Live-Ticker: Der Europäische Gerichtshof kippt Vorratsdatenspeicherung. Und tschüss!

Es ist Live-Ticker-Zeit! Zumindest werden wir hier für Euch heute alle relevanten News rund um die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Vorratsdatenspeicherung zusammenstellen.

Bisher passiert noch nichts. Wir haben gestern bereits diverse Szenarien durchgespielt, was passieren könnte.

09:45: Erste Nachrichten tauchen auf: Die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung ist gekippt. Unvereinbar mit EU-Recht. Das haben wir erwartet und das sagte selbst der Generalanwalt. Die große Frage ist noch, ob die Vorratsdatenspeicherung als solche unter einer neuen Richtlinie weiter geführt werden kann. Mehr gleich. Was dann kam werdet Ihr nicht glauben. ;-)

09:50: Vorteil von Richtlinie weg: Die Konservativen haben ein Argument verloren „Wir brauchen Vorratsdatenspeicherung, um Richtlinie zu erfüllen, weil wir sonst Strafe zahlen müssen“. Pustekuchen!

9:54: Hier ist die PM zum Urteil in deutsch (PDF).

Die Richtlinie 2006/24/EG des Europ. Par. und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten[…] ist ungültig.“

Aber: Wie wir vermutet haben, ist die Vorratsdatenspeicherung mit einer anderen Richtlinie irgendwie machbar. Wir sagen: Auch wenn es rechtlich möglich ist, darf das politsich nicht passieren. Denn eine Vorratsdatenspeicherung tötet die Unschuldsvermutung und stellt alle Europäer unter Generalverdacht!

Zwischen 10:00-10:40 Uhr: Unser Server war dem Ansturm nicht gewachsen und hatte sich schlafen gelegt. Jetzt gehts wieder.

10:44: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil weist auf Twitter daraufhin, dass der Koalitionsvertrag eindeutig von einer EU-Richtlinie spreche, die ja jetzt weg sei:

Koalitionsvertrag sagt „umsetzung der eu-richtlinie“. richtlinie ist weg, geschäftsgrundlage für #vds damit auch. guter tag für grundrechte!

Im Koalitionsvertrag steht explizit:

Wir werden die EU-Richtlinie über den Abruf und die Nutzung von Telekommunikationsverbindungsdaten um-setzen. Dadurch vermeiden wir die Verhängung von Zwangsgeldern durch den EuGH.

Wir sind gespannt, was die VDS-Befürworter in der SPD sagen werden.

10:49: Der Digitale Gesellschaft e.V. kommentiert:

“Der EuGH hat heute eine historische Chance zum Schutz einer freiheitlichen Gesellschaft ergriffen. Mit seiner Entscheidung schiebt er der anlasslosen Massenspeicherung der Kommunikationsdaten von 500 Millionen Menschen in Europa einen Riegel vor. Besonders freut uns, dass der Gerichtshof den EU-Gesetzgeber nicht zur Nachbesserung verpflichtet hat. Damit steht es in der Sternen, ob es überhaupt zu einem neuen Entwurf kommen wird.”

10:50: Unser Bundesjustizminister Heiko Maas begrüsst das Urteil und kündigt Stop der VDS an. „Wir werden kein Gesetz vorlegen“. (Wir sind gespannt, was CDU/CSU dazu sagen werden).

10:55: European Digital Rights sagt:

After eight years, this affront to the fundamental rights of European citizens has finally been declared illegal. Eight years of abuses of personal data and eight years of reassurances from EU Member States and the Commission that the measure was legal

10:59: Erste Reaktion von der CDU/CSU kommt vom Chemnitzer Bundestagsabgeordneten Marco Wanderwitz auf Twitter:

das heutige Urteil zur #VDS ist wie ein Feiertag für das organisiertes Verbrechen

11:02: CDU-Bundesinnenminister de Maiziere sieht das Urteil anders als unser Bundesjustizminister und fordert die sofortige Wiedereinführung: „Ich dränge auf eine verfassungsgemäße Neuregelung“.

11:05: Eine Interpretation des Urteils ist: Eine Wiedereinführung der VDS ist nicht möglich, es würde nur Quick Freeze gehen. Wir sind gespannt, welche Analysen folgen werden und ob das daraus tatsächlich hervorgeht. Wir würden uns sehr freuen!

11:07: Das Statement von Heiko Maas liegt vor:

Damit ist eine neue Situation eingetreten. Die Grundlage für die Vereinbarung im Koalitionsvertrag ist entfallen. Deutschland ist nicht mehr zu einer Umsetzung der Richtlinie verpflichtet. Auch Zwangsgelder drohen nicht mehr. Es besteht jetzt kein Grund mehr, schnell einen Gesetzentwurf vorzulegen. Wir werden das Urteil jetzt sorgfältig auswerten. Dann werden wir mit unserem Koalitionspartner neu über das Thema Vorratsdatenspeicherung reden müssen. Wir werden das weitere Verfahren und die Konsequenzen ergebnisoffen besprechen.

Ergebnisoffen kann man sagen, dass er sich auch deutlicher gegen eine Vorratsdatenspeicherung hätte aussprechen können. Das lässt so viel Spielraum offen, eine Wiedereinführung mit der CDU/CSU neu zu verhandeln.

11:15: Heribert Prantl kommentiert bei SZ.de:

Ist das eine Sensation? Ja, ist es. Es ist der Beginn einer Zeitenwende im europäischen Grundrechtsschutz. Der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zerreißt die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung. Er proklamiert, dass der Datenschutz mehr ist als ein papierener Artikel.

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11:42: Hier ist das englische Urteil. (PDF)

11:54: Bündnis 90/Die Grünen sagen: Urteil des #EuGH zur #VDS – Instrument der anlasslosen Massenüberwachung muss endgültig in die Schublade der Geschichte.

Wir begrüßen das heutige Urteil des Europäischen Gerichtshofs ausdrücklich. Es ist eine herbe Niederlage für die Befürworter von anlasslosen Massendatenspeicherungen. Das Urteil ist somit auch eine Ohrfeige für die deutsche Bundesregierung. Die Vorratsdatenspeicherung ist seit Jahren die zentrale Frage der Bürgerrechtspolitik. Sie stellt alle Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht.

11:57: Unser erster einordnender Artikel zum Urteil mit Kurzanalyse: Vorratsdatenspeicherung ist weg! Ganz sicher? Der Kampf geht leider weiter.

12:07: Der Bund deutscher Kriminalbeamter liest das Urteil anders:

„Der Europäische Gerichtshof erklärte heute richtigerweise, dass die Vorratsdatenspeicherung dem Gemeinwohl diene, und zwar der Bekämpfung schwerer Kriminalität und somit letztlich der öffentlichen Sicherheit. Diese Bewertung kann man als Bürger dieses Landes nur begrüßen“

12:13: Der Anwalt Meinhard Starostik, der die erfolgreiche Verfassungsbeschwerde für den AK-Vorrat eingereicht hat, urteilt:

Dies hat Folgen für die deutsche Diskussion zur Vorratsdatenspeicherung. Die Richtlinie ist unwirksam, sie kann als Grundlage für eine Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung nicht dienen. Ein deutsches Gesetz ist aufgrund einer EU-Regelung erst möglich, wenn eine neue EU-Richtlinie erlassen würde, die sodann die Vorgaben des EUGH zur Verhältnismäßigkeit einzuhalten hätte.

12:15: Sascha Lobo kommentiert auf Spiegel-Online:

Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs gegen die Vorratsdatenspeicherung ist trotz Bestätigung dieser Denkrichtung leider nur ein Etappensieg. Denn der wahre Grund, weshalb Netzpolitik sich anfühlt wie eine Zombieapokalypse, ist: Es gibt in diesem Spiel nur Etappensiege. Der Drang, die technische Machbarkeit ohne Rücksicht auszuschöpfen, lässt sich nicht eindämmen. Ihm muss auf allen Seiten entgegengetreten werden, und zwar ständig und für immer, Netzzombies sterben nie.

12:17: Die linke Bundestagsabgeordnete Halina Wawzyniak bloggt über das Urteil:

Richtig wäre aus meiner Sicht auf die Vorratsdatenspeicherung endgültig zu verzichten. Und mit diesem Verzicht in Deutschland Druck auszuüben, das in der EU auf die Vorratsdatenspeicherung verzichet wird. Und ja, eine Vorratsdatenspeicherung wäre auch ein Quick Freeze-Verfahren, denn es kommt nicht darauf an, ob die Daten sechs Monate oder drei Monate oder gar drei Tage gespeichert werden. Die anlasslose Speicherung des Telekommunikationsverkehrs ist ein so tiefgreifender Eingriff in die Bürger- und Menschenrechte, das er in meinen Augen keine Rechtfertigung für ihn geben kann. Es ist und bleibt sinnvoll endgültig auf die Vorratsdatenspeicherung zu verzichten. Hier sollte von Deutschland aus Druck auf die anderen Mitgliedsländer der EU ausgeübt werden.

12:21: Für die Piratenpartei kommentiert Patrick Breyer, der Themenbeauftragte für Datenschutz:

Entgegen verschiedener Pressemeldungen besagt das Urteil des Gerichtshofs keineswegs, dass die EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung nachgebessert werden müsse; jegliches Herumdoktern an der unsäglichen Vorratsdatenspeicherung könnte nichts daran ändern, dass das wahllose Sammeln aller unserer Telefon-, E-Mail- und Internetdaten in einer Demokratie völlig inakzeptabel ist. Ich appelliere an das Europäische Parlament, jegliche Rettungsversuche der Vorratsdatenspeicherung zu blockieren und stattdessen gezielt die Daten verdächtiger Personen zu speichern, wie es in der internationalen Cybercrime-Konvention vorgesehen ist.

12:40: Unsere Bundesdatenschutzbeauftragte Andrea Voßhoff lebt doch noch:

Das Urteil muss jetzt sorgfältig geprüft werden, auch mit Blick darauf, ob eine Neufassung der Richtlinie überhaupt sachgerecht ist. Ich halte es deshalb für geboten, jetzt erst einmal abzuwarten, bis der europäische Gesetzgeber sich entschieden hat, ob und wie eine europarechtskonforme Neuregelung der Richtlinie erfolgen soll.“

12:47: Der Europäische Datenschutzbeauftragte kommentiert:

We consider this a landmark judgment that limits the blanket government surveillance of
communications data (telephone, texts, email, internet connections etc.) permitted under the
Directive. It highlights the value placed on the protection of fundamental rights at the core of
EU policy in this critical area. We are particularly satisfied that the Court has underlined that the Data Retention Directive constitutes a serious and unjustified interference with the fundamental right to privacy enshrined in Article 7 of the EU Charter of Fundamental Rights. When an act imposes obligations which constitute such interference, the EU legislature should provide for the necessary guarantees rather than leaving this responsibility to the member states.

12:49: Die EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström sieht Arbeit auf sich (bzw. Nachfolger) zukommen:

„The judgment of the Court brings clarity and confirms the critical conclusions in terms of proportionality of the Commission’s evaluation report of 2011 on the implementation of the data retention directive. The European Commission will now carefully asses the verdict and its impacts. The Commission will take its work forward in light of progress made in relation to the revision of the e-Privacy directive and taking into account the negotiations on the data protection framework,“ said Cecilia Malmström, Commissioner for Home Affairs.

12:54: Die SPD-Bundestagsabgeordneten Burkhard Lischka und Christian Flisek sehen einen „Sieg für die Grundrechte“:

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat damit ein klares Signal für die Grundrechte der Menschen in Europa gesendet. Nun kommt es darauf an, das Urteil in Ruhe auszuwerten und die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen. Schnellschüsse sind nicht angebracht. Wir sind gut beraten, über die Vorratsdatenspeicherung sowohl auf nationaler als insbesondere auch auf europäischer Ebene grundsätzlich und ergebnisoffen zu beraten. Nach dem heutigen Urteil ist jetzt nicht die Zeit für nationale Alleingänge, vielmehr gilt es, die Diskussion auf europäischer Ebene abzuwarten. Ob es in nächster Zeit überhaupt zu einer Neuregelung der Vorratsdatenspeicherung kommen wird, ist fraglich.

Preisfrage: Welche Partei war seinerzeit mitverantwortlich für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung? Aber wir freuen uns ja, wenn die Meinung jetzt eine andere ist.

13:39: Die Politikredaktion der FAZ ist aufgewacht. Jasper von Altenbockum meint tatsächlich: Justizminister Maas kuscht vor der Netz-Propaganda .

Maas beruft sich dabei auf den Koalitionsvertrag, der ausdrücklich die Richtlinie erwähnt. Die „Sprachregelung“ vom Januar war also nichts wert, de Maizière muss gute Miene zum bösen Spiel machen. Man könnte auch sagen: Er wurde eiskalt über den Tisch gezogen.[…] Und er nimmt Rücksicht auf eine propagandistische Polemik, die seit Jahren im Netz gegen die Speicherung von Daten zum Zweck der Verbrechensbekämpfung geführt wird.

(Unsere Redaktion musste laut lachen). Was waren nochmal die wissenschaftlichen Aussagen zur Notwendigkeit einer Vorratsdatenspeicherung?

13:54: Der Bitkom weist daraufhin, dass die Mitgliedsunternehmen bei einer Widereinführung die Unkosten erstattet haben wollen.

„Der EuGH macht in seinem Urteil klare organisatorische und technische Vorgaben zur möglichen Umsetzung der Vorratsdatenspeicherung. Damit steigt der Aufwand für die Anbieter von Telekommunikation- und Internetdiensten. Für die deutsche Telekommunikationsbranche führte die Vorbereitung auf die Umsetzung der Vorgaben zur Vorratsdatenspeicherung bereits in der Vergangenheit zu Ausgaben in mehrstelliger Millionenhöhe. Sollte eine wie auch immer geartete Vorratsdatenspeicherung durch den Gesetzgeber gewollt sein, müssen die hierfür aufzuwendenden Investitionen der Netzbetreiber ausgeglichen werden.“

13:57: Der Schleswig-Holsteinische Landesinnenminister Andreas Breitner möchte gerne nochmal seinen eigenen Koalitionsvertrag vorgelesen bekommen, der eine Vorratsdatenspeicherung ablehnt. Breitner wünscht sich eine Wiedereinführung.

„Die Luxemburger Richter haben einen Korridor aufgezeigt, in dem individuelle Freiheit und öffentliche Sicherheit gleichermaßen ihren Platz haben“, sagte Breitner. Es gebe in Schleswig-Holstein und bundesweit zahlreiche Beispiele, wonach es ohne den Rückgriff auf Verbindungsdaten nicht möglich gewesen wäre, schwerste Straftaten aufzuklären und die Täter zu verurteilen.

14:12: Als Vorsitzendes des CSUnet erklärt die Staatssekretärin Dorothee Bär:

Das ist eine wegweisende Entscheidung. In Zukunft wird es deshalb – zu Recht – nicht mehr möglich sein, die Daten der Bürgerinnen und Bürger ohne jeden Verdacht und ohne richterlichen Beschluss zu speichern. Mit dem heutigen Urteil wird überzogenem Speicherwahn ein Riegel vorgeschoben. Der CSUnet hat sich seit jeher gegen die VDS ausgesprochen. Dazu stehen wir auch weiterhin.“

Zur Einordnung: Das stimmt schon, aber CSUnet ist ungleich CSU.

14:17: Der NRW-Datenschutzbeauftragte, Ulrich Lepper, sieht in der heutigen Entscheidung des EuGH eine klare Absage an eine ausufernde Speicherung und Nutzung von Kommunikationsdaten:

Wir können keine Schnellschüsse gebrauchen. Im Gegenteil: Auch der Bundesgesetzgeber muss sich nach den heute getroffenen Einschränkungen noch einmal grundsätzlich fragen, ob eine Vorratsdatenspeicherung halten kann, was die Befürworter sich von ihr erhoffen. Eins steht nach dem heutigen Urteil fest: Eine Kompletterfassung aller Bürgerinnen und Bürger ohne näher definierten Anlass und ohne weitere Differenzierungen ist unzulässig.

14:26: Bundesinnenminister Thomas de Maiziere will Vorratsdatenspeicherung wieder einführen.

Selbstverständlich müssen wir zunächst das Urteil auswerten, die Vorgaben des EuGH sorgfältig analysieren und die Konsequenzen gemeinsam mit unserem Koalitionspartner diskutieren. Auch wenn die Richtlinie selbst nun aufgehoben wurde, hat die Entscheidung aber Gewissheit gebracht, dass das Instrument der Vorratsdatenspeicherung sowohl verfassungsrechtlich als auch europarechtlich zulässig ist. Das Urteil legt in der Sache nach erster Durchsicht in etwa die gleichen Maßstäbe an, wie das Bundesverfassungsgericht und darauf fußend die Koalitionsvereinbarung. Da wir dieses Instrument dringend zur Aufklärung schwerer Straftaten sowie zur Abwehr akuter Gefahren für Leib und Leben benötigen, dränge ich rasch auf eine kluge, verfassungsgemäße und mehrheitsfähige Neuregelung.“

15:01: Die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat das Urteil des EuGH zur Vorratsdatenspeicherung gegenüber heute.de begrüßt:

„Ich fühle mich wirklich bestätigt durch diese Entscheidung“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger heute.de. „Jetzt wird deutlich, wie richtig es gewesen ist, dass in der letzten Legislaturperiode kein Gesetz zur anlasslosen Vorratsdatenspeicherung in Deutschland vorgelegt wurde. Das wäre heute Makulatur.“

15:38: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Michael Hartmann vermutet den Europäischen Gerichtshof in Brüssel und liebäugelt ebenfalls mit einer Wiedereinführung, weil:

Ich weiß nicht, ob das etwas mit Glück oder Pech zu tun hat. Schauen Sie, niemand macht doch aus Jux und Tollerei solche Gesetze, sondern es geht darum, dass wir, so die deutsche Sicht, unter Richtervorbehalt für ganz, ganz wenige Straftaten und über einen nur möglichst kurzen Zeitraum hinweg Daten erfassen, die keine Inhaltsdaten sind, sondern nur Verbindungsdaten, um Gefahren abzuwehren oder Straftaten nachzuweisen. NSU, Kinderpornografie, Zwangsprostitution sind Stichworte, die in diesen Zusammenhang gehören, und deshalb gibt es einen sachlichen Bedarf, aber keinen Bedarf, der so stark sein kann, dass wir sagen, uns ist egal, ob dabei die Bürgerrechte mit Füßen getrampelt werden. Und insofern, noch mal gesagt, finde ich beide Urteile, Karlsruhe und Brüssel, gut.

15:46: Der vzbv fordert grundsätzliche Abschaffung der Vorratsdatenspeicherung.

Der vzbv spricht sich grundsätzlich gegen eine Vorratsdatenspeicherung aus. “Die Vorratsdatenspeicherung ist unabhängig von der Dauer der Speicherung oder den Zugriffsbefugnissen der Strafverfolgungsbehörden unverhältnismäßig“ sagt Lina Ehrig. Bisher benötigen die Strafverfolgungsbehörden einen Anfangsverdacht, um ermitteln zu dürfen – mit einer Vorratsdatenspeicherung hingegen stünden alle Bürger unter Generalverdacht. Auch konnte bisher, über Einzelfälle hinaus, der Nutzen einer Vorratsdatenspeicherung nicht nachgewiesen werden. Diese stellt damit aus Sicht des vzbv einen gewaltigen Eingriff in die Freiheits- und Persönlichkeitsrechte dar, das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung wird massiv angetastet.

16:19: Volker Tripp kommentiert das Urteil für den Digitale Gesellschaft e.V.: Aufgehoben ist nicht aufgeschoben.

Das Urteil macht darüber hinaus auch deutlich, dass die Vorratsdatenspeicherung den Gesetzgeber unabhängig von ihrer konkreten Ausgestaltung stets an die Grenze des grundrechtlich Zulässigen führt. Indem sie die Richtlinie nicht nur aufgeschoben, sondern grundweg verworfen haben, haben die Richter dem Grundrechtsschutz klar den Vorrang gegenüber dem staatlichen Interesse an der Strafverfolgung eingeräumt. Vor diesem Hintergrund gleichwohl weiterhin die Einführung der Vorratsdatenspeicherung in Deutschland voranzutreiben, wie von einigen Unionspolitikern reflexartig gefordert, würde nicht nur den Geist der Entscheidung des EuGH verkennen, es würde auch eine Gleichgültigkeit gegenüber den Grundrechten demonstrieren, die der rechtsstaatlichen Kultur und der Verantwortung eines Verfassungsorgans nicht würdig ist.

17:10: Ole Reißmann kommentiert auf Spiegel-Online:

Ständige Beobachtung, Beeinträchtigung der Grundrechte: Die Warnungen der Richter in Luxemburg und Karlsruhe könnten nicht klarer sein. Es sind Ohrfeigen für all jene Scharfmacher, die von der Unschuldsvermutung abrücken und Vorratsdaten speichern wollen. Für jene Minderheit, für die jeder Bürger erst mal verdächtig sein soll, bis zum Beweis seiner Unschuld. Wer nun weitermacht und immer noch die Vorratsdatenspeicherung fordert, so wie Innenminister Thomas de Maizière, hat die Richter missverstanden. Denn die haben Datensammlung zwar nicht vollständig verboten, aber nur als letzten Ausweg erlaubt, unter strengsten Vorgaben, wenn sie unbedingt notwendig ist.

17:11: Nachgereicht: So sehen glückliche Kläger vom AK-Vorrat aus Österreich aus. (Vorne rechts im Bild ist unser Co-Blogger Thomas Lohninger)

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Der ehemalige Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar kommentiert bei Heise.de: EuGH beerdigt die Vorratsdatenspeicherung.

Damit erteilt der EuGH einer anlasslosen, umfassenden Speicherung von Daten auf Vorrat eine klare Absage. Nicht ausgeschlossen wird hingegen eine gezielte, begrenzte Speicherung von Daten. Dies entspricht eher dem „Quick Freeze“-Modell, wonach auf gerichtliche Anordnung bei Vorliegen bestimmter Verdachtsmomente für eine schwere Straftat relevante Daten für begrenzte Zeit gespeichert bleiben dürfen.

42 Ergänzungen

  1. Na hoffentlich kommt da mehr dabei raus als nur eine angepasste Neuauflage mit ein bischen mehr Rechtssicherheit und so. Genaueres wird wohl erst die Analyse der Begründung ermöglichen.

  2. Nach Rücksprache mit ein paar Juristen lese ich das Urteil deutlich optimistischer als ihr. Randnummern 52 bis 59 sagen klar, dass eine flächendeckende VDS *gar nicht* geht. Daraus folgt, dass nur noch Quick Freeze möglich bleibt.

    1. bzgl der Randnummern:
      Hast du (oder jemand) einen Direktlink zum Urteil?
      Ich finde auf der CVRIA-Seite nur die PM. :(
      thx

    2. Zu Randnummer 55: Hat der EuGH hier geurteilt, daß das Mißbrauchsrisiko durch wohl auch und vor allem geheimdienstliche Überwachung ein entscheidender Grund für die Unverhältnismäßigkeit der Richtlinie ist (und dann bei dauerhaftem Bestehen der geheimdienstlichen Überwachung eben auch ein dauerhafter Ausschlußgrund wäre)? Das wäre ja mal ein interessanter Dreh…

  3. keine panik. notfalls beim grossen bruder abfragen. die kümmern sich einen schei.ss drum, ob nur verbindungsdaten oder inhalte´…dort werden sie geholfen.

    1. Umgekehrt kann daraus auch ein Widerstand gegen die Überwachung von NSA/GCHQ & Co. abgeleitet werden. Und vielleicht auch gegen die Speicherung der Konzerne (Google, Facebook, Twitter & Co.).

  4. HarHarHar, wieder gretscht ein Gericht den Parteien (SPD/CXU/Grüne) zwischen die Beine. Kein Wunder das die schwarze Pest (CDU/CSU) dem deutschen BvfG ans Gemach will. Vielleicht jetzt nach dem Urteil auch dem EugH.

    Natürlich werden bestimmt wieder Sprüche kommen bzgl. Kinderpornografie (Die armen Kinder…)

    1. Die Grünen haben das Gesetz von Anfang an bekämpft und auch in Karlsruhe dagegen geklagt. Wie auch die FDP übrigens.

      1. Bei aller Liebe Ralf, das liest sich aber nicht so deutlich aus dem Koalitionsvertrag BaWü heraus.

        >>Bei der Vorratsdatenspeicherung setzen wir uns dafür ein, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts präzise einzuhalten.<<

        Den ganzen Satz hätte man sich schenken können, weil es ja ohnehin eine Selbstverständlichkeit* ist, sich an die gesetzlichen Vorgaben des BVerfG zu halten.

        Ein klares NEIN kann ich da beim besten Willen nicht erkennen.

        *Welche man bei diversen Parteien vergeblich sucht.

      1. ne das ist leider was anderes. Kannst du vielleicht dort, wo du den deutschen Text her hast, nochmal nach der englischen Version schauen/fragen?

      2. sorry wenn ich diesen Thread hier in die Länge ziehe (der kann wegen mir übrigens gerne weg, tut ja inhaltlich nix zur Sache)

        der Linktitel war zwischenzeitlich kurz gefixt und ist jetzt wieder falsch/wie vorher. Editwars? ;)

  5. was ist eigentlich mit zensilia mahlstein? die wollte doch die BRD zur umsetzung zwingen. noch nciht vom brüsseler hochhaus gesprungen??

  6. Endlich mal eine gute Nachicht aus Luxemburg.
    Ich habe schon an dran gezweifelt,
    ein Schlag ins Gesicht für alle Konservativen Rechtsverdreher.

  7. „Maas kündigt Stopp der vds an. Wir werden kein Gesetz vorlegen.“ Er hat die Möglichkeit, wie Schnarrenberger, als einer der besten Minister in die Geschichte der BRD und der freiheitlichen Demokratie einzugehen.

    „das heutige Urteil zur VDS ist wie ein Feiertag für das organisiertes Verbrechen“ Genau, deshalb ist ja Deutschland auch ein Hort von Mafia und Co., anders als etwa Italien.

    „ist das eine Sensation?“ Ja und Nein. Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit.

    1. es ging doch nie um das „bekämpfen von verbrechen“…ist doch ne lachnummer schlechthin. die totalüberwachung was das ziel der schwarzen pest…und ist es immer noch.

  8. och…das ist aber jetzt schade….

    Andy Neumann ist dagegen nicht nach feiern zumute: „Das ist ein schwarzer Tag“, sagt der Vorsitzende des Bundes Deutscher Kriminalbeamter. Er hat immer wieder die Einführung der Vorratsdatenspeicherung gefordert, weil er darin ein wirksames Mittel zur präventiven Bekämpfung von Straftaten sieht. „Ich befürchte, die Bundesregierung wird sich nach diesem Urteil weiter zurücklehnen und einfach abwarten“, sagt Neumann. Das gehe zu Lasten der Polizisten im Land, auf die dann die Schuld geschoben werde, wenn Fälle nicht aufgelöst werden können, weil das entsprechende Instrument fehle.

    quelle: süddeutsche.de

    1. keine ahnung wie oft ich diesen bockmist als begründung schon hören und lesen musste. aber ich kam nicht umhin, jene geistige glanzleistung des herrn neumann der geneigten netzpolitik-öffentlichkeit der kundttuung angedeihen zu lassen…wie schön.

  9. Ich habe das Urteil jetzt 2 x auf deutsch gelesen.
    Bitte: wo steht jetzt genau, was das Gericht beschlossen hat?
    Ich finde nur Beschreibungen der Fragen und des Falles, die Zitate der Richtlinie und Argumentationen.

    In der PM steht zwar alles eindeutig drin, aber ne Pressemitteilung ist doch kein Urteil…

    1. Ich lese unter 71:
      „Infolgedessen ist […] zu antworten, dass die Richtlinie 2006/24 ungültig ist.“

    1. gemach, gemach…das sind die beissreflexe der generalüberwacher. die müssen sich ja zu wort melden.

  10. „Consequently, the answer to the second question, parts (b) to (d), in Case C – 29 3 /12 and the first question in Case C – 594 /12 is that Directive 2006/24 is invalid.“ Die Grundlagen des Urteils sind die Menschenrechte.

    „Those data, taken as a whole, may allow very precise conclusions to be drawn concerning the private lives of the persons whose data has been retained, such as the habits of everyday life, permanent or temporary places of residence, daily or other movements, the activities carried out, the social relationships of those persons and the social environments frequented by them.“ So siehts aus.

  11. Positiv überrascht von der CSU:
    http://www.csu-portal.de/csunet/aktuelles/104811418.htm

    (Was heißt hier überrascht, man könnte sagen positiv entsetzt. Das hätte ich jetzt wirklich nicht von denen gedacht.)


    Zum aktuellen Urteil des Europäischen Gerichtshofs erklärt die Vorsitzende des CSUnet, Dorothee Bär, MdB:

    „Mit dem heutigen Urteil zur Vorratsdatenspeicherung (VDS) schafft der Europäische Gerichtshof (EuGH) nun endlich Klarheit: Eine verdachtsunabhängige und wahllose Vorratsdatenspeicherung ist damit vom Tisch. Das ist eine wegweisende Entscheidung. In Zukunft wird es deshalb – zu Recht – nicht mehr möglich sein, die Daten der Bürgerinnen und Bürger ohne jeden Verdacht und ohne richterlichen Beschluss zu speichern.

    Mit dem heutigen Urteil wird überzogenem Speicherwahn ein Riegel vorgeschoben. Der CSUnet hat sich seit jeher gegen die VDS ausgesprochen. Dazu stehen wir auch weiterhin.“

    1. oh, oh, oh…dorothee. da wird der onkel uhl aber mächtig böse sein. da gibts bestimmt kein weisswürschtl mehr auf dem oktoberfest…..

    2. Ich glaube ja eigentlich, dass es Großteil der typischen konservativen Wähler ebenfalls keinen Bock auf dieser Überwachungsmaßnahme ihres gesamten Internetverkehrs hat.
      Aber die glauben halt ihren Politikern, wenn die versichern, dass das a) notwendig oder b) nicht schlimm ist.
      Da gibt es meines Erachtens einfach immer noch eine zu starke Kultur der Obrigskeitshörigkeit.

      Wenn die sich dann tatsächlich mal die Mühe machen und selbst recherchieren, kommen dann solche „erfreulichen“ Aussagen auch vonseiten der sonst opponierenden Fraktion.

      1. Typisch konservative Wähler haben Internetverkehr?
        Quatsch, dieh haben panische Angst vor dem Internet und würden dieses gerne abschalten, anders kann man das Phänomen des CDU-Wählers nich erklären.

      2. :-)

        ich kann mir das Phänomen des CDU-Wählers schon erklären.
        DUMMHEIT?

        Erst verwüstet der Hosenträger ganz Europa und jetzt will das Mistst*ck auch noch mein „Leben scannen“!

        Wo/Wie wird in einem Gesetzentwurf eigentlich festgelegt, dass nur! META-Daten gespeichert werden?

Dieser Artikel ist älter als ein Jahr, daher sind die Ergänzungen geschlossen.