Die sächsische Datenschutzbeauftragte Juliane Hundert kritisiert das Vorgehen der Polizei ihres Bundeslandes wegen des Einsatzes von biometrischer Bilderkennung als teilweise verfassungswidrig. Im Fokus der Datenschutzbeauftragten sind insbesondere Maßnahmen der Polizei in der Region Görlitz, wo diese 17 stationäre Kameras und eine nicht bekannte Zahl mobiler Kameras zur Überwachung einsetzt. Mit der Görlitzer Überwachungstechnik „PerIS“ kann die Polizei Kennzeichen von durchfahrenden Kraftfahrzeugen sowie Gesichtsbilder der Fahrer:innen und Beifahrer:innen aufnehmen und automatisch auswerten, sie hat dies in der Vergangenheit auch getan.
Laut der Sächsischen Zeitung (SZ) fordert die Landesdatenschutzbeauftragte Juliane Hundert deswegen neue rechtliche Vorgaben für Videoaufnahmen im öffentlichen Raum. Sie kritisiert laut dem Medienbericht, dass die Kameras filmen, was ihrer Meinung so eigentlich nicht gefilmt werden darf. „Meinen Erkenntnissen nach findet dabei bisher in ausgewählten Fällen ein automatisierter biometrischer Abgleich von aufgezeichneten Gesichtsbildern mit zuvor hinterlegten Referenzbildern statt“, zitiert die Zeitung die Datenschutzbeauftragte.
„Höchst bedenklich“ und gegen die Verfassung
Obwohl dies auf richterliche Anordnung geschehe, hält Hundert die Maßnahmen für „höchst bedenklich“, weil das System von Unbeteiligten und nicht-verfahrensrelevanten Personen biometrische Muster ihrer Gesichter erstelle. Diese Eingriffstiefe sei „nicht ansatzweise von den aktuell geltenden Ermittlungsbefugnissen in der Strafprozessordnung gedeckt“. Hierfür bedürfe es einen bestimmten und normenklaren gesetzlichen Grundlage. Mit Blick auf die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts hält Hundert die Überwachung für verfassungswidrig, heißt es weiter in dem Medienbericht.
Das sächsische Innenministerium sieht das laut der Sächsischen Zeitung anders. „Die Anwendung der Videoüberwachung im Rahmen der Strafverfolgung ist rechtmäßig nach der Strafprozessordnung“, heißt es dort auf Nachfrage der SZ. Zudem verzichte man „bis auf Weiteres“ auf die Verwendung der Echtzeitfunktion, betont jedoch, dass sich das System bewährt habe und verweist auf immer mehr Treffer durch das System. Im Medienbericht ist hierbei von 101 (2020), 301 (2021), 124 (2022) und 387 Hinweisen auf gesuchte Personen im vergangenen Jahr die Rede. Die „überwiegende Mehrzahl“ dieser Treffer wird laut dem Ministerium „auf dem Wege klassischer kriminalistischer Arbeit händisch oder teilweise mittels retrograd-biometrischem Abgleich“ erzielt. Ähnliches hatte die Polizei Görlitz in der Vergangenheit auch gegenüber netzpolitik.org angegeben.
Appell an Polizei und Staatsanwaltschaften
Die Datenschutzbeauftragte appelliert laut der SZ nun „an Polizei und Staatsanwaltschaften in Sachsen, solche Maßnahmen künftig nicht mehr zu beantragen“. Das freut die Piraten-Politikerin Anne Herpertz, die sich schon länger mit der Überwachung in Görlitz befasst: „Wir begrüßen sehr, dass die Datenschutzbeauftragte unserer Forderung nach Untersagung von Anträgen und Anordnungen nachkommt.“ Es sei allerdings nicht hinnehmbar, dass das Innenministerium die Verfassungswidrigkeit der Überwachungsmaßnahmen leugne. „Ein Verzicht auf die Echtzeitfunktion behebt das Problem nicht – Gesichtserkennung ist und bleibt verfassungswidrig“, so Herpertz weiter.
Haben Landes-Datenschutzbeauftragte keine Möglichkeit Klage zu erheben?
Der Beitrag der Sächsischem Zeitung ist hinter einer Paywall. Stattdessen könnte man auf die verlinken und auch nennen, die die Landesdatenschutzbeauftragte Sachsen zu diesem Schritt geführt hat: Die Piratenpartei in Sachen, siehe Posting von Anne Herpertz von den Piraten Dresden: https://dresden.network/@stillnotlovin/113265069722057169
Zitat:
„Ihr erinnert euch an den Stunk, den wir @piratensachsen gemacht haben wegen automatisierter biometrischer Gesichtserkennung?
Nach meinen Beschwerden bei der Datenschutzbeauftragten meinte ich vor einer Weile: „Während die Datenschutzbeauftragte im Sinne der Unabhängigkeit keine Anweisungen an Gerichte richten kann, so könnte sie dennoch den Staatsanwaltschaften untersagen, biometrische Überwachung zu beantragen. Dazu fordere ich sie explizit auf.“
Das hat sie jetzt getan! Juliane Hundert appelliert an Staatsanwaltschaften, Polizei und Gerichte, Anträge und Anordnungen zu unterlassen und teilte dies auch Innen- und Justizministerium mit!“
Ich habe daraufhin die Bundesbeauftragte für Datenschutz gefragt: „Hallo @bfdi, könnte/wird das die #BfDI auch auf bundesebene / bundesweit tun? Werden auch andere lfdi das tun? @dsk @bvd @DS_Stiftung“.
Die Antwort der bfdi: „Wir sind nur für die Bundespolizei und das BKA zuständig. Ein Appell auf Bundesebenen oder bundesweit wäre daher ohnehin nicht die richtige Maßnahme. Wir beraten stattdessen den Gesetzgeber, dass hier vernünftige gesetzliche Grundlagen geschaffen werden, die den Einsatz solcher Technik regulieren. / ÖA“
Siehe https://social.bund.de/@bfdi/113270723330465144
Das könnte man auch noch im Beitrag ergänzen.
LG & danke für eure Arbeit.
Die Kameras an der Grenze haben schon in mehreren Fällen bei grenzübergreifender Kriminalität, wie KFZ Diebstahl und anderes geholfen. Mir als Bewohner der Grenzregion ist es ziemlich egal, ob dort ein Foto beim Grenzübertritt gemacht wird. Das wird sowieso gelöscht, weil völlig uninteressant. Was mir aber nicht egal ist, sind die hier stattfindenden Einbrüche und KFZ Diebstähle. Das könnte mich ganz schnell persönlich betreffen. Und bei KFZ Diebstählen, die Bundesweit durchgeführt werden, jeden anderen auch. Datenschutz sollte nicht effektiver Kriminalitätsbekämpfung im Weg stehen.
Der Appell einer Datenschützerin, auf etwas zu verzichten was offensichtlich zu Ermittlungserfolgen geführt hat, sorgt im Büro der Staatsanwaltschaft mit etwas Glück vielleicht für einen herzhaften Lacher in der Frühstückspause, bei der Polizei dagegen lediglich für einen zusammengeknüllten Zettel im Papierkorb…