Vorratsdatenspeicherung verhindern – jetzt!

Nächste Woche wird es konkret im Europaparlament: Die Vorratsdatenspeicherungs-Richtlinie steht am Dienstag zur Diskussion im Plenum und soll am Mittwoch in erster Lesung abgestimmt werden. Der Bürgerrechts-Ausschuss (LIBE) des Europaparlaments hatte sich zwar auf gemeinsame Änderungswünsche geeinigt, allerdings haben die beiden grossen Fraktionen (Sozialdemokraten und Konservative) auf eigene Faust einen Kompromiss mit dem EU-Council beschlossen. Dieser soll von der „Grossen Koalition“ im Europaparlament beschlossen werden und bedeutet nicht wirklich eine Entschärfung der Richtlinie.

Wer das Europaparlament und seine Arbeitsweise kennt, weiss, dass es dort nicht wie im Bundestag funktioniert. Koalitionen gibt es nur bei Themen und die können wechseln. Auch sind die bunt zusammengewürfelten Fraktionen sehr divergierend in ihren Ansichten. Hier kann jeder ansetzen. Vermutlich sind sich die meisten Abgeordneten nicht wirklich bewusst, was sie am Mittwoch abstimmen werden und welche Konsequenzen die Richtlinie für Grund- und Freiheitsrechte in Europa bedeuten. Bei den Plenumsdiskussionen nehmen meist nur die Fachpolitiker des Themas teil, die wiederum für ihre Fraktionen „Voting-Lists“ erstellen, quasi Wahlempfehlungen.

Die Tagesordnung am Mittwoch sieht folgendermassen aus: Es gibt nur zwei unterstützenswerte Änderungsanträge. An erster Stelle steht ein Antrag der grünen Fraktion auf Ablehnung der gesamten Richtlinie. Dieser ist natürlich der weitestgehende und sollte im Optimalfall von den Abgeordneten unterstützt werden. Aber selbst die Liberalen sind gespalten und werden vermutlich mehrheitlich für den Kompromissantrag der „Grossen Koalition“ stimmen. Der zweite unterstützenswerte Änderungsantrag kommt von der Schwedin Charlotte Cederschiöld und betrifft Artikel 10 der Richtlinie. Hier geht es um die umstrittene Frage, wer denn die Kosten für die Vollüberwachung übernehmen soll. Während der Kompromiss die Kosten auf die Industrie abwälzen will, die wiederum alle neu entstehenden Kosten an die Verbraucher witer geben wird, fordert der Änderungsantrag die Kostenübernahme durch die Regierungen. Also das Verursacherprinzip. Würde dieser Änderungsantrag durchkommen, wäre eine zweite Lesung notwendig und es wäre Zeit gewonnen für mehr Diskussionen. Jedesmal sind 370 Stimmen notwendig. Das Problem ist, dass die „Grosse Koalition“ die absolute Mehrheit hat, aber längst nicht so einig sind wie im Bundestag. Aber auch die Liberalen werden wohl mehrheitlich für die Vorratsdatenspeicherung stimmen und leider nur in einer Minderheit für die Ablehnung der Richtlinie.

Deutschland hat insgesamt 99 Abgeordnete im Europaparlament, wo vermutlich die wenigsten von wissen, was auf dem Spiel steht. Der Bundestag hat letztes Jahr in einem interfraktionellen Antrag geschlossen eine Vorratsdatenspeicherung abgelehnt.

Was kann man jetzt noch tun?

Wichtig ist, bei den Abgeordneten anzurufen, Faxe zu schicken und Mails zu schreiben und auf die Risiken der Richtlinie hinweisen. Den meisten dürfte echt nicht bewusst sein, was ihre Fraktionsvorsitzenden ihnen am Mittwoch bei einer Richtlinie mit dem komisch klingenden Namen „Data Retention“ zur Abstimmung empfehlen. Wenige Tage sind hierfür noch Zeit. Starten sollten man immer bei den eigenen Europaabgeordneten. Schaut also nach, wer für Euch im Europaparlament sitzt. Direkt anrufen ist am sinnvollsten, meist hat man einen Mitarbeiter am Telefon, wenn man Glück hat, auch den Abgeordneten. Faxe schreiben ist auch gut, ein Fax halten die Mitarbeiter in der Hand und müssten sich das erstmal durchlesen. Mails sind leider nicht sehr effektiv, da die Abgeordneten viel mehr Mails als Faxe und Telefonanrufe bekommen. Wichtig ist vor allem, höflich und argumentativ am Telefon zu sein. Ihr wollt ja jemanden überzeugen und nicht beschimpfen!

Verbreitet die Nachricht weiter und mobilisiert mehr Menschen, sich jetzt gegen eine Vorratsdatenspeicherung und damit eine flächendeckende Überwachungsinfrastruktur in Europa einzusetzen. Nächste Woche ist es zu spät und dann können wir nur noch auf die Gerichte hoffen.

Hier ist ein aktuller Artikel aus der Zeit über die Vorratsdatenspeicherung und was sie bedeuten wird: Jeder unter Verdacht. Über eine gestrige Anhörung im Europaparlament berichtet Reuters: Compromise on EU data storage rules spurs backlash. Die meisten Informationen hält das Wiki unserer „Data retention is no solution“-Kampagne bereit. Natürlich bietet auch dieses Blog viele Informationen. Am einfachsten findet man diese, wenn man „Vorratsdatenspeicherung“ in die Such-Maske eingibt.

Update: Heise hat einen neuen Artikel: Abstimmungskrimi bei Richtlinie zur Überwachung der Telekommunikation erwartet.

3 Ergänzungen

  1. Das schlimme ist doch, dass zwischen einem „Gottesstaat“ a la Taliban und Bin Laden und einem Überwachungsstaat, in den wir so allmählich hineinschliddern, gar keinen großen Unterschied mehr gibt. Menschen- und Bürgerrechte, Meinungsfreiheit, Freizügigkeit… alles Fremdwörter darin.
    Ich denke die „bösen Buben“ lachen sich über die Blödheit unserer Politiker… und deren Wähler, also uns… ins Fäustchen.

  2. Lieber Morpheus, in einem „Gottesstaat à la Taliban“ (l’accent grave!) hättest Du Deinen Kommentar noch nicht einmal schreiben können, weil Du nämlich kaum Zugang zu einem so „gotteslästerlichen“ Medium wie dem Internet hättest. Im übrigen empfehle ich Dir – Vorratsdatenspeicherung hin oder her – unbedingt einmal die Lektüre der Vita von Menschen wie etwa Salman Rushdie, damit Dir die Maßstäbe in Zukunft nicht immer so dermaßen verrutschen. – Gute Besserung!

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