Tagesaktuelle Meldungen über Bedrohungen des Netzes sind unser Geschäft. Wir verbloggen, was wichtig ist, was jetzt passiert, was im Moment vor sich geht. Da bleibt kaum Zeit, um einmal innezuhalten und darüber zu sinnieren, wie das alles in fünf oder zehn Jahren aussieht. Welche Themen dann noch nachwirken, was vielleicht noch immer aktuell ist? Eine neue Studie des Pew Research Institutes vom 3. Juli mit dem Titel „Digital Life in 2025. Net Threats“ geht dieser Frage nun nach.
Um ein Bild einer möglichen Zukunft zu zeichnen, greifen die Macher der Studie statt zu quantitativen, statistischen Methoden lieber zum ‚canvassing‘, d.h. sie gingen auf drei unterschiedlicher Expertengruppen zu: Bekannte Internetexperten sowie Analysten aus der Tech-Industrie und schließlich über spezifische Mailing-Listen des Pew Research Institutes. Über 1400 beantworteten die Frage:
Accessing and sharing content online – By 2025, will there be significant changes for the worse and hindrances to the ways in which people get and share content online compared with the way globally networked people can operate online today?
(Deutsche Übersetzung: Online-Zugang und Teilen von Inhalten: Werden bis 2025 signifikante Veränderungen zum Schlechteren oder Hindernisse für die Art und Weise, wie man online an Inhalte kommt und diese teilt, auftreten, verglichen mit der Art wie global vernetzte Menschen heute online handeln können?)
Zu dieser Ja-Nein-Frage konnten die Befragten noch eine Einschätzung der größten Bedrohungen und möglichen Gegenmaßnahmen liefern, sowohl anonym als auch namentlich.
Ganze 65% der Teilnehmer antworteten auf die Eingangfrage mit „Nein“, nur 35% mit „Ja“. Darin drückt sich der Glaube an ein freies Internet auch in der Zukunft aus. Für viele steht dieser Optimismus jedoch nicht für sich und ist mehr Hoffnung als definitive Überzeugung. Die Studie identifiziert vier große Bedrohungen, die den befragten Experten Sorgen bereiten:
1) Nationalstaatliche Bedenken um Sicherheit und politische Kontrolle werden zu stärkerer Zensur, Filterung, Fragmentierung und Balkanisierung des Internet führen.
Wenn Staaten wie China und Türkei Inhalte im Netz zensieren oder Zugänge blockieren, so tun sie dass unter Berufung auf nationale Sicherheit, Integrität und moralische Schutzansprüche. Häufig ist es aber vor allem politische Kontrolle, die darüber stabilisiert werden soll. Paul Saffo (Discern Analytics/Universität Stanford) sagt in der Studie: „Regierungen werden immer besser in der Blockierung von Zugängen zu unwillkommenen Webseiten.“. Christopher Wilkinson, Vorstandsmitglied von EURid.eu, formulierte: „Überwachung… kühlt bestenfalls Kommunikation ab und schlimmstenfalls erleichtert sie Industriespionage, aber sie hat nicht besonders viel mit Sicherheit zu tun.“ Auch regionale Schutzbedenken wie wirtschaftlicher Protektionismus aber auch Datenschutzinitiativen können zu „Flaschenhälsen“ werden die das freie Internet bedrohen. Dem gegenüber stehen optimistischere Sichtweisen, die argumentieren, Offenheit und Innovation würden Kontrolle übertrumpfen:
It won’t be a bloodless revolution, sadly, but it will be a revolution nonetheless. – Paul Jones, ibiblio.org
2) Im Zuge der Enthüllungen über Regierungs- und industrielle Überwachung und angesichts wahrscheinlich noch stärkerer Überwachung wird sich Vertrauen in Zukunft verflüchtigen.
Den Experten zufolge stellt die umfangreiche Massen- bis hin zur Totalüberwachung eine deutliche Bedrohung für freien Zugang und Teilen von Inhalten dar. Peter S. Vogel (Internetrecht-Experte bei Gardere Wynne Sewell) sagte dazu: „Datenschutzfragen sind die größte Bedrohung für den Zugang zu und den Austausch von Internet-Inhalten im Jahr 2014, und es gibt wenig Grund zu erwarten, dass sich das bis zum Jahr 2025 ändern wird, insbesondere angesichts der Cyber-Terror-Bedrohungen mit denen Internet-Nutzer und Unternehmen weltweit konfrontiert sind.“ Die Snowden-Enthüllungen würden zu einer stärkeren ‚Balkanisierung‘, also Zersetzung/Fragmentierung des Internets führen, weil immer mehr Internetnutzer sich vor den Zugriffen der Sicherheitsbehörden schützen wollen, so Kate Crawford (Professorin und Forscherin).
3) Kommerzieller Druck, der alles von der Internet-Infrastruktur bis zum Informationsfluss beeinflusst, wird die offene Struktur des Online-Lebens gefährden.
Die zentralen Probleme an dieser Stelle sind das Netzneutralitätsprinzip, was immer häufiger untergraben wird, Kopierschutzbestimmungen und Patentgesetzgebung und die Kurzsichtigkeit von Regierungen und Unternehmen. Durch Absprachen und wettbewerbsfeindliche Praktiken werde die erneute Schaffung eines Internets der Leute verhindert, so ein anonymer Chefberater.
Es ist sehr gut möglich, dass das Prinzip der Netzneutralität unterlaufen wird. In einer politischen Realität, wo die Positionen mit Geld gekauft werden, hängt viel davon ab, wie viel ISPs und Content-Anbieter bereit und in der Lage sind, für die Verteidigung ihre konkurrierenden Interessen zu zahlen. Leider zählen die Interessen der täglichen Nutzer sehr wenig. – PJ Rey, Doktorand
Dem gegenüber stehen hoffnungsvollere Perspektiven, denen zufolge wirtschaftliche und soziale Anreize die Bedrohung abmildern können. Es müsse nur die Marktmacht großer Unternehmen gebrochen und dem einzelnen Nutzer die Kontrolle zurückgegeben werden:
[C]ontinuing to dismantle the ‘middle men’ is key. -Glenn Edens, PARC
4) Bemühungen, dem TMI-Problem (Too much Information – zu viele Informationen) zu begegnen, könnten zu Überkompensation führen und das Teilen von Inhalten vereiteln
Informationsströme könnten aufgrund von Filter-Algorithmen sehr stark eingeschränkt und manipuliert werden. Von einem offenen und freien Internet würde dann nicht mehr die Rede sein.
Der Trend, Informationen immer weiter und einfacherer verfügbar zu machen wird sicher 2025 andauern. Die größte Herausforderung wird dann wohl das Problem sein, guten und sinnvollen Inhalt zu finden wenn man will. – Joel Halpern, Ericsson
Die Bedrohungen sind nicht neu
Wer regelmäßig unseren Blog liest, dem fällt auf, dass hier vorrangig Themen angesprochen werden, mit denen wir uns schon seit Jahren beschäftigen und auf deren Problematik wir beständig hinweisen. Sicher sind einige der Experten, die im Zuge dieser Studie befragt worden sind, nicht unbedingt unserer Meinung was beispielsweise Privatsphäre und Datenschutz angeht. Der allgemeine Trend jedoch lautet: Wenn jetzt nicht gegen Netzneutralitätsverstöße, Totalüberwachung, unpassendes Urheberrecht und marktbeherrschende Internetfirmen vorgegangen wird, mit allen zur Verfügung stehenden rechtlichen, politischen und technologischen Mitteln, dann wird es ein freies Netz bis 2025 sicher nicht (mehr) geben. Die Studie mag mit Eventualitäten herumspielen und sich auf Expertenmeinungen berufen, aber wer daraus nur Zukunftsmusik liest, der liest sie falsch: Die Bedrohungen von morgen sind unsere Aufgaben von heute!
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