Report: Netzzensur und Überwachung in chinesischen Livestreaming-Apps

Livestreaming-Apps sind in China ein riesiger Trend. Forscher des kanadischen Citizenlab fanden heraus, dass die Apps ihre Nutzer mit Filterlisten überwachen und zensieren, diese aber wohl von den Unternehmen im Rahmen einer privatisierten Rechtsdurchsetzung gepflegt werden.

Privatfernsehen für alle: Livestreaming-Dienste sind in China ein riesiger Trend

Das kanadische Forschungsinstitut Citizenlab hat für einen neuen Report die drei größten chinesischen Livestreaming-Apps analysiert: Harmonized Histories? A year of fragmented censorship across Chinese live streaming applications. Es ging um die Plattformen YY, Sina Show und 9158, die in China einen Massenmarkt bedienen. YY soll alleine über 800 Millionen Nutzer haben. Livestreaming ist in China ein größeres Phänomen als bei uns, und der Markt wird, wie so üblich, von chinesischen Herstellern dominiert, während US-Plattformen wie Periscope vom Markt ausgeschlossen werden.

Das Citizenlab hat die Apps der drei Plattformen reverse-engineerd, d. h. ihre Funktionsweise wurde rekonstruiert. Dabei konnte man Filterlisten finden, mit denen Inhalte zensiert und Nutzer in ihren Chats überwacht werden. Zwischen Februar 2015 und Oktober 2016 fand man insgesamt 19.464 Schlüsselwörter, wobei sich die Filterlisten der drei Apps unterschieden. Daraus schließt das Citizenlab, dass es wahrscheinlich keine zentrale Verteilstelle der chinesischen Regierung für Filterlisten gibt, sondern diese viel flexibler zusammengestellt werden. Plattformen agieren im Rahmen einer Privatisierung der Rechtsdurchsetzung auf aktuelle Ereignisse und packen im vorauslaufenden Gehorsam selbst Schlüsselwörter auf die Liste, wenn sie der Meinung sind, das wäre zum Staatswohl notwendig. Diese Theorie gibt es schon länger, die kanadischen Forscher haben sie nur aktuell am Beispiel der Livestreaming-Apps bestätigt. Auf den Filterlisten fanden sich aber nicht nur Wörter, die Kritik am herrschenden System beinhalten. Das Citizenlab fand auch genug Hinweise, dass die Unternehmen gerne ihre Konkurrenten zensieren.

Anders gesagt: Unsere Untersuchung zeigt, dass das Social-Media-Ökosystem in China – auch wenn es definitiv für die Benutzer beschränkt ist – aufgespaltener, variabler und chaotischer ist, als King und seine Kollegen behaupten. Sie bestätigt die Bedeutung der Haftung für Plattformen, die Rebecca MacKinnon in die Debatte eingebracht hat, bekannt als „Selbstdisziplin“, bei der von Konzernen erwartet wird, sich selbst und ihre User zu kontrollieren, um ein „harmonisches und gesundes Internet“ zu garantieren. Witzigerweise führt eine solche Selbstdisziplin häufig zu einer ganz anderen Umsetzung von Zensur auf einzelnen Plattformen und damit zu einem weniger „harmonischen“ Internet.

Bei der Plattform YY fand man zudem heraus, dass alle Chat-Inhalte, die ein Schlüsselwort enthalten, automatisiert zentral gespeichert werden.

Der gesamte Report findet sich in einer interaktiven Ausführung im Netz.

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