Wikileaks: Lycos Deutschland Zensurliste?

Bei Twitter macht gerade der Link zu einer „Liste gesperrter Domains“ die Runde, die die Suchmaschine Lycos in Deutschland bis Ende 2008 benutzt haben soll. Ob sie tatsächlich „eine wichtige Perspektive fuer die angehenden Debatten um Zensursystem in Deutschland wie auch dem Rest von Europa“ bietet, wie Wikileaks orakelt, kann man gleichwohl diskutieren.

Zumindest auf den ersten Blick schaut es so aus, als ob es sich bei einem großen Teil der 318 Einträge um Angebote handelt, die Lycos im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes aus der Anzeige für Suchergebnisse nehmen musste. Ein paar der gelisteten Seiten deuten auch auf Phishing oder mögliche Betrugsfälle hin.

Natürlich ist jede Manipulation von Search Engine Result Pages grundsätzlich problematisch, inbesondere wenn sie nicht transparent erfolgt. Auf der andere Seite kommt die Aufregung vielleicht etwas spät. Entsprechende Eingriffe sind seit vielen Jahren üblich.

Bereits 2001/2002 wollten Jugendschutz.net und die Bertelsmann Stiftung deutschen Suchmachinenbetreibern eine „Verpflichtungserklärung“ zur Einrichtung einer schwarzen Liste abringen, über die „unzulässige und jugendgefährdende Adressen“ und Suchbegriffe (Schon damals sprach man von „Stopwörtern“) für die Ergebnislisten gesperrt werden sollten.

Der wissenschaftlichen Background für die Pläne wurde in einem 2002 vom Verlag Bertelsmann Stiftung veröffentlichten Büchlein mit dem Titel „Transparenz im Netz“ nachgeliefert. Geschrieben wurde es von Marcel Machill (damals Leiter Medienpolitik bei der Bertelsmann Stiftung, heute Journalistikprofessor in Leipzig), Jugendschutz.net-Leiter Friedemann Schindler und dem Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger.

2005 schließlich einigten sich die deutschen Suchmachinenbetreiber unter dem Dach der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia darauf,  rund 1000 vom Bund indizierte Websites nicht mehr anzuzeigen.

Deutlich bekannter dürfte allerdings die von Google praktizierte „Lokalisierung“ von Suchmaschinenergebnissen in Deutschland und Frankreich sein, wie sie Jonathan Zittrain und Benjamin Edelman im Oktober 2002 thematisierten. Damals ging es vor allem um rechtsextreme Webseiten, inzwischen filtert Google quasi auf Zuruf. Zittrain gehörte 2001 übrigens zu den Gründern von Chilling Effects, der Webseite, auf die Google inzwischen bei aus rechtlichen Gründen (einstweiliger Rechtsschutz, Cease-and-desist letters) unterdrückten Suchergebissen verweist.

Siehe auch: RA Thomas Stadler, Informationsunterdrückung durch Suchmaschinen

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16 Ergänzungen

  1. Kleiner Hinweis: man sprach nicht „schon damals“ von „Stoppwörtern.“ Stopwort ist ein seit Jahrzehnten feststehender Begriff.

    Die Stopwortliste umfasst Füllwörter, die keine Relevanz haben und den Suchindex aufblähen würden. Auf dieser Liste stehen: „und“, „oder“, „aber“, „an“, „in“, „du“, „ich“ … und so weiter.

  2. google sperrt doch schon immer einige suchergebnisse, wenn sie rechtswidrig sind (hauptsache rechtsextreme seiten). da bin ich ehrlich gesagt hin und her gerissen. das mag zwar einerseits zensur sein, aber andererseits ist mir auch schon oft genug in der schule begegnet, dass mitschüler/innen ahnungslos mit solchen seiten als informationsquellen für vorträge gearbeitet haben und somit dieses gedankengut auch offline als fakten verbreitet haben. da sehe ich schon eine gefahr.

    bei kipo-seiten ist es klar, dass sie gelöscht werden können.

    verfassungsfeindliche seiten auf z.b. amerikanischen servern werden allerdings nicht gelöscht. ein wirklich ernst gemeintes problem: ich bin total gegen zensur, aber auch gegen die verbreitung von rechtsextremen gedankengut, besonders, wenn dieses nicht auf den ersten blick erkennbar ist. was ist denn da eine sinnvolle lösung?

  3. @columba: Siehe den letzten Absatz. 2002 hatte Google gut 100 Seiten aus den Suchergebnissen genommen, die recht(sextrem)er Inhalte verdächtig waren (auch damals gab es iirc false positives, also zu unrecht geblockte Inhalte). Wieviele es zur Zeit sind, kann ich dir nicht sagen.

    Wohl aber, dass es vergleichsweise witzlos ist.

    Bei eindeutigen Inhalten kann man vielleicht noch um Löschung bitten (Jugendschutz tut das und schreibt blaue Briefe …), generell dürften sich aber eher wenige Provider im Ausland an die deutsche Rechtslage gebunden fühlen.

    Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob eine Löschung eindeutiger „Hassseiten“ sinnvoll ist. Auf eine plakative Naziseite kann man mit dem Finger zeigen. Man kann zeigen, welch Geistes Kind die Urheber sind. Bleiben nach der „Säuberung“ nur noch Seiten, auf denen NPD und Co. Kinderfeste und Hüpfburgen präsentieren, hat man ein argumentatives Problem ,)

    Bei „Inhalten, die nicht auf ersten Blick erkennbar sind“ dürfte es in Deutschland hingegen regelmäßig an der Rechtsgrundlage für eine Löschung fehlen. Nazis sind zwar dumm, haben aber immer häufiger gute Anwälte.

    D.h. die imo tatsächlich gefährlichen, weil zunächst unverfänglichen, Inhalte bekommst du nicht so einfach gelöscht (Und ja, natürlich ist das gut so). Da hilft letztendlich nur Aufklärung und Bildung. Sperrungen auf Zugangsebene (dazu gehören auch Suchmaschinen) sind auch hier keine Lösung.

  4. Mündige Bürger brauchen keinen Vormund. Und ganz bestimmt niemanden, der darüber bestimmt, welchen Pixelhaufen sie am Bildschirm sehen dürfen oder nicht. Nehmen wir an, ich gerate zufällig auf den Haufen von CDU.de. Na und? Wähle ich die etwa deswegen? Natürlich nicht. Genauso wenig werde ich Islamist, religiös, Serienkiller oder Kinderschänder. Ich bin für vollständige Informations- und Meinungsfreiheit. Und wo Verbrechen mit Mitteln des Internet begangen oder im Internet sichtbar werden, ist das Sache von Polizei und Gerichten. Wenn Gefahr im Verzug ist, kann ja auch einmal die sofortige Abschaltung der Seite bewirkt werden. Filter sind dagegen etwas für unmündige Kinder, denen man den Schmutz der Welt noch nicht zumuten will.

  5. @Jörg-Olaf: Konsequenterweise muss man dann aber auch Sachen wie Holocaust-Leugnung straffrei stellen. Ich bin zwar persönlich dafür, es soll halt jeder beweisen dürfen, was für ein Vollidiot er ist, aber ich bin mir nicht sicher, ob diese Gesellschaft dafür bereit ist.

  6. Die Problematik mit dem Jugendschutz im Internet ist mir nicht klar: kein Jugendlicher kann mit einem Provider einen Vertrag abschließen und somit alleinverantwortlich ins Internet. Es sind immer Erwachsene Vertragspartner und somit für den Anschluß verantwortlich. Machen diese Erwachsenen Jugendlichen das Internet zugänglich, tragen die Erwachsenen die Verantwortung.

  7. Jede, aber wirklich jede Suchmaschine hat eine solche Filterliste. Ich habe selbst 2004 eine deutsche Suchmaschine gegründet (und 2007 wieder verkauft); auch war ich an der erwähnten Bertelsmann Stiftung-Studie als Berater beteiligt. Als Betreiber einer Suchmaschine kommst du um eine solche Infrastruktur gar nicht rum, da klar ist, dass du früher oder später einzelne URLs oder ganze Domains sperren musst. Das können rechtliche Gründe sein, das können qualitative Gründe sein, weil etwa eine Website nur üblen Spam enthält und du sie möglichst schnell (und nicht erst nach dem nächsten Indexupdate) raus haben möchtest und es können natürlich manchmal auch wirtschaftliche Gründe sein. Letzteres dürfte aber eher selten vorkommen, denn schließlich leidet dann die Qualität für die Nutzer spürbar.
    Daraus Rückschlüsse auf die Zensurdebatte ableiten zu wollen, ist Unsinn. Schließlich zensiert jede Suchmaschine und das schon immer – und nicht nur explizit über solche Filtermechanismen. Gut verlinkte Webseiten werden weiter vorne gelistet als wenig verlinkte. (Und ganz schlecht verlinkte Websites landen in einem Sekundärindex, der nur dann angezapft wird, wenn im „guten“ Hauptindex zu wenig Treffer zu finden sind.) Websites von Marken („brands“) landen bei Google heute weiter vorne als sie es aufgrund der eigentlichen Kriterien verdient hätten. Und auch das Klickverhalten der Nutzer auf der Suchergebnisseite fließt mittlerweile ins Ranking mit ein. Eine Suchmaschine ist, ihrem Namen zum Trotz, eben keine vom Menschen unabhängige und neutrale Instanz.

  8. Konsequenterweise muss man dann aber auch Sachen wie Holocaust-Leugnung straffrei stellen

    @TomD: Nein, wieso? (An dieser Stelle spare ich mir jeglichen Hinweis zur Piratenpartei)

    Jede, aber wirklich jede Suchmaschine hat eine solche Filterliste.

    @Stefan: Ich weiß, das habe ich oben ja auch versucht dezent anzudeuten. Allerdings würde ich durchaus deutlicher zwischen Sperrungen aus technischen Gründen/QOS (ups, ist Spam noch ein technischen Grund?) und rechtlichen Gründen differenzieren.

  9. @Jörg-Olaf: Wegen
    „Ich bin mir übrigens nicht sicher, ob eine Löschung eindeutiger “Hassseiten” sinnvoll ist. Auf eine plakative Naziseite kann man mit dem Finger zeigen. Man kann zeigen, welch Geistes Kind die Urheber sind.“
    Viel eindeutiger könnte ich „Hassseite“ auch nicht definieren. Jemand, der den Holocaust leugnet, oder „erst noch Literaturquellen studieren muss, um zu einem Ergebnis zu kommen“ hat sich in erster Linie komplett disqualifiziert. Ob man solche Äusserungen nun verbieten muss oder nicht, ist eine Debatte, die ich etwa 3 mal im Jahr mit meiner Frau führe, und wir haben beide gute Argumente :-)

    BTW, ich bin kein Pirat.

  10. @TomD:

    Viel eindeutiger könnte ich “Hassseite” auch nicht definieren

    Ich dachte eher Richtung PI-News ,)

    Jemand, der den Holocaust leugnet, oder “erst noch Literaturquellen studieren muss, um zu einem Ergebnis zu kommen” hat sich in erster Linie komplett disqualifiziert.

    Natürlich, daher läuft das inzwischen durchaus subtiler ab.

  11. Ein Link auf der Liste führt auch auf meine Website. Diese ist sehr unverdächtig, Porno, strafrechtlich Relevantes oder politisch Extremes zu enthalten. Die Tatsache, dass der Link enthalten ist, ist wohl eher damit zu begründen, dass ein Rechtsanwalt, der mir einen sehr absurden Brief im Namen seines mir unbekannten Mandaten schrieb, diese Seite sperren ließ. Die Suchmaschinen machen das bereitwillig und ohne Überprüfung. Dass die Seite in Suchmaschinen auf der „schwarzen Liste“ steht, war mir nicht bewusst und wurde mir auch von keiner Seite mitgeteilt, geschweige denn wurde ich um Stellungnahme gebeten.

    Ich vermute mal, dass viele andere Links von harmlosen Seiten aus ähnlichen Beweggründen dort gelandet sind. Wenn auf Wikileaks von einem Beispiel von Zensur gesprochen wird, ist das eine sehr gewagte Schlussfolgerung und vielleicht sogar Meinungsmache mit unlauteren Mitteln.

  12. @Alex: Danke für den Input. Das ist genau das, was ich oben vermutet habe. Sperrung im Zuge des einstweiligen Rechtsschutzes. Zum Beispiel nach einer Abmahnung oder einem Cease-and-Desist-Letter (Einige Einträge der „üblichen Verdächtigen“ deuten darauf hin). Die Liste dürfte da auch nur einen Ausschnitt, bzw. die Spitze des Eisbergs, zeigen.

    Und nein, das macht das Vorgehen der Suchmaschinen nicht besser/transparenter. Letztendlich erfolgt das Blacklisting aber vor allem zum Selbstschutz: Wird nicht gesperrt, kann die Suchmaschine als Mitstörer belangt werden.

    Ja, das ist umstritten: http://www.e-recht24.de/news/haftunginhalte/427.html – im Fall des Falles dürften die meisten Suchmaschinen aber eher sperren, als sich auf ein juristisches Scharmützel einlassen.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.