Nach unserer Berichterstattung über das SchülerVZ-Datenleck hat sich der Hamburger Justizsenator Till Steffen bei uns gemeldet, um uns seine Forderungen für bessere Verbrauchergesetze im Bereich des Datenschutzes vorzustellen, darunter fällt z.B. eine Zivilrechtsverschärfung. Das hab ich als Anlass genommen, um mit ihm ein Interview darüber zu führen.
netzpolitik.org: Sie fordern eine Zivilrechtsverschärfung als Antwort auf die aktuellen Datenlecks. Was kann eine Zivilrechtsverschärfung im Datenschutz für die Nutzer bringen?
Till Steffen: Wir müssen dazu kommen, das Unternehmen die Daten ihrer Kunden so schützen wie ihre Geschäftsgeheimnisse. Das werden sie tun, wenn es sich wirtschaftlich für sie rechnet. Bislang überlegt sich der einzelne Nutzer bei Verstößen gegen Datenschutzbestimmungen, ob er seine Rechte geltend macht. Er muss sich überlegen, ob er mit viel Aufwand und wenig Ergebnis hier tätig wird. Bei unseren Überlegungen für einen pauschalierten Schadensersatz und einer Beweislastumkehr wird es deutlich einfacher. Auch kann er mit den Löschungsansprüchen und Auskunftsansprüchen sicherstellen, dass seine Daten nicht weiter missbräuchlich verwandt werden. Diese Kombination dürfte für die Unternehmen spürbaren Effekt haben.
netzpolitik.org: Was halten Sie von der Idee, dass die Verbraucherzentralen stellvertretend für die Nutzer im Rahmen des Unterlassungsklagegesetzes bei Datenschutzverstößen klagen dürfen?
Till Steffen: In dem Unterlassungsklagegesetz (UklaG) sind Verbandsklagen insbesondere zur Durchsetzung der materiell-rechtlichen Regelungen über die Unwirksamkeit von AGBs geregelt. Der Anwendungsbereich könnte aus meiner Sicht auf Unterlassungsansprüche aus dem Bereich des Schutzes personenbezogener Daten ergänzt werden, z.B. in § 2 b UKlaG. Auf diese Weise würde auch für den Bereich der informationellen Selbstbestimmung ein Instrument zur Verfügung gestellt, das sich, ebenso wie die Abmahnung, in anderen Rechtsgebieten als hochwirksam herausgestellt hat. Hier sollten auch die Verbraucherzentralen dann tätig werden dürfen. Neben den Verbraucherzentralen sollte aus meiner Sicht als zusätzliche anspruchsberechtigte Stelle (§ 3 UKlaG) der Datenschutzbeauftragte vorgesehen werden. Auf diese Weise werden auch dessen Rechte gestärkt, zudem kann er so auch – anders als der einzelne Verbraucher – schnell und wirksam gegen Massenphänomene im Bereiche des Datenmissbrauches vorgehen.
netzpolitik.org: Auf EU-Ebene wird derzeit heftig über die Einführung von Sammelklagen diskutiert. Wäre das nicht auch im Datenschutz eine gute Idee?
Till Steffen: Gerade bei Verstößen gegen den Datenschutz sind viele Nutzer betroffen, es spricht daher einiges für das Instrument der Sammelklage.
netzpolitik.org: Im Arbeitsrecht ist es ja so, dass das Gerichtskostenrisiko ausschließlich beim Arbeitgeber liegt. Wäre das auch für den Datenschutz im Zivilrecht ein denkbarer weg?
Till Steffen: Das Arbeitsrecht hat hier ja eine besondere Tradition. Bei Änderungen im Bereich des Zivilrechtes dürfte es sehr schwer werden, hierfür Mehrheiten zu bekommen. Ich finde es richtig, zunächst die Instrumente des einzelnen Nutzers zu stärken und mit der Beweislastumkehr wird seine Rolle auch gestärkt. Die Frage, ob eine andere Kostenregelung hier eine größere Inanspruchnahme ermöglichen kann, sollte tatsächlich in der weiteren Diskussion geprüft werden.
netzpolitik.org: Was halten Sie von der Idee, das Datenschutzwirrwarr durch ein spezielles Datenschutzgesetzbuch zu entknoten?
Till Steffen: Es ist richtig, Gesetze so zu schaffen, dass sie nachvollziehbar sind. Ob dabei aber der Weg richtig ist, alle Regelungen nur in einem zentralen Datenschutzgesetz zu regeln ist meines Erachtens noch offen zu diskutieren. Eine Bündelung im Datenschutzrecht kann sicherlich helfen, beim Arbeitnehmerdatenschutz scheint aber auch ein eigenes Gesetz angezeigt und zivilrechtliche Regelungen für Vertragsgestaltungen sollte man auch im BGB wiederfinden. Also ich wäre eher für ein sowohl als auch.
netzpolitik.org: Wechseln wir mal das Thema. Sie haben Kritik am sogenannten SWIFT-Abkommen mit der USA geäussert. Was sind denn die konkreten Kritikpunkte an dem Abkommen?
Till Steffen: Sinn des Abkommens ist es, einen Datenaustausch über Bankdaten zu ermöglichen. SWIFT übermittelt und speichert als internationale Genossenschaft der Geldinstitute umfangreiche Daten über Zahlungstransaktionen. Im Abkommen sind jetzt Zweck und Voraussetzungen der Datenübermittlung noch nicht hinreichend klar festgelegt, eine Weitergabe der Daten an Drittländer ist noch nicht ausgeschlossen und ein effektiver Rechtsschutz noch nicht gewährleistet. Neben den datenschutzrechtlichen Aspekten hat das europäische Parlament auch auf die Gefahr von Wirtschafts- und Industriespionage in großen Ausmaße hingewiesen, weil die vorhandenen Informationen Rückschlüsse über wirtschaftliches Verhalten zulassen
netzpolitik.org: Inwieweit besteht als Bundesland überhaupt die Möglichkeit auf internationale Vertragsgestaltungen Einfluss zu nehmen?
Till Steffen: Aufgrund der föderalen Struktur in Deutschland ermöglicht es uns als Bundesland über das Bundesratsverfahren Initiativen zu ergreifen. Zum Datenaustauschabkommen mit den USA hat Hamburg bislang die Zustimmung im Lindauer Vertragsverfahren nicht erklärt. Solange kann es nicht in Kraft gesetzt werden. Gleichzeitig haben wir eine Entschließung des Bundesrates auf den Weg gebracht, die datenschutzrechtliche Probleme aufgreift. Im Bereich des Datenaustausches bezüglich der Bankdaten (SWIFT-Abkommen) wird Hamburg auch einen Entschließungsantrag in den Bundesrat einbringen. Wir können daher jedenfalls im Verfahren auf Bedenken hinweisen und auf Nachverhandlungen oder Ausführungsbestimmungen Einfluss nehmen.
netzpolitik.org: Wie bewerten Sie denn aus grüner Sicht den Koalitionsvertrag:
Till Steffen: Die FDP hat leider keine Trendwende bei den Bürgerrechten hinbekommen. Der FDP waren offenbar Steuersenkungen wichtiger, als Fortschritte bei den Bürgerrechten. Bei Vorratsdatenspeicherung und Online-Durchsuchung hat man sich darauf beschränkt, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts abzuschreiben. Dafür hätte man nicht verhandeln müssen. Die Internetsperren sind jetzt erstmal um ein Jahr verschoben, können also doch noch kommen. Die dafür entworfene Kontrollarchitektur dürfte aber zur Anwendung kommen, wenn die angestrebte vollständige Verrechtlichung des Internets umgesetzt wird. Dann kommen die Netzsperren eben zur Durchsetzung von Urheberrechten.
netzpolitik.org: Was meinen Sie mit „Verrechtlichung des Internets“?
Till Steffen: Frau Leutheusser-Schnarrenberger hat ja angekündigt, hier umfassende rechtliche Regelungen schaffen zu wollen. Das bedeutet auch möglicherweise eine Überregulierung. Dann gibt es für private Nutzer ganz schnell stärkere Haftungsfragen bei der Verlinkung von ihrer Homepage, auch bei der Veröffentlichung können schnell verschärfte Haftungsbedingungen entstehen. Das Internet sollte aber nicht nur den Profi und kommerziellen Anbieter berücksichtigen, sondern für private Nutzer unkomplizierte Regelungen möglich lassen.
Vielen Dank für das Interview.
Dieses Interview macht
1. Hoffnung, dass doch ein bisschen Kompetenz in der Politik vorhanden ist,
2. Hoffnung, dass der Wille da ist, sich damit zu beschäftigen,
3. die Grünen wählbar, wenn sich dieses Denken nach oben durchsetzen würde.
Sehr schön!
Hoffnung macht es schon, nur leider ist die Position mit den Grünen in Hamburg wohl kaum mit den Bundesgrünen zu vergleichen. Allein der Gedanke an eine Bundesweite Schwarz-Grüne Zusammenarbeit stößt wohl schon auf harte Widerstände beider Seiten
Sorry, aber ich lese hier nur Konjunktive. Die ersten beiden Antworten sind OK und unterstützenswert, danach kommt nur noch ‚müsste Diskutiert werden‘ und hätte, könnte, sollte.
Welche konkreten Vorschläge zur Zivilrechtsverschärfung gibt es denn?