Medienwandel und die Innere Sicherheit

Die Süddeutsche Zeitung hat ein sehr spannendes und vor allem langes Interview mit dem soeben aus dem Amt geschiedenen Bundesverfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem zum Medienwandel und der Inneren Sicherheit gemacht: „Das Internet ist die größte Revolution“. Sehr lesenswert.

SZ: Wenn Sie zehn, zwanzig Jahre vorausdenken, sehen Sie dann die Zeitungen noch in einer bedeutenden Rolle?

Hoffmann-Riem: […] Ich halte das Internet für die größte kommunikationsbezogene Revolution, die es in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Die verschiedenen Akteure müssen Zugang zu diesen neuen Möglichkeiten haben – auch der öffentlich-rechtliche Rundfunk. Er braucht das Internet nicht nur zu programmbegleitender Information, sondern als eigenständig gestaltetes Medium. Und die Zeitungen werden ein kluges Zusammenspiel mit dem Internet entwickeln müssen. Die Geschichte der Medien zeigt, dass nie ein Medium völlig verschwindet, sondern dass durch neue eine größere Diversifikation entsteht.

[…]

SZ: … wie die Online-Durchsuchung oder der Große Lauschangriff.

Hoffmann-Riem: Beide wurden als Wunderwaffen angepriesen, ohne die die innere Sicherheit nicht mehr zu gewährleisten sei. Wenn aber nach Nachweisen ihrer Unverzichtbarheit gefragt wird, kommt entweder fast gar nichts oder es folgen Beschwörungsformeln. Es gab ja beispielsweise schon ein paar Online-Durchsuchungen, deren Auswertung ich bei unserer Entscheidung gern gekannt hätte. Aber in der mündlichen Verhandlung vor unserem Gericht hatten die höchsten Beamten gerade dafür keine Aussagegenehmigung. Warum hat man nicht versucht, jedenfalls auf einer mittleren Abstraktionsebene, also ohne Details, plausibel zu machen, dass diese Online-Durchsuchungen unverzichtbar waren und inwieweit sie Informationen gebracht haben, die sonst nicht möglich gewesen wären? Oder nehmen Sie die Rasterfahndungen nach dem 11. September 2001…

[…]

SZ: Nach dem 11. September 2001 haben Sie beklagt, dass die Balance zwischen Freiheit, Gleichheit und Sicherheit gestört sei. Sehen Sie dies auch heute so?

Hoffmann-Riem: Die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit ist weiterhin nicht gewahrt. Daran konnte auch das Bundesverfassungsgericht mit seinen punktuellen Entscheidungen zu bestimmten Gesetzen nichts ändern. Ich teile zwar den Satz, dass einem ohne Sicherheit die Freiheit nichts nützt und dass ohne Freiheit die Sicherheit das Merkmal eines nicht lebenswerten Staates ist. Ich sehe zu viele Eingriffe zu Lasten der Freiheit auf der Basis ungesicherter Behauptungen und unter Berufung auf punktuelle Erfolgsmeldungen und immer wieder nur durch den allgemeinen Hinweis auf eine angespannte Sicherheitslage

[…]

SZ: Vermissen Sie immer noch einen gesellschaftlichen Diskurs über Risiken?

Hoffmann-Riem: Ja. Seit dem 11. September haben wir die Frage nicht beantwortet: Welche Risiken und Restrisiken wollen wir uns leisten? Die Zahl der jährlichen Verkehrstoten in Deutschland ist weit größer als die Zahl der Terrorismusopfer in Europa in den letzten zehn Jahren. Das Restrisiko Straßenverkehr haben wir gleichwohl akzeptiert.

SZ: Auch Sie?

Hoffmann-Riem: Ja. Um unserer Fortbewegungsfreiheit willen nehmen wir bestimmte Risiken in Kauf. Wir versuchen uns dagegen durch Airbags und Anderes zu schützen, riskieren es aber beispielsweise nicht, kontinuierliche Überprüfungen der Fahrtauglichkeit vorzunehmen. Das Restrisiko bleibt also immer noch sehr groß. Hier gibt es keinen öffentlichen Aufschrei. Welchen Grad an Restrisiko wir uns im Hinblick auf die Sicherheit vor terroristischen Anschlägen erlauben wollen, um noch politisch frei und ohne übermäßige Überwachung durchatmen zu können – das haben wir noch nicht ausgiebig diskutiert.

7 Ergänzungen

  1. Es mag ja nun wirklich sein, dass es mehr Verkehrstote in Deutschland gibt, als Opfer durch Terrorismus. Unfälle gibt es halt immer wieder, aber das ist ja wohl was total anderes. Terrorismus ist kein Unfall, sondern feiger Mord. Wer dies billigt oder ein Restrisiko einfach so hinnimmt, der soll dies den Angehörigen der Opfer klarmachen.

  2. lr:

    Das ist der Clou des Terrorismus: Man kann das Restrisiko nicht beseitigen. Man kann sich bemühen es kleiner werden zu lassen. Für geringste Sicherheitsgewinne müssen große Einschnitte bei den Bürgerrechten gemacht werden. Und derzeit werden diese Einschnitte auch ohne jeden Sicherheitsgewinn gemacht.

  3. @1

    Aber nur genau so funktioniert es! Nur wenn man Terroranschläge als Unfälle betrachtet, die halt mal passieren, kann man verhindern das Terroristen ihr eigentliches Ziel erreichen – Uns ins Chaos zu stürzen!

    Nur mit einer solchen Betrachtungsweise kann man den Terroristen ihre Munition nehmen! Entweder so, oder wir verlieren langfristig gesehen.

    Ausserdem geht es hier nicht um das billigen der Anschläge! Das ist total weit hergeholt…

  4. @Ir
    bei dem Terrorismus auf dem all die neuen Sicherheitsgesetze basieren, würd ich das nicht leichtfertig als feige bezeichnen, schließlich sind das alles Selbstmordattentate. Der Unterschied liegt darin, dass das eine aus Leichtsinn und Versehen passiert und viel zu häufig passiert (als dass man es dramatisieren kann) und das andere einen „bösen“ Hintergrund hat und selten ist, dabei aber pro Attentat viel Schaden anrichtet (man es also in den Medien aufbauschen kann).

    Grundsätzlich ist diese Rechnung aber auch total blödsinnig, denn man soll nicht Menschenleben verrechnen, also auch nicht Tote nach dem Motto, was denn nun böser ist.
    Die Frage ist eher, ob es der richtige Weg ist Terrorismus zu bekämpfen. Unkraut bekämpft man nicht, wenn man ein paar Blätter abreist.
    Und: Spielt man den Terroristen nicht nur in die Hände, wenn man die Angst schürt? Weil nen anderes Ziel sehe ich bei den Attentaten nicht (die können ja nicht glauben, dass sie so alle bösen Westler umbringen)

  5. @1
    Die Reaktion der Angehörigen von Terroranschlägen und größeren Massenunfällen (z. B. der Bahnunfall von Eschede) sind gar nicht so verschieden.

    Ein Unterschied ist jedoch, wenn 90% der Unfälle/Unfallstote durch z. B. Unangeschnalltheit geschiet, dann werden durch die Behebung (Sitzgurte) auch die meisten dieser verhindert. Bei Terroranschlägen, hingegen wird häufig bei Schließung einer Sicherheitslücke nur für kurze Zeit was verhindert, da danach die Terroristen einfach auf was anderes ausweichen.

    Seltsamerweise haben wir als Gesellschaft uns lange gegen Sitzgurte gewehrt, aber kaum Probleme mit Vollüberwachung, verstärkten Flughaffensicherheit (z. B. nur Flüssigkeiten in geringen Mengen) … und der Rest der endlosen Liste. Und das trotz der höchst unterschiedlichen Kosten/Nutzenrelation und Freiheitsverlust/Nutzernrelation.

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.