Blogger, Gerichte und Datenschützer

Stefan Niggemeier hat gerade die leicht kafkaeske Situation, dass er laut einem Gerichtsurteil Kommentare in seinem Blog überwachen muss, aber nach Ansicht des Landesdatenschutzbeauftragten Berlin dies nicht richtig machen darf. Zeit-Online berichtet über die Situation: Von wegen „rechtsfreier Raum“ Internet.

Andererseits können Kommentare auch veröffentlicht und anschließend kontrolliert werden. So macht es beispielsweise ZEIT ONLINE. Und auch Niggemeier. Die Kontrolle allerdings muss schnell gehen, und bei kritischen Themen genügt das nicht. Das Urteil von 2007 aber fordert, rechtswidrige Kommentare vorauszuahnen, also jene Nutzer zu kennen und im Zweifel gänzlich zu blockieren, die bereits ausfällig wurden. Um das möglich zu machen, müssen Kommentatoren auf Niggemeiers Blog unter anderem eine E-Mail-Adresse angeben. Außerdem nutzt er im Zweifel die IP-Adressen, die auf seinem Server anfallen, um so „auffällige“ User wiederzuerkennen und stoppen zu können.

Stefan Niggemeier bloggt darüber: Schöner Kommentieren mit Datenschutz.

Aus rechtlicher Sicht ist die Kommentarfunktion in Blogs aus zwei Gründen problematisch:

1.) Weil jeder anonym kommentieren kann.
2.) Weil nicht jeder anonym kommentieren kann.

Thorsten Feldmann vertritt Stefan Niggemeier als Anwalt. Feldmann hat mir damals bei der Deutschen Bahn Sache auch juristisch geholfen und bloggt neuerdings im Feldblog. Dort beschreibt er ausführlich mit vielen Zusatzinformationen die aktuelle komplexe Situation: Blogger und Datenschützer.

Diese legislativen und administrativen Vorbedingungen sind der Nährboden für wunderbare und wundersame Streitigkeiten: Bei uns im Büro schlägt Mitte November 2008 Mandant Stefan Niggemeier auf. Journalist, Blogger, Grimme-Preisträger, bildblog.de-Gründer. Er wedelt mit einem Schreiben, das er von dem Berliner Datenschutzbeauftragten erhalten hat. Inhalt: Ein Nutzer seines Internet-Angebots hätte „die Vermutung geäußert“, Stefan Niggemeier würde rechtswidrig IP-Adressen der Nutzer speichern. Darüber hinaus würde er von Internet-Nutzern, die einen Kommentar in seinem Blog veröffentlichen wollen, als Pflichtangabe die E-Mail-Adresse erheben. Das sei auch nicht erlaubt. Was sich in den Folgemonaten anschließt, ist ein Hin und Her, die Androhung eines empfindlichen Bußgelds durch die Behörde, eine typisch anwaltlich besserwisserische Antwort von uns, und am Ende, nach dem kleinen Kniff der Einholung einer Einwilligung der Nutzer (ein Satz!), der in keiner Weise die beanstandete Datenverarbeitung einschränkt, und der Einbindung einer Privacy Policy zuckt der Datenschutzbeauftragte noch einmal kurz, lässt die Bußgeldandrohung aber fallen. Mission erfüllt. Der normale Mensch mag diesen Vorgang nicht weiter als anstößig empfinden, auch freuen sich Anwälte normalerweise über solche Fälle, weil sie viel Aufwand um gar nichts produzieren und die Billable Hours nur so herunterrauschen. Bei mir löst der Fall trotz des letztgenannten, durchaus erfreulichen Nebeneffekts aber gleich eine ganze La Ola von Störgefühlen aus.

Alles ganz schön kompliziert mit den gesetzlichen Rahmenbedingungen, die fast jeden Blogger treffen können.

12 Ergänzungen

  1. @3: Klar. Der Punkt ist aber, dass die Gesetzeslage so komplex wie misslungen ist und dadurch Rechtsunsicherheit schafft. Bzw. die Gerichte, die dann die misslungenen Gesetze auf ihre Weise interpretieren.

  2. Zunächst einmal finde ich es positiv, dass Herr Niggemeier grundsätzlich keine Vorzensur ausübt.
    Aber obwohl er einer der berühmtesten und erfahrensten Blogger Deutschlands ist, hat er bis vor ein paar Tagen nicht auf diese Speicherung hingewiesen. Er hatte jahrelang doch den bekannten Medienanwalt Dr. Christian Schertz an seiner Seite. Warum hat er seinen Mandanten nicht darüber aufgeklärt?
    Sein neuer Anwalt Thorsten Feldmann muss nun natürlich den Schaden für Herrn Niggemeier begrenzen. Immerhin gibt es seit ein paar Tagen Hinweise zum Kommentieren und eine Datenschutzerklärung.
    Ob das aber ausreicht, bleibt fraglich. Was geschieht denn mit den Daten?

  3. riesiger schwachsinn in meinen augen – wenn jemand seine e-mail nicht angeben möchte soll er es eben lassen und keinen kommentar schreiben ?! Manchmal frag ich mich schon in was für einer bürokratie wir leben…

  4. Ich weise hier mal auf einen Blogeintrag von Thomas Stadler hin. Er sieht die Sache ein bißchen anders als der Niggemeier-Anwalt:

    „Ob Niggemeier den richtigen Ansatz gewählt hat, möchte ich bezweifeln, auch wenn sein Ärger verständlich ist. Denn die Ursache seines Dilemmas ist eine falsche Entscheidung des Landgerichts Hamburg und nicht das so oft gescholtene Datenschutzrecht.“
    http://www.internet-law.de/2009/07/niggemeier-beklagt-sich-uber-den.html

  5. Herr Feldmann scheint ein guter Anwalt zu sein. Wie jeder Anwalt muss er versuchen, das Beste für seinen Mandanten herauszuholen. Dazu wirft er auch Nebelkerzen, wenn er sich davon etwas verspricht.
    Herr Niggemeier hat viele als „Störer“ auf seiner IP-Liste markiert. Das sind meistens Leute, die er zu Recht oder zu Unrecht für dumm, frech, psychisch gestört, rassistisch, homophob oder sonst etwas hält.
    Selbstverständlich muss er die Kommentare dieser „Trolle“ bzw. Trolle nicht veröffentlichen. Sollen die doch woanders ihr Unwesen treiben.
    Aber muss er deswegen Listen mit IP-Adressen und E-Mail-Adressen aller seiner Kommentatoren führen? Darf er das überhaupt?
    Er darf es höchstens aufgrund eines verfassungsgemäßen Gesetzes. Eine „Lex Niggemeier“ ist mir aber nicht bekannt.
    Der Datenschutz kann nicht selbstherrlich aufgehoben werden, weil man keine böswilligen oder kritischen oder wahnsinnigen Kommentare in seinem Blog haben will.
    Das Urteil des Hamburger Landgerichtes gegen Herrn Niggemeier im Fall des nächtlichen Kommentars halte ich für falsch. Ich hätte es begrüßt, wenn er bis vor das Bundesverfassungsgericht gegangen wäre. Die Methoden die er deshalb meint, anwenden zu dürfen, sind ebenfalls falsch, nämlich rechtswidrig. Auch wenn er sich Verdienste im Kampf gegen das „Böse“ (die böse Bildzeitung) erworben hat, befindet er sich dieses Mal auf dem falschen (Datenschutz-)Dampfer.

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