Hamburger Innensenat will polizeiliche Vorhersage selbst entwickeln und schaut sich dafür in Chicago um

2011 unterzeichneten die Universität Freiburg und IBM ein Kooperationsabkommen, das auch "Predictive Policing" umfasst. Das System wurde bereits einigen Landeskriminämtern vorgeführt.
2011 unterzeichneten die Universität Freiburg und IBM ein Kooperationsabkommen, das auch „Predictive Policing“ umfasst. Das System wurde bereits einigen Landeskriminämtern vorgeführt.

Mit einer kleinen Delegation ist der Hamburger Innensenat nach Chicago gereist, um sich von der dortigen Polizei eine Vorhersagesoftware vorführen zu lassen. Dies berichtet das Hamburger Abendblatt in einem nur teilweise online verfügbaren Artikel. Der Hamburger Polizeipräsident Ralf Martin Meyer nahm demnach selbst an der Dienstreise teil. Laut dem Bericht plant Hamburg die Entwicklung eines eigenen Systems. Die Programmierung könnte im Auftrag der Polizei von einer „Gruppe aus Mathematikern, Soziologen, Psychologen und Ermittlern“ übernommen werden. Erste Kontakte zu WissenschaftlerInnen Hamburger Hochschulen bestünden bereits.

Um welche Hochschulen es sich handelt bleibt offen. Allerdings hatte die Stadt 2011 das Institut für Kriminologische Sozialforschung der Universität Hamburg im Rahmen des Projekts „Geodaten, Policing und Stadtentwicklung“ um eine Vorstudie zu Nutzungsmöglichkeiten und Anwendungspraxis von „Geovisualisierung“ gebeten. Die dort erlangten Erkenntnisse hätten mit dazu beigetragen, dass die Hamburger Polizei die „Verarbeitung von Geodaten zur Kriminalitätslageauswertung“ ausbaut und weiterentwickelt.

Kritik von der Electronic Frontier Foundation

Die selbst programmierte Anwendung könnte auch weitere Daten einbeziehen. Schon jetzt nutzten Hamburger Ermittlungsbehörden laut Meyer Daten aus Sozialen Netzwerken zur Vorhersage, beispielsweise während einer Konfrontation zwischen Kurden und Salafisten im Hamburger Stadtteil St. Georg.

Mehrere deutsche Landeskriminalämter planen die Einführung einer Prognosesoftware, Bayern prescht dabei voran. 2011 hatte das LKA Bayern mehrere andere Polizeibehörden zu einer Konferenz über „Predictive Policing“ eingeladen. Im Herbst vergangenen Jahres startete Bayern einen Modellversuch zur Bekämpfung von Wohnungseinbrüchen mit der deutschen Software „Precobs“. Das zunächst lokal begrenzte Pilotprojekt wird nun als erfolgreich bewertet und soll in allen bayerischen Polizeidirektionen übernommen werden.

Der bayerische Datenschutzbeauftragte hat hierzu keine Bedenken angemeldet, da keine Personendaten verarbeitet würden. In Hamburg ist das nicht ganz ausgeschlossen, denn die Software in Chicago ist laut dem Hamburger Polizeipräsident auf die Verhinderung von Bandenkriminalität ausgerichtet. Es handelt sich vermutlich um ein ab 2009 bei der Polizeidirektion Chicago entwickeltes System, das die Wahrscheinlichkeit für kriminelles Verhalten oder Rückfälligkeit berechnet. Ein Mitglied der Electronic Frontier Foundation argwöhnt, dass das Verfahren vor allem People of Colour adressiert.

In Chicago mehr Erfahrung als „in europäischen Städten“

Mit der Firma Accenture forscht auch die britische Polizei zu einer Software zur Vorhersage der Rückfälligkeit von Gangmitgliedern. Mehrere Landeskriminalämter hatten sich das System im Februar auf einer Verkaufsmesse für Polizeitechnik in Berlin vorführen lassen. Vorher hatte sich der Hamburger Polizeipräsident beim Polizeipräsidium München nach den Erfahrungen mit „Precobs“ erkundigt.

Offenbar mündet der Schnupperkurs bei der Polizei in Chicago in eine längerfristige Kooperation. Mit dem dortigen Polizeipräsidenten sei „eine Zusammenarbeit in Rahmen der Städtepartnerschaft“ geplant. Laut dem Polizeipräsidenten Meyer könnten beide Seiten „viele kleine Dinge voneinander lernen“. Ähnlich hatte sich der Senat bereits in der Antwort auf eine Kleine Anfrage geäußert. Demnach sei Chicago deshalb ausgesucht worden, da die Hamburger Innenbehörden dort von einem „breiteren und tieferen Erfahrungswissen“ ausgehen als dies „in europäischen Städten“ der Fall sei. Die Reise sei aber auch vor dem Hintergrund der Bewerbung Hamburgs für die Olympischen Spiele erfolgt.

Laut dem deutschen Bundesinnenminister wollen Deutschland und einige andere europäische Regierungen die EU-Kommission auffordern, ein Forschungsprojekt zu Vorhersagesoftware aufzulegen. Auch das Bundeskriminalamt (BKA) soll sich daran beteiligen. Vor einigen Jahren ließ sich das BKA bereits vom Marktführer IBM eine Anwendung zu „Predictive Analytics“ in Freiburg vorführen.

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4 Ergänzungen

  1. Ich hätte auch eine Idee!

    Laßt uns doch die Vohersagen mit der Bibel machen! Aussagen über ein kleine Gruppe anhand einer großen Datenmenge, kann man problemmlos aus diese Daten rauslesen.
    Alternativ könnte man auch die Harry Potter Bücher nehmen. Da gibt es noch mehr Daten!

    1. Aber Harry Potters Daten machen keinen Sinn.
      Es gibt in Europa nur 3 Zaubererschulen.
      In einer Schule (abgeleitet von Hogwarts) gibt es pro Jahrgang vier Klassen mit je 8-10 Schülern.
      Das macht dann 120 Zauberer/Hexen in ganz Europa pro Jahrgang.
      Das sind dann bei durchschnittlicher Lebenserwartung von 82 Jahren 9840 in Europa.
      Und die arbeiten auch noch ALLE im britischen Zauberreiministerium.
      Zumindest schaut es in den Filmen so voll aus. Die brauchen aber auch so viele, weil nur die mugglestämmigen überhaupt Lesen, Schreiben und Grundrechenarten in der Grundschule hatten. Die von Zauberern und Hexen abstammenden haben so was nie gelernt, weil die gleich in Hogwarts anfangen.

      Insgesamt ein ziemlich dürftiger Unterbau.

  2. @Marc, test
    Ich denke, so wie die Vorhersage-Software von amazon, google, yandex, etc. statistisch erfolgreich, im Sinn nicht nur nach Vorgaben Kundenbindung, Markenpenetranz, Umsatzgenerierung, Interessenprägung, sind – kann es auch eine Überwachungs-Software sein.
    Überwachungssoftware hat zudem den für die Behörden den Effekt, dass sie Rechtfertigungen für Grundrechtseinschränkungen verlässlicher liefern kann. Können Algorithmen lügen?

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