Digitaler Binnenmarkt: Statt Urheberrechtsreform baut die EU-Kommission auf den Import von SOPA/PIPA

Im Moment spricht ganz Brüssel vom digitalen Binnenmarkt. Verantwortlich ist die geleakte Strategie für den digitalen Binnenmarkt der EU-Kommission. Die offizielle Veröffentlichung der 20-seitigen Strategie (pdf) und des (intern kommentierten) Beweispapiers (pdf) ist für den 6. Mai geplant – bis dahin kann es also noch Änderungen geben.

Laut Strategiepapier ist das Ziel der Kommission

[E]rstens, einen digitalen Binnenmarkt zu schaffen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital sichergestellt wird und in dem Bürger sowie Unternehmen, unter den Bedingungen des fairen Wettbewerbs, unabhängig von ihrer Nationalität und ihres Standorts, nahtlos Online-Aktivitäten nachgehen können. Zweitens soll der digitale Binnenmarkt die weltweit führende Stellung Europas im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologie wiederherstellen, mit allen Mitteln und Fertigkeiten die gebraucht werden, um in der globalen digitalen Wirtschaft erfolgreich zu sein.

So weit, so gut. Wenn man sich die Strategie und das „Beweispapier“ jedoch näher anschaut, wird man enttäuscht. Obwohl die Kommission in ihrem Papier beteuert, dass die derzeitigen Regeln für das digitale Zeitalter fit gemacht werden müssen, sieht es nicht so aus, als würden wir die dringend nötige, umfassende Urheberrechtsreform bekommen. Im Gegenteil, die Kommission plant einen US-amerikanischen Ansatz („follow-the-money“) zur aggressiveren Durchsetzung des Urheberrechts. Beim Lesen des Kapitels zum „Cybercrime“ weiß man dann schon nicht mehr, ob man nun lachen oder weinen soll und die Vorhaben zur Löschung („notice and action“) von illegalen Inhalten im Netz sind mehr als beunruhigend.

Urheberrecht

EU-Vizepräsident Ansip wiederholt seit einigen Monaten in sämtlichen Sitzungen und sozialen Medien, dass Geoblocking endlich abgeschafft werden soll, damit Internetnutzer überall in Europa endlich grenzüberschreitend Zugang zu kulturellen Inhalten bekommen. Grund hierfür sind die von Land zu Land verschiedenen urheberrechtlichen Regelungen, im Moment sind wir von einer EU-weiten Harmonisierung noch sehr weit entfernt.

Die geplanten Aktivitäten im Strategiepapier zur Abschaffung von Ländersperren sind enttäuschend, denn die Kommission rückt von ihren recht starken Äußerungen ab und erklärt, lediglich gegen „ungerechtfertigtes“ Geoblocking etwas unternehmen zu wollen ohne dieses neue Adjektiv näher zu definieren.

Auch bei den Ausnahmen und Schrankenregelungen ist leider keine große Reform in Sicht.
Den EU-Mitgliedstaaten wurden in der Urheberrechtsrichtlinie 21 optionale Ausnahmen und Beschränkungen vorgeschlagen, was zu insgesamt über 2 Millionen Möglichkeiten führte, wie diese „harmonisierende“ Richtlinie implementiert werden kann. Urheberrechtsexperten fordern daher seit längerem, den Katalog der Schrankenregelungen zu öffnen und verbindlich zu machen. Laut Strategie plant die Kommission jedoch nur eine winzige Änderung: Bildungs- und Forschungsinstitutionen sollen eine Ausnahme für Zwecke des Text- und Data-Mining bekommen. Von einer Einführung einer Generalschranke („open norm“), wie MEP Julia Reda sie im Januar vorgeschlagen hat, ist kein Wort zu finden.

Die Kommission kündigt folgende Ziele an (S. 6 der Strategie):

  • volle Portabilität von erworbenen Inhalten (Zugang zu abonnierten Diensten auch im Ausland)
  • Leichteren Zugang zu „legal“ (?) bezahlten grenzüberschreitenden Diensten bei gleichzeitiger Wahrung der Rechte des audiovisuellen Sektors
  • Leichtere grenzüberschreitende Nutzung von Inhalten

Laut Politico soll jedoch es in der Kommission einen Deal mit der Unterhaltungsindustrie geben, um beim Geoblocking die Urheberrechtsregeln aufzulockern und dafür eine aggressivere Durchsetzung einzuführen.

Vor diesem Hintergrund ist es nicht überraschend, dass die Kommission im Strategiepapier ebenfalls ankündigt, die „grenzüberschreitende, zivilrechtliche Durchsetzung intellektueller Eigentumsrechte zu modernisieren“, um „Verletzungen im gewerbsmäßigen Ausmaß wirksam begegnen zu können“. Es ist nicht wirklich klar, warum hier die zivilrechtliche Durchsetzung und das „gewerbsmäßige Ausmaß“ („commercial scale“) in einem Satz genannt werden, denn in einigen Mitgliedstaaten ist genau dieses Kriterium für die strafrechtliche Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen ausschlaggebend. Die Kommission scheint weiterhin ihre bisherige Arbeit vergessen zu haben, denn sie gab in einer Road Map von 2012 (pdf) noch zu, dass der sehr vage und bisher nicht definierte Begriff des „gewerbsmäßigen Ausmaßes“ Probleme bereitet, da derzeit einzelne Nutzer kriminalisiert werden.

Im Hintergrundpapier stellt die Kommission dann noch die Theorie in den Raum, dass Rechteinhaber im Netz Probleme mit der Durchsetzung von Urheberrechten haben, was einen „Einfluß auf das Funktionieren des digitalen Binnenmarkts hat und den Innovationsbedarf hervorhebt“ (S.41).

Im Herbst 2015 werden konkrete Vorschläge für eine Urheberrechtsreform erwartet.

Cybercrime

Vor allem im „Cybercrime“-Kapitel wird glasklar, dass politische Entscheidungen getroffen wurden, bevor überhaupt Beweise vorlagen. Auf Seite 28 des Hintergrundpapiers werden „jüngste Studien“ erwähnt, die keinerlei Quellenangabe haben. Kriminelle Aktivitäten sollen diesen „Studien“ zufolge jedes Jahr zu Verlusten in Milliardenhöhe führen.

Aber dann kommt es noch dicker. Das Papier nennt im nächsten Abschnitt einen Bericht des Weltwirtschaftsforums, das den Verlust für das Jahr 2020 auf 3.000 Milliarden US-Dollar schätzt. Ich habe mir diesen Bericht (pdf) mal angeschaut und konnte diese Vorhersage nirgends finden. Faktenbasierte Gesetzgebung sieht definitiv anders aus.

In diesem Kapitel werden weiterhin wirtschaftliche Einbußen durch Urheberrechtsverletzungen beschrieben – auch dieses Mal wieder ohne jegliche Definition des Begriffs „gewerbliches Ausmaß“. Studien die das Gegenteil darstellen, werden nicht aufgeführt – wie diese hier oder die dort, es gibt da ja reichlich Auswahl.

Weiterhin wird erwähnt, dass Rechteinhaber in einer öffentlichen Konsultation gegenüber der Kommission den Wunsch geäußert hätten, grenzüberschreitend gegen Verletzungen vorgehen zu wollen um auch in anderen Mitgliedstaaten Maßnahmen (zum Beispiel gegen Intermediäre) in Anspruch nehmen zu können.

SOPA/PIPA kommt nach Europa: Follow-the-Money

Die EU-Kommission ist seit einiger Zeit von einer neuen Methode überzeugt, um im Netz gegen Urheberrechtsverletzungen vorzugehen: Diesen Ansatz nennt sie „Follow-the-Money“ (S. 31, Hintergrundpapier). Die Idee besteht darin, verdächtige Internetseiten finanziell auszutrocknen, indem sie von Zahlungsströmen und Werbeverträgen ausgeschlossen werden. Die Wau Holland Stiftung durfte mit der Sperre ihres PayPal-Kontos für WikiLeaks bereits erfahren, wie so etwas in der Praxis aussieht.

Bereits vor vier Jahren verfolgte man in den USA mit dem gescheiterten Stop Online Priacy Act (SOPA) genau das: Rechteinhaber sollten die Möglichkeit bekommen, in sogenannten „private Aktionen“ die Zahlungs- und Werbedienstleister direkt anzuschreiben, um jegliche Einnahmen für verdächtige Seiten sperren zu lassen. Und auch in Deutschland haben sich Rechteinhaber hiervon inspirieren lassen und fordern dieses Modell neben der Einführung von Three-Strikes seit Jahren.

Die Kommission unternimmt in ihrem „Beweispapier“ leider keinerlei Anstrengung diesen Ansatz näher zu erklären, geschweige denn zu definieren wie solche Maßnahmen, die klar außerhalb des rechtlichen Rahmens von Unternehmen ergriffen werden, mit Artikel 52 der Grundrechtecharta (Einschränkungen von Freiheiten müssen gesetzlich vorgesehen sein) zu vereinbaren wäre.

Stattdessen erklärt sie, dass alle ökonomischen Akteure der „Wertschöpfungskette den Prinzipien der Sorgfaltspflicht“ („due diligence“) nachkommen müssen (S. 32, Hintergrundpapier). Auch hier hält es die Kommission weder für notwendig, diese Pflicht genauer zu beschreiben, noch erläutert sie, um welche Wertschöpfungskette es sich eigentlich handelt.

Neue Regeln für Plattformen und Intermediäre

Für sogenannte „Intermediäre“, also soziale Netzwerke, Suchmaschinen und Hosting-Provider, sollen zudem neue Regeln entwickelt werden. Dies gilt vor allem im Hinblick auf das Löschen von illegalen Inhalten im Netz.

Im Gegensatz zu den USA gibt es in Europa keine einheitlichen Regeln, wie mit illegalen Inhalten im Netz umgegangen wird. Bisher regelte die E-Commerce-Richtlinie die Haftung der Intermediäre im Netz. Laut Richtlinie sind sie für fremde Inhalte grundsätzlich nicht selbst verantwortlich und müssen erst tätig werden, sobald sie von rechtswidrigen Inhalten erfahren. Seit mehreren Jahren versucht die EU-Kommission, einen europaweit harmonisierten Ansatz für das Melden von potentiell illegalen Inhalten zu schaffen. Im geleakten Hintergrundpapier erklärt die Kommission nun, dass das Löschen „langsam und kompliziert“ sein kann und es keine ausreichende Transparenz seitens der verschiedenen Prozeduren der Provider gibt – und es dadurch auch zu ungerechtfertigten Löschungen kommt.

Daher kündigt die Kommission in ihrer Strategie an:

The Commission will further prepare proposals to tackle illegal content on the Internet and a common approach to the issue of duty of care. Alternatives include legislative proposals to harmonise the procedures for removing illegal content across the EU or establishing additional responsibilities on online companies and verify the resilience of their systems against illegal content.

Das Strategiepapier der Kommission vermischt hier allerdings illegale Inhalte mit Inhalten, die „gegen das öffentliche Interesse“ verstoßen und nennt Kinderpornographie und Terrorismus als Beispiele (S. 11, Strategie). Die Kommission fügt am Ende noch den kosmetischen Hinweis hinzu, dass darauf „abgezielt“ wird, „das richtige Gleichgewicht zwischen der Bekämpfung illegaler Inhalte und der Wahrung des Rechts auf Meinungsfreiheit herzustellen“.

Laut Strategiepapier soll die Rolle der Intermediäre umfassen analysiert werden und ein Vorschlag für den Kampf gegen illegale Inhalte möglicherweise im kommenden Jahr vorgelegt werden.

tl;dr

Der Entwurf der Strategie ist schwach, der Wille für eine wahre Reform des Urheberrechts nicht vorhanden. Im Gegenteil: Die Forderungen der Rechteinhaber-Lobby für eine privatisierte, repressive Durchsetzung à la SOPA/PIPA sind in der Kommission auf fruchtbaren Boden gefallen. Im inkohärenten „Beweispapier“ fehlen die Fakten, die solche Pläne rechtfertigen würden.

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2 Ergänzungen

  1. Gottverdammt! Und wieder steht dieser nunmehr tripple tapped zombie aus seiner Versenkung auf und sucht das halbwegs freie Internet der EU Heim.
    Markt hier Markt da. Alles wird teurer und gleichzeitig unbrauchbarer. Yay!
    Und wenn dann Ceta/TTIP/TISA unter Dach und Fach sind schreiben sie alles sowieso um wie es ihnen passt. Deshalb beeilt sich auch keiner dieser Versager irgend etwas anzufangen. Wozu? Die Lobbygeschenke sind doch schon üüberreicht worden. Pöstchen in den Vorständen schon gesichert. Herrliche Zeiten für unsere lieben Volksverarscher.

    Diese Kommission ist genau so schlimm wie die letzte. Kotz! Jedes mal schaffen es die Lobbyschweine solche Pappnasen und Frührentner zum falschen Weg zu verleiten.
    Wir wären besser dran wenn die Kommission ein Anti-Lobby Gesetz verabschieden würde. Vll hilft das uns allen mehr als eine Urheberrechtsreform?
    Oh wait… business as usual. Wo würden diese armen Politbonzen denn enden wenn legale Korruption abgeschafft werden würde. Buhuu.

  2. In dem Absatz wo es ums gewerbsmäßige Ausmaß ging, letzter Satz, der link zu die „Road Map von 2012 (pdf)“, da kommt: 404 not found .. am anfang von der URL kein ‚https‘, sondern nur ‚http‘, dann gehts …

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.