Neelie Kroes‘ Feldzug gegen die Netzneutralität

Dies ist die Übersetzung des Beitrags von Estelle Massé, von Access, einer Mitgliedsorganisation des europäischen Dachverbands EDRi (European Digital Rights). Das Original findet sich hier.

Zwei Monate sind vergangen, seit das Europäische Parlament Anfang April 2014 Gesetzesänderungen zur Verankerung der Netzneutralität im EU-Recht beschlossen hat. Der Gesetzesentwurf für den Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation wird nun vom Rat (also den Mitgliedstaaten) der EU weiter bearbeitet.

Anstatt sich zurückzulehnen und zu warten, dass der Rat seine Arbeit macht, hat die Vizepräsidentin der Kommission, Neelie Kroes, eifrig daran gearbeitet, die Ratsmitglieder von der Unterstützung der Netzneutralität abzubringen, was ihr zuvor im Europäischen Parlament trotz ihrer (manchmal höchst fragwürdigen) Taktiken nicht gelungen war.

1. „Ich bin für Netzneutralität, aber …“

In der Ratssitzung am 6. Juni räumte Kommissarin Kroes zunächst zwar die Bedeutung der Gewährleistung der Netzneutralität auf EU-Ebene ein, „wie von den Bürgern erwartet“. Unmittelbar danach bat sie den Rat, „die richtige Balance zwischen dem Schutz des offenen Internets und der Förderung von Innovationen bei Online-Dienstleistungen sicherzustellen“. Das offene Internet, das eine Lawine von Innovationen, Gründungen und sozialen und wirtschaftlichen Vorteilen rund um den Globus ermöglicht hat, wird plötzlich von Kroes als ein Hindernis für Innovation dargestellt.

Die Kommission verwendet weiterhin den falschen Gegensatz zwischen Netzneutralität und Investitionen, um ihre unbrauchbare Definition von Spezialdiensten zu verteidigen. Der Ansatz der Kommission – der Zugangsdienste mit Online-Diensten verwechselt – würde den Netzanbietern ermöglichen, wettbewerbswidrige Absprachen mit Online-Dienstleistern einzugehen, die sowohl die Auswahl der Verbraucher, als auch Innovation und Wettbewerb auf dem Markt stark behindern.

2. „Ich war für Netzneutralität, bis ich Kroes traf“

So könnte die Zusammenfassung der französischen Position zum Binnenmarkt der elektronischen Kommunikation lauten. Als sie vor zwei Monaten ihr Amt antrat, gab Axelle Lemaire, die französische Staatsministerin für Digital Angelegenheiten, bekannt, dass sie die Gesetzgebung zur Sicherung der Netzneutralität unterstützen werde. Seit sich die französisch Staatsministerin vor zwei Woche mit EU-Kommissarin Kroes getroffen hat, scheint ihr Bekenntnis zur Netzneutralität jedoch entkräftet. Lemaire fordert nun „einen Regulierungsrahmen für Telekommunikationsunternehmen, der Investitionen und Wettbewerb begünstigt“; eine Aussage, die Neelie Kroes‘ Rede im Rat für Telekommunikation sehr ähnelt.

3. „Ich weiß nichts über ETICS“

2010 finanzierte die Generaldirektion der EU-Kommissarin Kroes die Einführung eines Forschungsprojekts namens „ETICS“ (steht für „Economics and Technologies for Inter-Carrier Services“). Die Studie wurde von europäischen Telekommunikationsanbietern, Softwareherstellern und wissenschaftlichen Befürwortern des Regimes der gesicherten Servicequalität („Assured Quality of Services“) durchgeführt und kommt zu dem Schluss, dass die Auswirkungen des Verkehrsmanagements auf die Netzneutralität „schwer fassbar“ sei und empfiehlt den Betreibern künftige Investitionen über das „Sending Party Network Pays“-Prinzip zu finanzieren (eine Idee, die von ETNO unterstützt wird, dem europäischen Verband ehemaliger Telekom-Monopolisten).

Während Kroes‘ Sprecher versucht die Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass die Kommissarin nicht an ETICS beteiligt war, weil das Projekt vor ihrem Amtsantritt gestartet wurde, scheinen es die meisten Ergebnisse der Studie dennoch in den Gesetzentwurf für einen Telekom-Binnenmarkt geschafft zu haben. Von uns wird jetzt erwartet zu glauben, dass es sich hierbei um einen Zufall handelt und dass es ebenfalls Zufall war, dass die Kommission bis zwei Tage vor der jüngsten Sitzung des Rates wartete, um diese „unabhängige“ „Studie“ zu veröffentlichen.

Kommissarin Kroes‘ Brief über Netzneutralität an die MdEP – auch mit Untertitel (auf Englisch, 02.04.2014)

Wie die Kommission das Europäische Parlament umgeht um die Netzneutralität zu untergraben (auf Englisch, 26.02.2014)

Europäischer Telekom-Binnenmarkt: Ein falsches Versprechen für Netzneutralität? (auf Englisch, 27.03.2014)

Kinderpornografie und die Abstimmung zur Netzneutralität – was ist passiert? (auf Englisch, 04.05.2014)

Axelle Lemaire spricht sich für „eindeutig formulierte“ Netzneutralität und „Multi-Stakeholder“ Governance (nur auf Französisch, 23.04.2014)

TTIP und Icann: Lemaire fordert die EU auf, ihre digitale Strategie zu koordinieren (auf Französisch, 03.06.2014)

ETNO Dokument über den Entwurf von WCIT ITR für ein neues Internet-Ökosystem

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