Biometrische ÜberwachungSicherheitspaket als „Büchse der Pandora“

Das „Sicherheitspaket“ steht massiv in der Kritik. Amnesty International, AlgorithmWatch und weitere Organisationen lehnen die neuen Befugnisse zur biometrischen Gesichtserkennung weiterhin als „polizeiliche Superdatenbank“ ab. Auch in den Bundestagsfraktionen von SPD und Grünen rumort es.

Frau sitzt am Tisch und wird von einer anderen person mit Handy fotografiert
Biometrische Daten lauern überall. – Gemeinfrei-ähnlich freigegeben durch unsplash.com Josh Rose

Das umstrittene „Sicherheitspaket“ wird heute im Innenausschuss des Bundestags beraten. Am Freitag soll es im Bundestag zur zweiten und dritten Lesung auf die Tagesordnung kommen und verabschiedet werden. Geplant sind erheblich mehr Befugnisse für die Polizei bei der biometrischen Gesichtserkennung und bei der automatisierten Datenzusammenführung und -analyse. Dazu kommen Verschärfungen beim Waffenrecht wie Messerverbote und starke Leistungskürzungen für bestimmte ausreisepflichtige Menschen.

Die Ampel-Regierung hatte sich am Freitag auf einen abgeänderten Vorschlag zum „Sicherheitspaket“ geeinigt, nachdem in einer Sachverständigen-Anhörung deutliche Kritik vorgebracht worden war.

Die Reaktionen darauf ließen nicht lange auf sich warten. Denn in Fragen der Überwachungsbefugnisse blieb es dabei: Auch für die jetzt geplante Version müssten massenhaft Bilder aus dem Netz analysiert und die darauf abgebildeten Gesichter ohne Einwilligung der Betroffenen biometrisch ausgewertet und gespeichert werden. Damit sollen das Bundeskriminalamt und die Bundespolizei nach potentiellen Straftätern und Opfern von Straftaten suchen dürfen. Das Bundesamt für Migration und Flucht soll auf diesem Weg Asylsuchende ohne Papiere identifizieren dürfen.

Kritik aus der Zivilgesellschaft

Ein Zusammenschluss der Zivilgesellschaft kritisiert das geänderte Vorhaben, darunter Amnesty International in Deutschland, der Chaos Computer Club, AlgorithmWatch, LOAD und die AG Nachhaltige Digitalisierung. Sie fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme, das „Sicherheitspaket“ fallenzulassen. Es sei nur „kosmetisch angepasst“, im Kern aber weiterhin ein „gefährliches Überwachungsvorhaben“ mit biometrischer Massenüberwachung und „Gesichterdatenbank“, erklärt das Bündnis.

Teresa Widlok, Vorsitzende des Vereins für liberale Netzpolitik LOAD, kritisiert auch am neuen Vorschlag die rechtlichen und technischen Möglichkeiten für biometrische Überwachung und die „polizeiliche Superdatenbank“. Die neu eingebauten Schutzmaßnahmen seien nur „Flickschusterei“. „Das eigentliche Problem ist, dass solche digitalen Befugnisse überhaupt zur Diskussion stehen“, erklärt sie. „Im Windschatten der Empörung über Solingen haben die Sicherheitsbehörden ihre Chance gewittert und die erstbeste Gelegenheit ergriffen, um die Idee eines anonymen Internets weiter zu untergraben.“

Nicht einmal die Ergebnisse der aktuell noch laufenden Überwachungsgesamtrechnung seien abgewartet worden, so Widlok. Die „Büchse der Pandora“ für noch weitergehende Überwachungsbefugnisse wäre damit geöffnet.

Eine biometrische Datenbank, um alle zu finden

Die Bundesbeauftragte für den Datenschutz und die Informationsfreiheit (BfDI), Louisa Specht-Riemenschneider, hatte im Innenausschuss bereits davor gewarnt, übereilte Befugnisse für biometrische Erkennung zu schaffen. Das seien „grundrechtsintensive Maßnahmen“, die vorgesehenen Regelungen seien „nicht mit der KI-Verordnung in Einklang zu bringen“. Diese verbietet solche KI-Systeme, „die Datenbanken zur Gesichtserkennung durch das ungezielte Auslesen von Gesichtsbildern aus dem Internet oder von Überwachungsmaterial erstellen oder erweitern“.

Specht-Riemenschneider kritisiert auch, dass ihre Behörde zunächst nicht einmal einbezogen worden sei. Nach den neuen Plänen wird die Regierung aber die Einschätzung der Bundesdatenschutzbeauftragten einholen müssen. Denn die Koalition hat nun eine Verordnungsermächtigung vorgesehen, um Details des neuen Gesetzes später regeln zu können. Durch eine Verordnung können technische Maßnahmen der biometrischen Fahndung konkretisiert werden, beispielsweise Art und Umfang von Daten und der Zugriff darauf. Dazu würde dann die Expertise des Hauses von Specht-Riemenschneider hinzugezogen.

Widerstand in den Bundestagsfraktionen

Bei den Grünen im Bundestag steht die automatisierte Gesichtserkennung ebenfalls in der Kritik, aber auch andere Aspekte des Pakets. In einer fraktionsinternen Diskussion am gestrigen Dienstag soll vor einem möglichen Koalitionsbruch gewarnt worden sein, wenn keine Ampel-Mehrheit für das Sicherheitspaket zustande käme, so ein Bericht von t-online. Mehr als vierzig grüne Abgeordnete seien skeptisch oder wollten dem Vorhaben im Bundestag nicht zustimmen.

Auch bei den Sozialdemokraten gäbe es dreißig Parlamentarier, die dem Sicherheitspaket vielleicht nicht zustimmen wollten. Die Chefin der SPD-Grundwertekommission, Gesine Schwan, und der Vorsitzende der Jusos, Philipp Türmer, hatten die SPD-Bundestagsfraktion zuvor aufgefordert, gegen die Pläne zu stimmen.

Kanzler Olaf Scholz soll sich Dienstag in der Fraktion zu Wort gemeldet und das Vorhaben seiner Parteikollegin Nancy Faeser unterstützt haben. Er hätte dabei indirekt die Vertrauensfrage gestellt, schreibt Der Spiegel.

Juso-Chef Türmer sagte dem Stern dazu:

Ich bin froh, dass es in der Fraktion Widerstand gegen dieses Paket gibt. Ich war nicht in der Sitzung dabei, aber die Geschichte hat gezeigt: Dem letzten sozialdemokratischen Bundeskanzler, der mit solchen Mitteln Diskussionen unterdrücken wollte, ist das sehr hart auf die Füße gefallen. Ich hoffe, dass sich niemand, der gegen das Paket stimmen will, davon einschüchtern lässt […]

Der neue kommissarische SPD-Generalsekretär Matthias Miersch wies diese Darstellung einer Einschüchterung in der ARD-Fernsehsendung „Maischberger“ am Dienstagabend zurück. Es sei aber in der SPD-Fraktion eine „durchaus lebendige Diskussion“ gewesen, er setze nun auf die Fraktionsdisziplin.

Scholz braucht eine eigene Mehrheit. Zwar gab es zu Anfang die Idee, dass die Ampel und die schwarzen Oppositionsparteien das Vorhaben nach dem Anschlag von Solingen gemeinsam beschließen könnten. Doch der CDU-Chef Friedrich Merz und der CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt haben klargemacht, dass sie das Sicherheitspaket nicht mittragen werden.

Gesichtserkennung

Wir berichten mehr über biometrische Gesichtserkennung als uns lieb wäre. Unterstütze unsere Arbeit!

Anders als den Kritikern in der Ampel geht ihnen die Nutzung biometrischer Daten nicht weit genug. Sie forderten die Nutzung der automatisierten Gesichtserkennung schon bei schweren Straftaten. Nach den aktuellen Plänen ist sie nur bei besonders schweren Straftaten möglich. Der erste Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Fraktion, Thorsten Frei, erklärte Dienstag in der ARD-Sendung „Maischberger“, das Sicherheitspaket wegen der laschen Regeln bei der Gesichtserkennung ablehnen zu wollen. Auch andere Aspekte des Vorhabens gehen Merz, Frei und Dobrindt nicht weit genug. Außerdem fehle ihnen im Paket die Vorratsdatenspeicherung von IP-Adressen.


Offenlegung: Ich engagiere mich ehrenamtlich als Sprecherin des Chaos Computer Clubs (CCC), der als Teil des Bündnisses der Zivilgesellschaft das Sicherheitspaket kritisiert hat.

Deine Spende für digitale Freiheitsrechte

Wir berichten über aktuelle netzpolitische Entwicklungen, decken Skandale auf und stoßen Debatten an. Dabei sind wir vollkommen unabhängig. Denn unser Kampf für digitale Freiheitsrechte finanziert sich zu fast 100 Prozent aus den Spenden unserer Leser:innen.

4 Ergänzungen

  1. „Kanzler Olaf Scholz (…) hätte dabei indirekt die Vertrauensfrage gestellt“.
    Würde er diese den Bundesbürgern stellen, wäre er morgen weg vom Kanzleramt.

  2. Hier sieht man besonders krass, wie weit Sozialdemokrat*innen auch auf Ebene ihrer persönlichen Karriere gehen, um Bürgerrechte nachhaltig zu bekämpfen und das Land in einen autoritären Überwachungsstaat zu verwandeln.

Wir freuen uns auf Deine Anmerkungen, Fragen, Korrekturen und inhaltlichen Ergänzungen zum Artikel. Bitte keine reinen Meinungsbeiträge! Unsere Regeln zur Veröffentlichung von Ergänzungen findest Du unter netzpolitik.org/kommentare. Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.