Der werte Ole designed nicht von Brot allein.

        1. Du gibt’s hier ausser einem Namen und einer email – die funktionieren sollte – nichts an und Tracking gibt’s keins (ausser VG Wort).

    2. Du hast vollkommen recht: die IP des Torexitnodes, mein nicht echter Name so wie auch meine nicht vorhandene E-Mail-Adresse werden täglich von netzpolitik[dot]org dazu benutzt, Meinungen zu manipulieren, Spam zu verschicken und Botnetze aufzubauen!!1!

      Das geht so nicht, ab jetzt wähle ich die AfD!!1!

  4. Übrigens scheint es da Einwände der GDPR gegenüber Ö zu geben:

    „Pseudonymization is recommended where feasible in the GDPR.

    Along with encryption of personal data, pseudonymization is explicitly mentioned as one of the “appropriate technical and organisational measures to ensure a level of security appropriate to the risk”. In other words; it is recommended, where appropriate and feasible as Article 32(1,a) of the GDPR (the text we just mentioned) states.“

  5. Lustig gesehen so als ob man nur mit Bauch- und Rückenschild am öffentlichem Leben teilnehmen kann. Eher nicht lustig so als ob man Gelbe Sterne verteilt. Realistisch ist es aber einfach nur Zensur, das raffen die, die sich davon Gutes versprechen aber nicht weil einfach zu dumm im Schädelchel. So ist das leider. Eigentlich müsste man solche Leute irgendwie umerziehen oder gleich ganz aus der Welt schaffen… hmmm ^^

  6. Schmunzel, da wird es zwei Reaktionen geben.
    Die Eine, es werden Dienste genutzt die nicht der AT-Jurisdiktion unterliegen.
    Die Zweite, die Leute halten sich einfach nicht daran.
    Wie will man/frau jemanden identifizieren welcher sich nicht an diese Regel hält und nicht ganz blöd ist?
    Ich sage voraus, das so ein Gesetz nur denen Probleme bereiten wird welche sich daran halten.
    Mit welcher (in 99,9% der Fälle hypothetischen) Strafe soll eigentlich so ein Fehlverhalten sanktioniert werden? Zehn Stunden die Reden von Herrn Kurz ertragen, Entzug des aktiven Wahlrechts, 5 Jahre Haft oder Playstationentzug?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.